Susanne Falkenberg: Populismus und Populistischer Moment im Vergleich zwischen Frankreich, Italien und Österreich

Inhalt
Kap. 1
Kap. 2
Kap. 3
Kap. 4
Kap. 5
Kap. 6
Kap. 7
Kap. 8
Kap. 9
Kap. 10
Literaturverzeichnis

1. Forschungsleitende Überlegungen

Der Front National (FN) aus Frankreich, die italienische Lega Nord und die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) gehören unter elektoralen und politischen Aspekten zu den erfolgreichsten westeuropäischen Protestparteien.1 Ablehnung von kulturellen und sozialen Minderheiten sowie der verbale Kampf gegen die traditionellen politischen und bürokratischen Handlungsträger ("Establishment") bilden dabei die Kernbereiche ihrer Präsentation. Die Lega Nord hat den bislang größten Erfolg erzielt, denn der Zerfall des alten Parteiensystems Anfang der 90er Jahre ist von ihr erheblich beschleunigt, wenn nicht sogar ausgelöst worden. Darüber hinaus war sie 1994 für einige Monate an der Rechts-Regierung unter Silvio Berlusconi vertreten, die sie nach ihrem Koalitionsaustritt wieder zu Fall gebracht hat. Aber auch die beiden anderen Akteure nehmen großen Einfluß auf die Politik. So wurde die FPÖ 1986 von Jörg Haider nicht nur übernommen, sondern zugleich neu gestylt und auf die Interessen einer verunsicherten Wählerschaft aus dem Arbeitermilieu zugeschnitten. Ihr dortiger Erfolg veranlaßt österreichische Politikwissenschaftler inzwischen, die FPÖ als Arbeiterpartei neuen Typs zu bezeichnen. 2 Dies läßt sich auch auf den Front National übertragen, obgleich er seine Stimmen nicht nur bei Arbeitern, sondern in allen sozialen Milieus gewinnt.3 Die Ursachen für die Wahlerfolge der drei Parteien sind vielfältig. Jedoch zwingen die "Orte ihres Durchbruchs" zum Nachdenken: Hier wie dort sind die Hochburgen mit den bevölkerungsreichen und industrialisierten Zentren identisch. Äquivalente Erfolgsursachen im Zusammenhang mit neuen gesellschaftlichen Konfliktlinien innerhalb dieser Zentren können damit vermutet werden. Neben den erfolgsbiographischen Gemeinsamkeiten fällt eine weitere Übereinstimmung ins Auge, denn die genannten Parteien werden von Sozialwissenschaftlern häufig unter den Begriff populistisch oder rechts-populistisch gefaßt.4

Populismus ist nicht nur in Mode gekommen, er scheint auch als "Gespenst" umherzugehen, wie mitunter behauptet wird. 5 Dabei trifft die Wendung des umhergehenden Gespenstes den Kern des Problems. Denn der aus dem Althochdeutschen stammende Begriff Gespenst wird lexikalisch mit Verlockung, aber andererseits mit Trugbild übersetzt. Mit Blick auf die Verlockung ließe sich fragen, warum populistische Parteien in den letzten Jahren für viele Wähler so attraktiv geworden sind. Andererseits jedoch macht das Trugbild auf eine definitorische Schwierigkeit aufmerksam: Wer oder was ist überhaupt populistisch? Was sind originäre populistische Merkmale? Ist Populismus ein eigenständiges Phänomen oder vielleicht lediglich eine Verpackung, hinter der sich unterschiedliche Ideologien verbergen? Diese Fragen umreißen die analytischen Schwerpunkte dieser Arbeit. Denn ihr Ziel ist weder die alleinige Untersuchung der Erfolgsursachen der oben genannten Parteien noch eine isolierte Populismus-Analyse. Es soll vielmehr untersucht werden, mit Hilfe welcher Populismus-Definition der Erfolg dieser Parteien erklärt werden kann.

Populismus und Krise

Bemerkenswert ist die Fülle und vor allem die Widersprüchlichkeit der vorliegenden Populismus-Theorien. Er gilt danach etwa als Überdruckventil sich modernisierender Gesellschaften, 6 als Instrument bürgerlicher Eliten zur Überwindung einer Gesellschafts- oder Staatskrise 7 oder als politische Taktik der mit popularen Milieus Verschmelzung suchenden Arbeiterklasse. 8 Ungeachtet der verschiedenen Versuche einer typologischen oder begrifflichen Präzisierung existiert innerhalb der Sozialwissenschaften jedoch bis heute keine allgemein akzeptierte Populismus-Definition. Dem definitorischen Dissens steht allerdings ein konditionaler Konsens gegenüber: Alle Interpretationen unterstreichen die Bedeutung gesellschaftlicher Krisenereignisse als Voraussetzung für populistische Politik - und zwar unabhängig davon, ob Populismus als Ideologie, als politische Taktik oder als politische Protestform verunsicherter Gesellschaftsmitglieder verstanden wird. Aus dieser Gemeinsamkeit läßt sich der Schluß ziehen, daß Populismus ohne Krise nicht erklärt werden kann. Die den theoretischen Überlegungen dieser Arbeit zugrundeliegende Annahme, wonach beide Phänomene miteinander verknüpft sind, erfordert eine Analyse des Krisenbegriffs. Was ist eine Krise? Wie kann sie sich äußern? Wird sie gesellschaftsweit oder nur segmentär empfunden? Welche Entwicklungen gehen ihr voraus, und welche Konsequenzen hat sie? Diese Fragen werden noch zu klären sein. Hier soll zunächst auf der Basis enzyklopädischen Wissens festgehalten werden, daß Krise der Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung ist.

Der populistiche Moment

Wahlstudien zeigen, daß dem Erfolg der drei Parteien kein kontinuierlicher Prozeß stetig steigender Wahlergebnisse vorausgegangen ist. Es läßt sich hingegen eher von einem elektoralen Durchbruch oder von einem scheinbar plötzlichen und signifikanten Wandel der Wählermeinung sprechen. Dieser Wandel ist nicht voraussetzungslos. Daß der "plötzliche" Durchbruch der Parteien auf elektoraler Ebene den Höhepunkt einer problematischen Entwicklung anzeigt, ist die Hypothese dieser Arbeit. Ich bezeichne diesen Höhepunkt als "populistischen Moment". 9 Für seine Analyse ist nicht nur die Krise und ihr Entwicklungsverlauf von Bedeutung, sondern auch der konkrete Zeitpunkt wahltaktischer Veränderungen. Dabei ist der Frage nachzugehen, welche gesellschaftlichen Probleme in diesem Moment zusammengetroffen sind oder kumulieren.

 Was aber ist das Populistische dieses Moments? Wie immer man den Begriff Populismus auch deuten mag - ohne einen Bezug auf das "Volk" ist dieses Phänomen nicht sinnvoll zu erfassen. Dabei hat "Volk" unterschiedliche Konnotationen. Es kann verstanden werden als eine Grundgesamtheit ohne "Selbst"-Bewußtsein. An dieses Ganze kann mit einer bestimmten Handlungs- oder Mobilisierungsabsicht appelliert werden (z.B. im Rahmen eines Wahlaufrufs). Volk läßt sich hingegen auch als eine Grundgesamtheit mit "Selbst"-Bewußtsein begreifen, wobei hier überwiegend nationale und kulturelle, aber auch sozio-politische Eigenschaften relevant sind. Von einem populistischen Appell läßt sich dann sprechen, wenn als wirklich erachtete Besonderheiten eines Segments in den Mittelpunkt des Diskurses gestellt werden. Ausschlaggebend für den Erfolg dieses Appells ist, daß diese Besonderheiten so stark ausgeprägt sein oder als so stark empfunden werden müssen, daß sie innersegmentäre Interessen- und Klassengegensätze überlagern können.

Damit stellt sich die Frage, was diesen populistischen Appell so populär macht. Und warum sind es Parteien wie der Front National, die Lega Nord und die FPÖ, die in den vergangenen Jahren so erfolgreich in die nationalen Parteiensysteme eindringen konnten? Die identischen "Orte ihres Durchbruchs" und ihre starke Anbindung in den großen Industriezentren lassen ähnliche Konfliktlinien vermuten: Umbau der Industriegesellschaft, Massenarbeitslosigkeit, zunehmende Durchlässigkeit sozialer Netze, soziale Desintegration, abnehmende Kaufkraft bei hohen Mobilitäts- und Qualifikationsanforderungen. Ganze Bevölkerungsgruppen verlieren mehr oder minder schlagartig ihre Bindungen und Standorte innerhalb der diversifizierten Gesellschaft. Diese von Kränkungserfahrungen, Statusängsten und torpedierten Glückserwartungen betroffenen Gruppen fallen Helmut Dubiel zufolge "aus den etablierten Diskursen und Legitimationsmustern gleichsam" heraus und liegen eigentümlich quer "zum Spektrum politischer Richtungstraditionen".10 Demgegenüber offerieren die genannten Parteien die Vorstellung von einer Gemeinschaft mit einer definierten und finiten Anzahl von Mitgliedern (natürliche Insider), die in ihren Rechten von deklarierten Outsidern beeinträchtigt oder sogar bedroht wird. Diese Outsider werden für verschiedene soziale und wirtschaftliche Probleme innerhalb des Gemeinwesens verantwortlich gemacht. Aber nicht nur sie. Die Kritik gilt zugleich dem politischen System. Ihm wird aufgrund seiner repräsentativen Partikularität der Vorwurf gemacht, an den eigentlichen Interessen der Gemeinschaft vorbeizuagieren. Parteien wie der FN, die Lega und die FPÖ reklamieren dagegen für sich den Alleinvertretungsanspruch dieser Interessen. Sie präsentieren sich deshalb weder als weltanschauliche Alternative noch als parteipolitische Konkurrenz zu einer anderen Richtungspartei, sondern als Transmitter des Protests der sich in ihren Rechten verletzt fühlenden Gemeinschaft. In diesem Sinn können sie als Protestparteien bezeichnet werden.

Wenn die Ursachen ihres Durchbruchs auf vergleichbare Problemstrukturen zurückzuführen sind, so müssen ihre thematischen Offerten nicht nur einen Bezug dazu haben, sondern insgesamt ein ähnliches Muster aufweisen. Um einen derartigen Zusammenhang nachzuweisen zu können, ist eine Analyse ihrer organisatorischen und ideologischen Besonderheiten vor und nach ihrem elektoralem Durchbruch erforderlich. Die Entscheidung, den Front National, die Lega Nord und die FPÖ zum Gegenstand dieser Arbeit zu machen, erweist sich dabei über die Gemeinsamkeit ihres Erfolgs hinaus auch in dieser Hinsicht als sinnvoll. Denn zwischen diesen Parteien bestehen wichtige Unterschiede in Bezug auf ideologische Wurzeln und weltanschauliche Bezugssysteme, Alter, Organisationsart und Formen der politischen Teilnahme. Dahinter verbirgt sich die These, daß ein populistischer Moment keine "parteienstiftende Wirkung" hat. Er kommt vielmehr bereits länger existenten Akteuren zugute, die flexibel genug sind, die mit diesem Moment im Zusammenhang stehenden Themen in ihr inhaltliches Repertoire zu integrieren. Wenn sie aber bereits vor einem populistischen Moment existiert haben, können sie, zumindest bis zu ihrem Durchbruch, nicht als populistisch bezeichnet werden.
 
 

Die politischen Profiteure des populistischen Moments

Gehören sie trotz ihrer weltanschaulichen Unterschiede zum Kontext der extremen Rechten?11 Immerhin wird von einigen Sozialwissenschaftlern die Nähe von Rechtsextremismus und Populismus oder Rechts-Populismus betont, wobei diese Nähe unterschiedlich definiert wird. Einige sprechen von Populismus und Rechtsextremismus als ideologische Nachbarphänomene. Danach ist Populismus eine moderne oder modernisierte Variante des traditionellen Rechtsextremismus, sozusagen ein Rechtsextremismus light.12 Stärker am strategischen Instrumentarium orientiert unterstreichen andere die Bedeutung populistischer Politik als eine spezifische und moderne Taktik rechtsextremer Organisationen.13 Beide Interpretationen weisen jedoch nur graduelle Unterschiede auf. Auf den Populismus-Begriff wird vor allem dort zurückgegriffen, wo eine gewisse Unsicherheit über den ideologischen Charakter einer Partei besteht. Ein gutes Beispiel dafür ist die FPÖ. Sie gilt "fakultätsintern" als rechtsextrem, aber auch als (rechts-)populistisch. Hier muß jedoch ein zeitlicher Aspekt beachtet werden: Als rechtsextrem wird die FPÖ überwiegend von jenen bezeichnet, die sie in ihrer Gesamtheit, d.h. seit ihrer Gründung untersuchen, 14 während "populistisch" dort bevorzugt wird, wo das analytische Gewicht auf den Jahren nach 1986 liegt.15 Dieser Zeitpunkt gilt allgemein als Beginn einer parteipolitischen Modernisierung, die nach der Amtsübernahme Jörg Haiders als Parteiobmann begonnen hat. Das Beispiel FPÖ läßt sich auch auf andere Protestparteien übertragen, wobei generell eine doppelte Popularität ins Auge fällt: Der Begriff populistisch wurde populär, als auch die so klassifizierten Parteien populär(er) geworden sind. Man kann dies als innerbetrieblichen Zufall oder politikwissenschaftlichen Modetrend abtun; man kann aber andererseits der Frage nachgehen, inwieweit sich parteipolitische Modernisierung und elektoraler Erfolg wechselseitig verstärken und in welchem Umfang sich mögliche Wandlungsprozesse auch inhaltlich und ideologisch niederschlagen. Augenfällig auch in diesem definitorischen Zusammenhang ist die Bedeutung des zeitlichen Phänomens, das heißt des Momentes, in dem die Parteien aus einem relativen oder faktischen Schattendasein heraustreten. Nach wie vor ungeklärt ist jedoch, inwieweit die von einem populistischen Moment profitierenden Parteien von der extremen Rechten stammen oder stammen müssen.

Meiner These zufolge besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen der Verknappung sozialer und ökonomischer Ressourcen und dem Erfolg von solchen Parteien, die den Zugang um die noch zu verteilenden Güter einschränken wollen. Arbeit, Wohnraum, soziale Dienste und Leistungen sind in nicht mehr ausreichendem Maß vorhanden, und es wird als ungerecht empfunden, diese Güter auch "gemeinschaftsfremden" Gruppen zur Verfügung zu stellen. Unter diesem speziellen Aspekt könnte man die so argumentierenden Parteien auch als Organisationen nicht-egalitärer Gerechtigkeit bezeichnen. Sind Nicht-Egalitarier aber zwingend rechtsextrem? Norberto Bobbios philosophischen Gedanken zufolge nicht. Der Unterschied zwischen Egalitarismus und Nicht-Egalitarismus ist seiner Auffassung nach keine Frage extremer Positionen. Bobbio, auf der Suche nach Gründen und Bedeutungen der politischen Rechts-links-Unterscheidung, zeichnet ein in vier Teile zerlegtes Schema: extreme Linke, linke Mitte, rechte Mitte und extreme Rechte. Diese vier Segemente setzt er mit dem Gleichheits- und dem Freihheitsideal in Beziehung. Hinsichtlich des Freihheitsgedankens unterscheiden sich demnach die linke und die rechte Mitte von den jeweiligen Extremen; die Trennungslinie in Bezug auf das Gleichheitsideal aber verläuft zwischen den linken und den rechten Positionen: "Die Antithese könnte nicht größer sein: im Namen der natürlichen Gleichheit verdammt der Egalitarier die gesellschaftliche Ungleichheit; im Namen der natürlichen Ungleichheit verdammt der Nicht-Egalitarier die gesellschaftliche Gleichheit."16 Folgt man dieser Argumentation, so muß mit Blick auf die anti-egalitär argumentierenden Protestparteien festgestellt werden: 1. Ideologisch sind sie auf der politischen Rechten zu verorten. 2. Sie können dabei zur extremen Rechten zählen, sie müssen es aber nicht. Auf den Gegenstand dieser Arbeit bezogen heißt dies, daß die von einem populistischen Moment profitierenden Parteien anti-egalitär, nicht aber notwendigerweise rechtsextrem sind. Die Entscheidung, den Front National, die Lega Nord und die FPÖ zu untersuchen, muß auch auf diesem Hintergrund gesehen werden. Denn anders als die beiden Vergleichsobjekte gehört die Lega Nord nicht zum Kontext der extremen Rechten.

1.1. Forschungsstand

Der Rechtsextremismus-Begriff

Parallel zu ihren Erfolgen sind nicht nur die rechten Protestparteien forschungsrelevant geworden; ihr Aufstieg provozierte in den Sozialwissenschaften zugleich einen intensiven Streit über die "richtigen" Etikettierungen, denen in der Regel der begriffstheoretische Diskurs vorausgeht. Zur Kennzeichnung antidemokratischer, antipluralistischer, nationalistischer, rassistischer und autoritärer Einstellungen hat sich der Begriff rechtsextrem weitgehend etabliert, auch wenn er nicht eindeutig definiert und sehr umstritten ist.17 Die Kritik gilt zumeist seiner totalitarismustheoretischen Färbung sowie der im Wort mitschwingenden Differenzierung zwischen einem "normalen" Ganzen und dessen randständigem Extrem. 18 Unter einem solchen Blickwinkel könnte die Bezeichnung ihre Beziehung zu den Massenphänomenen Faschismus und Nationalsozialismus verlieren.19 Auch von methodischer Seite werden gravierende Mängel aufgezählt. Das Nicht-Vorhandensein einer institutionalisierten Rechtsextremismus-Forschung führt Richard Stöss zufolge nicht nur zu begrifflichen Unklarheiten. Diese Konfusion hat auch forschungsstrategische Konsequenzen. Seine Kritik zielt dabei auf die Autoren, die sich "in der Regel eines sehr persönlichen Forschungsdesigns (bedienen), ohne andere zur Kenntnis zu nehmen oder gar zu berücksichtigen. Daher finden auch nur in Ausnahmefällen wissenschaftliche Debatten statt."20 Das Aufeinanderbeziehen wäre umso wichtiger, als Konsens darüber besteht, "daß es sich beim Rechtsextremismus um ein mehrdimensionales Einstellungsmuster handelt", während umstritten ist, "welche Dimensionen dieses Muster einschließt".21 Damit sind nicht einfach eindeutig abgrenzbare Kategorien gemeint, die es Wolfang Kowalsky und Wolfgang Schröder zufolge per se gar nicht gibt. Sie widersprechen der Auffassung, daß sich Rechtsextremismus einfach gleichsetzen lasse mit Nationalismus, Rassismus, Autoritarismus, Xenophobie, Verfassungsantagonismus oder Antipluralismus. "Erst durch ein Denken in Zusammenhängen, das mit diesen einfachen Zuordnungen bricht, läßt sich Rechtsextremismus begreifen, und zwar indem die einzelnen Elemente miteinander in Bezug gesetzt werden, und so zu einem (Bezugs-)System verdichtet werden."22 Die beiden Sozialwissenschaftler betonen dabei die Bedeutung gesellschaftlich-sozialer Relationen und Institutionen, "die nur vermittels sozialer Akteure und ihres Handelns (existieren)". 23 Ein solches kontextuelles Denken ersetze auch die Suche nach einer spezifischen rechtsextremen Thematik, die es danach gar nicht gäbe. Vielmehr könnten Rechtsextremisten "Themen durch Herauslösung (Desartikulation) aus ihrem ursprünglichen Kontext und durch Einführung (Reartikulation) in einen rechtsextremen Kontext besetzen".24 Die Einführung neuer und die Vernachlässigung alter Thematiken scheint genau jene Schnittstelle zu sein, die Sozialwissenschaftler dazu veranlaßt, von einem modernisierten Rechtsextremismus, von der Neuen Rechten oder auch von (Rechts-)Populismus zu reden. Claus Leggewie wirft zudem die Frage auf, inwieweit "die radikale Rechte in ganz Europa auf dem Weg zu einer sozialen Bewegung eigenen Typs ist".25 Er kommt zu dem Schluß, daß die radikale (oder extreme) Rechte zur partiellen Übernahme von Ausdrucks- und Präsentationsformen jener Strömungen innerhalb der "Bewegungsgesellschaft" gezwungen ist, "die sie ideologisch, zum Teil auch gewaltförmig am meisten bekämpft".26

Rechtsextremismus und Populismus

In vielen Untersuchungen steht der Modernisierungsaspekt der extremen Rechten im Mittelpunkt. 27 Gleichwohl ist es innerhalb der Sozialwissenschaften noch umstritten, ob die extreme Rechte sich den realgesellschaftlichen Wandlungen lediglich anpaßt oder auch einen ideologischen Modernisierungsprozeß durchmacht, der neue Begrifflichkeiten erfordert.

Dagegen ist die eigentliche Populismus-Forschung kein aktuelles sozialwissenschaftliches Gebiet. Die bis in die 60er Jahre zurückreichenden Überlegungen zu Populismus, seiner Qualität, zu Merkmalen und Intentionen galten vielfach historischen Phänomenen wie etwa der US-amerikanischen People's Party oder der russischen Volkstümlerbewegung. 28 Aber auch andere Strömungen in Südosteuropa oder Lateinamerika wurden unter dem forschungsleitenden Begriff Populismus analysiert, wobei die jüngsten Impulse ebenfalls aus diesen geographischen Zusammenhängen stammen.29 Für den westeuropäischen Kontext liegen einige modernisierungstheoretische Analysen vor, mit deren Hilfe sich der Erfolg von modernen rechtsorientierten Protestparteien erklären läßt.30 Wichtige Ursachen für den Erfolg dieser Parteien ergeben sich danach aus dem sozio-strukturellen und dem sozio-ökonomischen Wandel der Gesellschaft und den damit verbundenen Zäsuren. Diesen Beiträgen stehen zahlreiche komparative Analysen gegenüber, in denen die erfolgreichen Protestparteien im Mittelpunkt stehen. Die politischen Standorte der oft gleichen Untersuchungsobjekte werden mit Begriffen wie extremistisch, (rechts- oder national-)populistisch, rechtsradikal und rechtsextrem markiert.31 Wo mit dem Stichwort Populismus gearbeitet wird, zeigt sich erneut die Schwierigkeit einer forschungsleitenden Instrumentalisierung des Begriffs. In der Regel orientieren sich die Untersuchungen nicht an einer der älteren Populismus-Theorien; mitunter sogar nur an lexikalischen oder alltagswissenschaftlichen Begriffsausdeutungen.32

Andere Analysen referieren einen mehr oder minder großen Ausschnitt des theoretischen Bestands, ohne zu erkennen zu geben, welcher Interpretation der höchste Erklärungswert zugebilligt wird. 33 Die sich daran anschließenden Untersuchungen von als populistisch bezeichneten Strömungen bleiben daher ohne erkennbaren Bezug zu den vorangestellten theoretischen Überlegungen.34

Unabhängig von der definitorischen Grundlage lassen sich auf der komparativen Ebene Defizite feststellen. In einigen Publikationen werden die Forschungsobjekte lediglich nebeneinander bzw. hintereinander gestellt. Zudem wird in ihnen auf einheitliche Fragestellungen verzichtet. Ein qualifizierter Vergleich ist damit nicht möglich. Forschungstechnische Probleme dieses Typs finden sich vor allem dort, wo das Wissen verschiedener Experten zusammengetragen wird. 35

Konklusiv kann festgestellt werden, daß viele Analysen über moderne rechte Protestparteien vorliegen. Sie werden unter verschiedene forschungsleitende oder lediglich kennzeichnende Begriffe gefaßt und häufig komparativ untersucht. Populismus als eigenständiges Phänomen im Zusammenhang mit rechtsorientierten oder rechtsextremen (Protest-) Parteien in Westeuropa ist dagegen ein neues und bislang wenig entwickeltes Forschungsgebiet. Wer sich damit beschäftigen will, muß die Erkenntnisse der älteren Populismus-Forschung berücksichtigen und prüfen, welche theoretischen Anhaltspunkte sich daraus für eine Analyse ergeben.
 
 

1.2. Forschungsziel

Mit dieser Arbeit wird das Ziel verfolgt, einen schlüssigen Zusammenhang zwischen Populismus und rechten Protestparteien herzustellen. Dabei wird auf die Populismus-Literatur zurückgegriffen, um auf deren Basis ein theoretisches Populismus-Konzept zu entwickeln. Dieses Konzept wird auf die ebenfalls aus der Sekundärliteratur stammenden Erkenntnisse über die hier relevanten Parteien sowie über die sozio-ökonomischen und politischen Entwicklungen Frankreichs, Italiens und Österreichs angewandt.

Im ersten Teil dieser Arbeit werden die vorhandenen Populismustheorien aus Gründen der Übersichtlichkeit systematisiert und diskutiert. Dieser Schritt dient der pointierten Darstellung der theoretischen Kontrapositionen sowie der Destillation von dennoch vorhandenen Gemeinsamkeiten. Im Anschluß daran wird das Populismus-Konzept entwickelt, mit dessen Hilfe der Erfolg der hier relevanten Parteien erklärt werden soll. Innerhalb dieses zweiten Komplexes werden mehrere Schwerpunkte gesetzt. Der einleitende historische Abschnitt vermittelt einen Überblick über rechte Stammkulturen, Faschismus sowie über rechtsextreme Strömungen, die in den drei Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg von besonderer Bedeutung waren bzw. sind. Der Front National, die Lega Nord und die FPÖ stehen im Zentrum der anschließenden Kapitel. Den Eingangsbemerkungen über den Forschungsstand und den Kurzportraits ihrer Führungsfiguren folgt die Untersuchung ihrer organisationspolitischen Entwicklungsgeschichte bis zu ihrem jeweiligen elektoralen Durchbruch. Trotz politischer und ideologischer Unterschiede scheinen ihre politischen Taktiken, ihre Rhetorik und Selbstdarstellung einem ähnlichen Muster zu folgen. Auf diesem Hintergrund ist der Frage nach dem Zusammenhang zwischen den Erfolgsbedingungen der Protestparteien und ihrer Präsentation nachzugehen. Diese Analyse ist gerade wegen der organisatorischen Unterschiede bedeutsam. Denn wenn die Profile der Parteien im Zuge ihres Erfolgs ähnlicher werden, so wäre dies ein zusätzlicher Beleg für die Äquivalenz der Erfolgsbedingungen. Dabei muß untersucht werden, inwieweit der wachsende Gestaltungsspielraum dieser Parteien das Resultat gesellschaftlicher Krisen- und Modernisierungserscheinungen ist und welche Beziehung zwischen den Erfolgsursachen und dem Wandel der Organisationen selbst besteht. Dies sind die Kernfragen der weiteren Kapitel des zweiten Schwerpunktteils, in denen die Phasen des elektoralen Durchbruchs der drei Parteien, der Wandel der jeweiligen Parteiensysteme und die Modernisierungsentwicklung Frankreichs, Italiens und Österreichs untersucht werden. Um einen qualifizierten Vergleich durchführen zu können, müssen die Parteien und die gesellschaftlichen Entwicklungen mit Hilfe eines systematisch vergleichenden Rasters untersucht werden. Dies geschieht abschnittweise und unter identischen Fragestellungen, wobei der Vergleich in den jeweils anschließenden Diskussionskapiteln vorgenommen wird.


Inhalt
Kap. 1
Kap. 2
Kap. 3
Kap. 4
Kap. 5
Kap. 6
Kap. 7
Kap. 8
Kap. 9
Kap. 10
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