Empirische Perspektiven von Gymnasiallehrkräften auf den Unterricht mit neu zugewanderten Schüler:innen in Nordrhein-Westfalen

Die vorliegende Studie untersucht, wie Gymnasiallehrkräfte in NRW ihre Unterrichtserfahrungen mit neu zugewanderten Schüler:innen reflektieren. Hierfür werden zunächst Migrationsprozesse im Allgemeinen und dann spezifisch für NRW erläutert. Diese und ihre Auswirkungen werden anschließend auf das System Schule transferiert und die Beschulung neu zugewanderter Schüler:innen in den Blick genommen. Neben den Beschulungsmodellen werden hierfür die Organisation der Zuweisung der Schüler:innen und rechtliche Rahmenbedingungen thematisiert. Die besondere Situation neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher am Gymnasium wird nachfolgend präzisiert. Um sich der Professionalisierung der Gymnasiallehrkräfte in diesem Themenfeld anzunähern, erfolgt dann die Darstellung der Lehrkräfteausbildung im Zeichen der Migrationsgesellschaft. Hierfür wird die Lehrkräfteausbildung in NRW ausführlich dargestellt und das Konstrukt einer „DaZ-Kompetenz“ besprochen. Exemplarisch fokussiert wird die universitäre Lehrkräfteausbildung an der Universität Duisburg-Essen. Um die Kompetenzfelder für das Unterrichten in der Migrationsgesellschaft und das Professionswissen im Feld des Unterrichts mit neu zugewanderten Schüler:innen zu konkretisieren, werden das Professionswissen Fachregister Sprache, (Mehrsprachige) Sprachbildung und ihre Didaktik sowie das Themenfeld Migration und Diversität tiefergehend expliziert. Dazu gehören im Fachregister Sprache: Grammatische Strukturen und Wortschatz des Deutschen, Wissen zu zwei- und mehrsprachigem Spracherwerb/Mehrsprachigkeit sowie förderdiagnostische Kompetenzen. Im Feld der (mehrsprachigen) Sprachbildung und ihrer Didaktik werden der sprachbildende und sprachsensible Fachunterricht sowie Ansätze der Mehrsprachigkeitsdidaktik vorgestellt. Der Themenkomplex Migration und Diversität wird präzisiert durch die Analyse der sprachlichen Vielfalt im Klassenzimmer, den Konzepten der Wertschätzung und Förderung von Mehrsprachigkeit und Herkunftssprachen, Rassismuskritik, Antidiskriminierung und plurikulturellen Kompetenzen. Im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit werden zunächst die Zielsetzung der Studie und die Forschungsfragen sowie die Verortung der Forschung und der Feldzugang besprochen. Methodisch wird sich der Beantwortung der Forschungsfragen durch einen Mixed-Methods-Ansatz angenähert, der ein qualitatives und ein quantitatives Erhebungsinstrument verschränkt. Es handelt sich um ein Transferdesign, bei dem eine Qualifizierung quantitativer Daten stattfindet, die qualitative Studie also durch quantitative Daten ergänzt wird. Die qualitative Vertiefung der quantitativen Daten findet in Form einer quantitativen Vorstudie statt, die durch eine qualitative Hauptstudie vertieft wird. Der quantitative Strang, der die durch die Vorstudie repräsentiert wird, soll ermitteln, welche Potentiale und Herausforderungen bzgl. des Unterrichtens neu zugewanderter Schüler:innen nach Einschätzung der Befragten bestehen, welche Kompetenzen sich die Lehrer:innen für das Unterrichten von neu zugewanderten Schüler:innen während ihrer Ausbildung aneignen konnten, ob und wie sie Diversität im Unterricht erleben und ob und welchen Fortbildungsbedarf die Lehrer:innen individuell bei sich und allgemein in Bezug auf den Unterricht mit neu zugewanderten Schüler:innen wahrnehmen. Es wurden Lehrer:innen aller Schulformen mit einem Online-Fragebogen befragt, um ein umfassendes Meinungsbild zu erhalten und die Ergebnisse der verschiedenen Schulformen miteinander vergleichen zu können. So können die Antworten der Gymnasiallehrer:innen im Detail und im Vergleich zu den anderen Schulformen betrachtet werden. Die Ergebnisse der quantitativen Vorstudie werden vorrangig deskriptiv-statistisch ausgewertet und dienen unter anderem als Grundlage für einen Interviewleitfaden, der die Grundlage des zweiten Forschungsinstruments dieser Studie darstellt. Im Rahmen von leitfadengestützten Expert:inneninterviews, welche mit der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet werden, werden detailliertere Informationen zur Situation der Gymnasiallehrer:innen explizierbar. Anhand der Auswertung der Expert:inneninterviews wird untersucht, wie der aktuelle IST-Zustand bzgl. der Beschulung neu zugewanderter Schüler:innen subjektiv wahrgenommen wird und welche Herausforderungen bzgl. des Unterrichtens der Zielgruppe beschrieben werden. Außerdem wird eruiert, welche Einschätzungen speziell bzgl. migrationsbedingter Diversität verbalisiert werden, wie die Relevanz dieser Aspekte eingeschätzt wird und welche Konsequenzen die interviewten Lehrkräfte daraus für ihren Unterricht ableiten. Die Auswertung erfolgt codebezogen-interpretativ anhand einer inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse. Durch die Bildung von 7 Oberkategorien mit Unter- und Subkodierungen können die Inhalte der zwölf geführten Interviews systematisch und regelgeleitet analysiert werden. Um die Aktualität der Thematik zu unterstreichen, werden zwei Anschlussinterviews mit bereits befragten Lehrkräften mit einem Versatz von 4 Jahren geführt und deskriptiv ausgewertet. Die Aussagekraft dieser Einzelfallstudie ist durch die Zahl der Interviews begrenzt und kann Ansätze bieten, um die Prozesse rund um das Unterrichten von neu zugewanderten Schüler:innen auf den verschiedenen untersuchten Ebenen zu optimieren und effektiver zu gestalten. Speziell die durch die Lehrkräfte benannten Herausforderungen, die skizzierten Kompetenzfelder und die berichtete fehlende oder unzureichende Vorbereitung auf konkrete Unterrichtssituationen mit neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen kann Handlungspotential freisetzen. Der Lehrkräfteausbildung kommt hierbei eine Schlüsselfunktion für den Schulerfolg von neu zugewanderten Kinder und Jugendlichen zu. Die Studie zeigt auf, dass es besondere Herausforderungen, abweichend von der Regelbeschulung gibt, die eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Thematik Unterricht mit neu zugewanderten Schüler:innen nötig machen. Schulpolitischen Entscheidungsträger:innen werden wertvolle Anregungen aus der Praxis generiert und Diskussionsanregungen für das System Schule in der Migrationsgesellschaft auf dem Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit angeboten.
 

[1] Ab hier NRW

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