Susanne Falkenberg: Populismus und Populistischer Moment im Vergleich zwischen Frankreich, Italien und Österreich

Inhalt
Kap. 1
Kap. 2
Kap. 3
Kap. 4
Kap. 5
Kap. 6
Kap. 7
Kap. 8
Kap. 9
Kap. 10
Literaturverzeichnis

7.Gründungs- und Konsolidierungsphasen

Zehn Jahre mußte der Front National auf seine ersten Erfolge warten. Damit haben die Partei und ihr Chef den anderen etwas voraus: Geduld, Durchhaltevermögen, Zweckoptimismus. Zwar zeichnet sich auch Haider durch taktisches Abwarten und die Fähigkeit aus, Niederlagen einstecken zu können. Aber eine zehnjährige Durststrecke hat er nicht hinter sich bringen müssen. Und beide wiederum unterscheiden sich von Umberto Bossi, der auf Niederlagen sprachlich schrill und mit überstürzt wirkenden Attacken reagiert. So zum Beispiel im Sommer 1995, als er verfassungswidrig ein norditalienisches Parlament in Mantova "konstituierte" und die Stadt selbst zum Regierungssitz erklärte. Dies war bei aller Taktik ein Verzweiflungsakt des nach politischem Terrain und originären Themen suchenden Parteivorsitzenden.

Im Zentrum des folgenden Kapitels stehen die Gründungsbedingungen (Sonderfall FPÖ) der Parteien und ihre ideologischen Orientierungen. Dieser Abschnitt endet vor ihrem elektoralen Durchbruchs, der im anschließenden Kapitel untersucht wird. Der FPÖ-Teil endet vor dem Durchbruch der Partei in der Arbeiterschaft.

7.1.Front National

Der Front National wurde 1972 auf Initiative des nationalistischen Ordre Nouveau (ON)1 gegründet, der sein aktivistisches Image korrigieren und zudem weite Teile der extremen Rechte zusammenschließen und sie dadurch stärken wollte.2 Allerdings mußte die Partei etwa 10 Jahre auf ihren elektoralen Durchbruch warten. Trotz wirtschaftlicher Krisenerscheinungen waren die "jeweiligen Oppositions- und Semioppositionsparteien (in der Lage), potentielle Protestwähler" an sich zu binden.3 Diese Integrationsfähigkeit blieb bis Anfang der 80er Jahre bestehen.

Der "frühe" FN unter weitgehender Federführung ehemaliger ON-Eliten integrierte unterschiedliche ideologische Strömungen, die sich im ersten Parteiprogramm "Défendre les Français" niederschlagen. Paul Buzzi unterscheidet dabei zwei ideologische Grundrichtungen: 1. die europäisch-nationalistische Strömung; 2. die ein breites Spektrum (Neo-Vichysmus, Neo-Faschismus, Poujadismus und Algerie Française) repräsentierende anti-gaullistische und legalistische Rechte um Jean-Marie Le Pen.4 Weder die revolutionäre neue noch die konterrevolutionäre Rechte schlossen sich - mit einigen monarchistischen Ausnahmen - der von Le Pen geführten Partei an. Aufgrund der heterogenen Struktur ist es kaum überraschend, daß der FN Veränderungen durchgemacht hat und Konflikten ausgesetzt war. Interne Streitigkeiten und Krisen hatten zumeist der Dominanz Le Pens gegolten, der zeitweilig sogar seinen Einfluß verlor und sich juristisch mit einer Abspaltung, die sich ebenfalls Front National nennen wollte, auseinandersetzen mußte. Die innerparteiliche Spannung wurde 1974 durch eine vom ON-Kreis vorgelegte und die Präsidentschaftskandidatur Giscards unterstützende Wahlplattform verschärft, die Position Le Pens aber durch die Aufnahme von zwei radikalen Organisationen gefestigt:

1. die von François Duprat geführten Groupes nationalistes-revolutionaires (GNR).

2. Fédération d'action nationale et européenne (FANE);5 eine aktionistische neofaschistische, von Marc Frederiksen dirigierte Organisation.

Diese beiden Gruppierungen setzten Alain Renault als Generalsekretär der Partei durch. Er gilt als Vertreter der harten neofaschistischen Linie und war zusammen mit Duprat Herausgeber der Cahiers européens. Duprat hatte die Koordination der Präsidentschaftskandidatur Le Pens übernommen, die aber lediglich 200.000 Stimmen (1,3%) einbrachte. Nach diesem schlechten Ergebnis spaltete sich der zur Zusammenarbeit mit der traditionellen Rechten neigende ON ab und gründete mit dem bis 1981 überlebenden Parti des Forces Nouvelles (PFN) das wichtigste FN-Konkurrenzunternehmen.6

Ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte des Front National vollzog sich Ende der 70er Jahre. Zeichen dieses Wandels ist zum einen das Ende nationalrevolutionärer Präsenz innerhalb der Partei. Nach dem Tod Duprats 1978 hatte der GNR-Kreis den FN verlassen und mit den ebenfalls dissidierenden Neofaschisten von FANE fusioniert.7 Demgegenüber gewann die von Jean Pierre Stirbois angeführte Gruppe der Solidaristen8 an Gewicht. Sie war 1977 dem FN beigetreten, wenig später stießen katholische Integristen um Roman Marie9 sowie einige "Überläufer" der Neuen Rechten dazu. Parallel dazu wurden die Inhalte verändert, die sich stärker am Poujadismus orientierten und auf den konservativen Mittelstand zielten. Beklagt wurden zuviel Staat, zu hohe Steuern, zu große gewerkschaftliche Kompetenzen und mangelnde Förderung unternehmerischer Eigeninititative.10 Zugleich wollte der FN sein radikales neofaschistisches Image korrigieren. Der dominante Antisemitismus à la Duprat wurde durch die Kritik an außereuropäischer Einwanderung nicht gerade ersetzt, aber weitgehend überlagert.

Mitunter wird dieser Wandel auf den Tod Duprats und das Ausscheiden von GNR und FANE zurückgeführt.11 Meines Erachtens müssen aber zwei weitere Faktoren berücksichtigt werden: Trotz aller Bemühungen war der Front National bislang bei keiner Wahl erfolgreich und daher gezwungen, Themen und Strategie kritisch zu reflektieren. Darüber hinaus war seit Ende der 70er Jahre Bewegung in das bis dahin starre Parteiensystem gekommen. Das politische Klima hatte sich nach links verschoben, und gleichzeitig befand sich die gaullistische Partei in einer tiefen Krise. Mit dieser Entwicklung wuchs der Kreis unzufriedener Rechtswähler beider bürgerlichen Kräfte und des traditionellen Mittelstandes, der seine originären Interessen immer weniger vertreten sah. Was wäre eine Partei ohne arithmetisch-taktisches Bewußtsein? Wenn sich der Trend verstärken, die eigene Klientel ausbauen und sich die anderen Rechtskräfte schwächen ließen - so der unterstellte Gedankengang -, könnte die traditionelle Rechte langfristig Gefallen an einer Bündniserweiterung finden. Und die Intensität des Gefallenfindens hängt nicht unwesentlich von der Präsentation ab.

Bevor die Partei Le Pens aber zu ihren ersten Einzelerfolgen kam, gelang 1981 dem Linksbündnis aus Sozialisten und Kommunisten ein erdrutschartiger Wahlsieg, mit einer für den PS enormen Steigerung von 22,6% auf 37,5%; der PCF dagegen hatte rund 4% verloren und kam nur noch auf 16,2% der Stimmen. Zuvor hatte sich François Mitterrand gegen Giscard als Staatspräsident durchsetzen können. Die sich angedeutete politische Trendwende wurde damit bestätigt.

7.2.Lega Nord

Was sind die Ligen eigentlich, über die in den letzten Jahren auch hierzulande viel geschrieben worden ist? Wer sind ihre auf der piazza Dialekt parlierenden Anführer, die mit Alberto da Giussano einen lombardischen Befreier zum Symbol erheben, der vermutlich eine Erfindung - aber immerhin eine gute Erfindung! (la Repubblica) - aus dem letzten Jahrhundert ist? Was macht den Reiz Umberto Bossis aus, der mit Wortgewalt und Sprachakrobatik und einer Mischung aus sex and crime, aus Potenzgebaren und Gewaltandrohung gegen das Establishment zu Felde zieht? Warum liefen dieser "letzten leninistischen Partei Europas",12 in der angehende Mandatare noch bis vor kurzem gleich ein Blanko-Rücktrittsschreiben zu unterzeichnen13 und ansonsten wenig mitzureden hatten, zahlreiche Mitglieder und Wähler zu? Es sei bereits hier vorweggenommen, daß der Durchbruch der Ligen wenig mit der Bedeutung regionaler Historie oder lokaler Sprachoriginalität zu tun hat. Die Ursachen des Erfolgs von Bossi und seiner Partei sind anderswo zu suchen.14

Mit dem Begriff Leghismo bezeichnen italienische Sozialwissenschaftler und die Lega selbst den Kontext autonomistischer/föderalistischer Organisationen Norditaliens,15 von denen die Liga Veneta die älteste ist. Sie wurde bereits 1979/80 mit Unterstützung der venezianischen Società Filologia und der Union Valdotaine gegründet. Im Veneto existieren zahlreiche kulturelle Organisationen, die sich überwiegend mit Sprachpflege und Literatur beschäftigen. Ihre Auffassung von Region als Nation und Territorium als Quelle historisch-kultureller Identität prägte auch die Liga Veneta, die sich 1980 erstmals um Mandate bemüht hatte. Oder korrekter formuliert: Mit denen die Società Filologia via Liga Veneta Eingang in die parlamentarische Politik suchte. Mit nur etwa 14.000 Stimmen erzielte die junge Organisation unter Franco Rocchetta ein schlechtes Ergebnis. Sie kam aber bei den nationalen Wahlen 1983 als mittlerweile eigenständig operierende Kraft auf regional gerechnete vier Prozent, die sie ebenfalls bei den europäischen Abstimmungen 1984 erzielte.

Die Wähler der Liga Veneta stammten überwiegend aus ländlichen Räumen, waren konservativ und christdemokratisch sozialisiert, gehörten zum Mittelstand oder zur schlecht ausgebildeten Arbeiterschaft mittelständischer Betriebe. In beiden Gruppen waren männliche Wähler überrepräsentiert. Ilvo Diamanti hat ihre Wahlmotive untersucht: Krise der christlich-demokratischen Partei, lokalistische Tradition, Angst vor der sozio-ökonomischen Entwicklung und schwindende Skepsis gegenüber laizistischen Parteien.16

Anfang/Mitte der 80er Jahre wurden die übrigen Ligen gegründet, die der Liga Veneta ideologisch und wahlsoziologisch entsprachen. Eine wichtige Veränderung ging von der Lega Lombarda aus: Sie rückte bis etwa 1987 vom ethnoregionalistischen Kulturverständnis ab17 und definierte die Lombardei und später den gesamten Norden als Konfiguration mit gleichen sozio-ökonomischen Interessen. Die so begründete und vergleichsweise säkulare Forderung nach Autonomie mit ihrem Kernziel "Los vom Süden" entspringt Bossis Einsicht, wonach eine moderne Protestpartei nicht von den Stimmen des konservativen Mittelstandes leben kann.18 Flankiert wurde diese Wende zum Neoregionalismus (Ilvo Diamanti)19 mit Steuerboykottaufrufen und schärferer Kritik an den bürokratischen und politischen Eliten in Rom, die nach Auffassung der Ligen unbeweglich, korrupt und vor allem meridionalisiert sind. Dem thematischen Wandel folgte die Veränderung der Wählerschaft mit einem nun höheren Anteil von Frauen und urbanen Mittelschichtlern. Nunmehr verloren auch der PSI und andere Linksparteien einen viele Wähler an die Lega.20

Was sind die Ursachen für diesen Wandel? Im Unterschied zum Veneto ist die Lombardei eine industrialisierte und tertiärisierte Region mit entsprechender Bevölkerung. Zudem stammt Bossi bei aller Freundschaft zu Salvadori nicht aus ethnoregionalistischen Zusammenhängen, deren Forderungen ihm im Grunde fremd geblieben sind. Sein zweifellos origineller Vorschlag, aus den zahlreichen norditalienischen Dialekten eine gemeinsame Sprache zu kreieren,21 unterstreicht seine Distanz und seinen instrumentellen Umgang mit Traditionen. Und nicht zuletzt wollte Bossi Karriere machen. Die diesem Karrierewunsch zugrundeliegende Modernisierung der Partei machte Bossi zu einer erfolgreichen politischen Figur. Damit unterscheidet er sich vom traditionalistischen Chef der Liga Veneta, Franco Rocchetta, der bis zu seinem Parteiaustritt im Herbst 1994 Bossis schärfster Gegner war.

Bis 1989 war die Lega Lombarda die einzige Liga mit einer kontinuierlich nach oben weisenden Erfolgskurve, wodurch Bossi seine Position in der eigenen Sektion stärken und den Zusammenschluß aller Ligen zur Lega Nord (1991) forcieren konnte.22

7.3.Freiheitliche Partei Österreichs

Seit Haiders Amtsantritt als Obmann wird die Partei in Wissenschaft und Publizistik aufgrund seines Führungstils und seiner Personalpolitik häufig als Haider-FPÖ bezeichnet. Es wäre sicher übertrieben, von der FPÖ als einem völlig neuen Produkt zu reden. Allerdings läßt sich ebensowenig behaupten, daß sie einen kontinuierlichen Wandlungsprozeß durchgemacht hat, in dem sich die Konturen der heutigen FPÖ bereits frühzeitig abgezeichnet haben. 1986 war ein Bruch. Und dieser Bruch war einschneidender als der Übergang von der rechtsextremen zur sogenannten liberalen bzw. moderaten Phase der Partei. Denn zu dieser Zeit hatten sich die soziologischen Profile der Wähler- und Mitgliederschaft kaum verändert.

Stegers Sturz und Haiders Amtsübernahme wurden von langer Hand und speziell von zwei Gruppierungen vorbereitet: Dem Lorenzer Kreis und dem Landesverband Kärnten.

Der Lorenzer-Kreis

Die in diesem informellen Kreis versammelten rechtsextremen FPÖ-Exponenten rühmen sich selbst ihrer Urheberschaft des "putschartigen" Wechsels. Dies mag vielleicht etwas selbstgefällig sein; aber immerhin wurde ihr Engagement von Haider auf dem Sonderparteitag in Innsbruck gelobt. Der Lorenzer Kreis fungiert als Kadergruppe der harten deutschnationalen Strömung und kümmert sich hauptsächlich um personelle Koordination und politische Strategie. Deshalb existieren auch keine schriftlichen und öffentlichen Stellungnahmen, Anträge oder Publikationen. Mit allerdings einer Ausnahme: 1989 wurde in der AULA ein "Lorenzer Erklärung" genanntes Positionspapier mit reaktionärem, rassistischem, faschistischem und nationalrevolutionärem Inhalt veröffentlicht.23 Die unterschiedlichen ideologischen Ansätze spiegeln die personelle Zusammensetzung des Lorenzer Kreises wider, und die Vielzahl der im Papier diskutierten Themen sind Ausdruck der Ereignisse Ende der 80er Jahre: Fall der Mauer, Ende des Ost-West-Konflikts, Ideologienkrise, Ostöffnung.

Der Kärntner Landesverband

Ein großer Teil der Angehörigen des Lorenzer Kreises stammt aus dem Kärntner Landesverband, der ebenfalls eine wichtige Rolle bei Stegers Sturz und Haiders Inthronisation gespielt hat. Nicht zuletzt war es der Wahl-Kärntner Haider selbst, der entschlossen an seiner Karriere gearbeitet hat. Dabei ging es nicht nur um Meinungsführerschaft in der Partei, Promotion von Inhalten und Formulieren politischer Ziele. Haider ist seinem Wunsch, Parteiobmann zu werden, auch mit höchst praktischen Maßnahmen nähergekommen: gegenseitige Karriereversicherungen zwischen dem designierten Vorsitzenden und seinen wichtigsten Förderern, penetrante Beeinflussung kommunaler Untergliederungen zum Zweck der richtigen Delegiertenauswahl und Instrumentalisierung führender Mitglieder, die mit der Politik Stegers unzufrieden waren, aber nicht zur deutschnationalen Strömung zählten.

Seit 1985 hatte Haider seinen Anti-Steger-Kurs erheblich verschärft und ein Parteiausschlußverfahren sowie die Spaltung der FPÖ riskiert. Dazu kam es jedoch nicht, wodurch die Stärke der deutschnationalen Fraktion bzw. die Schwäche ihres politischen Gegners unterstrichen wird.24 Zudem waren die Kärntner aufgrund ihrer elektoralen Stärke in der bequemen Lage, Druck auf die Partei auszuüben.25

Unmittelbar nach Haiders Wahl zum Bundesparteiobmann fanden in Österreich Nationalratswahlen statt, bei denen die Wende der Partei mit 9,7% der Stimmen honoriert wurde. Dem Freudenfest folgte jedoch bald das Katerfrühstück, denn Haiders Förderer mußten feststellen, daß ihrem neuen Chef nicht nach Dank, sondern nach Abdank zumute war. Und zwar nach ihrem. Nach seinen ersten Wahlerfolgen fühlte sich Haider stark genug, auf ehemalige politische Freunde zu verzichten und die Außen- und Innenrepräsentanz nach seinem Gusto zu gestalten. Ehemalige Weggefährten wurden von ihm weggelobt oder mit zermürbenden Taktiken aus der Partei getrieben. Statt dessen scharte er eine Gruppe junger und dynamischer Haiderianer um sich, die ihren Vorgängern und dem neuen Vorsitzenden schon allein deshalb unterlegen sind, weil ihnen als Quereinsteigern die harte Schule von Strategie, Taktik und Rhetorik fehlt.

Anders verhält es sich bei dem aus Kärnten stammenden Andreas Mölzer, der von Haider 1991 zum Grundsatzreferenten gemacht wurde. Neben dieser Tätigkeit wurde er mit der Aufgabe betraut, die historisch-ideologischen FPÖ-Schriften zu zu verwalten. Seine Bestellung für diese wichtigen Ämter erfüllte eine Doppelfuktion: 1. Wegen des Angestelltenverhältnisses stand Mölzer unter der Kontrolle Haiders. Zwar gilt er als treu ergebener Haider-Anhänger. Nicht selten jedoch hat Treue einen nur instrumentellen Charakter.26 2. Mit der Anstellung Mölzers ließ sich zugleich die durch Haiders Personalpolitik frustrierten Deutschnationalen befrieden. Der 1952 geborene Historiker und Landeskundler war unter anderem führend an der AULA beteiligt, von 1985 bis 1990 Chefredakteur der Kärntner-Nachrichten und Mitglied des Autorenkollektivs der Deutschen Monatshefte. 1987 wurde er wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung zu einer geringen Geldstrafe verurteilt27 und zwei Jahre später auf der Landtagswahlliste der FPÖ placiert.

Mölzer bietet alles, was die Herzen der österreichischen Rechtsextremen höher schlagen läßt. Allerdings ist er Taktiker genug, um zu wissen, daß mit einer deutschnationalen Renaissance keine Wähler zu gewinnen sind. Deshalb favorisierte er wie Haider eine von ihm so bezeichnete plebiszitäre Emanzipationsbewegung, die sich ohne Ideologismen präsentiert.28

Hatte Haider schon zu Beginn seiner Obmann-Karriere die Transformation seiner Partei und die Bildung einer Bewegung im Auge? Vermutlich nicht, denn bei allem Karrierestreben konnte er den fulminanten Aufstieg der FPÖ innerhalb kurzer Zeit kaum vorhersehen. Mittlerweile verzichtet die Partei darauf, Partei zu heißen und kommt als selbsternannte Bewegung daher. Mölzer? Der ist nicht mehr dabei. Er wurde von Haider entlassen.

7.4.Diskussion

Bossi, Le Pen und Haider haben sich als Führungskräfte durchsetzen bzw. stabilisieren können. Wer jedoch langfristig an führender Stelle stehen will, braucht Erfolgserlebnisse. Dies müssen nicht zwingend elektorale Effekte sein, wie das Beispiel des in dieser Hinsicht lange glücklosen Front National zeigt. Allein das Überleben einer Partei "gegen" eine ähnliche Konkurrenz kann schon ein Erfolg sein. Wenn jedoch eine Partei nach einem Achtungserfolg wieder in der Versenkung verschwindet oder dauerhaft Stimmeinbußen hinnehmen muß, wird dies nicht ohne Auswirkungen auf die Führung bleiben; eine Logik von Erfolg und Wiederholungszwang, der alle Parteien ausgesetzt sind.

Das Zusammentreffen von führungspolitischer Stabilisierung und elektoralen Erfolgen ist in Österreich und Italien signifikant. Ansonsten durch Flügel- und Machtkämpfe oder Aufbauphasen absorbierte Kräfte werden frei und können auf Wahlen konzentriert werden. Der Erfolgsfall wiederum zieht eine Stabilisierung des Führungspersonals nach sich. Damit werden zugleich die Bedürfnisse der Wähler nach einer Identifikationsfigur befriedigt. Einige Daten sprechen für das Vorhandensein einer derartigen Korrelation: Schlagartig nach dem Sturz des blassen und umstrittenen Steger und seiner Substituierung durch den jungen und "feschen" Haider avancierte die FPÖ zu einer Zehn-Prozent-Partei mit steigender Erfolgskurve. Im Zeitraum zwischen den letzten Umfragen für FPÖ unter Steger (um die 2%) und den für die Haider-FPÖ erfolgreichen Wahlen hat sich nichts ereignet, womit diese Trendwende erklärt werden könnte. Mit einer Ausnahme allerdings: Die im Zusammenhang mit der Wahl Waldheims zum Bundespräsidenten aufgewühlten Emotionen. Will man aber nicht Haider selbst als kausale Ursache seines Erfolgs bezeichnen, dann muß es bereits zuvor ein latentes, aber unsichtbares oder durch andere Faktoren überlagertes Protestpotential gegeben haben.

Während es in Österreich einen Führungswechsel innerhalb der Partei gab, fand in Italien ein Parteienwechsel durch eine Führungsfigur statt (Gründung der Lega Nord). Damit konnte der bereits mit seiner Lega Lombarda erfolgreiche Bossi sich zum Spitzenmann einer norditalienischen Partei aufschwingen (siehe das folgende Kapitel) und für eine einheitliche Präsentation und für elektorale Akzeptanz sorgen. Anders sieht es in Frankreich aus. Denn obgleich Le Pen bereits lange vor dem Durchbruch des FN dessen unumstrittene Führungsfigur war, blieb er ohne elektoralen Erfolg. In diesem Zusammenhang müssen jedoch die oben untersuchten Zeiträume berücksichtigt werden: Während das Mißtrauen der italienischen und österreichischen Wähler in die traditionellen Parteien schon spürbar gewachsen war, endet die untersuchte Phase Frankreichs mit einem Sieg für die Linke zu Beginn der 80er Jahre, die die Rechtskoalition mit einem hervorragenden Ergebnis abgelöst hat. Diese Linke wurde nicht mangels Alternative oder zähneknirschend, sondern in der begründeten Hoffnung auf große soziale, politische und ökonomische Veränderungen gewählt.

Zur ideologischen Ausrichtung der drei Parteien: Für die frühen Ligen, den Front National und die FPÖ ist Nation in erster Linie durch Kultur und ethnische Zugehörigkeit bestimmt. Dieser Nationenbegriff blieb bei den Ligen allerdings auf die Region bezogen. Aber auch die Nationalismen der FPÖ und des FN sind unterschiedlich: Der österreichische Deutschnationalismus postuliert eine über die eigenen Staatsgrenzen hinausreichende Grundgesamtheit eines Volkes. Auch die kurzzeitig im FN präsente nationalrevolutionäre Strömung denkt über Frankreichs Grenzen hinaus und hat dabei ein europäisches Reich im Blick. Ohne dem folgenden Kapitel vorgreifen zu wollen, sei bereits hier angemerkt, daß Haider sich unterdessen vom deutschnationalen Bekenntnis distanziert und die Notwendigkeit eines inländischen Ansprechpartners erkannt hat.29 In diesem Sinn adressiert er seine Appelle an die Gemeinschaft der Österreicher, die seiner Meinung zufolge durch innere und äußere Feinde bedroht wird.30 Bei allen drei Parteien fehlen bislang mit wenigen Ausnahmen die Vertreter der Neuen Rechten. Zweifellos hat in der FPÖ Modernisierungsbedarf bestanden, auch wenn durch den Obmann Friedrich Peter eine Öffnung der Partei eingeleitet wurde. Allerdings konnte sich die liberale Strömung um Norbert Steger das Modernisierungsdefizit zunutze machen, das die nationale Fraktion durch ihr Festhalten an alten Positionen geschaffen hat. Erst durch das schlechte Abschneiden der Liberalen bei Wahlen und Wahlumfragen wurde der Weg für den in vielerlei Hinsicht modernen Jörg Haider frei, auch wenn man ihn ideologisch betrachtet sicher nicht als einen Vertreter der Neuen Rechten bezeichnen kann. Dagegen ist das Fehlen einer Neuen Rechten innerhalb der Ligen schon deshalb nicht überraschend, weil auch die Köpfe der "alten" Rechten für den Leghismo keine Bedeutung haben. Für Frankreich ergibt sich ein ganz anderer Zusammenhang. Denn Alain de Benoist und seine Nouvelle Droite verzichten ganz bewußt auf parteipolitische Aktivitäten, um sich dem kulturellen Paragdigmenwechsel in den französischen Köpfen zu widmen. Daß der spätere Erfolg des Front National auch auf die Arbeit dieses "Ideenlabors" zurückzuführen ist, wird von Wolfgang Kowalsky ebenso vertreten wie von Dietmar Loch, der zwischen der Neuen Rechten und dem FN "eine uneingestandene Arbeitsteilung" vermutet.31

Ideologische Wandlungsprozesse sind bei der Lega und bei FPÖ am deutlichsten zu beobachten. Der fundamentalistische Ethnoregionalismus der ersten Ligen wurde schnell vom Neoregionalismus der aufstrebenden Lega Lombarda neutralisiert bzw. überlagert. Allerdings sind ideologische Abschleifungen oder Veränderungen weniger überraschend, wenn sich dies innerhalb einer jungen Partei vollzieht. Aus diesem Grund halte ich den Wandel der FPÖ und ihre Entideologisierungserscheinungen für bedeutsamer als den Wandel der Lega, in der sich traditionalistische und ideologisch gefestigte Strömungen noch gar nicht haben entwickeln können.

Welche Schlüsse sind aus diesen Entwicklungen zu ziehen? Zunächst einmal stoßen maximalistische Forderungen bei der Bevölkerung dann auf Ablehnung, wenn zwischen den Forderungen und den gesellschaftlichen Problemen keine Berührungs- oder Anknüpfunspunkte bestehen. Der Deutschnationalismus ist in der österreichischen Bevölkerung mittlerweile ein Randphänomen. Dagegen unterstreichen sozialwissenschaftliche Erhebungen ein stark ausgeprägtes Österreich-Bewußtsein.32 Wenn die FPÖ eine Konsenspartei werden will, muß sie, zumindest nach außen, auf Deutschtümeleien verzichten. In Italien hingegen existieren mit dem Nord-Süd-Gegensatz und den Forderungen der Lega deutliche Berührungspunkte. Im öffentlichen Bewußtsein wird dieser Gegensatz primär als ökonomisches Problem begriffen. Daher war der Wandel des Leghismo vom Ethno- zum Neoregionalismus konsequent.

Das folgende Kapitel wird zeigen müssen, inwieweit die hier erst tendenziell wahrnehmbaren Veränderungen Fortsetzung finden. Meiner These zufolge ist nicht nur mit einer Fortsetzung dieser Entwicklung zu rechnen. Sie wird auch dazu führen, daß die Profile dieser ideologisch differenten Parteien ähnlicher werden. Zudem vermute ich einen Zusammenhang zwischen den Orten ihres Durchbruchs und ihrem weiteren Wandel. Und es muß sich zeigen, ob und in welchem Umfang auch der FN einen derartigen Prozeß durchmacht.


Inhalt
Kap. 1
Kap. 2
Kap. 3
Kap. 4
Kap. 5
Kap. 6
Kap. 7
Kap. 8
Kap. 9
Kap. 10
Literaturverzeichnis