Susanne Falkenberg: Populismus und Populistischer Moment im Vergleich zwischen Frankreich, Italien und Österreich

Inhalt
Kap. 1
Kap. 2
Kap. 3
Kap. 4
Kap. 5
Kap. 6
Kap. 7
Kap. 8
Kap. 9
Kap. 10
Literaturverzeichnis

8. Durchbruch der Parteien

Ziel dieses Kapitels ist die Analyse des Durchbruchs der drei Parteien, was zunächst eine Diskussion des Begriffs erfordert. Eine Partei kann sich beispielsweise ohne gravierende Abweichung des Wahlergebnisses in einer zuvor nicht erreichten Wählerschaft etablieren und dafür eine gleichstarke Klientel verlieren. Wer nur auf das Resultat blickt, bemerkt diese möglicherweise bedeutende Veränderung nicht. Theoretisch denkbar ist auch, daß sich die Wahlergebnisse einer Partei nur deshalb verbessern, weil auch die von ihr umworbenen sozialen Gruppen größer werden. Dieses Ereignis wäre im Unterschied zum ersten weniger interessant. Ebenfalls denkbar wäre der Niedergang einer Partei infolge einer Atomisierung ihrer Stammklientele (wobei dies konzediertermaßen kein Durch-, sondern ein Einbruch wäre). Außer Frage dürfte deshalb stehen, daß der elektorale crash, die Steigerung von 0,x auf mehrere Prozent oder die Vervielfachung traditioneller Ergebnisse dann als Durchbruch zu bezeichnen ist, wenn vergleichbare Resultate wiederholt erzielt werden oder wenn die dauerhafte Anbindung innerhalb einer neuen Wählergruppe gelingt.

Der Zeitpunkt des FN-Durchbruchs ist leicht zu terminieren. Gleiches gilt für den italienischen Leghismo, auch wenn zuvor schon einige Einzelerfolge erzielt worden sind. Hier wie dort wurde zunehmend eine zuvor nicht umworbene bzw. nicht erreichte Wählerschaft gewonnen. Nach 1986 hat sich auch der FPÖ-Stimmenanteil sprunghaft gesteigert. Bemerkenswerter als dies ist die Tatsache, daß sich die Partei in der Arbeiterschaft etablieren konnte, was einem gravierenden Wandel ihres Wählerprofils entspricht.1

8.1. Front National

Erste urbane Erfolge

Zwar hatte der Front National bei den Kommunalwahlen 1983 insgesamt betrachtet noch miserabel abgeschnitten,2 erste kommunale Einzelerfolge deuteten jedoch eine Trendwende an. So erzielte die Partei in Paris und Aulnay sous Bois Ergebnisse um die 10%3 und in der nahe bei Paris gelegenen Stadt Dreux sogar 16,7% der Stimmen. Industriestädte wie Dreux sind mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert: Mit der industriellen Modernisierung ging die Anwerbung ausländischer und billiger Arbeitskräfte einher, die in den hochgezogenen und wenig sympathischen Wohnsiedlungen in der Peripherie untergebracht wurden. Die Wirtschaftskrise seit Mitte der 70er Jahre und der dadurch bedingte Anstieg der Arbeitslosigkeit provozierte in den industriellen Zentren ein Klima von Angst und Unsicherheit, das sich der Front National zunutze machen konnte. Sein Wahlkampf speziell in Dreux verfolgte eine Doppelstrategie. Zum einen zielte er gegen den PCF, dem man die Arbeiter mit dem Vorwurf abspenstig machen wollte, daß die Kommunisten zu immigrantenfreundlich seien. Während sich Pierre Stirbois auf dieser Schiene bewegte, kümmerte sich seine Frau "um Geschäftsleute und Freiberufler", die sie "mit Attacken gegen zu hohe Steuern und die 'Marxisierung des Unterrichts'" erfolgreich umwarb.4

Dreux blieb entgegen anderslautenden Vorhersagen kein Einzelfall. Weder prozentual, noch wahlsoziologisch, noch axial: In Dreux hatten sich bei den Nachwahlen die alliierten Rechtsparteien mit 55,5% der Stimmen gegen die Linke durchgesetzt, und Pierre Stirbois wurde stellvertretender Bürgermeister. Trotz der Abgrenzungsbestrebungen von hohen UDF- und RPR-Repräsentanten wurden unterhalb der nationalen Ebene immer wieder Bündnisse mit dem FN geschlossen.

Zum Zeitpunkt seines ersten Erfolgs war der Front National eine schlecht organisierte Partei. Es fehlten Strukturen, Strategien und Mitglieder, um elektorale Besitzstände zu halten und auszubauen. Zudem fällt die Inkompatibilität von mittelstandsorientiertem Wahlprogramm und urbaner Wählerschaft ins Auge. Die Korrektur dieses Mißverhältnisses leitete die nächste Phase ein.

Parteipolitische Erneuerung

Die Entwicklung des Front National zu einer populären und auf breite Schichten zugeschnittenen Partei ist auf dem Hintergrund der geschilderten Initiation keineswegs zufällig. Wachsendes Interesse an der Partei und deren Chef durch die Medien infolge dieser Effekte und der elektorale Durchbruch mit 11,2% bei den Europawahlen 1984 (infolge dieser Aufmerksamkeit?) machten aus der politischen Sekte eine Mitgliederpartei. Dies erforderte den Aufbau von Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen, die jedoch so konzipiert sind, daß die Macht der Führungsgremien nicht tangiert werden kann.5 Stirbois hatte bereits in Dreux einen gut organisierten Parteiapparat aufgebaut, und er brachte seine Erfahrungen nun auch national ein. Auch die wenig später zum FN gestoßenen Mitglieder des neurechten Club de l'Horloge widmeten sich der organisatorischen und politischen Modernisierung, wodurch Honoratioren aus Wissenschaft und Bürokratie am Front National zunehmend Gefallen fanden. Die (auch) an persönlichen Karrieren interessierten Intellektuellen haben wesentlich zur Modernisierung und zum Imagegewinn der Partei beigetragen.6

Die Modernisierung der Partei läßt sich auch auf programmatischer Ebene nachvollziehen: Das ultra-liberale und antifiskalische Wirtschaftsprogramm wurde mit einem "populär-kapitalistischen" Anstrich (propriété=responsabilité=enracinement) versehen.7 Bemerkenswerterweise geht die Modernisierung des Front National, also seine urbane Massenorientierung, in erster Linie auf den Einfluß jener Kräfte zurück, die mit den nun umworbenen Schichten soziologisch betrachtet wenig zu tun haben. Dies gilt für die Vertreter des Clubs de l'Horloge ebenso wie für die Eliten aus Wissenschaft und Bürokratie, die sich seit 1986 verstärkt die Ehre der Parteimitgliedschaft geben. Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch wirkt, ist in Wirklichkeit keiner. Zumindest nicht in Frankreich, meint Marieluise Christadler. Sie erläutert, daß die Praxis, Eliten für Ämter und Mandate anzuwerben, einem "sozialen Aufstiegs- und Notabilitätsmuster der französischen Gesellschaft" folgt, von denen alle Parteien "imprägniert" sind.8 Zumindest in dieser Hinsicht ist der Front National eine ganz normale Partei geworden.

Nationaler Durchbruch und Etablierung der Partei

Parteipolitische Modernisierung9 und elektoraler Erfolg haben sich wechselseitig verstärkt. Den 11,2% bei den Wahlen zum Europäischen Parlament folgten 1986 auf regionaler Ebene 9,56% der Stimmen. Im gleichen Jahr gelang dem Front National auch auf nationaler Ebene der Durchbruch. Wenngleich das hohe Ergebnis auch auf das von den Sozialisten beschlossene Verhältniswahlrecht zurückzuführen ist,10 war spätestens hier klar, daß die ersten elektoralen Effekte des FN keine Einzel- oder Zufälle waren. 9,7% der Stimmen und 35 Abgeordnete konnte der Front National erzielen. Er wurde in hohem Maß von Arbeitern und kleinen Angestellten aus den Ballungszentren des Südens, Nordens und des Pariser Großraums und proportional stärker noch von Bauern, Handwerkern und Händlern gewählt.11 Dabei läßt sich ein Überhang ehemaliger UDF- und RPR-Präferenten feststellen.12 Als Wahlmotive werden weniger Sympathie für Le Pen oder die Partei, sondern für ihre Themen genannt, wobei sich ihre "eigenen Werte und die gesellschaftspolitischen Vorstellungen mit Themen der linken Parteien (z.B. Staatsinterventionismus, Sicherung der sozialen Errungenschaften) als auch mit Themen der rechten Parteien (z.B. Nationalstolz, soziale Hierarchie)" überschnitten haben.13

Zwischen 1984 und 1986 hatte sich der FN als verhältnismäßig moderate Partei präsentiert und seine Themen auf Einwanderung, Kriminalität, Korruption und Mißwirtschaft konzentriert. Moderat darf dabei keinesfalls mit gesinnungsdemokratisch übersetzt werden, denn durch alle Äußerungen des FN zieht sich seine xenophobische und antiliberale Grundeinstellung. Eindeutig rechtsextreme Verlautbarungen indes, die den gerade erstarkenden Front National dauerhaft von der exekutiven Ebene ausschließen könnten, wurden nur sehr vorsichtig formuliert. Diese Taktik machte vor allem wegen des eingeführten Verhältniswahlrechts Sinn, durch das der Einzug des FN ermöglicht wurde und eine Zusammenarbeit aller rechten Kräfte immerhin nicht ausgeschlossen war. Ihm blieb jedoch die Oppositionsrolle vorbehalten, denn UDF und RPR konnten allein eine Regierung bilden, die zur Zusammenarbeit mit dem sozialistischen Staatschef gezwungen war.

Radikalisierung

Die Tatsache, daß sich die drei wichtigsten politischen Strömungen in der cohabitation arrangieren mußten, provozierte die erneute Radikalisierung des Front National,14 der sich vehement vom sogenannten Establishment abgrenzte und gleichzeitig kräftig mit ihm kungelte. Seine Angriffe gegen die als "Viererbande" diffamierten Parteien (PS, RPR, UDF, PCF) und ein straff geführter Wahlkampf bescherten Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen 1988 14,4% der Stimmen. Dabei haben ihm seine aufsehenerregenden Bemerkungen über den Holocaust, den er als ein Detail der Geschichte abgetan hatte, offensichtlich nicht geschadet.15 Die Stimmen für den Bretonen stammten bei Überrepräsentanz des Mittelstandes aus allen sozialen Milieus,16 und auch die geographischen Grenzen sind durchlässiger geworden.

Die Höhe dieses Ergebnisses weckte die Hoffnungen der Partei auf ähnliche Resultate bei den im gleichen Jahr stattfindenden Legislativwahlen. Zwar schnitt sie dabei mit 9,7% (ein Direktmandat) nach wie vor beachtlich, aufgrund der hochgesteckten Erwartungen nach Le Pens persönlichem Erfolg zugleich enttäuschend ab. Freuen durften sich hingegen die Sozialisten, die mit 37% der Stimmen an ihren Erfolg von 1981 anknüpfen und die bürgerliche Rechte erneut von der Regierung ablösen konnten. Nach seiner wahlsoziologischen Analyse zieht Claus Leggewie den Schluß, daß das rechte Wählerspektrum in drei Elektorate zerfallen sei.17 Die Wähler dieses Spektrums verteilen sich auf:

- Neogaullisten, denen es nicht gelungen ist, den rechten Rand des Spektrums zu integrieren und die "populäre Basis" zu halten. Damit sei Chiracs Partei wieder eine klassische konservative Rechtspartei geworden;

- die UDF und Giscard, dessen, auch vom parteilosen Raymond Barres vertretene, zentristische Politik tendenziell für eine "sozialliberale Koalition der linken Mitte" stünde;

- den Front National, der trotz regionaler und soziostruktureller Schwerpunkte über alle Klassen und Regionen hinweg verankert sei und dabei "die paradoxe Figur eines 'Extremismus der Mitte', d.h. einer radikalen Protestpopulation zwischen links und rechts" verkörpere.18

Die Europawahlen von 1989 hatten dem Front National ebenfalls enttäuschende 11,7% beschert, auf die Le Pen mit einem "Rückfall in uralte Komplottvisionen à la Maurras" reagierte, der "offenbar der Identitätsversicherung und inneren Festigung der Partei" diente.19 Diese Trendwende kostete den FN Image und Mitglieder und provozierte zugleich den Unmut der davon wenig begeisterten Modernisten. Sie nutzten die angeschlagene Stimmung und den Tod Stirbois und verpaßten der Partei einige organisatorische Umstrukturierungen und sich selbst als Repräsentanten der neu geschaffenen Ämter Generaldelegation (Bruno Mégret20) und Generalsekretariat (Carl Lang). Aber der erneute Auftrieb des Front National hatte wenig mit intellektuellen Planspielen, sondern mit zwei politischen Ereignissen zu tun: Mit der sogenannten Kopftuch-Affaire und die dadurch losgetretene "Grundsatzdebatte über die Integration muslimischer Staatsbürger- und bürgerinnen sowie über das Prinzip der republikanischen Laizität"21 und mit den nationalen Befreiungsbewegungen in Osteuropa, die den Nationalismus auch in Frankreich zum Thema machten. Die hohen Ergebnisse des Front National bei den Nachwahlen in Dreux (42%) und Marseille (33%) und das bei der Entscheidungsabstimmung erzielte Direktmandat in Marseille stärkten schließlich das Selbstbewußtsein des FN und Le Pens, der auf dem Parteitag in Nizza 1990 vom nationalen Führungsanspruch träumte.

Wende moderat rückwärts

Auf diesem 8. Parteikongreß im März/April 199022 zeichnete sich erneut eine Imagewende ab, die Buzzi als tendenziell moderat beschreibt. Die Gründe für diesen Wandel lassen sich außenpolitisch mit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes und der Abschleifung des antikommunistischen Arguments und innenpolitisch mit dem neuerlichen Sieg der Sozialisten erklären: Weil der neuen Regierung eine etwa gleichstarke Opposition gegenüberstand, wurden auch koalitionäre Rechenspiele wieder interessant. Auch wenn RPR und UDF derartige Ansinnen weit von sich weisen und der FN in Nizza ebenfalls unterstrichen hat, durch Druck von außen auf die Regierung Einfluß nehmen zu wollen,23 mag der naheliegende Gedanke hier wie dort gekommen sein.

Die Realität indes sieht anders aus, denn mit den Legislativwahlen von 1993 erzielte die Traditionsrechte aus UDF und RPR mit fast vier Fünfteln aller Mandate eine erdrückende Mehrheit in der Nationalversammlung.24 Ihren Sieg verdankt sie allerdings weniger ihrer eigenen Kraft (rund 8% Zuwachs), als der desaströsen Niederlage der Sozialisten, mit der das Ende des Mitterrandismus eingeleitet und die Krise der parteipolitischen Linken offengelegt wurde. Der Front National blieb mit 12,8% der Stimmen hinter seinen eigenen Erwartungen und dem Ergebnis der Regionalwahlen 1992 (13,9%) zurück. Allerdings konnte er im Vergleich zu den letzten Legislativwahlen zulegen, hat aber nirgendwo ein Direktmandat erzielt.

Mehrere interessante Entwicklungen enthält das lepenistische Elektorat:

1988 (legislativ) lag der FN in 32 Departements zum Teil weit über seinem Gesamtergebnis von 9,7%. In diesen Bezirken legte er 1993 höchstens im Rahmen seines Gesamtzuwachses von ca. 30% zu.25 Ausnahmen dieser "stagnativen Steigerung" bilden die Departements Seine-et-Marne, Eure-et-Loire, Yonne, Marne und Loire mit einem höheren Anstieg von mindestens 40%. Einen überdurchschnittlichen Stimmenzuwachs26 erzielte der Front National aber fast ausschließlich in Departements mit stark unterrepräsentierter FN-Wählerschaft. Daraus kann der Schluß gezogen werden, daß die Partei ihre Wähler in ihren Hochburgen im Süden, Nordosten und im Großraum Paris zunehmend langsamer erreicht. Dagegen scheint sie sich neue, überwiegend ländliche Gebiete zu erschließen. Sie müssen neben ihren spezifischen Problemen Einbußen im Tourismus hinnehmen und verlieren ihren Stellenwert als attraktive Standorte für Zweitwohnungen.

Darüber hinaus dürften die in den Städten kumulierenden Probleme auch auf dem Land ihre Wirkung hinterlassen. Dem Front National gelingt mittlerweile auch die Anbindung ansonsten eher skeptischer Wählergruppen wie Frauen und engagierte Katholiken,27 und es es hat sich "neben einer fluktuierende(n) Zahl von Gelegenheitswählern" (Christadler) eine zuvor nicht identifizierbare Stammklientel herauskristallisiert. Seine Wähler stammen aber nach wie vor aus allen sozialen Schichten, und auch die "geographische Herkunft hat sich nicht entscheidend geändert: FN Bastionen koinzidieren mit städtischen Problemen".28

Umfragen unterstreichen, daß der Front National seinen Erfolg hauptsächlich den Themen Immigration, innere Sicherheit und Arbeitslosigkeit verdankt.29 Daß Frankreich mit gravierenden Problemen konfrontiert ist, zeigen die Kommunalwahlen von 1995. Die schlechte Stimmung und die sich durch alle Wahlaussagen des FN ziehende Botschaft, nach der Franzosen positiv und Ausländer negativ diskriminiert werden sollen,30 brachte der Partei drei Bürgermeistersessel ein: in Toulon und in den südfranzösischen Kleinstädten Orange und Marignane. Im ebenso von Korruption wie gehobener Flanierkultur geprägten Nizza konnte ein FN-Dissident das Rennen für sich entscheiden, wohingegen Absprachen zwischen der traditionellen Rechten und Linken ("Republikanische Front") den Sieg von FN-Kandidaten in Dreux, Mülhausen und Noyon verhindern konnte. Auch wenn viele südfranzösische Städte von Korruption, Mafia-Verstrickung, Immobilien-Spekulation und Geldwäsche gekennzeichnet sind, kann der Erfolg des FN nicht nur darauf zurückgeführt werden. Denn auch in zahlreichen anderen Kommunen hat er beachtliche Ergebnisse erzielt, die mitunter nur knapp hinter den Resultaten der Sieger liegen. Öffentlichkeit und politische Eliten reagierten überrascht und bestürzt auf die Ergebnisse.

Noch ein Jahr vor diesen Abstimmungen hatte sich der Front National ernsthaft Sorgen machen müssen, nachdem er bei den Europawahlen von der Liste des nationalkonservativen de Villiers überflügelt worden war. Beide Organisationen haben einen Anti-Maastricht-Wahlkampf betrieben, wobei de Villiers Bewegung Mouvement pour la France weitaus stärker von der antieuropäischen Stimmung in Frankreich profitieren konnte als der Front National mit lediglich 10,5% der Stimmen. Darüber hinaus droht von neogaullistischer Seite Konkurrenz, seit der Präsidentschaftsanwärter Chirac die Themen Armut und Ausgrenzung zum Schwerpunkt erhoben hatte. Angesichts der sozio-ökonomischen Schieflage war dies eine naheliegende Taktik; "so zu tun, als gäbe es keinen Bruch", wäre "wahlkämpferischer Selbstmord gewesen".31 Doch bei den kurz nach der Präsidentenwahl durchgeführten Kommunalwahlen wurde einmal mehr die Mobilisierungsfähigkeit des Front National und zugleich ein latentes Mißtrauen der Wähler in die traditionelle Rechte offengelegt.32 Le Monde spricht von einer deutlichen Warnung der Wähler an die Regierung.33 Die zukünftige Stärke des Front National wird nicht unwesentlich von der Politik des neuen Staatspräsidenten und von der Mobilisierungsfähigkeit der Linken abhängen, die sich allem Anschein nach zurückgemeldet hat. Ob sich daraus aber eine "nouvelle gauche" (Levi)34 mit Meinungsführerschaft in den Problemfeldern Arbeit und Soziales entwickelt, wird sich noch zeigen müssen.

Die Stimmung der Franzosen jedenfalls ist alles andere als euphorisch. 64% fürchten sich vor Arbeitslosigkeit, 51% glauben, ihren Wohlstand nicht halten zu können, 38% haben Zukunftsangst.35 Von der Stimmung der Ausgeschlossenen einmal ganz zu schweigen. Die Erstrundenergebnisse der Präsidentschaftswahlen36 und die kommunalen Abstimmungen legen eine Vertrauenskrise offen, die die traditionellen Parteien zur Kenntnis nehmen müssen. Sie können darauf politisch reagieren, indem sie sich der Probleme annehmen, zu ihrer Überwindung oder Minimierung beitragen und somit vertrauensstiftend wirken. Natürlich können sie auch den vordergründig bequemeren Weg wählen und den FN in seiner Rhetorik nachahmen in der Hoffnung, ihm die Wähler abspenstig zu machen.

Nicht zuletzt besteht die Möglichkeit einer juristischen Reaktion, d.h. eine Wahlrechtsänderung, mit der es den stärker werdenden außerparlamentarischen Parteien gelingt, in die Nationalversammlung einzuziehen. Auch wenn die Parlamentsparteien daran kein unmittelbares Interesse haben und auch nicht ernsthaft über eine derartige Änderung nachdenken, halte ich es zumindest für nicht ausgeschlossen, daß einige politische Vordenker sich die entsprechenden Gedanken oder auch Vorschläge machen. Denn wenn sich das Parteiensystem dauerhaft erweitern sollte, aber nur die großen politischen Akteure im Parlament vertreten sind, so kommt dies einem geringer werdenden Repräsentationsradius in eben diesem Parlament gleich. Es verliert damit Legitimation und kann leicht zur Zielscheibe derjenigen werden, die ohndies nicht zu den dicksten Freunden der liberalen Demokratie zählen. "Wo immer ein Politiker die Legitimität eines Parlaments in Zweifel zieht, riecht es nach Urfaschismus",37 dramatisiert ein wenig Umberto Eco. Im Kern aber und auf dem Hintergrund historischer Erfahrungen ist ihm Recht zu geben.

Schließlich bleibt die Möglichkeit taktischen Reagierens wie die bei den Kommunalwahlen erprobte Allianz der traditionellen Kräfte zur Verhinderung lepenistischer Bürgermeister. Dies kann aber nicht dauerhaft praktiziert werden und von Erfolg gekrönt sein, denn Entpolitisierung und Entpolarisierung wären vorgezeichnet. Parteipolitische Unterschiede müssen wahrnehmbar bleiben und damit wählbar sein. Dennoch können republikanische Gemeinsamkeiten unterstrichen werden: Sie bestehen Claude Julien zufolge darin, für nationale und internationale Gleichheit zu kämpfen. Dies "bildet den Kern des 'republikanischen Pakts'".38

8.2. Lega Nord

Das Jahr 1989

1989 war das wichtigste Jahr für alle italienischen Ligen, die mit Ausnahme der Lega Lombarda nahe in den Bereich der Bedeutungslosigkeit gerückt waren. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament konnten sie aber erstmals wieder zulegen: Ergebnisse von etwa 2% in der Emilia und der Toskana, um 5% in Ligurien und im Piemont, knapp 10% im Veneto und schließlich die weit weniger überraschenden 15% in der Lombardei.

Industrialisierte und bevölkerungsreiche Städte wie Varese, Brescia, Bergamo, Monza, Cremona (weit weniger Mailand), aber auch Kommunen wie Pavia und Como entwickelten sich zu Hochburgen der Partei und die Bewohner dieser Gemeinden zu Anhängern der neoregionalistischen Teilungsforderung. Zwischen 1987 und 1990 konnte die Lega ihre Ergebnisse hier etwa verdreifachen, und 1990/91 wurde sie in Brescia, Varese und Monza sogar erste politische Kraft. Von der nun noch stärker aus den Zentren stammenden und gut gebildeten Wählerschaft wurden als wichtigste Wahlmotive das Nord-Süd-Problem, bürokratische Ineffizienz und außereuropäische Einwanderung genannt.39

Ecco: La Lega Nord

Die Erfolge der Ligen nach 1989 hatten mehrere Konsequenzen: 1. Aus Gründen taktischer und politischer Effizienz wurden sie auf Bossis Druck im Februar 1991 zur Lega Nord zusammengeschlossen, wodurch die Macht des Lombarden noch größer wurde. Zwar existieren die Regionalparteien auch weiterhin. Mit der Gründung der Lega Nord wurde ihr Handlungs- und Präsentationsspielraum jedoch erheblich eingeschränkt. 2. Parallel zur Fusionierung mußte ein einheitlicher Apparat aufgebaut werden, der sich neben organisatorischen Angelegenheiten um die Anwerbung von Kandidaten, ihre rhetorisch-taktische und politische Schulung sowie postelektorale Anbindung zu kümmern hat. Dieser Apparat war in den ersten Jahren streng hierarchisch gegliedert,40 wurde aber immer stärker demokratisiert. Rolf Uesseler bezeichnet die Lega Nord unter diesem Aspekt heute als eine "nahezu ganz normale Massenpartei",41 während andere den im Wort "nahezu" artikulierten Entwicklungsoptimismus nicht teilen und die Lega eher skeptischer betrachten.42 3. Neben zentralen Strukturen war eine Vereinheitlichung der Sprache nötig, die zunächst schärfer wurde und gemäß Bossis Ankündigungen auf der konstituierenden Sitzung in Mailand hauptsächlich gegen die partitocrazia und den unitarischen Staat zielte.

Der 1989 zur Lega Lombarda gestossene und schnell zum engsten Berater Bossis avancierte Gianfranco Miglio43 leistete einen wichtigen sprachvereinheitlichenden Beitrag: Er begründete die Teilungsforderung mit dem Vorhandensein von drei unterschiedlichen ökonomischen Makrostrukturen (Nord, Zentrum, Süd) und klagte eine dementsprechenden Zergliederung Italiens ein. Er würde aber nicht Chefideologe genannt, hätten sich seine Vorstellungen nur darauf beschränkt. Seine wichtigste Idee ist die Schaffung einer Föderation mit souveränen Einzelstaaten unter der Ägide eines plebiszitär gewählten Präsidenten, dessen potentiellen Kompetenzen bei Miglio aber ebenso nebulös bleiben, wie seine Vorstellung von der Verfaßtheit der Einzelstaaten.44 Die Tatsache, daß er sowohl für kleine Einzelstaaten als auch für ein supranationales Präsidentenamt eintritt,45 legt den Schluß nahe, daß ihm die alte Reichsidee auch als (europäisches) Zukunftsmodell vorschwebt.46

Jedenfalls hat er sich die erstarkende Lega nicht zufällig als Instrument zur Förderung seiner Ziele ausgesucht, denen er bei den regionalen Wahlen 1990 durch die Vormachtstellung der Lega in einigen lombardischen Kommunen und ihr insgesamt hervorragendes Ergebnis von 18,9% näher zu kommen schien. Dieser breiten Legitimation folgte die Entscheidung, offensiv auf der nationalen Bühne mitzuwirken, um von Rom aus Druck auf die Politik ausüben zu können.

Die neu geschaffene Lega Nord konnte bei den Deputier-tenkammerwahlen 1992 vor allem in jenen Gebieten zulegen, in denen sie zuvor nur mäßig abgeschnitten hatte: Im Trentino, im Veneto, in der Emilia Romagna, in Ligurien, im Piemont und in der Toskana. In der Lombardei hingegen verbesserte sie sich nur noch leicht, war aber hier nach wie vor am stärksten verankert. Ihre aus dem Norden und aus der Toskana stammenden Stimmen ergaben national gerechnet 8,7% und machten sie hinter der Democrazia cristiana, dem Partito socialista und den im PDS vereinten Ex-Kommunisten zur vierten Kraft. Vor allem in den Hochburgen wiesen Bevölkerung und Wählerschaft ein fast identisches soziologisches Profil auf. Bis etwa 1992 konnte ein Überhang männlicher Wähler und peripherer Provinzen festgestellt werden, der allerdings immer geringer geworden ist.47

Eppure si muove - der rapide Wandel der Republik

Bereits vor den Deputiertenkammerwahlen von 1992 war neben der ökonomischen die politisch-institutionelle Krise Italiens offensichtlich geworden: Der Aufwind der Ligen und der parallele Einbruch der alten Parteien bescherte den Ermittlungsrichtern genügend Selbstbewußtsein, ohne Furcht vor Repressionen gegen Korruption vorzugehen. Versetzung mißliebiger Richter sowie Hinhalte- und Verschleppungstaktiken bei begründeten Verdachtsmomenten waren Alltagserfahrungen italienischer Juristen, die ihre Ämter vielfach selbst durch Begünstigung erhalten haben. Wegen der veränderten politischen Kräfteverhältnisse hatten sie nun die Möglichkeit, konsequent gegen Partei- und Staatseliten zu ermitteln. Sie brachten damit eine Lawine ins Rollen, die zum Zusammenbruch des alten Parteiensystems führte.

Das Jahr 1992 war für Italien ein tragisches Jahr mit zahlreichen Verhaftungen prominenter Personen aus Politik, Wirtschaft und Bürokratie, die nicht alle in der Lage waren, sich ihrer Verantwortung zu stellen: Einige sind wie Craxi ins Ausland geflohen, andere haben sich das Leben genommen, und wieder andere wurden von der Mafia ermordet, um bedrohliche Zeugenaussagen oder Ermittlungen zu verhindern. Beeindruckend waren die Ereignisse rund um die Beisetzungsfeierlichkeiten für die beiden Anti-Mafia-Richter Falcone und Borsellino, deren Ermordung nicht nur ein Aufbegehren der (jungen) Süditaliener gegen die Mafia, sondern zugleich gegen Politiker auslöste, die im Bewußtsein der Bevölkerung verantwortlich für den Fortbestand des organisierten Verbrechens waren. Daß dies nicht lediglich Vermutungen waren, beweisen die vermehrten Mordanschläge der Mafia seit Anfang der 90er Jahre gegen potentielle Verhaftungskandidaten aus der Parteipolitik, um deren Zeugenaussagen zuvorzukommen.48

Die alten Parteien waren schnell auf dem Tiefpunkt ihres Ansehens angelangt. Ihren Zusammenbruch besiegelte schließlich das per Referendum eingeführte Mehrheitswahlrecht, dessen Initiatoren den Exitus des angeschlagenen Parteiensystems beschleunigen und die Voraussetzung für eine Links-rechts-Polarität schaffen wollten.49 Dieses 1993 eingeführte Wahlrecht war für die weitere Entwicklung der Lega von entscheidender Bedeutung. Bei den (Teil-)Kommunalwahlen Mitte 1993 erzielte sie die Mandatsmehrheit in zahlreichen norditalienischen Städten und viele Bürgermeistersessel (darunter Mailand) noch aus eigener Kraft. Im Winter 1993 jedoch scheiterten ihre Bürgermeisterkandidaten etwa in Venedig, Genua und Triest am unterdessen gebildeten progressiven Bündnis rund um den PDS.50

Das für die Lega wichtigste Ereignis fand jedoch in Rom statt, wo sich in der Stichwahl um das Bürgermeisteramt Francesco Rutelli (grüner Kandidat des Mitte-links-Bündnisses progressisti) und der MSI-Chef Gianfranco Fini gegenüberstanden, dessen Erstrundenergebnis von 35,8% auf die Schwäche des damals noch rekonvaleszierenden Zentrums zurückzuführen ist.51 Diese Abstimmung war erklärtermaßen eine Testwahl für Silvio Berlusconi,52 der im Interesse seines hochverschuldeten Imperiums einen Sieg der kartellfeindlichen Linken verhindern mußte.53 Seine für die Öffentlichkeit überraschende und skandalisierende Kampagne zugunsten Finis ("Wenn ich Römer wäre, würde ich für Fini stimmen") verfehlte jedoch knapp ihr Ziel, wodurch ein linker Sieg auch bei den Deputiertenkammerwahlen 1994 als sicher galt. Infolge dieser Einschätzung hoben Berlusconi und sein Fininvest-Stab den Wahl- und Jubelverein Forza Italia aus der Taufe,54 und sie konnten die föderalistische Lega ebenso in das Bündnis einbinden wie den etatistischen MSI, der es aus kosmetischen Gründen vorzog, sich als Alleanza nazionale zu präsentieren.55 Thematische Übereinstimmungen zwischen Fini, Bossi und Berlusconi beschränkten sich auf Randbereiche. Aber sie einte der Wille zur Macht und der Gedanke an eine italienische Präsidialrepublik.56 Dieses ungleiche Bündnis zog bei den Wahlen an der geschockten Linken vorbei und bildete mit anderen rechten Kleinablegern die Berlusconi-Regierung.

Glücklich war Bossi damit nicht, denn trotz des Sieges hatte die Partei in mehrfacher Hinsicht verloren: die bequemen Oppositionseffekte und ehemaligen Hauptgegner DC und PSI, von deren Nachkommenschaft pikanterweise Teile in der Regierung vertreten waren.57 Auch thematisch wurde es eng, nachdem die Mehrheit der norditalienischen Bevölkerung lediglich für einen "federalismo light", also für mehr Dezentralisierung optiert hatte.58 Dadurch verlor die Partei nicht nur argumentatives Terrain, sondern auch Gianfranco Miglio, der sich öffentlich darüber ärgerte, daß sich Bossi von maximalistischen Forderungen distanziert und dagegen auf andere Themen konzentriert hatte.59 Zudem war sein Stolz verletzt, weil er beim Ministerroulette leer ausgegangen und das von ihm anvisierte Ministeramt für staatliche Neugestaltung auf Bossis Betreiben an jemand anderen vergeben worden war. Am größten waren die Sorgen der Lega um ihre erst frisch erworbene Wählerschaft aus dem urbanen Arbeiter- und Angestelltenmilieu, die in weiten Teilen für Berlusconi gestimmt hatte.60

All dies nahm Bossi Ende 1994 zum Anlaß, mit der Linken und dem DC-Nachfolger Partito popolare italiano (PPI) den Sturz der bis dahin stark imagegeschädigten Regierung auszuhandeln. Er wollte so seinen wichtigsten Konkurrenten neutralisieren und ein Bündnis mit der linken Mitte eingehen, in dem sich die Lega als neoliberale Kraft bestens hätte profilieren können. Die Rechnung ging jedoch nicht auf, denn Teile der Mitglieder wollten die Fortsetzung des rechten Pakts, zumindest aber keinen mit der Linken. Zugleich kam ihm der PPI-Chef Rocco Buttiglione in die Quere: Seine Partei hatte zwar gerade zum Sturz der Regierung beigetragen. Aber Buttiglione hatte es sich anders überlegt und wollte entgegen den Parteitagsbeschlüssen eine Koalition mit den gerade erst gestürzten Rechtsparteien (minus Lega) eingehen. Damit wurde die Führungskrise des PPI offengelegt, und Bossi war zum Abwarten gezwungen.61 Gegen den erbitterten Kampf Berlusconis ("sofort Neuwahlen") beauftragte Staatschef Scalfaro den bisherigen Finanzminister Lamberto Dini mit der Bildung einer Übergangsregierung. Sie wurde von der ehemaligen Mitte-links-Opposition und der Lega und in Einzelfragen auch von der Rifondazione comunista62 gestützt und beschränkte sich hauptsächlich auf finanzielle Sanierungsmaßnahmen.

Zahlreiche, auch prominente Austritte, erste (aber unterdessen gescheiterte) Gehversuche einer Art Gegenlega und die Drohung Bossis, fortan wieder gegen alle Parteien zu kämpfen, verdeutlichen die Fragilität einer Partei, die bei den Regionalwahlen im Frühjahr 1995 im Norden noch gut 6% der Stimmen geholt hatte. Ihre weitere Entwicklung wird in hohem Maße von elektoralen Erfolgen und der Integrationsfähigkeit Bossis63 abhängen. Und von ihren Themenangeboten. Endgültig verabschiedet hat sie sich nämlich nicht von ihren alten Ideen, wie der Parteitag vom Mai 1995 zeigte. Die dort von Bossi erhobene Drohung, entgegen der Verfassung eine norditalienische Kammer in Mantova zu etablieren,64 läßt Giorgio Bocca zufolge zwei Interpretationen zu: Sie ist entweder torschlußpanischer Profilierungsversuch oder ein bewußt eingesetztes Druckmittel in Richtung der Mitte-links-Parteien.65

Die Lega steht mit ihnen in lockerem Kontakt und könnte nach den 1996er Wahlen mehrheitsstiftend wirken. Und die linke Mitte wiederum ist allein nicht mehrheitsfähig und deshalb äußerst druckempfindlich. Erstmals jedenfalls seit Ende des Krieges wird nach den vorgezogenen Wahlen von 1996 ein Mitte-links-Bündnis die Regierung bilden. Während den alliierten Parteien (PDS, PPI, Verdi, Rinnovamento italiano von Dini) im Senat nur eine Stimme zur absoluten Mehrheit fehlt, sind sie in der Deputiertenkammer weit stärker auf die Kooperation entweder der Rifondazione comunista oder der Lega angewiesen. Im Gegenzug hat der Premier Romano Prodi nach den Wahlen eine Föderalisierung des Landes in Aussicht gestellt. Die Lega Nord hat mit ihren landesweit gerechneten 10% ein überraschend hohes Ergebnis erzielt, wobei sie insbesondere in der Lombardei und im Veneto erfolgreich war. Der von vielen erwartete Abwärtstrend ist damit erst einmal gestoppt.

Erst die weitere Stabilisierung des derzeit scheinbar endgültig neu formierten Parteiensystems wird zeigen, ob und wo es einen Platz für den shooting-star der Ersten Republik gibt. Eine Renaissance als Spaltpilz ist ebenso möglich wie die Profilierung als neoliberale Kraft mit föderalem Zungenschlag oder als thematisch sprunghafte Mehrheitsbeschafferin mit vermutlich begrenzter Haltbarkeit. Innerhalb einer Diskussionsveranstaltung an der Universität Duisburg hat Michael Braun hervorgehoben, daß der Tanz zwischen den beiden Blöcken die einzige Überlebenschance der Lega ist. Bossis viel beklagte Sprunghaftigkeit sei kein "Charakterzug", sondern eine bewußt eingesetzte Taktik, die sich gegen jede politische Einvernahme wehrt und von der Provokation der Gegner wie der Freunde lebt. Ob eine so handelnde Partei jedoch überlebensfähig ist, hängt nicht zuletzt von den Konzepten der übrigen Parteien und ihrer Polarisierungskompetenz ab.

8.3. Freiheitliche Partei Österreichs

Die Entwicklung der Haider-FPÖ zu einer urbanen, im Arbeitermilieu verankerten Partei vollzog sich wie in Italien und Frankreich schrittweise.

Erfolgsrausch nach 1986

Durch die Präsidentschaftskandidatur des bei den Wahlen später obsiegenden Kurt Waldheim herrschte 1986 ein innenpolitisch emotionalisiertes Klima. Diese aufgeheizte Stimmung hatte auch der deutschnationalen Fraktion innerhalb der FPÖ Auftrieb gegeben.66 Parallel dazu wurde von Vranitzky die kleine Koalition infolge des Stegersturzes aufgekündigt und die urprünglich für 1987 terminierten Nationalratswahlen einige Monate vorgezogen. Die noch andauernden Auseinandersetzungen um die Vergangenheit Waldheims und die bis in sozialdemokratische Kreise hineinreichende Empörung über seine Suspendierung von der internationalen Bühne kam dabei auch jener Partei zugute, deren in jeder Hinsicht jüngster Obmann gerade "unter einem an faschistische Kundgebungen erinnernden Gejohle" gewählt worden war, während der "unterlegene Repräsentant des Liberalismus mit Erschießen und Vergasen bedroht wurde".67 Der Aufstieg der Haider-FPÖ wurde nicht zuletzt durch die Boulevard-Presse begünstigt, die nach dem Innsbrucker Parteitag eine Pro-Haider-Kampagne gestartet hat, die bis heute andauert.68 Die genannten Faktoren und das Vorhandensein eines beachtlichen Budgets, mit dem sich ein teurer Wahlkampf finanzieren ließ, waren wichtige Fundamente für den Erfolg der FPÖ.

Bereits vor den Nationalratswahlen hatte kein Zweifel darüber bestanden, daß eine große Koalition unmittelbar ins Haus steht. Ebenso unmittelbar haben Haider und seine Mannschaft das alte Image der FPÖ als Partei gegen "Proporz-, Parteibuch und Freundlerlwirtschaft" aufpoliert69 und gegen die sogenannten "Altparteien" agitiert und damit 9,7% der Stimmen erzielt. Das war fast eine Verdoppelung des Ergebnisses von 1983 (5%) und eine Vervielfachung dessen, was die FPÖ unter Stegers Anführung zu erwarten hatte, nämlich etwa zwei Prozent.

Für diesen Aufstieg ist eine Klientel verantwortlich, die sich von der FPÖ-Stammwählerschaft deutlich unterscheidet: Noch 1983 wies sie den relativ größten Mittelschicht-Sockel aller Parlamentsparteien auf, konnte stärker als andere Kräfte Männer an sich binden und war bei Wählern mit Pflichtschulabschluß unterrepräsentiert. Lediglich bei der altersmäßigen Verteilung existierten im Vergleich zu den übrigen Parteien keine Unterschiede. Zwar hatte die Mittelschicht auch 1986 in hohem Maß für die FPÖ gestimmt. Ihre Zusammensetzung änderte sich jedoch leicht in Richtung des jungen, sportlichen und karrierewilligen Yuppie, der sich vor allem durch Haiders jugendlich-dynamische und unkonventionelle Präsentation angesprochen fühlte. Aber auch bei den schlechter Ausgebildeten fand und findet Haider wachsenden Zuspruch.70 Interessanterweise stößt hier wie dort seine Kampfansage gegen Establishment, Sozialpartnerschaft und große Koalition auf großen Zuspruch. Seine NS-Anspielungen und die recht eigenwillige Interpretation historischer Ereignisse korrelierten hingegen kaum mit den weltanschaulichen Präferenzen des urbanen Aufsteigers oder Arbeiters. Lediglich der gezielte Tabubruch, die Tatsache, daß "sich der Haider was traut", kam bei diesen beiden Gruppen an.71

Haiders deutschnationaler Diskurs ist daher immer auch instrumenteller Natur. Dies gilt sowohl für die Außen- als auch für die Innenrepräsentation, wo eine gut organisierte deutschnationale Strömung auf ein entsprechendes Auftreten ihres Zöglings wartete. Gleichwohl formuliert Armin Pfahl-Traughber zu Recht, "daß die These, es habe sich mit dem Führungswechsel eine Abkehr vom Liberalismus und eine Stärkung des nationalen Elementes vollzogen",72 relativiert werden muß. Denn erstens war die FPÖ zu keinem Zeitpunkt eine liberale Partei, und zweitens hat der harte deutschnationale Flügel nur scheinbar den Innsbrucker Richtungsstreit gewonnen. Haiders fortschreitende Distanzierung vom Landesverband Kärnten und seine Bemühungen, die FPÖ als Bewegung zu präsentieren, unterstreichen dies.

Der Durchbruch in Wien

Bei den Nationalratswahlen von 1990 hatte sich die FPÖ um weitere sechs Prozent verbessert (16,6%), und auch ihre Landtagswahlergebnisse stiegen proportional an.73 Parallel dazu änderte sich die Zusammensetzung ihrer Wählerschaft, die nicht mehr überwiegend von der ÖVP, sondern aus sozialdemokratischen Kernwählerschichten stammt. Der FPÖ-Kenner Fritz Plasser weiß, daß sich Haider nicht mit der Rolle des "populistischen Staubsaugers der Opposition" begnügen will, sondern selbst an die Macht strebt.74 Um dieses Ziel zu erreichen, mußte er sich um den Ausbau seiner Wählerschaft und gleichzeitig um die Schwächung des ideologischen Hauptgegners SPÖ kümmern. Seine "Strategie des Angriffs und der Attacke auf die SPÖ"75 scheint aufzugehen, denn bei den Wiener Gemeinderatswahlen 1991 kam die FPÖ schon auf 22,5% (1987: 9,7%) der Stimmen. Die immerwährende zweite ÖVP mußte sich dagegen mit 18,1% bescheiden, und erstmals seit 1949 fiel die SPÖ unter 50%. Sie sieht sich im "Roten Rathaus",76 wo auch die Grünen eingezogen sind, drei Oppositionsparteien gegenüber.

Wo liegen nun die Gründe für diesen signifikanten Wandel? Ende der 80er-, Anfang der 90er Jahre sind mehrere Faktoren zusammengetroffen, die Verunsicherung in der Gesellschaft auslösten: 1. Ein ausgesprochen wirtschaftsorientierter Kurs der Vranitzky-Regierung, mit dem das definitive Ende des Kreisky-Sozialismus besiegelt wurde. 2. Die Arbeitslosigkeit ist seit Anfang der 90er Jahre zwar nur leicht angestiegen; die Zahl der Langzeitarbeitslosen aber hat sich ebenso deutlich vermehrt wie die Anzahl gefährdeter oder zeitlich begrenzter Stellen. 3. Mit dem Wandel in Osteuropa wurden die Ostgrenzen mit weitreichenden Folgen für den heimischen Arbeitsmarkt und Handel geöffnet. 4. Schließlich war die Sozialpartnerschaft infolge wachsender wirtschaftlicher Probleme und zunehmender Kompromißunlust der Unternehmer brüchig geworden. Vor allem bei verunsicherten Arbeitern war Haider mit seiner argumentativen Taktik erfolgreich, die Krise der Sozialpartnerschaft auf ihr Vorhandensein zurückzuführen. Seine verschwörungstheoretische Polemik zielte zugleich gegen Parteien, Regierung und die große Koalition, deren Politik nur die eigenen und nicht die Interessen des "kleinen Mannes" im Auge habe. Darüber hinaus stritt er gegen die seit der Ostöffnung steigende Arbeitsimmigration und gegen den EU-Beitritt, für den sich die beiden großen Parteien stark gemacht hatten.77 Zwar ist die FPÖ mit ihrem Volksbegehren gegen Einwanderung 1993 gescheitert;78 zwar hat sie mit dem Kreis um Heide Schmitt unmittelbar im Anschluß an dieses Volksbegehren ein wichtiges Repräsentationsstandbein verloren; zwar haben die österreichischen Bürger mehrheitlich für einen Beitritt des Landes zur Europäischen Union votiert und Haider eine deutliche Abfuhr erteilt. Meinungsforscher und Journalisten haben nach diesen Mißerfolgen stets das Ende des FPÖ-Aufwärtstrends diagnostiziert, dabei aber möglicherweise übersehen, daß die Mehrheit der Wähler in der Lage ist, zwischen einer turnusmäßigen Wahl und einem entscheidenden Referendum zu unterscheiden.

Das Ende einer Partei?

Wie falsch diese Niedergangsprognosen waren, zeigte sich bei den Nationalratswahlen von 1994, die unmittelbar im Anschluß an das EU-Beitrittsreferendum durchgeführt wurden: Die FPÖ konnte um weitere 6% zulegen und kam auf 22,6% der Stimmen. Diese Steigerung, die rund zweiprozentige Verbesserung der Grünen (7%) und der Einzug des Liberalen Forums (5,74%) um Heide Schmitt bedeuteten das Ende der großkoalitionären Zwei-Drittel-Mehrheit. Auch die Logik der Großen Koalition war dahin, denn die Oppositionsparteien kamen auf etwa 35% der Stimmen, wohingegen ÖVP und stärker noch die SPÖ beträchtliche Stimmeinbußen haben hinnehmen müssen.79 Kaum verwunderlich, daß allenthalben der Taschenrechner gezückt wurde. Auf der Linken, zu der neben SPÖ und Grünen streng genommen auch das Liberale Forum gerechnet werden kann, reichten die Stimmen für eine kleine Koalition freilich nicht. Auf der Rechten hingegen sah die Sache anders aus. Der neue ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel galt eigentlich als ein Gegner gesamtrechter Experimente. Aber immerhin hatte er den Bruch der großen Koalition im Herbst 1995 betrieben und damit Neuwahlen provoziert, die am 17. Dezember stattfanden.

Sein selbstgestecktes Ziel, Kanzler innerhalb einer neuen und von der ÖVP angeführten Regierung zu werden, hatte zu allerlei Spekulationen über ein schwarz-blaues Bündnis geführt. Zwar wollte vor den Wahlen niemand so recht daran glauben, daß sich die ÖVP mit Haiders Partei liieren würde. Vielmehr galt als sicher, daß er die Fortsetzung der großen Koalition unter anderer Kanzlerschaft im Blick hatte. Schüssel mußte Fragen nach möglichen koalitionären Modellen aber schon allein deshalb unbeantwortet lassen, weil er das SPÖ/ÖVP-Bündnis provokativ gekündigt hatte. Dadurch waren Spekulationen Tür und Tor geöffnet, in deren Folge dann aber die SPÖ zulegen konnte. Sie hatte einen dezidierten Anti-Haider-Wahlkampf geführt und gegen den von der ÖVP geforderten Abbau des Sozialstaates gestritten. Die Angst der Wähler vor koalitionären wie sozialen Experimenten und das aus Frankreich nach innen wirkende Klima rund um die großen Streiks haben den Abwärtstrend der SPÖ (vorerst) gestoppt. Ein Großteil ihres Zuwachses ging zu Lasten der arg gebeutelten Grünen,80 wohingegen die FPÖ- und ÖVP-Ergebnisse in etwa gleich geblieben sind.81 Unter dem Strich hat sich bis auf die wiedergewonnene 2/3-Mehrheit der SPÖ/ ÖVP-Mandate wenig geändert: Die große Koalition wurde neu aufgelegt, und sie wird wieder von Vranitzky geführt. Haider ist es nicht gelungen, das FPÖ-Ergebnis erneut zu verbessern. Zudem ist er in Schwierigkeiten, seit sein Auftritt und seine Rede vor ehemaligen Waffen-SSlern in Kärnten publik wurde.

Aber alle Experten glauben, daß Haiders Siegerimage zwar "eine Delle" hat, daß seine Siegesserie aber nicht beendet ist.82 Der FPÖ-Chef wartet weiter ab und hat nach den Wahlen verkündet, einer Koalition mit der ÖVP nicht zur Verfügung zu stehen und dagegen offensive Oppositionspolitik zu betreiben.

Wahlsoziologisch interessanter als diese waren die 1994er Nationalratswahlen, bei denen es der FPÖ gelungen ist, in die sozialdemokratische Kernwählerschicht einzudringen und beträchtliche Teile der Arbeiterschaft zu sich herüberzuziehen. Im nationalen Durchschnitt liegt die FPÖ hier bereits bei 29% (SPÖ 47%). Damit hat sich die FPÖ-Anhängerschaft bei den Arbeitern seit 1986 verdreifacht.83 Haiders Absicht, aus der FPÖ eine lose Sammlungsbewegung zu machen, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrem neuen Profil als populäre und urbane Kraft. Ein erster Schritt in diese Richtung ist bereits gemacht: Die Abkürzung FPÖ gefällt den Parteistrategen nicht mehr, und sie haben sie durch ein schlankes, chic gestyltes F für Freiheitliche (Bewegung) ersetzt.

Ob die Partei mittelfristig tatsächlich zugunsten einer losen Bewegung aufgelöst wird, oder ob Haider die im Parteiengesetz vorgesehenen Vorteile für seinen Apparat nutzen, die Strukturen aber gleichzeitig einfrieren will, muß derzeit noch abgewartet werden. Brigitte Bailer spricht in diesem Zusammenhang von einer Doppelstrategie Haiders. Ein ähnlich doppeltes Spiel vermutet sie bei der erkennbaren ideologischen Ent-Radikalisierung der FPÖ.84 Wie immer sich Haider auch entscheiden mag: Innerparteilichen Widerstand dürfte er momentan kaum zu erwarten haben, selbst wenn er sich entschlösse, die Partei mit Hilfe einer Parteitagsmehrheit aufzulösen und in einen anderen Zusammenhang zu transformieren. Die dahinter stehenden Motive sind leicht zu identifizieren. Apparate, Strukturen, Mehrheitsfindungen und Beschlüsse sind aufwendige und aus der Sicht Haiders überflüssige Angelegenheiten. Bereits nach seiner Amtsübernahme hatte er mit einer schleichenden Demontierung demokratischer Strukturen begonnen; freilich keine kalte Demontage. Seine Personalpolitik und die Unzulänglichkeit der FPÖ-Statuten haben jedoch zu einer Machtkonzentration geführt, die Haider zementieren will, um seine Substituierung auszuschließen.

In seiner Wiener Erklärung von 1992 hat er gegen "pubertären Dogmatismus" und "ideologischen Fundamentalismus in unseren eigenen Reihen" Stellung bezogen und erklärt, die FPÖ sei "weder ein nationaler Geschichtsverein noch eine liberale Sekte pseudointellektueller Standpunktlosigkeit".85 Die einen haben die FPÖ mehr oder minder aus eigenem Antrieb verlassen und das Liberale Forum gegründet. Die anderen werden marginalisiert: Die Entlassung des Grundsatzreferenten Mölzer, der die Öffentlichkeit noch bis 1993 mit "Umvolkungs"szenarien erschrecken durfte,86 ist ein wichtiges Indiz für Haiders taktischen Wandel. Er will regierungstauglich werden, und daß ein äußerst rechtslastiges Image dabei hinderlich ist, dürfte außer Frage stehen. Unterdessen hat sich Haider sogar dazu durchgerungen, von Österreich als dauerhaft eigenständigen Staat zu reden und ihn nicht mehr als potentielle Vereinigungsmasse zu betrachten.87 Damit hat er erhebliche Irritation innerhalb des rechtsextremen Lagers provoziert.

Die Präsentation der Partei als (freiheitliche) Bewegung dient mehreren Zielen:

1. Innerparteiliche Opposition wird durch den schwindenden Einfluß des Apparates weniger bedeutsam.

2. Wenn sich eine Partei als lose Sammlungsbewegung präsentiert, relativiert sich auch die Bedeutung innerparteilicher Strömungen, für deren Politik und Stärke Haider als Obmann die Letztverantwortung trägt.

3. Haiders Akzeptanz in der antifaschistisch sozialisierten Arbeiterschaft kann durch den Bedeutungsverlust der mit dem Stallgeruch des Rechtsextremismus behafteten Partei nur steigen.

4. Ein weiterer Vorteil dieser Taktik liegt darin, daß sich Haider als Anti-Parteien-Mann präsentieren kann, ohne diskret auf die vorhandene Kontradiktion, selbst Vorsitzender einer Partei zu sein, aufmerksam gemacht zu werden.

5. Haider ist wie viele seiner ideologischen Gefährten Anhänger plebiszitärer Entscheidungen. Als Anführer einer völlig auf ihn zugeschneiderten und gegen die traditionellen Parteien zielenden Wahlbewegung kann er sich bei gutem Ergebnis stärker als andere Spitzenkandidaten als plebiszitär legitimiert und als politischer Erneuerer betrachten. Es steht zu erwarten, daß er seinen Diskurs über die Direktwahl des Kanzlers oder die Stärkung des Präsidenten intensivieren wird (Stichwort: Dritte Republik).

6. Schließlich dient seine ganze Taktik dem Ziel, selbst ins Machtzentrum vorzustoßen.

8.4. Kurzprofile der Wählerschaft

Front National

Das nach wie vor größte Gefälle innerhalb der FN-Wählerschaft88 besteht zwischen Stadt und Land. Wähler der Le-Pen-Partei stammen überwiegend aus großen Städten und aus industrialisierten Ballungszentren: dem Elsaß, dem Großraum Paris, von der Cote d'Azur und dem Rhône-Gebiet. Noch bis Anfang der 90er Jahre waren männliche Wähler deutlich überrepräsentiert; seither ist die geschlechtermäßige Verteilung nahezu ausgeglichen. Ebenso hat der Anteil praktizierender Katholiken innerhalb der FN-Wählerschaft zugenommen. Zwischen 1986 und 1988 haben regelmäßig und nicht regelmäßig praktizierende Katholiken den FN signifikant seltener gewählt als Angehörige anderer Religionen bzw. Wähler ohne religiös motiviertes Engagement. Altersmäßige Unterschiede zu den Elektoraten der übrigen Parteien bestehen nicht. Mittelständler, einfache Arbeiter und Angestellte sind wesentlich häufiger vertreten als andere Berufsgruppen.

Bernd Mosebach hat nach einer Untersuchung des FN-Wahlkörpers konstatiert, daß sich die politische Herkunft der FN-Stimmen schwer ausmachen lasse.89 Allerdings ist seinen Analysen zu entnehmen, daß "sie sowohl von der Linken - und dabei besonders häufig von den Kommunisten - als auch von der traditionellen Rechten kommen. Dazu kommen natürlich die Stimmen aus dem rechtsextremen Lager, darunter Katholiken traditionalistischer Tendenz, Vichy-Anhänger und Nationalisten".90 Etwa 10% der FN-Wähler bezeichnen sich als weit rechts stehend, 20% als eher rechts und rund 30% als weder rechts noch links. Wähler des Front National sind überwiegend unzufrieden. Sie wenden sich gegen Gewerkschaften (75%), kritisieren die Justiz (62%) und die Verwaltung (56%) und schimpfen gleichermaßen auf Medien und Politik (je 54%). Ihre wichtigsten Themen sind Immigration und Sicherheit. Beispielsweise wollen 69% der FN-Wähler die Todesstrafe als strafrechtliches Instrument wieder einführen; immerhin noch gut 29% der übrigen Wähler sind der gleichen Auffassung. Die eigene und die Zukunft des Staates wird von den Anhängern des Front National äußerst skeptisch bewertet (43% bzw. 62%).91

Lega Nord

Sowohl die Lega Nord als auch ihre Wählerschaft sind auf dem Links-rechts-Kontinuum schwer zu positionieren.92 Im Europäischen Parlament etwa arbeitet die norditalienische Partei in der Regenbogenfraktion mit, die aufgrund ihrer ideologischen Bandbreite selbst schwer zu klassifizieren ist. Auf der Basis etlicher Analysen kommt Rolf Uesseler zu dem Schluß, daß es sich - "inzwischen auch weitgehend wissenschaftlich nachgewiesen" - bei der Lega "um eine nahezu ganz normale Massenpartei mit Schwerpunkt im Zentrum des parteipolitischen Spektrums" handelt.93 Bevor sie dies wurde, kamen ihre Stimmen vor allem von der Democrazia cristiana. Aber parallel zur ideologischen Erneuerung konnte die Lega ihre Stimmen aus allen politischen Milieus holen. Ihre Wähler positionieren sich überwiegend in der Mitte; dezidiert links wie rechts eingestellte Wähler finden sich hingegen kaum. Die wichtigsten Themen der zunächst vor allem aus dem Mittelstand, später auch aus der Arbeiterschaft stammenden Wähler waren staatliche bzw. bürokratische Ineffizienz, Protest gegen die römische Zentralregierung, Protest gegen die finanzielle Ungleichbehandlung des Nordens und Südens und Parteienherrschaft. Anti-Einwanderungsmotive waren nur kurzzeitig bedeutsam.

Wie erwähnt war die Wählerschaft auf dem Höhepunkt des Lega-Erfolgs mit der soziologischen Zusammensetzung der Bevölkerung nahezu deckungsgleich. Dies gilt vor allem für die eigenen Hochburgen der Partei, die während dieser Zeit ähnlich wie in Frankreich in den großen Städten und nahe der industrialisierten Zentren lagen. Nach dem Erfolg Berlusconis, der Bossi einen großen Teil der Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre gewonnenen Arbeiter abgeworben hat, ist ihre größte Wählergruppe wieder im traditionellen (und nach wie vor verbreiteten) Mittelstand beheimatet. Konfrontationen zwischen einer eher konservativ eingestellten Wählerschaft und eine auf die Integration in das Mitte-links-Spektrum zielende Taktik Bossis sind daher nicht ausgeschlossen, bislang aber auch noch nicht belegt.

Freiheitliche Partei Österreichs

Nach 1986 ist die FPÖ sowohl in der Außen- als auch in der Innenwahrnehmung deutlich nach rechts gerückt. Und weil sich die gesamte Wählerschaft stärker als zuvor in der Mitte positioniert, fällt der konstatierte Rechtsruck der FPÖ noch deutlicher aus.94 Dieser Veränderung entspricht ein Wandel ihrer Wählerschaft,95 wobei deutliche Zuwächse vor allem in der Gruppe der Arbeiter, der Arbeitslosen und der Pensionäre zu verzeichnen sind. Mehr Stimmen erzielt die Haider-Partei zudem bei jungen Wählern, unqualifzierten Arbeitern und Pensionärinnen. Bis 1990 konnte die FPÖ ihre Stimmen vor allem von der ÖVP gewinnen; danach ist der Stimmenanteil ehemaliger SPÖ-Wähler in großem Umfang angestiegen. Darüber hinaus rekrutierte die Partei 1990 und 1994 erneut traditionelle FPÖ-Wähler, die während der Steger-Epoche anderweitig votiert haben. Den stärksten Zulauf hatte die FPÖ in Wien, wenngleich sie nach wie vor in Kärnten am besten verankert ist. Die Zuwachsraten in dieser deutschnationalen Hochburg fallen aber weit geringer aus als in der Hauptstadt, in der ein großer Teil österreichischer Arbeiter lebt. Kärnten weist derzeit die schwächste Steigerungsrate auf. Die FPÖ konnte vor allem in den Wahlbezirken überproportional zulegen, in denen große Industriezweige angesiedelt sind oder die in der Nähe der ehemaligen Warschauer-Vertrags-Länder und Ex-Jugoslawiens liegen.96 Als Wahlmotive werden Mißtrauen in Regierung und Verbände und seit Anfang der 90er Jahre auch das "Ausländerthema" genannt. Unzufriedenheit und Mißtrauen von FPÖ-Wählern ist signifikant stärker ausgeprägt als bei anderen Klientelen.97

Ich halte es für wahrscheinlich, daß sich die Selbsteinschätzung der Partei, die ihrer Wähler und möglicherweise auch die Außenwahrnehmung mittelfristig in Richtung "politische Mitte" verschieben wird. Anzeichen dafür ist die Korrektur des vormals konstitutiven Deutschnationalismus und das damit verbundene verstärkte Eindringen der Partei in die SPÖ-Wählerschaft. Dadurch dürfte die FPÖ einen Teil ihrer explizit deutschnationalen Klientel sowie weitere dezidierte Rechtswähler verlieren.

8.5. Diskussion

Mehrere Sachverhalte lassen sich am Ende dieses Kapitels konstatieren:

1. Die drei Parteien verdanken ihre Erfolge einer von ihnen zuvor nicht erreichten Wählerschaft. 2. Organisatorische Modernisierung und elektoraler Durchbruch verlaufen parallel. 3. Desgleichen fallen Erfolg und ideologisch-thematischer Wandel zusammen. Dies gilt vor allem für die FPÖ und die Lega Nord. 4. Infolge dieses Wandels wurden die Profile der Parteien ähnlicher. Dazu gehören die erkennbaren Deideologisierungstendenzen und eine zunehmende Kongruenz auf thematischer Ebene: verstärkte Kampfansagen an das sogenannte Establishment, aber auch eine Konzentration auf Themen wie Armut bzw. Wohlstandssicherung.

Wien, Dreux, Marseille, Brescia oder Varese - diese und andere Hochburgen der drei Parteien sind ebenso bevölkerungsreich wie industrialisiert und weisen damit eine

Sozial- und Problemstruktur auf, die sich von den traditonellen Schwerpunkten der drei Parteien unterscheidet.

Ursprünglich haben sich der Front National, die Lega und die FPÖ mit unterschiedlichen Ergebnissen an eine konservative und traditionalistische und im Fall FN und FPÖ auch an eine Wählerschaft mit einer extremrechten Weltanschauung gewandt. Im Verlauf der 80er Jahre jedoch haben die Parteien begonnen, sich verstärkt auf eine urbane, aus dem Arbeiter- und Angestelltenmilieu stammende Wählerschaft zu konzentrieren. Während die Lega gezielt in den großen Städten geworben und Haider bewußt an die sozialdemokratische Wählerschaft appelliert hat, wurde der Front National erst durch die Taktik und den Erfolg Stirbois auf ein von ihm zuvor vernachlässigtes Potential gestoßen. Die programmatische und rhetorische Gesamtpräsentation des Front National wurde sozusagen im Nachhinein auf jene Wählerschaft zugeschnitten, die sich bei den Kommunalwahlen in Dreux und nach weiteren Effekten in den demographischen und industrialisierten Agglomerationen für die Partei ausgesprochen hatte. Die Veränderung der Wählerschaft geht mit der urbanen Etablierung einher, und die Wähler stammten immer stärker auch von den linken Parteien.

Parallel zu den Erfolgen vollzog sich ein innerparteilicher Wandel. Zur Lega und zum Front National stießen aufgrund dieses Erfolgs und des ihnen so zuteil gewordenen öffentlichen Interesses zahlreiche Mitglieder. Auch solche mit instrumentellen Motiven oder Karrierewünschen. Aufgrund dieser Entwicklung waren die beiden Parteien zum Ausbau ihrer Strukturen gezwungen, ohne jedoch die Macht des Führungsapparates beschneiden zu wollen. Die FPÖ hingegen ist eine durchstrukturierte Partei, und sie ist derzeit sogar bemüht, ihr organisatorisches Gerüst zu beschneiden. Zumindest werden in diese Richtung gehende Überlegungen angestellt. Diese auf den ersten Blick gegenteilig aussehende Entwicklung ist aber keine. Denn auch hier geht es um die Zementierung von Machtpositionen. Immerhin ist die FPÖ eine demokratisch legitimierte Partei, in der Repräsentanten abgewählt werden können. Es widerspricht jedoch dem Haiderschen Selbstverständnis und Selbstbewußtsein, eine Führungsperson auf Abruf zu sein.

Zunächst hatte es den Anschein, als würden die Lega und die FPÖ ideologisch gefestigter bzw. stringenter. Haider als wichtige Symbolfigur der deutschnationalen Strömung wurde zum Obmann seiner Partei gewählt, und er hatte mit Andreas Mölzer einen weiteren Vertreter dieses Flügels zum Chefdenker gemacht. Der italienische Mölzer heißt Gianfranco Miglio, der sich bald nach seinem Eintritt eng an der Seite des ideologisch eher inkongruenten Bossi bewegte und damit großen Einfluß auf Sprache und inhaltliche Präsentation nehmen konnte. Schließlich hat auch der neurechte Club de l'Horloge entscheidenden Anteil an der Modernisierung des Front National gehabt. Damit haben sich deutliche Berührungspunkte zwischen den Parteien und Personen bzw. Strömungen der Neuen Rechten ergeben. Gleichwohl ist der Begriff Neue Rechte nicht eindeutig zu definieren.

Wolfgang Kowalsky macht auf die doppelte Bedeutung dieses Begriffs aufmerksam und unterscheidet zwischen einem modernisierten, sich vom historischen Faschismus abkoppelnden Rechtsextremismus einerseits und rechtsintellektuellen Denkzirkeln andererseits.98 Beide Definitionen lassen sich zweifellos auf den Uhrenclub anwenden. Auf dem Hintergrund seiner verfassungspolitischen Arbeit in dem rechtskonservativen Gruppo di Milano kann man sicher auch Miglio als einen Vertreter der Neuen Rechten bezeichen. Schwieriger verhält es sich im Fall Mölzer. Allein die Tatsache, daß er von Haider zum Vordenker bestellt wurde, macht aus ihm noch keinen Vertreter der Neuen Rechten. Von ihm sind zahlreiche nationalsozialistisch gefärbte Beiträge sowie seine engen Kontakte mit der militanten rechten Szene bekannt.99 Lediglich unter dem Aspekt einer überwiegend taktisch motivierten Modernisierung der FPÖ, an der ihm in seiner Eigenschaft als Grundsatzreferent gelegen war, kann man ihn der Neuen Rechten zuschlagen.

Jedoch wurden mit anhaltendem Erfolg und dem dadurch gewachsenen Machtanspruch die vormals wichtigen Unterstützer oder Förderer überflüssig: Andreas Mölzer ist nunmehr ehemaliger Grundsatzreferent der FPÖ, und der Einfluß der deutschnationalen Fraktion wurde von Haider zurückgedrängt. Gianfranco Miglio hat die Lega frustriert verlassen. Aber auch ohne freiwilliges Ausscheiden war die Beschränkung seines Einflusses vorgezeichnet (Vorenthaltung eines Ministeramtes). Der Uhrenclub allerdings konnte sich im Front National etablieren. Allerdings darf dabei nicht außer acht gelassen werden, daß Miglio und Mölzer in ihren Parteien stärker zu einer ideologischen Radikalisierung und die Vertreter des Uhrenclubs dagegen eher zu einer tendenziellen Moderation beigetragen haben.

Elektoraler Erfolg und innerparteilicher Wandel verlaufen synchron. Signifikant ist der Zusammenhang zwischen ideologischer Öffnung und wachsendem Erfolg in Italien, wohingegen sich das österreichische Beispiel etwas mühsamer liest: Der 1986 gewählte Jörg Haider war in erster Linie ein von der deutschnationalen Strömung promovierter Obmann und wurde von der Öffentlichkeit entsprechend wahrgenommen und einsortiert. Die auch von Haider studierten Wahlanalysen führen seinen Erfolg jedoch nicht auf seinen germanisierenden, sondern primär auf seinen Anti-Parteien- und Anti-Sozialpartnerschaftsdiskurs zurück.100 Der Wandel der FPÖ wurde dementsprechend eingeleitet.

Warum verhält es sich in Frankreich anders, wo der Front National erheblich zwischen radikaler und moderater Präsentation schwankt? Um diese Frage zu beantworten, will ich den Blick erneut auf die Lega richten. Obgleich sie bereits in einer Regierung vertreten war und sich von ihren fundamentalistischen Forderungen verabschiedet hatte, versucht auch sie sich wieder als separatistischer Sprengkörper zu profilieren. Dieser, im übrigen auch Miglio wieder geneigt machende Rückfall101 korreliert auffallend mit ihrer Standortsuche im Parteiensystem und der Gefahr, in der Deputiertenkammer eine Nebenrolle zu spielen. Der Front National hat aber parlamentspolitisch gesehen nicht einmal die Chance, mittelfristig jene von der Lega gefürchtete Nebenrolle zu besetzen. Daraus kann der Schluß gezogen werden, daß sich Protestparteien dann moderater präsentieren und einen Normalisierungsprozeß durchlaufen, wenn reale Chancen einer nationalen Etablierung bestehen. En passant sei darauf hingewiesen, daß die Lega parallel zu diesem Prozeß auch ihren Parteiapparat demokratisiert hat. Durch ihren Erfolg hat sie zudem den anderen Parteien ihre Themen aufzwingen können (was auch für Frankreich und Österreich gilt). Das Ministerium für staatliche Neugestaltung wurde geschaffen; PDS, PPI und andere diskutieren ernsthaft über praktikable Möglichkeiten einer Raumordnungsreform. Aber schließlich war es die Lega, die seit ihrer legislativen und exekutiven Partizipation von maximalistischen Forderungen abrückte.

Dieser Feststellung soll keinesfalls der Ratschlag folgen, Protestparteien aus Domestizierungsgründen den Weg in die Regierungsverantwortung zu ebnen. Hier soll nur ein Prozeß nachgezeichnet werden, der sich vermutlich auch in Österreich vollziehen wird. Erst einmal versucht sich die FPÖ "nur" von ihrem rechtsextremen Image zu lösen. Um aber an die Regierungsmacht zu gelangen, wird auch sie moderater, kompromißbereiter und flexibler werden müssen. Aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, daß Jörg Haider im Herbst 1995 schließlich medienwirksam auf das deutschnationale Bekenntnis verzichtet hat; mehr noch: Er bezeichnet nunmehr den österreichischen Staat als dauerhaft eigenständig und nicht mehr wie noch vor Jahren als eine "ideologische Mißgeburt". Dies ist nichts anderes als ein, wenngleich zunächst taktisch motivierter, Kompromiß mit der umworbenen österreichischen Wahlbevölkerung, die von Haider nun als Gemeinschaft der Österreicher angesprochen wird.

Wenn Claus Leggewie den lepenistischen Wahlkörper als radikale Protestpopulation zwischen links und rechts bezeichnet und in diesem Sinne von einem Extremismus der Mitte spricht,102 so darf nicht außer acht gelassen werden, daß sich der FN (etwas) und in weitaus stärkerem Umfang die anderen Parteien sukzessive vom radikalen Rand entfernt haben und damit selbst ein Stück (!) in die politische Mitte gerückt sind. Insofern koinzidieren zwei soziale Phänomene: Bislang gemäßigte Wähler werden radikaler bzw. rücken stärker nach rechts, und bislang extreme Parteien verlassen ihre exponierte Randposition. Oder präziser formuliert: Bislang gemäßigte Wähler neigen unter bestimmten Bedingungen verstärkt zu einer isolierten Weltanschauung, und Parteien mit bislang geschlossenem Weltbild öffnen sich tendenziell. Damit meine ich keinesfalls, daß sie handzahm werden. Öffnen heißt in diesem Fall das Abrücken von ursprünglich konstituierenden bzw. sinnstiftenden politischen Inhalten wie etwa Deutschnationalismus, Ethnoregionalismus, Antisemitismus. Dies könnte gleichbedeutend sein mit einer schrittweisen Anerkennung demokratisch-parlamentarischer Regeln, die sich zunächst in Abwehr artikuliert, aber letztlich auf Teilnahme zielt.

Der Systemantagonismus (Einheitsstaatlichkeit, Österreich-Nation, parlamentarische Demokratie) scheint durch einen Parteienantagonismus substituiert zu werden. Da aber die moderne bürgerliche Gesellschaft Westeuropas durch das Vorhandensein von Parteien gekennzeichnet ist, und diese Parteien Trägerinnen des Systems sind oder seine Konstrukteurinnen waren, stellt sich die Frage nach der Bedeutung dieser Oppositionismen. Es stellt sich mit anderen Worten die Frage, ob die hier im Zentrum stehenden Organisationen stärker republikanische Antiparteien oder antirepublikanische Parteien sind. Darauf eine Antwort zu geben, ist nicht ganz einfach, da die Präsentation und die Radikalität drei Parteien stark von ihren jeweiligen Erfolgen bzw. Mißerfolgen abhängt. Wenn unter antirepublikanisch weniger eine Haltung oder Ideologie, sondern die Ablehnung eines konkreten Staatsgefüges verstanden wird, dann fällt die Antwort in Bezug auf die Lega Nord jedoch eindeutig aus: Denn unabhängig von präsentationsbezogenen Schwankungen gilt ihre Aversion in erster Linie dem italienischen Staat in seiner Gesamtheit.

Abschließend noch einige Bemerkungen zur inhaltlichen Präsentation: Parteienantagonismus und Xenophobie bzw. kulturelle Ressentiments waren die beiden wichtigsten Standbeine der drei Parteien vor und zwischen den Wahlkämpfen. Die leghistische Rhetorik zielt hauptsächlich gegen Süditaliener. Ressentiments treten dabei nicht isoliert, sondern kontextuell auf: Kammern, Parteien und Institutionen sind meridionalisiert und der Süden von der Mafia durchsetzt. Folglich stehen Parteien und Mafia in einem engen Verhältnis, und die im Norden erbrachten Steuergelder werden in dunkle Kanäle gelenkt. Ebenso verhält es sich in Österreich und Frankreich, wo sich das xenophobische Ressentiment auch unter anderen Stichwörtern - etwa wachsende Kriminalität, Arbeitslosigkeit - aufspüren läßt. Bei allen drei Parteien finden sich neben den Ressentiments gegen Paßausländer auch jene gegen Paßinländer.

Kaum zu unterscheiden ist der Anti-Establishment-Diskurs. Le Pen polemisiert gegen die Viererbande, Haider redet verächtlich von Altparteien und Bossi von der partitocrazia. Dieser Protest entwickelte sich vor allem in den Parteienstaaten Italien und Österreich als mobilisierend.


Inhalt
Kap. 1
Kap. 2
Kap. 3
Kap. 4
Kap. 5
Kap. 6
Kap. 7
Kap. 8
Kap. 9
Kap. 10
Literaturverzeichnis