Stephanie Frahn: Einfluß der Stoffzustände des Quellmittels auf das Quellverhalten von chemisch vernetzten Polymeren in Lösemitteln

Inhalt
Kap. 1
Kap. 2
Kap. 3
Kap. 4
Kap. 5
Kap. 6
Kap. 7
Kap. 8
Kap. 9
Anhang
Literaturverzeichnis
  • 1.Einleitung
  • In den letzten Jahren haben Polymer/Wasser Systeme in Form von Gelen zunehmend Verwendung in verschiedenen industriellen Sektoren gefunden. Diese wassersensitiven, das heißt in Wasser löslichen und/oder quellbaren, Systeme sind zum Beispiel wichtige Intermediate in der Fabrikation von Polymeren wie Leimen (Kleber), Filmen und Membranen. Sie werden unter anderem als Absorber in Inkontinenz-Produkten, für die Aufbereitung von Trinkwasser, in der Chromatographie und der Elektrophorese eingesetzt. Auch in der plastischen Chirurgie finden Polymer/Wasser Systeme Verwendung. Sie werden dort als Implantate, künstliche Linsen oder weiche Kontaktlinsen genutzt.

    Ein wichtiger Werkstoff der zu diesen wassersensitiven Polymeren gehört, sind auf Polyethylenglykol basierende Polyurethane. Da diese neben vielfältigen anderen Einsatzgebieten auch in biomedizinischen Anwendungen eingesetzt werden, ist ihr Quellverhalten in wäßrigen Medien von besonderem Interesse.

    Aufgrund dieser vielfältigen Einsatzgebiete ist nicht nur die Darstellung von "maßgeschneiderten", das heißt auf eine spezielle Anwendung hin synthetisierten, Polymerwerkstoffen von Interesse. Ebenso wichtig ist die Kenntnis der physikalischen und thermodynamischen Eigenschaften dieser Polymeren.

    Bei den in der vorliegenden Arbeit untersuchten Netzwerken handelt es sich um chemisch vernetzte und gequollene Polyurethane, die als Modellnetzwerke synthetisiert worden sind. Die thermodynamischen Eigenschaften dieser Netzwerke sollen durch temperaturabhängige Untersuchungen ihres Quellverhaltens in Wasser sowie in zwei flüssig-kristallinen Substanzen, Ölsäure und Octadecansäuremethylester, bestimmt werden. Auch soll ihr Entquellverhalten in einer Polymerlösung in Abhängigkeit von der Temperatur untersucht werden.

    Das Hauptgewicht liegt hierbei auf der mathematischen Beschreibung der experimentell bestimmten Quellungskurven. Aus der Theorie der Quellung sind sowohl für den Phasenübergang kristallin-flüssig als auch flüssig-dampfförmig des Quellmittels Diskontinuitäten in der Steigung der Quellungskurve vorhergesagt worden [1,2]. Diese Diskontinuität im Verlauf der Quellungskurve bei einem Unterschreiten der Schmelztemperatur des verwendeten Quellmittels ist für das System Polyurethan/Wasser bewiesen worden [3,4]. Bisher liegen aber weder Ergebnisse zu dem Verlauf der Quellungskurve bei sehr tiefen Temperaturen vor, noch ist eine gemeinsame mathematische Beschreibung der Quellungskurve im flüssigen und kristallinen Existenzbereich des Quellmittels in der Literatur bekannt.

    Im Laufe der vorliegenden Abhandlung wird für polymere Ethylenoxid-Proben, sowohl die Bezeichnung Polyethylenoxid als auch Polyethylenglykol verwendet. Da bei den niedrigmolekularen Verbindungen, deren Zahlenmittelwert der molaren Masse kleiner als 20000 gmol
    -1 ist, an beiden Molekülenden Hydroxygruppen vorliegen, werden sie als Polyethylenglykole bezeichnet. Moleküle mit höherer Molmasse können neben Hydroxy- auch Alkenyl- oder Vinylgruppierungen als Endgruppen aufweisen. Deshalb werden diese Polymeren als Polyethylenoxide bezeichnet [5].

     

     

  • 2. Netzwerke
  • 2.1.Was ist ein Netzwerk?
  • Im Sinne der Chemie sind Netze bzw. Netzwerke zwei oder dreidimensionale Systeme von untereinander über Knotenpunkte verknüpften makromolekularen Ketten. Prinzipiell können alle chemischen oder physikalischen Bindungen vernetzend wirken, wobei nach der Art der Bindung zwischen chemisch bzw. physikalisch vernetzten Polymeren unterschieden wird.

    Die mechanischen Eigenschaften eines Netzwerks hängen kaum von der Natur der Bindung ab. Vielmehr werden sie durch die Zahl und die Verteilung der Knotenpunkte pro Volumeneinheit des Netzwerks, den sogenannten Vernetzungsgrad, beeinflußt. Die rheologischen und thermischen Eigenschaften eines Netzwerks werden hingegen, außer von der Homogenität der Vernetzung, auch von der Natur der Bindungen bestimmt.

    a) Chemisch vernetzte Polymernetzwerke:

    Netzwerke dieser Art entstehen durch chemische Reaktionen, wie z. B. eine radikalische Polymerisation oder eine Kondensationspolymerisation, durch die Ausbildung von kovalenten Bindungen.

    Abb.(2.1): Zweidimensionaler, schematischer Ausschnitt eines tetrafunktionalen, chemisch verknüpften Netzwerks.

    Abb.(2.1) zeigt einen schematischen, zweidimensionalen Ausschnitt eines solchen Netzwerks. Die Knotenpunkte des gezeigten Netzes sind tetrafunktionell. Damit ist gemeint, daß von jedem Knotenpunkt vier Polymerketten ausgehen, die wiederum zu Knotenpunkten der Funktionalität f=4 führen.

    Allgemein müssen die Verknüpfungsstellen eines Netzwerks, unabhänigig von der Art der Verknüpfung, eine mittlere Funktionalität f > 2 aufweisen, damit eine Vernetzung der Polymerketten vorliegt. Liegt die Funktionalität der Knotenpunkte bei f = 2, werden in einer Verknüpfungsreaktion lineare Ketten gebildet. Kennzeichen chemisch verknüpfter Netzwerke ist ihre Stabilität gegenüber Lösemittel und Temperatur, weshalb sie auch als "irreversible" Netzwerke bezeichnet werden. Bei erhöhten Temperaturen zeigen solche Netzwerke öfter das Verhalten weicher aber elastischer Feststoffe als das viskoser Flüssigkeiten [6]. Hierfür ist vulkanisierter Kautschuk das bekannteste Beispiel.

    b) Physikalisch vernetzte Polymernetzwerke:

    Bei den über physikalische Bindungen verknüpften Netzwerken handelt es sich im allgemeinen um sogenannte thermoreversible Gele. In Abhängigkeit von der Temperatur oder auch der Menge zugefügtem Lösemittel erfolgt bei diesen Polymer/Lösemittel Systemen ein reversibler Gel-Sol-Übergang [7-11].

    Abb.(2.2): Schematische Darstellung der Bildung eines Netzwerks durch a) Verschlaufungen, b) kristalline Bereiche und c) Ausbildung von glasigen Bereichen [12].

    Beispiele für physikalische Bindungen, die zu einer Vernetzung führen, sind in Abb.(2.2) dargestellt []. Prinzipiell können durch die folgenden Möglichkeiten physikalische Netzwerke entstehen:

  • 2.2. Beurteilung der Homogenität eines Netzwerks: Netzwerkdefekte
  • Ziel einer Synthese von Netzwerken, deren physikalischen Eigenschaften untersucht werden sollen, ist die Herstellung von idealen Netzwerken. Die Bedingungen, die ein solches Netzwerk erfüllen muß, sind von Rempp et al. in der folgenden Weise formuliert worden [14]:

    Eine elastisch aktive Kette muß mit beiden Enden an verschiedene Knotenpunkte gebunden sein. Außerdem sollen die Polymerketten zwischen zwei Knotenpunkten im Idealfall alle die gleiche Molmasse aufweisen.

    Eine Beurteilung eines Netzwerks hinsichtlich seiner Homogenität erfolgt über die Feststellung seiner makroskopischen und mikroskopischen Eigenschaften.

    Ein makroskopisches Kriterium ist die optische Transparenz eines Netzwerks. Wird beim Einstrahlen eines Laserstrahls in das Netzwerk weder Ablenkung noch Aufweitung des Strahls beobachtet, kann man davon ausgehen, daß keine Streuzentren existieren, das Netzwerk somit homogen ist. Die Streuzentren, die bei dieser Überprüfung festgestellt werden können, liegen in der Größenordnung l /20, wobei l die Wellenlänge des benutzten Lasers bezeichnet [15].

    Ein weiteres Kriterium für die makroskopische Homogenität eines Netzwerks sind die löslichen Anteile [14,16-27]. Diese sind Moleküle, die während der Synthese nicht in das Netzwerk eingebaut worden sind und mit geeigneten Lösemitteln aus dem Netzwerk extrahiert werden können. Als lösliche Anteile findet man lineare oder verzweigte Polymere, d. h. Edukte oder auch reagierte Moleküle, die nicht mit dem Netzwerk verbunden sind. Anhand der extrahierbaren Ketten ist eine Aussage über den Verlauf der Netzwerksynthese möglich. Ein geringer Anteil solcher Moleküle weist auf eine fast stöchiometrisch verlaufene Synthese hin. Das Netzwerk wird als weitgehend homogen angenommen. Problematisch ist bei dieser Beurteilung allerdings, daß sich bei der statistisch ablaufenden Synthese Zwischenprodukte mit relativ großer molarer Masse bilden können, die nicht in das Gesamtnetzwerk eingebaut sind. Diese Moleküle können so groß sein, daß sie nicht extrahiert werden können. Sie beeinträchtigen somit die Homogenität des Netzwerks.

    Für die Beurteilung der mikroskopischen Homogenität eines Netzwerks werden die Vernetzungsdichte, die molare Masse der Netzwerkketten und die mittlere Funktionalität eines Knotenpunktes im Netzwerk herangezogen. Unter der Vernetzungsdichte n versteht man die Anzahl der Netzwerkketten pro Volumeneinheit des lösemittelfreien Polymers. Die mittlere Funktionalität eines Knotenpunktes bezeichnet die Zahl der effektiven oder elastisch wirksamen Ketten, die im Mittel von einem Knotenpunkt ausgehen. Auch hier muß zwischen der chemischen und physikalischen Funktionalität unterschieden werden. Bei der chemischen Funktionalität handelt es sich um die Anzahl der funktionellen Gruppen die ein Molekül trägt. Sie unterscheidet sich von der physikalischen, da davon ausgegangen werden muß, daß während der Netzwerksynthese nicht unbedingt alle funktionellen Gruppen eines Moleküls reagieren.

    Im gleichen Maße, wie die Synthese eines Netzwerks statistisch verläuft, können Fehler in der Netzwerkstruktur, sogenannte Netzwerkdefekte, während der Synthese ausgebildet werden. Bedingungen, die das Entstehen von Netzwerkdefekten begünstigen, sind z. B. unterschiedliche Reaktivitäten funktioneller Gruppen oder Monomerer, Vorordnungen der Monomeren im unvernetzten Zustand, Inhomogenitäten durch Verdünnungseffekte, oder auch Entmischung durch diffusionskontrollierte Reaktivität von Monomeren [28].

    Abb.(2.4): Schematische Darstellung von Netzwerkdefekten, die in chemischen Netzwerken auftreten können. Es handelt sich hierbei um a) Verschlaufungen, b) lose Kettenenden und c) Catenan-Bildung. Die mit einem Pfeil gekennzeichneten Kettenenden führen weiter in das Netzwerk.

    Als Netzwerkdefekte müssen im Fall eines chemischen Netzwerks z. B. nichtreagierte funktionelle Gruppen, lose Kettenenden, Verschlingungen von Kettenteilen, Catenan-Bildung oder das Vorliegen von physikalisch vernetzten Bereichen betrachtet werden. Unter einer Catenan-Bildung versteht man die Ausbildung von Ringen, d. h. eine Kette ist mit beiden Enden an den selben Knotenpunkt gebunden. Zusätzlich kann noch eine Verschlingung dieser Ringe ineinander auftreten.

    Das Vorhandensein von nichtreagierten funktionellen Gruppen reduziert die Vernetzungsdichte. Lose Kettenenden reduzieren die Zahl elastisch aktiver Netzwerkketten.

  • 2.3. Was ist ein Gel?
  • Als Gel bezeichnet man allgemein ein chemisch oder physikalisch verknüpftes Polymernetzwerk, welches in einem Medium in beliebigem Stoffzustand gequollen ist. Es besteht also aus mindestens zwei Komponenten, die mehr oder weniger kontinuierlich im Volumen verteilt sind [29].

    Durch die Natur der Verknüpfungspunkte, die in einem Netzwerk vorliegen, wird unterschiedliches Quellverhalten der Gele beobachtet:

    Kennzeichen für den Gelzustand eines chemisch verknüpften Netzwerks ist die Beibehaltung der äußeren Form des Netzwerks sowie die Eigenschaft der Gummielastizität. Physikalisch betrachtet besitzt ein Gel sowohl elastische als auch viskose Eigenschaften, das heißt es ist viskoelastisch [12]. Der Gelzustand wird auch bei glasig erstarrten Netzwerken unterhalb ihrer Glastemperatur mit einem geeigneten Quellmittel gebildet [13,30] .

  • 3. Polyurethane
  • Polyurethan ist der Sammelbegriff für eine Gruppe von Polymeren, die sehr unterschiedlich in ihrer Zusammensetzung und daraus resultierend in ihren Eigenschaften sein können. Der Name Polyurethan leitet sich vom "kleinsten" Vertreter dieser Klasse, dem Ethylcarbamat ab, welches auch als Urethan bezeichnet wird. Das gemeinsame Bauprinzip dieser Polymere ist die Urethan-Bindung. Sie wird im allgemeinen durch eine einfache Additionsreaktion zwischen einer Alkohol- und einer Isocyanatgruppe gebildet. Diese Reaktion ist bereits seit 1849 bekannt und wurde von Wurtz publiziert. Die auf dieser einfachen Synthese beruhende Polymerchemie, welche 1937 von Otto Bayer entwickelt wurde, ist die Ausweitung der Additionsreaktion auf die Umsetzung von di- und polyfunktionalen Isocyanaten mit Hydroxyverbindungen [31,32]. In Abhängigkeit von der Funktionalität der eingesetzten Isocyanate bzw. Hydroxyverbindungen resultieren lineare, verzweigte oder vernetzte Polyurethane.

    Technisch wichtige Polymere dieser Klasse weisen oftmals nur in einem geringen Maß die charakteristische Urethangruppierung auf. In den meisten Fällen verbindet sie Polyalkylether und/oder Polyethersequenzen mit molaren Massen zwischen 200 und 6000 g/mol. Als polyfunktionale Isocyanate werden aromatische, aliphatische, cycloaliphatische oder polycyclische Strukturen eingesetzt. Die Gruppe der Polyurethane beinhaltet aber auch Kunststoffe, die aus Polyisocyanaten bestehen. Sie weisen Harnstoff-, Isocyanurat- oder Carbodiimidgruppen als charakteristische Struktureinheit auf. Als Polyurethan wird im allgemeinen das voll durchreagierte, fertige Produkt bezeichnet, welches frei von Monomeren sowie bioverfügbaren Isocyanaten ist [33].

  • 3.1. Eigenschaften und Einsatzgebiete der Polyurethane
  • Sowohl die Eigenschaften als auch die technischen Einsatzgebiete der Polyurethane korrelieren mit ihren Strukturmerkmalen. Während lineare Produkte als Elastomere Verwendung finden, werden, in Abhängigkeit von der Dichte der Knotenpunkte, verzweigte Polyurethane als flexible bzw. feste Schäume und auch als Oberflächenbeschichtungen eingesetzt. Außerdem zeigen Polyurethane gute Klebeeigenschaften. Tab.(3.1) zeigt einen Ausschnitt der möglichen Einsatzgebiete der Polyurethane und ihre Korrelation mit den Strukturmerkmalen.

    Tab.(3.1): Übersicht über einige gängige Einsatzgebiete der Polyurethane und die Korrelation mit ihren Strukturmerkmalen.

    Struktur-merkmale

    PUR-Typen

    Anwendungsgebiete

    linear

    Thermoplaste
    Elastomere

    PUR-Kautschuk

    Gießelastomere
    • hochwertige Chemiewerkstoffe für Konstruktionsteile
    • präzise Fromteile aus elastischem Material; z.B. elastische Elemente in der Ölhydraulik, Seilzugdurchführungen
    • allg. Maschinenbau (z.B. Membranen Hydraulikdichtungen,)
    • Fahrzeugbau (Gleitbuchsen)
    • Verschleiß- und Korrosionsschutz
    • Schalldämmung

    leicht verzweigt

    flexible und semiflexible Schäume

    • Polster, Matratzen, Autositze
    • Dichtungs- und Filtermaterial in Belüftungssystemen
    • Verpackungsmaterial
    • Wärmedämmung

    verzweigt

    Beschichtungen
    • poröse Materialien und Kunstleder
    • Textilausrüstung (additive Filzausrüstung von Artikeln aus Wolle und Wollmischungen)
    • Lederausrüstung (Schutz gegen Feuchtigkeit und Verschmutzung; Farb-, Glanz- bzw. Matteffekte)
    • hochglänzende, abriebfeste Papier- und Kartonbeschichtungen
    • Lebensmittelverpackungspapier und
      -kartons

    stark verzweigt

    feste Schäume

    (Hartschaumstoffe)
    • Hauptanwendung ist die Wärme- und Kälteisolierung
    Die Struktur der Polyurethane hängt von der Struktur der Edukte ab. Durch eine entsprechende Auswahl der Edukte können Polyurethane mit definierten Strukturmerkmalen synthetisiert werden. Anders ausgedrückt heißt das, daß für spezielle Anwendungen maßgeschneiderte Werkstoffe mit einstellbaren Eigenschaften zugänglich sind. Dieses ist zum Beispiel durch ein gezieltes Einsetzen von Blockcopolymeren in ein Polyurethan möglich. Werden Polymere mit sehr flexiblen Ketten verwendet, resultieren Polyurethane mit Weichsegmenten. Sogenannte Hartsegmente werden durch den Einbau von kurzkettigen, unflexiblen Polymeren erhalten [34,35].

    Als wichtigste physikalische Eigenschaften der Polyurethane sind ihre Gummielastizität, ihre gute Temperaturbeständigkeit (Hartschaumstoffe: -200°C bis +130°C), ihre Stabilität gegenüber Chemikalien, wie verdünnte Säuren und Basen, oder auch, im voll durchreagierten Produkt, ihre überwiegend physiologische Unbedenklichkeit zu nennen. Aufgrund dieser letzten Eigenschaft werden sie z. B. als Beschichtungen von Lebensmittelpapier oder -kartons verwendet. Außerdem haben sie Bedeutung in biomedizinischen Anwendungen erlangt. So werden sie heute für Implantate, wie zum Beispiel künstliche Herzklappen oder Herzkammern verwendet [36]. Bei diesem Einsatz von Polyurethanen im lebenden Organismus müssen kanzerogene, toxische sowie mutagene Wirkungen ausgeschlossen werden können. Außerdem darf kein Abbau der Implantate innerhalb des bzw. durch den Organismus erfolgen und es muß eine gute Blutverträglichkeit vorliegen [37].

  • 3.2. Bildungsreaktionen
  • Die eigentliche Reaktion, die zu der Entwicklung der Polyurethane führte, ist die Umsetzung eines Alkohols mit einem Isocyanat zum Urethan. Hierbei handelt es sich um eine einfache unter Wasserstoffverschiebung verlaufende Additionsreaktion [38].

    Isocyanat Alkohol Urethan

    Aufgrund ihrer hohen Reaktivität gehen die Isocyanate noch eine Reihe von weiteren Reaktionen ein, die allgemein in zwei Klassen unterteilt werden können [38].

     

    Tab.(3.2): Zusammenfassung der Additionsreaktionen, die Isocyanate eingehen.

    Reaktion der Isocyanate mit

    Produkte

    primären Aminen

    disubstiuierter Harnstoff

    sekundären Aminen

    trisubstituierter Harnstoff

    Carbonsäuren

    Amide

    Wasser

    instabile Carbaminsäure; zerfällt in Kohlendioxid und Amin

    Urethanen

    Allophanate; bei terminalen NCO-Gruppen vernetzte Strukturen

    Harnstoff

    Biuret; vernetzte Strukturen

    Amiden

    Acylharnstoffe

    Tab.(3.3): Selbstadditionen der Isocyanate in Gegenwart von Katalysatoren, wie Aminen, Metallalkylen, Carboxylat-Zwitterionen oder Hydriden.

    Dimerisierung:

    Trimerisierung:

    In der Synthese idealer Polyurethane stellen die in Tab.(3.2) zusammengefaßten Reaktionen der Isocyanate unerwünschte Nebenreaktionen dar. Sie führen zu Verbindungen, die dem Anspruch der Idealität des gewünschten Netzwerks nicht entsprechen. Deshalb ist es wichtig die Synthese durch geeignete Reaktionsbedingungen, Auswahl der Edukte, ihr Verhältnis zueinander sowie durch den Einsatz von Katalysatoren so zu führen, daß die Nebenreaktionen möglichst nicht auftreten.

    Weitgehende Trocknung der Edukte sowie eine Reaktionsführung unter trockenem Schutzgas ermöglichen eine Minimierung von Reaktionen mit Wasser. Durch eine Reaktionstemperatur £  333K können, wie Gnanou et al. gezeigt haben, Nebenreaktionen durch Isocyanatgruppen mit bereits gebildeten Urethangruppen verhindert werden [39]. Dieses bezieht sich insbesondere auf die Vernetzung durch Allophanatbindungen. Nicht ausgeschlossen werden können Nebenreaktionen, die auf der Selbstaddition der Isocyanate beruhen. Hierbei müssen hauptsächlich die cyclischen Trimere genannt werden, die sowohl gegenüber thermischen als auch hydrolytischen Einflüssen stabil sind [38,40].

  • 4. Flüssig-kristalline Substanzen
  • Als Mesophasen bezeichnet man allgemein Stoffe deren mikroskopischen Strukturen zwischen denen von Kristallen und denen von Flüssigkeiten bzw. amorphen Substanzen liegen. In Abhängigkeit des Ordnungstyps werden drei Arten von Mesophasen unterschieden: Flüssig-Kristalle, plastische Kristalle und Kondis-Kristalle.

    Bei den Flüssig-Kristallen handelt es sich um Substanzen, die typische Ordnungsmerkmale von Kristallen aufweisen, gleichzeitig jedoch fließen wie Flüssigkeiten. Sie bilden sich beim Abkühlen isotroper Schmelzen. Durch weiteres Abkühlen entstehen aus diesen Mesophasen völlig geordnete Kristalle oder sog. "mesomorphe Gläser", bei denen die mesomorphe Flüssigkeitsstruktur eingefroren vorliegt [28].

    Die Mesogene, d. h. die Segmente die das Auftreten der Mesophasen verursachen, können stäbchenartig (kalamitisch) oder scheibchenartig (diskotisch) sein. Sie werden aufgrund ihrer Anisotropie in mehr oder weniger geordneten, verschieden großen Bezirken gelagert. Diese sind selbst wiederum regellos angeordnet. Hierdurch werden unterschiedliche Brechungsindices parallel und rechtwinklig zur Polarisationsebene des einfallenden Lichts verursacht. Die Mesophasen sind doppelbrechend. Kalamitische Flüssig-Kristalle, d. h. durch stäbchenförmige Mesogene induzierte Flüssig-Kristalle, werden in nematische (fadenförmige), smektische (seifenartige) und cholesterische Mesophasen unterteilt.

  • 4.1. Smektische Flüssig-Kristalle
  • Den smektischen Phasen liegt ein zweidimensionaler Aufbau zugrunde, wobei die Moleküle in Schichten angeordnet sind. Da zwischen den Molekülen nur geringe Wechselwirkungskräfte bestehen, können die Schichten sich leicht gegeneinander verschieben. Dieser Effekt verursacht den seifenartigen Charakter dieser Substanzen. Mit dem hohen Ordnungszustand hängt die große Viskosität und Oberflächenspannung smektischer Phasen zusammen. Je nach Lage der Moleküle in den smektischen Schichten können bis zu acht smektische Phasen, sogenannte Texturen, unterschieden werden. Sie werden durch die Buchstaben A bis H gekennzeichnet [41]. Zwei solcher Texturen sind in Abb.(4.1) schematisch dargestellt.

    Smektisch A: Schichten parallel angeordneter, stäbchenförmiger Mesogene; die Stäbchenachsen stehen senkrecht zu den Schichtebenen [42]. Smektisch C: ähnlich der Struktur Smektisch A; die Molekülachsen sind zu den Schichtebenen geneigt [42].
    Abb.(4.1): Schematische Darstellung von zwei Arten smektischer Flüssig-Kristalle.

    Zur Identifizierung und Zuordnung smektischer Phasen können differentialthermoanalytische, polarisationsmikroskopische sowie Röntgenstrukturanalysen dienen [43-45]. Zuverlässige Aussagen liefert auch die Untersuchung von Mischbarkeitsbeziehungen in binären Systemen [46].

    Bei einer Verbindung können mehrere smektische und evtl. nematische oder cholesterische Phasen auftreten, die voneinander durch thermodynamisch definierte Umwandlungspunkte getrennt sind. Dieses Phänomen wird als Polymorphie bezeichnet. Beim Überschreiten des sogenannten Klärpunktes verlieren die flüssig-kristallinen Phasen ihre charakteristische Trübung. Der Klärpunkt bezeichnet die Temperatur bei der die flüssig-kristalline Substanz in eine isotrope Flüssigkeit übergeht. Bei allen polymorphen flüssigen Kristallen treten die smektischen Phasen stets bei tieferen Temperaturen als die nematische oder die cholesterische Phase auf. Alle Phasenumwandlungen verlaufen reversibel. Die entsprechenden Umwandlungstemperaturen stellen Stoffkonstanten dar.

  • 4.2. Nematische Flüssig-Kristalle
  • Strukturmerkmal der nematischen Phasen ist eine Parallelorientierung der Moleküllängsachsen. Im Gegensatz zu den smektischen Phasen sind die nematischen Phasen lediglich eindimensional geordnet. Die Schwerpunkte der Teilchen sind statistisch verteilt. Den Molekülen fehlt die laterale Kohäsion, so daß es nicht zu einem schichtenförmigen Aufbau kommt. Die Moleküle können frei aneinander vorbeigleiten. Nematische Phasen sind daher sehr viel dünnflüssiger als smektische. In Molekülen, die flüssig-kristalline Phasen dieses Typs bilden, können die Mesogene sowohl in der Hauptkette als auch in den Seitenketten des Polymers angeordnet sein [42].

    Abb.(4.2): Strukturmodell der nematischen Phase: Parallelorientierung der Moleküllängsachsen, die Molekülschwerpunkte sind statistisch verteilt.

    Eine ideale Parallelordnung aller Moleküle einer nematischen Phase kann nur unter Einwirkung zusätzlicher Kräfte, wie zum Beispiel magnetischer oder elektrischer Felder, erreicht werden. In realen nematischen Flüssigkeiten ändert sich dagegen die Vorzugsrichtung kontinuierlich. Im Gegensatz zu den cholesterischen flüssigen Kristallen ist der Winkel, um den sich die Vorzugsrichtung von Ort zu Ort ändert, nicht definiert. Das Ausmaß der Parallelorientierung wird durch den Ordnungsgrad S charakterisiert, einem Zahlenwert zwischen Null für die ungeordnete isotrope und Eins für die ideal geordnete nematische Phase.

    Abb.(4.3): Orientierung der Moleküle in dünnen nematischen Schichten [42]:

    A) homöotrope oder senkrechte Orientierung

    B) homogene oder parallele Orientierung

    Einheitlich orientierte nematische Präparate (S=1) sind optisch und dielektrisch einachsig, wobei die Symmetrieachse parallel zur Molekülachse verläuft. Die Moleküllängsachse ist bei nematischen Flüssig-Kristallen zugleich die Richtung der größten Polarisierbarkeit des Moleküls. Man beobachtet stets Doppelbrechung.

    In dünnen nematischen Schichten können sich die Moleküle nematischer Phasen mit ihren Längsachsen entweder parallel (homogene Orientierung) oder senkrecht (homöotrope Orientierung) zu den Grenzflächen einstellen. Die Anordnung der Moleküle an den Grenzschichten überträgt sich durch Dispersionswechselwirkungen auf die inneren Moleküle.

  • 4.3. Cholesterische Flüssig-Kristalle
  • Der Aufbau der cholesterischen Phasen ist eng verwandt mit dem der nematischen Flüssig-Kristalle. Bei beiden sind die Moleküllängsachsen parallel zueinander angeordnet. Diese Vorzugsrichtung ändert sich in cholesterischen Phasen jedoch von Ort zu Ort in regelmäßiger Weise. Wie Abb.(4.4) zeigt, herrscht innerhalb einer einzelnen Schicht eine einheitliche Vorzugsrichtung, die gegenüber derjenigen in der benachbarten Schicht um einen konstanten Winkel gleichsinnig verdreht ist. So bildet sich über mehrere Ebenen eine schraubenähnliche Anordnung (Helix) der Moleküllängsachsen aus. Die Helixstruktur und die Schraubenrichtung werden durch den chiralen Aufbau der beteiligten Moleküle hervorgerufen.

    Abb.(4.5): Strukturmerkmal der cholesterischen Phase: Die Richtung der Moleküllängsachsen (Pfeile) ändert sich von Schicht zu Schicht um einen konstanten Winkel [42].

    Zwischen der cholesterischen und nematischen Struktur besteht eine nahe Verwandtschaft. Sie wird besonders dadurch deutlich, daß durch Mischen von Cholesterinestern mit Rechtshelix- und Linkshelix-Anordnungen bei einem bestimmten Mischungsverhältnis und einer definierten Temperatur ein nematischer Flüssig-Kristall entsteht [47]. Bei dieser Temperatur heben sich die Verdrillungskräfte der Mischungskomponenten gegenseitig auf. Außerdem kann die cholesterische Struktur durch Lösen chiraler, optisch-aktiver Substanzen in nematischen Flüssigkeiten oder durch Spaltung nematischer Racemate erzeugt werden.

    Mit dem helixartigen Aufbau der cholesterischen Phasen hängen die meisten ihrer optischen Eigenschaften zusammen. In diesem Zusammenhang sind ihre extrem hohe optische Rotation, der Zirkulardichroismus und die vom technischen Standpunkt wichtige selektive Reflexion des Spektralbereiches, dessen Wellenlänge der Ganghöhe der Helix entspricht, zu nennen [48]. Eine Änderung der Ganghöhe, etwa durch thermische, magnetische oder elektrische Energie, drückt sich in einer Änderung aller optischen Eigenschaften aus.