Susanne Falkenberg: Populismus und Populistischer Moment im Vergleich zwischen Frankreich, Italien und Österreich

Inhalt
Kap. 1
Kap. 2
Kap. 3
Kap. 4
Kap. 5
Kap. 6
Kap. 7
Kap. 8
Kap. 9
Kap. 10
Literaturverzeichnis

10. Resümee

Populismus ist keine eigenständige Ideologie, sondern eine politische Taktik, die in bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungsphasen provoziert wird und erfolgreich ist. Von einem solchen populistischen Moment können jene Organisationen profitieren, die ihren Platz außerhalb des Parteiensystems definieren. Die traditionellen politischen Akteure werden zum wichtigsten Widersacher einer konstituierten und anrufbaren Gemeinschaft erklärt, wobei an diese Gemeinschaft gleichzeitig appelliert wird, sich gegen "gemeinschaftsfremde" Gruppen abzugrenzen. Dies wird etwa durch die Forderung des Front National nach einer "positiven Diskriminierung" der Franzosen oder durch den "Österreich-Zuerst"-Vorstoß der FPÖ deutlich. Einen noch extremeren Abgrenzungsanspruch vertritt die Lega Nord mit ihrer auf territoriale Separation zielenden Politik.

Der Erfolg der untersuchten Parteien ist Ausdruck von Krisenerscheinungen im Zusammenhang mit der Modernisierung "postindustrieller" Gesellschaften, wobei diese Modernisierung mit einer signifikanten Verknappung sozialer und ökonomischer Ressourcen einhergeht. Dabei wollen die hier relevanten Parteien die Konkurrenz um den Zugang zu diesen Gütern künstlich einschränken; spiegelbildlich dazu haben die sogenannt Anspruchsberechtigten grßssere Chancen bei der Verteilung sozialer Leistungen, sozialer Dienste und Arbeit. Parteien, die eine derartige Verteilungspolitik befürworten, wurden bereits an anderer Stelle als Organisationen nicht-egalitärer Gerechtigkeit bezeichnet.

Krise und Krisenbewußtsein sind zwei unmittelbar miteinander verknüpfte Phänomene. Dabei ist jener Zeitpunkt der Bewußtwerdung oder der Zuspitzung bereits latent vorhandenen Krisenempfindens identisch mit dem populistischen Moment. Er ist, wie schon am Namen ersichtlich, nur ein zeitlicher Ausschnitt oder ein Augenblick, in dem sich negative Stimmungen zuspitzen und elektoral niederschlagen. Insofern ließe sich auch von einer Materialisierung des bereits zuvor vorhandenen Mißbehagens sprechen. Die sozio-ökonomischen Ursachen dieser negativen Stimmungen sind in allen drei Ländern identisch, und die eingangs formulierte These kann damit bestätigt werden. Jedoch zeigt vor allem das Beispiel Italien und die dortige Bedeutung des Mauerfalls, daß nicht alle den populistischen Moment konstituierenden Indikatoren mit den sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen in einem direkten Zusammenhang stehen müssen. Dies läßt sich in abgeschwächter Form auch für Österreich feststellen, wo wirtschaftliche Probleme ebenfalls mit einem außenpolitischen Ereignis koinzidierten, das allerdings einen viel unmittelbareren Einfluß auf die Wirtschaft hatte als in Italien.

Zwischen diesen beiden Ländern besteht trotz zahlreicher politisch-kultureller Unterschiede eine wichtige Gemeinsamkeit: Hier wie dort läßt sich ein hohes Maß politischer, wirtschaftlicher und bürokratischer Verflechtung nachweisen, die in Italien allerdings nicht zur institutionellen Konkordanz vervollständigt wurde.1 Diese Verflechtung ist aber nicht die Ursache für den Erfolg der Lega oder der FPÖ, auch wenn österreichische und italienische Wähler in der Vergangenheit zunehmend ihre Kritik an der klientelistischen bzw. versäulten Politik formuliert haben.2 Erst wenn die mit der Verflechtung verbundene Verteilungspolitik nicht mehr funktioniert, werden die in das System eingebundenen Parteien bei Wahlen "abgestraft". Die Wahlmotive der FN-Wähler unterscheiden sich wenig von denen der beiden anderen Parteien. Nur die politischen Rahmenbedingungen zwischen Italien und Österreich einerseits und Frankreich andererseits waren verschieden. Denn in Frankreich fehlen die institutionellen oder semi-institutionellen Verflechtungen, mit denen in den beiden Vergleichsstaaten sozio-ökonomische Krisenerscheinungen noch über einen längeren Zeitraum abgefedert wurden. Damit erklärt sich auch der zeitliche Unterschied in Bezug auf den elektoralen Durchbruch zwischen der Lega/FPÖ und dem Front National.

Der von mir nachgezeichnete Wandel der traditionellen Parteiensysteme hat die Voraussetzung dafür geschaffen, daß neue politische Akteure in die Strukturen eindringen konnten. Gleichzeitig wurden die Bedingungen des Erfolgs und die Entwicklungen der einzelnen Parteien analysiert. Dabei wurde eine weitere These bestätigt, nämlich daß ihre elektoralen Durchbrüche mit signifikanten ideologisch-thematischen und formatorischen Veränderungen einhergehen. Parteipolitische Modernisierung und elektoraler Erfolg haben sich zudem wechselseitig verstärkt.

Es stellt sich nun die Frage, inwieweit die von einem populistischen Moment profitierenden Parteien ebenfalls populistisch sind. Die Untersuchungen haben gezeigt, daß sich die drei Parteien parallel zu ihrem Durchbruch und aufgrund gleicher Erfolgsursachen in ihren Themen stark angeglichen haben. Die zu treffenden Klassifikationsentscheidung kann sich aber nur an Themen bzw. Ideologien und nicht an den Voraussetzungen elektoraler Erfolge orientieren. Schließlich ist der populistische Moment eine analytische Kategorie, mit deren Hilfe herausgearbeitet werden konnte, welche Faktoren zu einem bestimmten Zeitpunkt die Nachfrage nach und das Angebot von gemeinschaftsappellativen und anti-egalitären Weltanschauungen zusammengeführt haben. Der klassifikatorische Grundkonsens in Bezug auf die untersuchten Parteien muß daher auf diese beiden Begriffe beschränkt bleiben. Parteispezifische Eigenarten würden zudem durch das Populismus-Etikett nivelliert und strömungspolitische Ziele zu einem Begriff verdichtet, der auf ideologietheoretischer Ebene keine Tiefenschärfe aufweist.

Der populistische Moment ist ein Indikator für eine problematische gesellschaftliche Entwicklung. An dieser Stelle möchte ich nochmals eine These von Cohn-Bendit und Schmid aufgreifen. Sie behaupten im Zusammenhang mit ihren Migrationsstudien, daß Einwanderer häufig deshalb Ressentiments ausgesetzt sind, weil sie die "Boten eines gesellschaftlichen Wandels" sind, und dabei der "fremde Bote für die Botschaft genommen wird" (Cohn-Bendit/Schmid).3 Aus dieser Sicht ist es folgerichtig, auch die von der Unsicherheit profitierenden Parteien als Boten der Modernisierung zu bezeichnen. Denn sie haben - dies gilt vor allem für den FN und die FPÖ - wie keine anderen gesellschaftlichen Organisationen das verkehrte Bild vom Boten und der Botschaft in ihr politisches Konzept integriert. Diese Parteien können etwa nach der Überwindung von Krisenereignissen wieder von der Bildfläche verschwinden oder ihr Profil stärker auf den politischen Stil der traditionellen Parteien abstimmen. Theoretisch können sie, obgleich ich sie als Anzeichen oder Begleiterscheinung einer gesellschaftlichen Modernisierung definieren würde, auf dem Höhepunkt dieses Entwicklungsprozesses auch hegemoniefähig werden. Aufgrund der Legitimationsgrundlagen moderner westlicher Systeme halte ich dies für unwahrscheinlich. Es gibt aber keine Garantie für "systemgerecht" verlaufende Prozesse. Wenn es den etablierten gesellschaftlichen Handlungsträgern nicht gelingt, angesichts der neuen Konfliktlinien auch neue politische Strategien zu entwickeln und Instrumentarien zur Verfügung zu stellen, dann ist mit einem wachsenden Frustrationspotential innerhalb der Gesellschaft zu rechnen. Dabei müssen steigende Frustration und wachsende Konfliktbereitschaft gar nicht einmal bei jenen Gruppen zu finden sein, die von Dauerarbeitslosigkeit, sozialer Marginalisierung und Armut besonders stark betroffen sind; ebenso vorstellbar ist, daß Teile der Mehrheitsgesellschaft aus Angst vor dort aufkeimenden Konflikten von Parteien und Staat drastische Präventionsmaßnahmen einklagen. Wenn es den extremen Parteien gelänge, einen interessen- und segmentübergreifenden weltanschaulichen Konsens herzustellen, dann haben sie auch die Chance einer weltanschaulichen Hegemonie. Ob sie davon auch als Organisationen profitieren, ist eine andere und zweitrangige Frage.

1 Abromeit, Heidrun 1993, a.a.O., S.89. 2 Vgl. Plasser, Fritz/Ulram, Peter A., 1992, a.a.O., S.156ff. 3 Cohn-Bendit, Daniel/Schmid, Thomas, a.a.O. S.325.