Susanne Falkenberg: Populismus und Populistischer Moment im Vergleich zwischen Frankreich, Italien und Österreich

Inhalt
Kap. 1
Kap. 2
Kap. 3
Kap. 4
Kap. 5
Kap. 6
Kap. 7
Kap. 8
Kap. 9
Kap. 10
Literaturverzeichnis

5. Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg

5.1. Frankreich

5.1.1. Poujadismus

Die extreme Rechte Frankreichs nach dem 2. Weltkrieg war ideologisch und personell fragmentiert.1 Zu einem ersten und größeren Erfolg brachte es Pierre Poujade, der 1953 mit seiner Bewegung Union de Défense des Commerçants et Artisants (UDCA)2 in Erscheinung trat und bei den Legislativwahlen 1956 12,5% der Stimmen erzielen konnte. Unter den 52 UDCA-Mandatsträgern befand sich auch der damals 28jährige Jean-Marie Le Pen, dessen parlamentarische Karriere als Mitglied dieser Protestbewegung begann. Sie war Ausdruck und Instrument eines verunsicherten Mittelstandes, der - vom Leitbild einer agrarisch-handwerklichen Gesellschaftsstruktur geprägt - seine Existenz durch die industrielle Modernisierung bedroht sah und sich zudem als Opposition gegen die krisenanfällige 4. Republik begriff. Nachdem sich die gaullistische Bewegung 19533 für elektorale Abstinenz entschieden hatte, wurde der bereits von de Gaulle zugespitzte antiparlamentarische Protest zum Teil durch das Votum für die Bewegung Poujades artikuliert.

Ihr Gestaltungsspielraum blieb zeitlich und politisch begrenzt. Hans-Gerd Jaschek weist aber darauf hin, daß diese kleinbürgerlich-rechte Organisation schon deshalb nicht unbedeutend war, weil sie dazu beigetragen hat, daß Vertreter der extremen Rechten und ihre politischen Ziele wieder Eingang in die Gesellschaft gefunden haben.4

5.1.2. OAS

Eine wichtige Strömungen der extremen Rechten war die militante antigaullistische Organisation de l'Armee Secrète (OAS), die infolge der Dekolonisationspolitik de Gaulles entstanden ist. Im April 1961 hatten sich "im Kampf um die Erhaltung Frankreichs als Kolonialmacht und gegen die defätistische Republik (...) diskreditierte Neo-Pétainisten mit Algerienfranzosen und enttäuschten Militärs"5 zusammengeschlossen und die terroristisch agierende OAS formiert. Mit dem Inkrafttreten des Evian-Vertrages und der damit wirksam werdenden Unabhängigkeit Algeriens zerbrach die OAS, nachdem sie weitreichenden innen- wie außenpolitischen Schaden angerichtet hatte. Dieser Vertrag provozierte die völlige Entfremdung zwischen de Gaulle und der extremen Rechten, die sich in den Folgejahren weitgehend darauf beschränkte, seine Politik zu attackieren.

Der Rechtsextremismus steckte nunmehr in einer nachhaltigen Krise, war er doch nicht nur durch das Pétain-Regime geschwächt,6 sondern nach dem Zerfall der UDCA, dem Erfolg der Gaullisten und der Unabhängigkeit Algeriens um weitere Niederlagen reicher und zunehmend isoliert. Damit bestand der Zwang einer völligen organisatorisch-thematischen Neuorientierung.

In den 60er Jahren haben sich einige antigaullistische Gruppierungen formiert: So etwa der OAS-Nachfahre Mouvement Jeune Révolution und die comités T.V., deren zentraler Lebenszweck (wie die Initialen T.V. zeigen) darin bestand, den Präsidentschaftsanwärter Jean-Louis Tixier-Vignancours (1965) zu unterstützen.7 Nach der Niederlage (5,27%) des in den 60er Jahren zur zentralen Figur des französischen Rechtsextremismus avancierten ehemaligen Vichy-Ministers zerfiel diese Bewegung aber wieder. Zwei Organisationen sind für die Entwicklung der extremen Rechten von besonderer Bedeutung: 1. die 1969 gegründete nationalistische Bewegung Ordre Nouveau (ON), auf deren Initiative 1972 der Front National gegründet wurde. 2. die bereits 1960 konstituierte Fédération des étudiants nationaliste (FEN),8 zu der auch der spätere Kopf der Neuen Rechten, Alain de Benoist,9 gestoßen war. Mit der Gründung der FEN kam ein leichter Erneuerungsprozeß der französischen Rechten in Gang; einer Rechten, die eine legale antigaullistische Organisation aufbauen und nach neuen Wegen der politischen Auseinandersetzung mit dem Ziel einer Modernisierung des eigenen Lagers suchen wollte.

Eine Emanzipation von der radikalen Rechten deutete sich 1962 an, als das von Dominique Venner geleitete FEN-Organ Europe Action das "Manifeste de la classe 60" veröffentlichte, in dem sich bereits jener anti-jüdische und anti-christliche, (neo-)paganistische, okzidentale, der Wissenschaftlichkeit verpflichtete Duktus findet, der die später gegründete Denk- und Eliteschule GRECE auszeichnet.10 Es dauerte allerdings noch einige Zeit, bis es zur völligen Neuorientierung dieser politischen Strömung kam. Erst nachdem der Präsidentschaftsanwärter Tixier-Vignancours 1965 und zwei Jahre später das Wahlbündnis aus MNP und REL11 gescheitert war, haben sich Benoist und seine Mitstreiter entschlossen, ihre Arbeit "auf den 'metapolitischen' Bereich zu konzentrieren".12

5.1.3. La Nouvelle Droite

In Folge der Maiunruhen von 1968 konnten die Gaullisten erstmals bei Legislativwahlen die absolute Mandatsmehrheit erzielen. Im gleichen Jahr und vermutlich nicht weniger zufällig wurde auch das neurechte Projekt Groupement de Recherche et d'Études pour la Civilisation Européenne (GRECE) aus der Taufe gehoben.13 Nomen est omen, denn bereits das Wort GRECE deutet auf ein hier prävalentes Gesellschaftsverständnis hin, das nicht den aufgeklärten Bürger, sondern den "aristokratischen Typ der Antike"14 in den Mittelpunkt stellt. Da die neurechten Denker jedoch kaum auf breite und unmittelbare Zustimmung hoffen konnten, haben sie sich für die bereits von den vorrevolutionären sociétées de pensée erprobte Strategie entschieden, mit Hilfe des philosophisch-intellektuellen Diskurses gesellschaftliche Veränderungen in den Köpfen vorzubereiten. Wer wie GRECE einen grundlegenden Wertewandel anstrebt, hat auch an den Ideen und der Strategie der alten Rechten massive Kritik. Benoist etwa wirft der französischen Nachkriegsrechten ihre Ideologiefeindlichkeit, ihren Vaterkomplex, ihre Kulturaversion und die Unfähigkeit, in längeren Zeiträumen zu denken, vor.15

Mit ihren kulturpessimistischen Attitüden weiht die Nouvelle Droite die französische wie die gesamte europäische Gesellschaft dem Untergang und führt dabei die Symptome "Dekadenz" und "Krise" auf die Gleichmacherei universalistischer Ideale des "Judeo-Christentums" zurück. Dagegen proklamiert die GRECE-Philosophie das "Recht auf Verschiedenheit" der Kulturen (droit à la difference). Dies sieht nur auf den ersten Blick wie eine pluralistische Weltanschauung aus, denn dem von ihr angestrebten europäischen Reich als nahezu reinrassischer Einheit16 wird implizit ein besonderer Platz unter den Sozietäten zugestanden; darüber hinaus vertreten die neurechten Denker einen antiegalitären Rechts- und Würdebegriff.17 Die Neue Rechte beruft sich auf mehrere, miteinander verwandte Weltanschauungen: Neue Biologie, Neopositivismus und Verhaltensforschung Lorenzscher Schule sowie auf Wegbereiter des Faschismus: Sorel, Gobineau, Pareto und andere. Insgesamt handelt es sich nur um eine "angeblich neue Ideologie" und um ein "zum Teil inkohärentes pseudowissenschaftliches Ideengebäude".18

Drei miteinander in Bezug stehende Ziele werden von der Neuen Rechten verfolgt:

1. Gesellschaftliche Verankerung des aristokratischen Zukunftsentwurfs via Kulturhegemonie.

2. Wissenschaftliche Fundamentierung der eigenen Ideologie als wichtigstes Legitimationsinstrument.

3. Neutralisation des Faschismus-Vorwurfs (durch Wissenschaftlichkeit) und Bruch der linken Kulturhegemonie.

Trotz wohlfeiler Strategien blieb die Nouvelle Droite 10 Jahre lang mehr oder minder ein "Sektenunternehmen ohne Breitenwirkung" (Christadler). Zu größerer Popularität gelangte sie erst, als die Mitarbeit von Verantwortlichen ihres Organs Élements in der Redaktion der Wochenendbeilage des Figaro bekannt wurde. Ob und inwieweit sie dazu beigetragen hat, das politische Klima Frankreichs nach rechts zu verschieben, ist schwer zu beantworten. Der Pariser Publizist Alain Rollat (Le Monde) jedenfalls spricht von einem gescheiterten Projekt, da "sowohl die bürgerliche als auch die radikale Rechte (FN) das elitäre Ideengebäude der Nouvelle Droite nicht genutzt (haben)".19

Im Gegensatz zu den Intellektuellen von GRECE engagiert sich der Club d'Horloge nicht nur auf kultureller, sondern explizit auch auf parteipolitischem Ebene. 1974 wurde der Uhrenclub von Yvan Blot und Jean-Yves Galou gegründet, die - wie auch der später dazugestoßene Bruno Mégret - Mitte der 80er Jahre zum Front National übergewechselt sind. Zuvor waren sie wie viele andere Mitglieder bei UDF und RPR aktiv. Die Traditionsrechte war bereits auf Distanz gegangen, nachdem der Club aufgrund der engen Zusammenarbeit mit GRECE die Rolle des "Transmissionsriemens zwischen den bürgerlichen Rechten und den Rechtsradikalen"20 übernommen hatte. Aufgrund erheblicher personeller Verquickungen zwischen dem Front National und dem Club d'Horloge ist der Uhrenclub weit stärker als zuvor mit der radikalen Rechten assoziiert. Beide Organisationen haben zueinander ein instrumentelles Verhältnis und stehen in diesem Sinn in gegenseitigen Abhängigkeit.21

5.2. Italien

5.2.1. L'Uomo qualunque

Bereits am 27.12.1944 - also knapp vier Monate vor Zusammenschluß der unter deutscher bzw. alliierter Besatzung stehenden italienischen Gebiete - wurde das erste Exemplar der Wochenzeitschrift L'Uomo qualunque vom neapolitanischen Journalisten und Dichter Guglielmo Giannini in Rom auf den Markt gebracht. Das Periodikum polemisierte gegen alle Formen organisierter Politik und forderte das Recht auf Ruhe, Sicherheit, Privateigentum, Unterhaltung und Frieden und stellte sich in seiner ersten Ausgabe schlicht als "Zeitung des Jedermann" vor.22 Das Blatt zielte in erster Linie gegen ehemalige Widerstandskämpfer und gegen antifaschistische Parteien, die Giannini aufgrund der von ihnen angekündigten "Säuberungsaktionen" mit den Faschisten gleichsetzte.23 Dieser Tenor sprach offensichtlich die Bedürfnisse des Kleinbürgertums und ehemaliger Mitläuferfaschisten an, die Angst vor strafrechtlicher Verfolgung, Rufschädigung oder vor dem Verlust ihrer Stellung hatten.

Inspiriert durch den großen Erfolg seiner Zeitung, deren Auflage innerhalb eines Jahres von 80.000 auf 850.000 Exemplare gestiegen war, gründete Giannini im August 1945 den Fronte dell'Uomo qualunque,24 den er als größte Protestkraft gegen die im Untergrund wieder- bzw. neugegründeten Parteien und gegen das von ihnen gebildete Comitato di Liberazione Nazionale (CLN) bezeichnete.25 Es verwundert daher kaum, daß zahlreiche Altfaschisten den Weg in den Fronte fanden. Er hatte deshalb mit erheblichen Imageproblemen zu kämpfen. Daran konnten auch die zahlreichen, gegen die Faschisten gerichteten Ausschlußverfahren nichts ändern.

Das qualunquistische Programm war ein Sammelsurium wenig präziser Aussagen: Überwindung von Klassendenken und Egoismus, Wertschätzung des Mittelstandes, Konfrontation gegen organisierte Politiker, denen der ehrbare und fleissige Staatsdiener als moralische Leitfigur gegenübersteht, sowie ein allenthalben zum Ausdruck gebrachtes Arbeitsethos.26 Diffuse Ängste vor und scharfe Ablehnung einer pluralen politischen Kultur, die Verunsicherung des Mittelstandes durch die hohe Streikfrequenz (scioperomania) und die Mitwirkungslegitimation der kommunistischen Partei waren die wesentlichen Gründe für verschiedene Einzelerfolge des Qualunquismus (vor allem im Süden).27

Die Verschärfung des Ost-West-Konflikts, eine dem Mittelstand entgegenkommende Politik der Christdemokraten und auch Gianninis hektische Kungeleien mit zuletzt allen politischen Parteien, beendeten die kurze Karriere der Protestpartei.

Bis heute ist der Begriff Qualunquismus virulent. Er bezeichnet "eine spezifische politische Unzufriedenheit, die Entfremdung mit Zynismus und Angst mit Abwehr paart. Es ist diese mentale Haltung eines 'ohne mich', die immer anfällig bleibt für die politische Konsequenz des 'Einer für alle'".28 Diese Haltung und weniger die qualunquistischen Inhalte haben verschiedentlich dazu geführt, daß die Lega Nord und der Front dell'uomo qualunque in einem Atemzug genannt werden. Verbale Ablehnung organisierter Politik, die Wertschätzung der Arbeit und auch der ambivalente Kurs zwischen Kungelei und Abgrenzung zeichnen Bossi und Giannini gleichermaßen aus. Aber es gibt gravierende Unterschiede: Die Lega ist eine norditalienische Partei, während die Aktionen des Fronte im wesentlichen auf den Süden mit einer völlig anderen Sozialstruktur und politischen Kultur beschränkt blieb. Dies kommt auch in ihrem Verhältnis zum Faschismus zum Ausdruck: Die Lega versteht sich als eine Partei in der Tradition des (bürgerlichen) Antifaschismus. Ein qualifizierter Vergleich dieser beiden Organisationen ist aber aufgrund der kurzen Existenz der Qualunquisten schwer möglich.29

1948 konnten sich zwei politische Kulturen "und ihre Organisationen, die zu den ehemaligen Antisystemkräften des liberalen Italiens gehörten" bei den Wahlen durchsetzen und so "zu den dominierenden politischen Kräften des republikanischen Italiens" avancieren.30 Mit den ersten organisatorischen Gehversuchen des neofaschistischen MSI war gleichzeitig der "Grundstein für eine schwierige Demokratie (...) gelegt".31 Die Faschismusproblematik dieser Stunde lag Peter K. Fritzsche zufolge nicht in der Alternative "faschistische Machtergreifung oder faschistische Marginalität", sondern darin, inwieweit demokratische Entwicklungen blokkiert werden können.32 Der Einfluß des MSI war von Beginn an beträchtlich: 1. Seine starke gesellschaftliche Anbindung in Süditalien und innerhalb der italienischsprachigen Bevölkerung Südtirols. 2. Instrumentalisierung der Rechtsextremen durch die bürgerlichen Parteien zur Absicherung parlamentarischer Mehrheiten. 3. Die später hinzutretende "pragmatische Dialogbereitschaft" des sozialistischen PSI und auch des kommunistischen PCI, dessen Legitimation als antifaschistische Partei nicht zuletzt von der faschistischen Präsenz abhing.33

Der MSI wurde 1946 als Nachfolgepartei des verbotenen Partito nazionale fascista gegründet und konnte legal aufgebaut werden, obwohl die Reorganisation der Mussolini-Partei verboten war.34 Zunächst war der MSI Sammelbecken des alten faschistischen Kerns. Er konnte aber bald unzufriedene Arbeiter, heimkehrende Soldaten und einen nicht geringen Teil des bei der Volksabstimmung vom Juni 1946 entmachteten Adels samt seines Umfeldes als Mitglieder gewinnen.35 Seit seiner Gründung war der MSI durch innerparteiliche Konfrontationen zwischen seinen wichtigsten Flügeln gekennzeichnet. Obwohl politisch-strategische Innovationen durch ständige Auseinandersetzungen erschwert wurden, waren diese Strömungen bis Anfang der 90er Jahre untrennbar miteinander verknüpft. Fernando Visentin unterscheidet:36

1. Den legalistischen Flügel mit einer autoritär, neo-bonapartistisch akzentuierten Politikkonzeption.37

2. Die "revolutionär" auftretende Anti-Establishment-Fraktion mit zwei Richtungen: a. linken Themen gegenüber offenen Populisten und b. "Aristokraten" und Elitaristen.

3. Den offen terroristischen und faschistischen Teil, den Visentin im wesentlichen mit der an zahlreichen Attentaten beteiligten Gruppe um Giuseppe (Pino) Rauti sowie inhaltlich mit der Terza Posizione assoziiert.

Aufgrund der mehrfachen Verquickungen strategischer und inhaltlicher Elemente ist diese Unterteilung nicht unproblematisch. Obgleich Fritzsche unter dem Strich ähnlich resümiert wie Visentin, stellt er im Zusammenhang mit dem MSI wichtige und über Systematisierungen hinausgehende Fragen.38 Zunächst fragt er nach den möglichen Modellen eines unter rechtsextremer Regie neu gestalteten Italien und nennt den militaristisch-aristokratischen, einen autoritär-populistischen sowie den "genuinen" faschistischen Staat. Als mögliche Strategien zur Beseitung pluralistischer Strukturen nennt Fritzsche die Instrumentalisierung eben jener Strukturen oder die Anwendung von Gewalt. Entscheidend scheint mir dabei seine Interpretation, wonach der MSI zur Verquickung beider Elemente gezwungen und ihm lediglich die Chance geblieben war, parlamentarisches und militantes Handeln je nach Bedarf und Situation unterschiedlich zu gewichten. Zudem machen seine Ausführungen deutlich, daß aufgrund des strömungsumspannenden Weltbildes - Antikommunismus, Ablehnung parlamentarischer Demokratie, Antiegalitarismus - Positionsverschmelzungen und taktische Standortverlagerungen in der Partei selbst und durch ihren beschränkten Handlungsspielraum angelegt waren.39

Missinische Wahlergebnisse, die sich in "ruhigen" Phasen grob um fünf Prozent bewegten, korrelierten seit Gründung der Partei stark mit gesellschaftlichen Linksentwicklungen: Stimmenzuwachs auf kommunal/regionaler Ebene als Vorbote einer sich abzeichnenden Linksöffnung der Christdemokraten Anfang der 60er Jahre; weitreichende Steigerung nach dem 68er Aufbruch; leichtes Wachstum parallel zur Geburt der Neuen Sozialen Bewegungen; und schließlich der bislang größte Erfolg 1993/94 nach dem Zusammenbruch der alten Parteistrukturen und Einführung des Mehrheitswahlrechtes, das von vielen Beobachtern als Wahlhelfer für die Linke bewertet worden war.

Nur selten hat der MSI gesellschaftliche Veränderungen antizipiert und entsprechende Konzepte entwickelt. Zudem blieben die meist verspätet geführten Strategiedebatten in Flügelkämpfen stecken. Erneut an einem solchen Tiefpunkt angelangt, war die Parteimehrheit 1990 erstmals bereit, für einen Vertreter des linksfaschistischen (Fritzsche) Kreises zu stimmen. Pino Rauti hatte bereits Ende der 70er Jahre eine neue Strategie zur Einbindung der vom PCI enttäuschten Linken gefordert und die Notwendigkeit eines geänderten Erscheinungsbildes parallel zur wachsenden Akzeptanz der Neuen Sozialen Bewegungen erneut betont. Aber erst das Versagen des Parteichefs Fini, der auf die im Zeitraffer verlaufenden weltpolitischen Veränderungen Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre weder taktisch noch inhaltlich reagiert und dagegen am alten Leitbild einer vornehmlich antikommunistischen Partei festgehalten hatte, führte zur innerparteilichen Kräfteverschiebung. Nach zwei Wahlniederlagen aber mußte Rauti, kaum im Amt, wieder zurücktreten, und der Legalist Fini gelangte erneut an die Spitze der Partei.

Ihm ist mit der nationalen Etablierung des MSI und seiner weitgehenden Überführung in die zunächst als wahltaktisches Tochterunternehmen gegründete Alleanza nazionale sowie ihrer Regierungsbeteiligung der bislang wichtigste Schachzug in der Parteiengeschichte gelungen. Obgleich die Bedeutung des 1993 verabschiedeten Mehrheitswahlrechts und des Zusammenbruchs des alten Parteiensystems wichtige Gründe für den MSI/AN-Aufstieg sind, darf Finis persönlicher Beitrag nicht übersehen werden: Sein geschicktes Abwarten, die moderate Sprache sowie sein gesamter Habitus, für den zahlreiche Italiener Sympathie bekunden.

Fritzsche hatte erwartet, daß mit dem Postkommunismus auch der Postfaschismus einhergehen würde. Bemerkenswerterweise hatte der Italien-Experte Recht im Unrecht. Den MSI gibt es in der Tat nicht mehr. Dafür ist aber eine Organisation entstanden, die wie ehedem mit dem antikommunistischen Ticket reist und dafür auch belohnt wird. Der Publizist Giorgio Bocca spricht in diesem Zusammenhang vom "Antikommunismus ohne Kommunismus", der nicht nur Fini, sondern auch Berlusconis Erfolg bewirkt hat.40

5.2.3. La (Prima) Nuova Destra

Der Mehrheitskurs des MSI und die Gewaltverstrickungen seiner Randflügel haben dazu beigetragen, daß der italienische Rechtsintellektualismus Anfang der 80er Jahre eine neue Dynamik entfalten konnte.41 Schon die Tatsache, daß 1978 mit der Zeitschrift Elementi eine überaus aufwendig und professionell gestaltete Zeitschrift auf den Markt gebracht wurde, weist auf ein gestiegenes Selbstbewußtsein der intellektuellen Rechten hin. Mit der 1982 vom MSI-Dissidenten Mario Tarchi gegründeten Gruppierung Nuova Destra formierten sich Teile der üblicherweise in losen Zirkeln debattierenden Rechten erstmals auch in organisatorischem Rahmen. Der überwiegende Teil aber blieb unorganisiert - wenn auch nicht unvernetzt.

Ähnlich wie in Frankreich wurde die Neue Rechte nicht durch Aktivitäten, sondern durch Diskussionen über sie bekannt. So befaßte sich 1982 das Historische Institut der Resistenza in Cuneo mit Absichten und Strategien der bislang wenig bekannten Rechten, wodurch die von Frankreich und de Benoist stark beeinflußten Zirkel erstmals Gegenstand (halb-)öffentlicher Diskussion waren. Die Auseinandersetzungen erreichten ihren Höhepunkt, als der ehemalige PCI-Abgeordnete und Philosoph Massimo Cacciari an neurechten Diskussionsveranstaltungen teilnahm, die er, so sie stattfinden, auch als progressiver Bürgermeister von Venedig (seit 1993) frequentiert. Allerdings ist es in Italien keine Ausnahme, daß "nicht nur innerhalb der Rechten oder innerhalb der Linken, sondern zwischen beiden 'Lagern'" diskutiert wird".42

Ideologie und weltanschauliche Referenzen von Nouvelle Droite und Nuova Destra sind weitgehend deckungsgleich: Favorisierung organisch legitimierter Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen anstelle des merkantilen Ökonomismus moderner Demokratien, Antiegalitarismus und ausgeprägter Mystizismus als Fundament für "Vergemeinschaftung" und Überwindung des Rationalismus sowie ein okzidentaler Nationalismus, wonach "das Römische Europa seinem Wesen nach eine überlegenere Einheit gegenüber sonstigen historischen Konfigurationen ist".43 Beide Strömungen berufen sich auf die Neobiologie und die Erkenntnisse von Genetik und Ethologie. Darüber hinaus stützen sie sich auf das evolanische Weltbild, dessen "Anti-Semitismus und Anti-Christianismus die Grundbedingung für die befreiende Rückkehr zum 'heidnischen Imperialismus' sind".44 Im Unterschied aber zur französischen präsentiert sich die italienische Rechte weniger elitär bzw. geschlossen. Dies trifft vor allem für den Kreis um Tarchi zu, der wegen seiner Kontakte zu Rauti an den MSI angebunden war. Unter dem Strich blieb die italienische Neue Rechte bedeutungslos; sie hatte gehofft, parallel zur Krise der Linken größeren Einfluß zu erzielen.45 Dies ist ihr aber nicht gelungen.

5.2.4. La (Seconda) Nuova Destra

Seit dem Wahlsieg des rechten Pakts um Berlusconi im März 1994 hat der Begriff "Nuova Destra" in Italien eine neue Bedeutung erfahren.46 Im Zentrum wissenschaftlicher Diskurse stehen dabei insbesondere die Taktiken des Industriellen,47 dem es in atemberaubend kurzer Zeit gelungen ist, seinen Wahl- und Jubelverein Forza Italia aus dem Boden zu stampfen und zusammen mit Alleanza nazionale, Lega Nord und einigen rechten DC-Überresten eine Regierung zu bilden.48 Forza Italia als eigentliche Wahlsiegerin hatte zur Zeit ihres Durchbruchs weder erkennbare organisatorische Strukturen noch ein inhaltliches Profil. Ihr Programm hieß Berlusconi, der seinen Wählern nicht nur ein neues Wirtschaftswunder verhieß, sondern ihnen allabendlich die unbeschwerte Welt via Fernsehen ins Haus lieferte. Aufgrund seines medial inszenierten Kontakts zur Bevölkerung wird Berlusconi verschiedentlich als neo-peronistisch bezeichnet.49

Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist zu fragen, was an der Politik Berlusconis und seiner Partner rechts, und vor allem was daran neu-rechts ist. Inhaltlich/thematisch besteht keine Veranlassung, von einer Neuen Rechten zu reden, weil die Aussagen der Parteien weder neu im Sinne einer politischen Idee noch zusammenhängend und zudem nicht einmal kompatibel sind. Auch die politischen Taktiken waren und sind wenig originell: Wie ehedem zielt(e) der Wahlkampf vornehmlich gegen eine in den Dunstkreis des Kommunismus hineinphantasierte Linke. Daß der PCI-Nachfolger PDS innerhalb der Sozialistischen Internationale eher rechts placiert ist, spielt(e) dabei augenscheinlich keine Rolle. Allerdings wurde 1994 mit Berlusconi erstmals ein Industrieller zum Regierungschef gewählt, der stets deutlich gemacht hat, daß er auch als Amtsträger nicht auf seine wirtschaftlichen Kompetenzen verzichten will. Zudem rückte mit der Alleanza nazionale eine Organisation in das Machtzentrum, deren zu der Zeit noch existierende Mutterpartei jahrzehntelang von der Regierungsebene ferngehalten worden war. Und schließlich gelangte mit der Lega eine Kraft an die Regierung, die den italienischen Sstaat zerteilen wollte.

Aber dies genügt nicht, schon von einer Neuen Rechten zu reden. Sie haben die Wahlen zwar nicht gerade zufällig, aber genausowenig aufgrund präziser politischer Vorstellungen, Gedanken oder einprägsamer Themen gewonnen. Dies spricht nicht gegen das Vorhandensein politischer Ideen: Im Fall der Alleanza nazionale aber sind sie nicht neu, bei Berlusconi im eigentlich politischen Sinn kaum vorhanden und bei der Lega wenig kohärent. Ein Faktum freilich macht die Bezeichnung Neue Rechte diskutierenswert: Der politischen Elite und allen voran Berlusconi und Fini ist es gelungen, eine Debatte über die Bildung einer italienischen Präsidialrepublik loszutreten. Aber auch dies konstitutiert noch keine Neue Rechte. Es bleibt abzuwarten, ob dieses Thema in ein erkennbares Ideengebäude eingebunden wird.

5.3. Österreich

Methodisch ungleich schwieriger als die bisherigen Abschnitte gestaltet sich das Kapitel Österreich. Dies resultiert aus der bereits recht langen Geschichte der Freiheitlichen Partei Österreichs und ihrer unterschiedlichen politischen Phasen. Die FPÖ ist ein integraler Bestandteil des postnationalsozialistischen Rechtsextremismus, hat aber seit etwa Ende der 60er Jahre einen Kurs eingeschlagen, der zu einer Stärkung der liberalen Kräfte führte. Ein erneuter und gravierender Wandel fand mit der Amtsübernahmne Haiders als Parteiobmann 1986 statt. Diese Post-86er-FPÖ steht im Zentrum der später folgenden Kapitel.

5.3.1. Verband der Unabhängigen (VdU)

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Nationalsozialismus waren zahlreiche NSDAP-Mitglieder ohne politische Heimat. Ein kleiner Teil ehemaliger NSDAP-Wähler und Mitglieder trat dem 1949 gegründeten Verband der Unabhängigen (VdU) bei, der Wahlverein und Auffangbecken in einem war.50 Bemerkenswerterweise hatte die SPÖ zu den Förderern des VdU gehört, die sich damit vor allem eine Schwächung ihrer Hauptkonkurrentin ÖVP erhoffte.51 Die unterschiedlichen Einschätzungen über den Charakter und Zweck des VdU sind überraschend. Denn anders als Pelinka, der im VdU ein rechtsextremes Sammelbecken und ein SPÖ-Instrument sieht, kommt Kurt Richard Luther zu dem Schluß, daß der VdU "als liberales Gegengewicht zum Proporz der Großparteien, sowie als Mittel zur Integrierung ehemaliger Nazis und anderer Unzufriedener ins politische System Österreichs" gedacht war.52

All diese Aussagen zusammen können nicht richtig sein. Warum beispielsweise sollte die SPÖ an einem auch gegen sie selbst gerichteten Gegengewicht interessiert gewesen sein? Welcher Liberalismusidee liegt zudem die Annahme zugrunde, daß eine liberale Partei explizit das Ziel verfolgt, Altnazis und andere Unzufriede einzusammeln? Während man den ersten Widerspruch noch mit dem Hinweis auf parteipolitische Taktik und dem Interesse der SPÖ erklären kann, Ex-NSDAPlern aus präventiven Gründen ein legales Terrain zu schaffen, läßt sich die zweite Kontradiktion kaum auflösen. Wie verhält es sich mit dem österreichischen Liberalismus? Pelinka bestreitet ein nennenswertes liberales Erbe, konzediert jedoch immer wiederkehrende Ansätze freisinniger Politik. Sie lassen sich punktuell auch im Dritten Lager feststellen, das für sich in Anspruch nimmt, politische Heimat der (Deutsch-)Nationalen und Liberalen zu sein. Es bedarf jedoch keiner geschichtswissenschaftlichen Detailarbeit, um zu erkennen, daß der Deutschnationalismus wie wohl jede "vaterländische" Idee - Nationalliberale quo ieratis? - mit liberaler Weltanschauung unvereinbar ist. Der "Liberalismus" des Dritten Lagers erschöpfte sich im wesentlichen darin, gegen die Hegemonie der beiden anderen Lager zu streiten und blieb deshalb weitgehend ohne inhaltliche Konturen.

Unstrittig im Fall des VdU jedenfalls ist der Grund seiner Auflösung: Er wurde zusehends schwächer, nachdem die ÖVP infolge größerer VdU-Wahlerfolge spürbar nach rechts gerückt war. Der VdU wurde nach langen internen Konflikten schließlich von der äußersten Rechten übernommen und 1955 zugunsten der FPÖ aufgelöst.

5.3.2. Die FPÖ bis 1986

Von 1956 bis etwa Mitte der 60er Jahre war die FPÖ eine eher unbedeutende und schwach organisierte Partei. Ihr erstes Programm war ein kurzer Schlagwortkatalog, der den politischen Interessen ehemaliger NSDAP-Mitglieder entsprach. Bei dem 1957 verabschiedeten Folgeprogamm "Richtlinien freiheitlicher Politik" handelt es sich grob um eine Neuverabschiedung des ersten Manifestes. In ihm finden sich neben antikommunistischen und deutschnationalen Stellungnahmen auch deutliche Kritiken an den beiden großen Parteien, ihrem Österreichnationalismus und ihrer Proporzpolitik. Aus Gründen der Anschaulichkeit und um die erdrückende Dominanz liberaler Repräsentanten zu illustrieren, will ich kurz ein paar der wichtigsten Parteimitglieder jener Stunde vorstellen:

1. Anton Reinthaller. Er war 1. Bundesparteiobmann (1956-58), zuvor Mitglied der NSDAP-Landesleitung in Österreich und Landwirtschaftsminister der Seyß-Inquart-Regierung.

2. Friedrich Peter. Der zweite Parteiführer (1958-78) war Angehöriger der 1.SS-Infanteriebrigade.

3. Otto Scrinzi. Der spätere Kärntner FPÖ-Abgeordnete hatte als Psychiater am Institut für Erb- und Rassenbiologie an der Universität Innsbruck gearbeitet und war bereits zwischen 1934 und 1938 Sturmführer der illegalen SA. Er gehört zu den Gründern von VdU und FPÖ und war bis 1986 eine dominante Person innerhalb des Kärntner Landesverbandes. Zeitgleich zu seiner Kandidatur als Bundespräsident 1986 legte der wegen seiner weitreichende Kontakte zum internationalen Rechtsextremismus auch innerhalb der FPÖ umstrittene Scrinzi seine Mitgliedschaft nieder.

Anfang der 60er Jahre hatte Bundesparteiobmann Friedrich Peter die Tragweite des Imageproblems seiner bislang isolierten Partei erkannt und mit modifizierten Inhalten und einer veränderten Selbstdarstellung die Integration der Partei in östereichische Strukturen vorbereitet. Dieser Veränderungs- und Öffnungswille53 ist auf die marginalisierte Rolle der Partei selbst, aber auch auf die Taktik der SPÖ zurückzuführen. Sie war innerhalb der Großen Koalition weitgehend ohne Profilierungsspielraum geblieben und mit ihrer Anfang/Mitte der 50er Jahre nach rechts ausbrechenden Partnerin ÖVP zunehmend unzufrieden. Dieser als Antwort auf die Erfolge des VdU gedachte Rechtsruck hatte die beiden großen Koalitionsparteien entfremdet, wodurch eine konstruktive Arbeit kaum mehr möglich war.

Nun müssen nicht erst gravierende Gründe vorliegen, damit ein kleinerer Koalitionspartner nach Möglichkeiten sucht, zur stärksten Kraft zu avancieren. Deshalb ist es kaum verwunderlich, daß die SPÖ mit der FPÖ Kontakt aufgenommen hat, wofür "Habsburg-" und "Olah-Krise" die markantesten Beispiele sind.54 Im Vorfeld erster Tuchfühlungen hatte Franz Kreuzer in seiner Eigenschaft als Chef der Abendzeitung eine Koalition von SPÖ und der nach seiner Meinung schon beinah liberalen FPÖ publizistisch angedacht und damit offenkundig eine andere Meinung vertreten als junge Wiener Sozialisten, die der FPÖ attestierten, "liberal wie anno nazimal" zu sein.55 Viele der durch diese zwischenparteilichen Kungeleien brüskierten FPÖ-Mitglieder haben die Partei verlassen, 1966/67 die radikale NDP56 gegründet und damit ihrerseits faktisch wie ungewollt einen direkten Beitrag zur koalitionären Gebrauchswertsteigerung der FPÖ geleistet.

Mehr noch als die Gewißheit, eine potentielle Partnerin zu haben, wog die Modernisierungsbereitschaft der SPÖ. Die seit 1966 oppositionelle Partei hat sich stark von der Aufbruchstimmung einer bis dahin überwiegend konservativen Studentenschaft57 beeinflussen lassen. Beide Strömungen haben erheblich zu einem aufgefrischten gesellschaftlichen Klima beigetragen, das der SPÖ 1970 die absolute Mehrheit im Nationalrat bescherte. Um sich auch für die Zukunft abzusichern, haben die Sozialisten58 weiterhin Kontakte zur mittlerweile auch von der ÖVP umgarnten FPÖ gehalten. Damit war die kleine Partei beidseitig aufgewertet und spätestens 1983 unter Norbert Stegers Vorsitz als Regierungspartei an der Seite der SPÖ salonfähig.

Luther bezeichnet den Zeitraum zwischen den Mittsiebzigern und 1986 nach Ausgrenzung und Modernisierung als dritte Phase und als Ära der politischen Akzeptanz, des aufstrebenden Liberalismus und internen Pluralismus.59 Programmatischer Ausdruck einer Liberalisierung war das bereits 1973 verabschiedete "Freiheitliche Manifest zur Gesellschaftspolitik". Diese Schrift war jedoch kein österreichisches Äquivalent der mittlerweile obsoleten FDP-Thesen von Freiburg, sondern mit seinem Rekurs auf Leistung, Stärke und Eliten das Gegenteil einer Idee nicht nur formal-juristisch garantierter, sondern auch finanziell flankierter Chancengleichheit.

Trotz programmatischer und personeller Erneuerungen blieb aber ein echter Wandel der Partei aufgrund des großen Einflusses rechter Fraktionen und außerparteilicher "Lobbyarbeit" noch extremerer Strömungen aus. Dies ist das Resümee vieler FPÖ-Beobachter, die wie Luther von der Ära des aufstrebenden Liberalismus gesprochen hatten, 1986 aber feststellen mußten, daß liberale Strömungen ohne Chance geblieben waren, die Partei in ihrem Sinn zu verändern:60 Der Eintritt der FPÖ in die kleine Koalition und die Modernisierung der FPÖ-Parteispitze können nicht darüber hinwegtäuschen, "daß ein entscheidender geistig-ideologischer Durchbruch, bei der Masse der Parteianhänger (...) offenbar nicht gelungen" war.61 Die Tatsache, daß die Mehrheit des Salzburger Parteitags gegen den ausdrücklichen Willen der Führungsspitze am deutschnationalen Bekenntnis festgehalten hat, mag ein Indiz dafür sein.62

Aufschlußreicher aber als eine unter Umständen durch große Beeinflussung zustande gekommene Parteitagsmehrheit sind die Aktivitäten des dezidiert rechten Flügels, der zu rechtsextremen Kleingruppen, deutschnationalen und anderen Traditionsvereinen oder gemäßigteren Großorganisationen in regem Kontakt stand oder bequemerweise gleich in deren Führungsgremien vertreten war.63 Die Riege um den Parteivorsitzenden Steger wurde aufgrund des von diesen Gruppen ausgeübten Drucks immer wieder zu Konzessionen gezwungen. Dies umso mehr, als es ihnen innerhalb der Koalition nicht gelungen ist, die FPÖ als liberale Partei gesellschaftlich zu verankern. Nur unter dieser Voraussetzung hätte für sie die Chance bestanden, dem Druck zu widerstehen.

Es ist sicherlich falsch, die sogenannte liberale Phase als Betriebsunfall eines parteipolitischen Modernisierungsprozesses abzutun; unter dem Strich war sie eher ein Intermezzo zeitweilig aufstrebender Liberaler, die eine Zeit überbrückt haben, die die rechts stehenden Kräfte benötigt haben, um sich ihrerseits zu modernisieren.

Die Entwicklung der FPÖ seit 1986, also seit der Amtsübernahme Haiders als Bundesparteiobmann, werde ich in einem späteren Kapitel weiter ausführen.

5.3.3. Andere Organisationen

Einen exakten Überblick über die äußerst vielfältige rechtsextreme Szene Österreichs zu vermitteln, zielt an meiner Absicht vorbei, die Entwicklung des Rechtsextremismus nach dem Zweiten Weltkrieg lediglich in seinen wichtigsten Zügen wiederzugeben. Aus diesem Grund fehlen im folgenden Kapitel die zahlreichen radikalen bzw. terroristischen Kleingruppen, die mannigfach existierenden Traditions- oder Kulturvereine sowie studentische Organisationen.64 Auch werde ich mich nicht mit den Nationaldemokraten (NDP) auseinandersetzen, weil die 1966/67 gegründete Partei bedeutungslos geblieben ist; abgesehen einmal von den 3,2% der Stimmen, die ihr Vorsitzender Norbert Burger bei den Präsidentschaftswahlen 1980 erzielen konnte. Das für die kleine Partei recht hohe Ergebnis ist aber schnell erklärt: 1. Die ÖVP hatte keinen eigenen Kandidaten ins Rennen geschickt. 2. Der FPÖ-Bewerber war wegen seines Widerstandes in der NS-Zeit für Rechtsextreme nicht wählbar.

Obgleich ich also darauf verzichte, mich mit den genannten Strömungen näher auseinanderzusetzen, will ich keinesfall nur exemplarisch Organisationen herausgreifen, die genausogut durch andere substituiert werden könnten. Mir geht es vielmehr darum, extremrechte Kontinuitäten und Komplexitäten am Beispiel der wichtigsten Großorganisationen sowie anhand einer Verlagsgesellschaft aufzuzeigen.

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurden in Österreich viele kleine Organisationen gegründet, die sich fast alle dem später zugelassenen VdU angeschlossen haben. In den 50er Jahren haben sich weitere Organisationen der politischen Rechten formiert, die bis heute unabhängig geblieben sind. Dazu zählen die von Bailer-Galanda, Lasek und Neugebauer untersuchten "gemäßigter auftretenden Großorganisationen":65 der 1952 gegründete Österreichische Turnerbund (ÖTB) und der 1955 aus der Taufe gehobene Kärntner Heimatdienst (KHD). Pelinka nennt als weitere relevante Vereinigung den Österreichischen Kameradschaftsbund. Die im folgenden kurz vorgestellten Organisationen sind vor allem wegen ihrer Brückenfunktion bedeutsam.

Der Österreichische Turnerbund

Etwa 75.000 Mitlgieder organisieren sich im ÖTB; 40 Prozent davon sind Kinder und Jugendliche. Während sie in erster Linie an sportlicher Betätigung interessiert sind, orientiert sich die ÖTB-Führungsspitze bis heute an der Weltanschauung des deutschen Turners Jahn,66 für den Sport bekanntermaßen kein zweckfreies Freizeitvergnügen war.67 Wie er will auch der ÖTB eine (deutsch-)national-völkische Gesinnung über den Sport vermitteln, der gleichsam Bestandteil dieser Weltanschauung ist.68 Der ÖTB versteht sich als Nachfolgeorganisation des Deutschen Turnerbundes in Österreich, bemüht sich aber nach außen um ein demokratisches, d.h. förderungswürdiges Image. Mehrere Urteile, die dem Organ des Turnerbundes eine neofaschistische Tendenz und dem Verein nationalsozialistische Tendenz attestierten, verhinderten jedoch bislang seine Aufnahme in die Dachorganisation des österreichischen Sports.69

Kärntner Heimatdienst

Schon der ÖTB ist aufgrund seines pluralen Mitgliederniveaus zumindest partiell in die Gesellschaft eingebunden und insofern kein Randphänomen. Im Fall des Kärtner Heimatdienstes und des Österreichischen Kameradschaftsbundes kommt jedoch auch noch die parteipolitische Achse quer durch alle Lager hinzu. Unter dem Dach des etwa 8000-Mitglieder starken KHD kümmern sich unterschiedliche Organisationen um die Pflege des Deutschtums und damit spiegelbildlich auch mit antislowenischer Politik. Der KHD-Vorgänger Kärntner Heimatbund war maßgeblich an der Verfolgung slowenischer Bürger beteiligt, und das von ihm konstituierte Vorurteil, nach dem sich zur eigenen "Volksgruppe" bekennende Slowenen heimatfremd und kommunistisch seien, ist bis heute in den Köpfen der Kärntner Mehrheitsbevölkerung verankert. Eines der Hauptanliegen des KHD ist der Kampf gegen "Slowenisierung" Kärntens und gegen die im Staatsvertrag von 1955 festgeschrieben Minderheitenrechte. Pikanterweise sitzen im Führungsgremium des KHD "Vertreter der drei Parlamentsparteien neben Alt- und Jungvölkischen, neben echten 'Ehemaligen' und getarnten Neo-Rechtsextremen".70

Der Österreichische Kameradschaftsbund

Eine ähnlich treffliche Runde hat auch der Österreichische Kameradschaftsbund zu bieten, der sich qua Satzung zunächst darauf beschränkt, ein Dachverband verschiedener Soldatenverbände zu sein. Kaum überraschend indes, daß er mehr sein will, als ein loser Zusammenschluß zeitweilig freiwillig oder zwangsweise miteinander verbundener Kriegsteilnehmer. Genauso wenig überraschend ist es, daß er seine Legitimation nicht darin sieht, über kollektives Fehlverhalten oder Kriegsschuld zu reflektieren. Zentrales Anliegen zumindest seiner Funktionäre ist es, den nationalsozialistischen Angriffskrieg zu rechtfertigen und den Mitgliedern das sichere Gefühl zu vermitteln, auf der rechten Seite gestanden zu haben. Pelinka stuft diese Organisation daher wie auch den KHD als partiell rechtsextrem ein und betont zudem die besondere Rolle von ÖVP und SPÖ. Die beiden Parteien mußten entscheiden, die "von ihnen unabhängigen Phänomene durch eine energische Politik der Abgrenzung zu gettoisieren oder aber durch eine Politik der Verschleifung zu integrieren. Beide Großparteien haben sich spätestens seit 1949 für die zweite Möglichkeit entschieden."71

Die AULA

Auch der 1950 gegründete Aula-Verlag im Besitz der Arbeitsgemeinschaft Freiheitlicher Akademikerverbände versucht sich als ideologische Brücke, allerdings nur innerhalb der politischen Rechten.72 Die Autoren des gleichnamigen Periodikums und die Geldgeber von Zeitschrift und Verlag können nicht bedingungslos als rechtsextrem eingestuft werden, sie tragen aber zweifellos zur Aufwertung des Verlags bei. Reinhold Gärtner hat die Zeitschrift "Aula" auf mehreren Ebenen untersucht und ist nach einer Analyse von Inhalten, Kontakten zwischen Aula und anderen (tendenziell) rechtsextremen Publikationen bzw. Verlagen, von Anzeigenkunden und vor allem von (Gast-)Autoren zu dem Schluß gekommen, daß sie eine "zentrale Brückenfunktion zwischen Rechtsextremismus und Rechtskonservatismus (erfüllt)".73 Im Grunde, so das Fazit von Bailer-Galander und Neugebauer, "repräsentiert die 'AULA' das deutschnationale bis rechtsextreme Milieu in Österreich, ausgenommen den militanten jugendlichen Neonazismus".74

5.4. Diskussion

Unverkennbar sind die Kontinuitäten des österreichischen Rechtsextremismus, der nach dem Zweiten Weltkrieg gut organisiert blieb. Dabei waren sowohl der VdU als auch die FPÖ in der Lage, kleinere Organisationen der extremen Rechten zu absorbieren oder eng an sich zu binden. Pelinka verweist in diesem Zusammenhang auf die Rolle der beiden grossen Parteien Österreichs, die vor der Alternative Ausgrenzung oder Integration (bzw. Domestizierung) rechtsextremer Strömungen standen, und sich für die letzte Möglichkeit entschieden haben. Damit bezieht sich der Politikwissenschaftler vor allem auf die weit rechts stehenden Großorganisationen, die von SPÖ und ÖVP durch ihre gremienpolitische Mitwirkung zugleich aufgewertet und zumindest zum Teil unter Kontrolle gehalten wurden. Parallelen zu Italien gibt es insofern, als der MSI in der Nachfolge der verbotenen Mussolini-Partei geduldet wurde, obwohl er aufgrund der Strafrechtsbestimmungen eigentlich hätte aufgelöst werden müssen. Er konnte, wie der Verband der Unabhängigen, zahlreiche kleinere Strömungen an sich binden. In Frankreich dagegen war die extreme Rechte nach dem Zweiten Weltkrieg zersplittert, untereinander zerstritten und lediglich darin einig, gegen den starken de Gaulle und seine Politik zu opponieren. Er hatte es in den ersten Nachkriegsjahren geschafft, den zuvor von der nationalistischen Rechten vertretenen Antiparlamentarismus und demokratische Positionen miteinander zu versöhnen. Vor allem aber wandte sich die extreme Rechte Frankreichs gegen seine pragmatische Dekolonisationspolitik. Derart auf de Gaulle konzentriert, hatte sie es versäumt, eigene Akzente zu setzen. Es ist deshalb weder zufällig noch überraschend, daß infolge sich infolge dieser einseitigen und wenig erfolgreichen Konzentration eine "neurechte" Strömung herauszubilden begann.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren in allen drei Staaten Protestparteien erfolgreich, die nicht bedingungslos der extremen Rechten zugeschlagen werden können. Am wenigsten strittig dürfte eine entsprechende Klassifizierung des VdU sein. Wie stark die Präsenz radikaler deutschnationaler Kräfte innerhalb dieser Organisation war, unterstreicht der Mehrheitsbeschluß, mit dem der VdU aufgelöst und die FPÖ gegründet wurde. Im Unterschied zu den Bewegungen Poujades und Gianninis verzichtete der VdU auf antiparlamentarische Rhetorik. Daraus können zwei Schlüsse gezogen werden, die nicht im Widerspruch stehen: 1. Der VdU bzw. seine Führungskräfte standen in einer gewissen Abhängigkeit zur SPÖ, die kein Interesse an einer antiparlamentarischen, wohl aber an einer Partei hatte, die die ÖVP im demokratischen Kampf um Stimmen und Mandate schwächt. Antiparlamentarische Einstellungen innerhalb der VdU-Führerschaft können deshalb aus instrumentellen Gründen (Legalität, Partizipation) hintangestellt worden sein. 2. Es ist ebenso möglich, daß die Dominanz der Lagerkulturen die VdU-Politik beeinflußt hat: Die drei Lager produzieren auch Parteien, wobei sich die beiden großen Kräfte bei Wahlen und im Parlament um Meinungsführerschaft bemühen. Gegner wären demnach nicht a priori die Spielregeln, sondern die beiden anderen "Lagerrepräsentanten".

Alle drei Strömungen erfüllten nach dem Zweiten Weltkrieg die Funktion eines Sammelbeckens für Unzufriedene, die ihre Interessen bei keiner der übrigen Parteien vertreten sahen. Obgleich sie Übergangsphänomene waren, können sie nicht isoliert betrachtet werden. Der VdU wurde vergleichsweise reibungslos von einem Kreis übernommen, aus dem wenig später die FPÖ hervorging. Poujades Bewegung wurde parallel zur wahlpolitischen Rückkehr der Gaullisten überflüssig, die ihre zur UDCA gewanderte Wählerschaft zurückgewinnen konnte. Und schließlich waren auch die Qualunquisten kein Kuriosum innerhalb eines ansonsten "normalen", in links, Mitte und rechts geteilten Parteiensystems: Eine politisch-thematische Rechtswende der DC hatte ausgereicht, das Unternehmen Gianninis zu beenden, wenngleich dessen taktische Inkompentenz eine erheblich Rolle bei dem Niedergang spielte. Nicht zuletzt die Wahlerfolge im Süden und das zeitliche Zusammentreffen von beginnender Erosion der Qualunquisten und MSI-Gründung legen den Schluß nahe, daß wichtige personelle Verbindungen zwischen Mitgliedern beider Organisationen bestanden haben.

Offensichtlich korrelieren in Frankreich die Handlungsunfähigkeit der extremen Rechten mit den seit Mitte/ Ende der 60er Jahre wahrnehmbaren Erneuerungen, die später in der Neuen Rechten mündeten. In Italien hat sich eine neurechte Strömung erst rund ein Jahrzehnt später zu Wort gemeldet. Aber auch hier gibt es eine ähnlichen Zusammenhang wie in Frankreich: Denn hier meldete sich die Nuova destra in dem Moment zu Wort, als der MSI aufgrund der wachsenden Gewaltbereitschaft seiner Randflügel elektoral in die Defensive geraten ist. Gesteigertes Selbstbewußtsein zeigte sie zudem parallel zur Krise der Linken. Dies könnte bedeuten, daß neurechte Strömungen keine Eigendynamik entfalten, sondern daß ihre Aktivitäten, wie überhaupt ihr Entstehen, von der Politik und dem Erfolg der "klassischen" extremen Rechten abhängt, und daß neurechts in diesem Sinn nichts anderes als eine Reaktion auf sie ist. Ein Blick nach Österreich, wo bis heute keine neurechten Strömungen existieren, die traditionelle extreme Rechte aber nach wie vor gut organisiert und - im Fall der FPÖ - auch erfolgreich ist, könnte diese These bestätigen.

Im folgenden Kapitel werden die im Zentrum dieser Arbeit stehenden Parteien analysiert. Dabei gilt es, meine eingangs aufgestellten Thesen zu überprüfen. Zunächst habe ich behauptet, daß für den Erfolg rechtsrandiger Protestparteien äquivalente Krisenerscheinungen verantwortlich sind. Davon profitieren aber nur jene Kräfte, die flexibel genug sind, die durch den Wandel geborenen Themen in ihr Repertoire zu integrieren. Bedingt durch die (äquivalenten) Voraussetzungen ihres Erfolgs und durch den Zwang, diesen Erfolg zu reproduzieren, gleichen sich diese Organisationen immer stärker einander an. Eine Überprüfung dieser These setzt die Kenntnis der organisatorischen Unterschiede voraus. Sie werde ich in einem ersten Schritt analysieren.


Inhalt
Kap. 1
Kap. 2
Kap. 3
Kap. 4
Kap. 5
Kap. 6
Kap. 7
Kap. 8
Kap. 9
Kap. 10
Literaturverzeichnis