Poet in Residence 2012 : Sprachanatomie

Sprache ist überall. Braucht man sich also nur zu bücken und kann mit einem Gedicht aufwarten? Ich selbst bringe meine Funde immer in meinen Anatomieraum. Dort steht eine Tastatur, mit der ich Skalpelle von unterschiedlicher Größe bediene, daneben liegen Nadel, Nähfaden und Verband. Die Körperteile, Sehnen, Synapsen, die sich zeigen, sind von eigentümlicher Schönheit, manchmal kleben an ihnen Pläne, Fotografien, manchmal sind da dunkle Flecken, die sich nicht aufhellen lassen. Und manchmal schneide ich mich selbst, weil ich nicht zwischen Fremdkörper und eigenem Leib unterscheiden will. Laut wird es dabei, weil Sprache immer laut ist. Und natürlich sind diese Textkörper imstande zu lachen, aber bevor wir uns verbrüdern können, schiebe ich sie zurück in die Welt. Dort hängen und atmen sie wie Gespenstschrecken an den Wortstämmen, und viele Menschen gehen vorbei und halten sie für Blattwerk. Denn diese Verspräparate zappeln nicht ständig, rennen nicht herum, wiegen sich vielmehr wie ein Strauch im Wind, sich tarnend, wissend, die Literatur hat viele Feinde, man muß sie vor den Lesern schützen.

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