Ganzheitliche Formteil-Qualitätsprognose für das Spritzgießen thermoplastischer Kunststoffe auf der Basis maschineller Lernverfahren

Kunststoffverarbeiter stehen wie alle produzierenden Unternehmen vor der Herausforderung, die gesetzten Ziele in den Bereichen Liefertreue, Kosten und Qualität zu erreichen, um nachhaltig erfolgreich zu wirtschaften. Die Erfüllung höchster Qualitätsanforderungen ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung, da in Hochlohnländern die Möglichkeit zur wettbewerblichen Differenzierung über den Produktpreis meist nur in begrenztem Maße gegeben ist. Trotz ausgereifter Maschinentechnik und kontinuierlichen regelungstechnischen Weiterentwicklungen können sich Störeinflüsse, wie beispielsweise Schwankungen der Materialeigenschaften, negativ auf die Qualität spritzgegossener Formteile auswirken. Aus diesem Grund sind neben der Beherrschung komplexer Produktionsprozesse häufig hohe Aufwendungen für die Qualitätssicherung erforderlich.

Eine Alternative hierzu bietet die Prognose der Formteilqualität auf Basis von Prozessdaten. Maschinelle Lernverfahren ermöglichen die Abbildung der meist komplexen Wirkzusammenhänge zwischen Prozessgrößen und Qualitätsmerkmalen in Form von Modellen. Diese erlauben eine Prognose der Qualitätsmerkmalsausprägungen für jedes produzierte Formteil. Die Erfassung und Aufzeichnung der erforderlichen Prozessdaten mittels maschineninterner Sensorik ist bei heutigen Spritzgießmaschinen Standard.

Bisherige Ansätze im Bereich der modellbasierten Qualitätsprognose, die bis in die 1990er-Jahre zurückreichen, konnten sich aufgrund verschiedener Defizite bislang jedoch nicht im industriellen Umfeld durchsetzen. Einer der Hauptgründe liegt darin, dass die einzelnen Datenverarbeitungsschritte meist nur wenig automatisiert und daher mit hohem manuellem Aufwand verbunden sind. Eine erfolgreiche Anwendung ist dabei stark erfahrungsabhängig. Ebenfalls werden in der einschlägigen Literatur meist nur schmale Teilbereiche der Gesamtproblemstellung thematisiert, sodass Wissen bzgl. der Eignung der im Bereich des maschinellen Lernens verfügbaren Verfahren nicht hinreichend vorhanden ist.

Die vorliegende Arbeit befasst sich vor diesem Hintergrund mit der ganzheitlichen Untersuchung der für die Qualitätsprognose erforderlichen Datenverarbeitungsschritte. Ziel ist es, in den jeweiligen Teilbereichen des maschinellen Lernens die im Kontext des Thermoplast-Spritzgießens leistungsfähigsten Methoden zu identifizieren und im Rahmen eines durchgängigen Gesamtsystems zu kombinieren.

Die Grundlage für die Analysen bildet die Erhebung umfangreicher Datensätze bestehend aus Prozess- und Qualitätsdaten, die verschiedene, industrieübliche Prozesszustände nachbilden. Hiermit kann zum einen die Eignung der Prozesszustände als Datenquelle für die Modellbildung bewertet werden. Zum anderen dienen die Datensätze als Grundlage für die weitere Untersuchung der einzelnen Methoden und Verfahren des maschinellen Lernens. Diese umfassen zunächst die Extraktion, Konstruktion und Selektion geeigneter Prozessmerkmale, welche als Eingangsgrößen für die Qualitätsprognose Verwendung finden. Für die eigentliche Modellbildung werden anschließend sieben überwachte Lernverfahren unterschiedlicher Funktionsweise und Komplexität verwendet. Um die Leistungsfähigkeit der Verfahren auszuschöpfen, werden die jeweiligen Hyperparameter, welche Modellstruktur und Lernprozess steuern, automatisiert via Bayes-Optimierung angepasst. Die Analyse der ausgewählten Hyperparameter liefert zum einen Erkenntnisse über die optimale Modellkomplexität und somit über die zugrundeliegende Prozesskomplexität. Zum anderen kann auf diese Weise abgeleitet werden, welche Hyperparameter in die Optimierung einbezogen werden sollten und welche Wertebereiche erfolgversprechend sind.

Um zu untersuchen, ob die Prognosegüte durch Kombination der verschiedenen Lernverfahren weiter gesteigert werden kann, wird ein eigens entwickelter Ensemble-Ansatz auf Basis der gewichteten Echtzeit-Kombination lokal-optimaler Modelle vorgestellt und evaluiert.

Da sich die qualitätsbestimmenden Prozesszusammenhänge, beispielsweise bedingt durch Verschleiß von Maschinenkomponenten, im Laufe der Zeit verändern können, werden implizite und explizite Methoden zur Detektion eines solchen Concept Drift untersucht sowie Möglichkeiten zur Lernverfahrens-spezifischen Modelladaption vorgestellt. Die Leistungsfähigkeit des – auf Basis der Erkenntnisse aus der systematischen Untersuchung der Teilaspekte – entwickelten Gesamtsystems wird im Rahmen einer Validierung unter Verwendung von Industriedaten nachgewiesen.

In order to operate successfully in the long term, plastics processing companies, like all manufacturing companies, are facing the challenge of achieving the objectives set in terms of delivery reliability, costs and quality. The fulfilment of the highest quality requirements is particularly important in this context, since there are usually only limited possibilities for competitive differentiation based on the product price in high-wage countries. Despite mature machine technology and continuous further developments in control technology, disturbances, such as fluctuations in material properties, can have a negative impact on the quality of injection molded parts. For this reason, in addition to controlling complex production processes, high expenses for quality assurance are often required.

An alternative to this is the prediction of the molded part quality based on process data. Machine learning algorithms enable the mostly complex interdependencies between process variables and quality features to be represented in models. These allow a prediction of the quality characteristics for each molded part produced. The acquisition and recording of the required process data by means of machine-internal sensors is standard in today's injection molding machines.

Previous approaches in the area of ​​model-based quality prediction, which go back to the 1990s, have so far not been able to assert themselves in the industrial environment due to various deficits. One of the main reasons is that the individual data processing steps are usually only slightly automated and therefore involve a lot of manual effort. Successful application is strongly dependent on experience. Likewise, the relevant literature mostly only deals with narrow sub-areas of the overall problem, so that knowledge about the suitability of the methods available in the area of ​​machine learning is not sufficiently available.

Against this background, the present work deals with the holistic investigation of the data processing steps required for the quality prediction. The aim is to identify the most efficient processes in the context of thermoplastics injection molding in the respective sub-areas of machine learning and to combine them within the framework of an integrated overall system.

The basis for the analyses is the generation of extensive data sets consisting of process and quality data simulating different process states common in industry. On the one hand, these can be used to evaluate the suitability of the process states as a data source for modeling. On the other hand, the data sets serve as basis for further investigations of the methods and processes of machine learning. These include the extraction, construction and selection of suitable process features, which are used as input variables for the quality prediction. Seven supervised learning algorithms with different functionality and complexity are used for the actual modeling. In order to exploit the efficiency of these methods, the respective hyperparameters, which control both model structure and learning process, are automatically adjusted via Bayes optimization. The analysis of the selected hyperparameters on the one hand provides insights into the optimal model complexity and thus on the underlying process complexity, and on the other hand it can be used to derive which hyperparameters should be included in the optimization and which value ranges are promising.

In order to investigate whether the quality of the prediction can be further increased by combining the different learning algorithms, a specially developed ensemble approach based on the weighted combination of locally-optimal models is presented and evaluated.

Since the quality-determining process relationships can change over time, implicit and explicit methods for detecting such a concept drift are examined and options for learning algorithm-specific model adaptation are presented. As part of a validation on industrial data, the performance of the overall system developed on the basis of the findings of the systematic examination of the sub-aspects is demonstrated.

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