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Populismus ist nicht nur in Mode gekommen, er scheint auch als "Gespenst" umherzugehen, wie mitunter behauptet wird. 5 Dabei trifft die Wendung des umhergehenden Gespenstes den Kern des Problems. Denn der aus dem Althochdeutschen stammende Begriff Gespenst wird lexikalisch mit Verlockung, aber andererseits mit Trugbild übersetzt. Mit Blick auf die Verlockung ließe sich fragen, warum populistische Parteien in den letzten Jahren für viele Wähler so attraktiv geworden sind. Andererseits jedoch macht das Trugbild auf eine definitorische Schwierigkeit aufmerksam: Wer oder was ist überhaupt populistisch? Was sind originäre populistische Merkmale? Ist Populismus ein eigenständiges Phänomen oder vielleicht lediglich eine Verpackung, hinter der sich unterschiedliche Ideologien verbergen? Diese Fragen umreißen die analytischen Schwerpunkte dieser Arbeit. Denn ihr Ziel ist weder die alleinige Untersuchung der Erfolgsursachen der oben genannten Parteien noch eine isolierte Populismus-Analyse. Es soll vielmehr untersucht werden, mit Hilfe welcher Populismus-Definition der Erfolg dieser Parteien erklärt werden kann.
Was aber ist das Populistische dieses Moments? Wie immer man den Begriff Populismus auch deuten mag - ohne einen Bezug auf das "Volk" ist dieses Phänomen nicht sinnvoll zu erfassen. Dabei hat "Volk" unterschiedliche Konnotationen. Es kann verstanden werden als eine Grundgesamtheit ohne "Selbst"-Bewußtsein. An dieses Ganze kann mit einer bestimmten Handlungs- oder Mobilisierungsabsicht appelliert werden (z.B. im Rahmen eines Wahlaufrufs). Volk läßt sich hingegen auch als eine Grundgesamtheit mit "Selbst"-Bewußtsein begreifen, wobei hier überwiegend nationale und kulturelle, aber auch sozio-politische Eigenschaften relevant sind. Von einem populistischen Appell läßt sich dann sprechen, wenn als wirklich erachtete Besonderheiten eines Segments in den Mittelpunkt des Diskurses gestellt werden. Ausschlaggebend für den Erfolg dieses Appells ist, daß diese Besonderheiten so stark ausgeprägt sein oder als so stark empfunden werden müssen, daß sie innersegmentäre Interessen- und Klassengegensätze überlagern können.
Damit stellt sich die Frage, was diesen populistischen Appell so populär macht. Und warum sind es Parteien wie der Front National, die Lega Nord und die FPÖ, die in den vergangenen Jahren so erfolgreich in die nationalen Parteiensysteme eindringen konnten? Die identischen "Orte ihres Durchbruchs" und ihre starke Anbindung in den großen Industriezentren lassen ähnliche Konfliktlinien vermuten: Umbau der Industriegesellschaft, Massenarbeitslosigkeit, zunehmende Durchlässigkeit sozialer Netze, soziale Desintegration, abnehmende Kaufkraft bei hohen Mobilitäts- und Qualifikationsanforderungen. Ganze Bevölkerungsgruppen verlieren mehr oder minder schlagartig ihre Bindungen und Standorte innerhalb der diversifizierten Gesellschaft. Diese von Kränkungserfahrungen, Statusängsten und torpedierten Glückserwartungen betroffenen Gruppen fallen Helmut Dubiel zufolge "aus den etablierten Diskursen und Legitimationsmustern gleichsam" heraus und liegen eigentümlich quer "zum Spektrum politischer Richtungstraditionen".10 Demgegenüber offerieren die genannten Parteien die Vorstellung von einer Gemeinschaft mit einer definierten und finiten Anzahl von Mitgliedern (natürliche Insider), die in ihren Rechten von deklarierten Outsidern beeinträchtigt oder sogar bedroht wird. Diese Outsider werden für verschiedene soziale und wirtschaftliche Probleme innerhalb des Gemeinwesens verantwortlich gemacht. Aber nicht nur sie. Die Kritik gilt zugleich dem politischen System. Ihm wird aufgrund seiner repräsentativen Partikularität der Vorwurf gemacht, an den eigentlichen Interessen der Gemeinschaft vorbeizuagieren. Parteien wie der FN, die Lega und die FPÖ reklamieren dagegen für sich den Alleinvertretungsanspruch dieser Interessen. Sie präsentieren sich deshalb weder als weltanschauliche Alternative noch als parteipolitische Konkurrenz zu einer anderen Richtungspartei, sondern als Transmitter des Protests der sich in ihren Rechten verletzt fühlenden Gemeinschaft. In diesem Sinn können sie als Protestparteien bezeichnet werden.
Wenn die Ursachen ihres Durchbruchs auf vergleichbare Problemstrukturen
zurückzuführen sind, so müssen ihre thematischen Offerten
nicht nur einen Bezug dazu haben, sondern insgesamt ein ähnliches
Muster aufweisen. Um einen derartigen Zusammenhang nachzuweisen zu können,
ist eine Analyse ihrer organisatorischen und ideologischen Besonderheiten
vor und nach ihrem elektoralem Durchbruch erforderlich. Die Entscheidung,
den Front National, die Lega Nord und die FPÖ zum Gegenstand dieser
Arbeit zu machen, erweist sich dabei über die Gemeinsamkeit ihres
Erfolgs hinaus auch in dieser Hinsicht als sinnvoll. Denn zwischen diesen
Parteien bestehen wichtige Unterschiede in Bezug auf ideologische Wurzeln
und weltanschauliche Bezugssysteme, Alter, Organisationsart und Formen
der politischen Teilnahme. Dahinter verbirgt sich die These, daß
ein populistischer Moment keine "parteienstiftende Wirkung" hat. Er kommt
vielmehr bereits länger existenten Akteuren zugute, die flexibel genug
sind, die mit diesem Moment im Zusammenhang stehenden Themen in ihr inhaltliches
Repertoire zu integrieren. Wenn sie aber bereits vor einem populistischen
Moment existiert haben, können sie, zumindest bis zu ihrem Durchbruch,
nicht als populistisch bezeichnet werden.
Meiner These zufolge besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen der Verknappung sozialer und ökonomischer Ressourcen und dem Erfolg von solchen Parteien, die den Zugang um die noch zu verteilenden Güter einschränken wollen. Arbeit, Wohnraum, soziale Dienste und Leistungen sind in nicht mehr ausreichendem Maß vorhanden, und es wird als ungerecht empfunden, diese Güter auch "gemeinschaftsfremden" Gruppen zur Verfügung zu stellen. Unter diesem speziellen Aspekt könnte man die so argumentierenden Parteien auch als Organisationen nicht-egalitärer Gerechtigkeit bezeichnen. Sind Nicht-Egalitarier aber zwingend rechtsextrem? Norberto Bobbios philosophischen Gedanken zufolge nicht. Der Unterschied zwischen Egalitarismus und Nicht-Egalitarismus ist seiner Auffassung nach keine Frage extremer Positionen. Bobbio, auf der Suche nach Gründen und Bedeutungen der politischen Rechts-links-Unterscheidung, zeichnet ein in vier Teile zerlegtes Schema: extreme Linke, linke Mitte, rechte Mitte und extreme Rechte. Diese vier Segemente setzt er mit dem Gleichheits- und dem Freihheitsideal in Beziehung. Hinsichtlich des Freihheitsgedankens unterscheiden sich demnach die linke und die rechte Mitte von den jeweiligen Extremen; die Trennungslinie in Bezug auf das Gleichheitsideal aber verläuft zwischen den linken und den rechten Positionen: "Die Antithese könnte nicht größer sein: im Namen der natürlichen Gleichheit verdammt der Egalitarier die gesellschaftliche Ungleichheit; im Namen der natürlichen Ungleichheit verdammt der Nicht-Egalitarier die gesellschaftliche Gleichheit."16 Folgt man dieser Argumentation, so muß mit Blick auf die anti-egalitär argumentierenden Protestparteien festgestellt werden: 1. Ideologisch sind sie auf der politischen Rechten zu verorten. 2. Sie können dabei zur extremen Rechten zählen, sie müssen es aber nicht. Auf den Gegenstand dieser Arbeit bezogen heißt dies, daß die von einem populistischen Moment profitierenden Parteien anti-egalitär, nicht aber notwendigerweise rechtsextrem sind. Die Entscheidung, den Front National, die Lega Nord und die FPÖ zu untersuchen, muß auch auf diesem Hintergrund gesehen werden. Denn anders als die beiden Vergleichsobjekte gehört die Lega Nord nicht zum Kontext der extremen Rechten.
Dagegen ist die eigentliche Populismus-Forschung kein aktuelles sozialwissenschaftliches Gebiet. Die bis in die 60er Jahre zurückreichenden Überlegungen zu Populismus, seiner Qualität, zu Merkmalen und Intentionen galten vielfach historischen Phänomenen wie etwa der US-amerikanischen People's Party oder der russischen Volkstümlerbewegung. 28 Aber auch andere Strömungen in Südosteuropa oder Lateinamerika wurden unter dem forschungsleitenden Begriff Populismus analysiert, wobei die jüngsten Impulse ebenfalls aus diesen geographischen Zusammenhängen stammen.29 Für den westeuropäischen Kontext liegen einige modernisierungstheoretische Analysen vor, mit deren Hilfe sich der Erfolg von modernen rechtsorientierten Protestparteien erklären läßt.30 Wichtige Ursachen für den Erfolg dieser Parteien ergeben sich danach aus dem sozio-strukturellen und dem sozio-ökonomischen Wandel der Gesellschaft und den damit verbundenen Zäsuren. Diesen Beiträgen stehen zahlreiche komparative Analysen gegenüber, in denen die erfolgreichen Protestparteien im Mittelpunkt stehen. Die politischen Standorte der oft gleichen Untersuchungsobjekte werden mit Begriffen wie extremistisch, (rechts- oder national-)populistisch, rechtsradikal und rechtsextrem markiert.31 Wo mit dem Stichwort Populismus gearbeitet wird, zeigt sich erneut die Schwierigkeit einer forschungsleitenden Instrumentalisierung des Begriffs. In der Regel orientieren sich die Untersuchungen nicht an einer der älteren Populismus-Theorien; mitunter sogar nur an lexikalischen oder alltagswissenschaftlichen Begriffsausdeutungen.32
Andere Analysen referieren einen mehr oder minder großen Ausschnitt des theoretischen Bestands, ohne zu erkennen zu geben, welcher Interpretation der höchste Erklärungswert zugebilligt wird. 33 Die sich daran anschließenden Untersuchungen von als populistisch bezeichneten Strömungen bleiben daher ohne erkennbaren Bezug zu den vorangestellten theoretischen Überlegungen.34
Unabhängig von der definitorischen Grundlage lassen sich auf der komparativen Ebene Defizite feststellen. In einigen Publikationen werden die Forschungsobjekte lediglich nebeneinander bzw. hintereinander gestellt. Zudem wird in ihnen auf einheitliche Fragestellungen verzichtet. Ein qualifizierter Vergleich ist damit nicht möglich. Forschungstechnische Probleme dieses Typs finden sich vor allem dort, wo das Wissen verschiedener Experten zusammengetragen wird. 35
Konklusiv kann festgestellt werden, daß viele Analysen über
moderne rechte Protestparteien vorliegen. Sie werden unter verschiedene
forschungsleitende oder lediglich kennzeichnende Begriffe gefaßt
und häufig komparativ untersucht. Populismus als eigenständiges
Phänomen im Zusammenhang mit rechtsorientierten oder rechtsextremen
(Protest-) Parteien in Westeuropa ist dagegen ein neues und bislang wenig
entwickeltes Forschungsgebiet. Wer sich damit beschäftigen will, muß
die Erkenntnisse der älteren Populismus-Forschung berücksichtigen
und prüfen, welche theoretischen Anhaltspunkte sich daraus für
eine Analyse ergeben.
Im ersten Teil dieser Arbeit werden die vorhandenen Populismustheorien aus Gründen der Übersichtlichkeit systematisiert und diskutiert. Dieser Schritt dient der pointierten Darstellung der theoretischen Kontrapositionen sowie der Destillation von dennoch vorhandenen Gemeinsamkeiten. Im Anschluß daran wird das Populismus-Konzept entwickelt, mit dessen Hilfe der Erfolg der hier relevanten Parteien erklärt werden soll. Innerhalb dieses zweiten Komplexes werden mehrere Schwerpunkte gesetzt. Der einleitende historische Abschnitt vermittelt einen Überblick über rechte Stammkulturen, Faschismus sowie über rechtsextreme Strömungen, die in den drei Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg von besonderer Bedeutung waren bzw. sind. Der Front National, die Lega Nord und die FPÖ stehen im Zentrum der anschließenden Kapitel. Den Eingangsbemerkungen über den Forschungsstand und den Kurzportraits ihrer Führungsfiguren folgt die Untersuchung ihrer organisationspolitischen Entwicklungsgeschichte bis zu ihrem jeweiligen elektoralen Durchbruch. Trotz politischer und ideologischer Unterschiede scheinen ihre politischen Taktiken, ihre Rhetorik und Selbstdarstellung einem ähnlichen Muster zu folgen. Auf diesem Hintergrund ist der Frage nach dem Zusammenhang zwischen den Erfolgsbedingungen der Protestparteien und ihrer Präsentation nachzugehen. Diese Analyse ist gerade wegen der organisatorischen Unterschiede bedeutsam. Denn wenn die Profile der Parteien im Zuge ihres Erfolgs ähnlicher werden, so wäre dies ein zusätzlicher Beleg für die Äquivalenz der Erfolgsbedingungen. Dabei muß untersucht werden, inwieweit der wachsende Gestaltungsspielraum dieser Parteien das Resultat gesellschaftlicher Krisen- und Modernisierungserscheinungen ist und welche Beziehung zwischen den Erfolgsursachen und dem Wandel der Organisationen selbst besteht. Dies sind die Kernfragen der weiteren Kapitel des zweiten Schwerpunktteils, in denen die Phasen des elektoralen Durchbruchs der drei Parteien, der Wandel der jeweiligen Parteiensysteme und die Modernisierungsentwicklung Frankreichs, Italiens und Österreichs untersucht werden. Um einen qualifizierten Vergleich durchführen zu können, müssen die Parteien und die gesellschaftlichen Entwicklungen mit Hilfe eines systematisch vergleichenden Rasters untersucht werden. Dies geschieht abschnittweise und unter identischen Fragestellungen, wobei der Vergleich in den jeweils anschließenden Diskussionskapiteln vorgenommen wird.
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