Modellierung der Partikelbildung in Flugzeugabgasfahnen
Im Rahmen dieser Arbeit wurde eine Methode entwickelt, mit der chemische Gasphasenreaktionen und Partikelbildungsprozesse im Freistrahl (Jetbereich) von Flugzeugabgasfahnen orts-aufgelöst beschrieben werden können. Dies ermöglicht quantitative Vorhersagen über den flug-verkehrsbedingten Eintrag von Aerosolen in die Atmosphäre. Zunächst folgt eine kurze Wiederholung der wichtigsten Meilensteine und Ergebnisse dieser Arbeit, wobei eine chronologische Reihenfolge gewählt wurde.
Anpassung des BOAT-Modells. Ausgangspunkt der Arbeit war ein bereits existieren-des
Modell (BOATCODE), welches in Fortran 77 programmiert ist und uns von der DLR [Beier und Schreier, 1992] bzw. der NASA [Dash und Pergament, 1978] zur Verfügung gestellt wurde.
Dieses Modell beschreibt Ausbreitung und Temperaturrelaxation der Abgasfahne aufgrund von turbulenter Diffusion und Wärmeleitung. Für jeden beliebigen Ort (r, z) einer radialsymmetrischen Abgasfahne lassen sich somit die momentane Breite, die lokalen physikalischen Parameter (T, v 3) sowie Gasphasenkonzentrationen und -reaktionsraten berechnen.
Bereits in der ursprünglichen Ausführung des BOAT-Modells war ein Chemiemodul vorhanden. Dieses mußte jedoch erweitert werden, um alle wichtigen NO -, NO -, SO - und SO -Reaktionen berücksichtigen zu können. Nunmehr können bis zu 70 Reaktanden und bis zu 50 chemische Reaktionen behandelt werden. Da das in dieser Arbeit verwendete Reaktionssystem
(s. Anhang 1) gegenwärtig nur 25 Reaktanden und 54 Reaktionen (inclusive Chemiionen) enthält, sind im Hinblick auf zukünftige Erweiterungen und Verfeinerungen der Gasphasenchemie weitere Reserven vorhanden.
Programmierung der Kondensationsroutinen. Aufgrund der vorgegebenen Struktur des BOAT-Modells war es ohne weiteres möglich, auch die Partikelbildung im Jetbereich orts-aufgelöst zu beschreiben. Daher wurden entsprechende Routinen entwickelt und eingearbeitet. Der homogene Kondensationsweg berücksichtigt die homogene Nukleation von H O/ H SO -Clustern, die heterogene Aufnahme von H SO - und HNO -Molekülen sowie die Koagulation der Cluster untereinander. In beiden Wachstumsprozessen wurde die größenabhängige Verstärkung durch Chemiionen berücksichtigt. Ferner paßt sich der Wassergehalt der H O/ H SO /HNO -Aerosole automatisch an die lokalen physikalischen Bedingungen (T, p(H O), p(H SO ), etc.) an.
Der heterogene Kondensationsweg hingegen umfaßt die Aktivierung von Ruß durch Adsorption von H SO -Molekülen und H O/H SO -Clustern. Auch hier paßt sich der Wassergehalt den jeweiligen Bedingungen an. Darüberhinaus erfolgt bei jedem Durchlauf eine Abfrage, ob die thermodynamische Gefrierbedingung von Eis nach dem Phasendiagramm von Gable et al. [1950] erfüllt ist.
Die Kondensationsroutinen werden in jedem Programmschritt im Anschluß an das Chemiemodul aufgerufen und berechnen auf Basis der aktuellen Gasphasenkonzentrationen von H O bzw. H SO die Nukleations- und Kondensationsraten. Da die Gasphasenkonzentrationen von H O und H SO um die verbrauchten Moleküle reduziert werden, wird auch die gegenseitige Koppelung beider Kondensationswege automatisch berücksichtigt. Dies ermöglicht quantitative Aussagen im Hinblick auf Anzahldichten der Partikel sowie ihre chemische Zusammensetzung. Aktivierung von Ruß und Eiswachstum. In der vorliegenden Arbeit wurde angenommen, daß die durch die Triebwerke emittierten Rußpartikel ihren hydrophoben Charakter verlieren, sobald sie einen Bruchteil einer Monolage H SO aufgenommen haben. Werte von mehr als 0,2 Monolagen können jedenfalls ausgeschlossen werden, da in diesem Fall das Einsetzen der H O-Aufnahme so spät erfolgen würde, daß die berechnete Entwicklung der Eispartikel nicht mit visuellen Beobachtungen übereinstimmt. Um auch noch für niedrige H SO -
Emissionen von EI*(H SO ) = 0,003 g/kg Treibstoff ein realistisches Verhalten zu reproduzieren, ergab sich eine Aktivierungsgrenze von höchstens 1/10 Monolage pro Rußpartikel. Bei Erreichen der o.g. Mindestbelegung mit H SO erfolgt die Freigabe der Wasseraufnahme. Für eine gegebene Anzahl an H SO -Molekülen auf der Oberfläche stellt sich von diesem Zeitpunkt an die Anzahl an H O-Molekülen derart ein, daß die Gibbsenergie (_G) der flüssigen Oberflächenbeschichtung minimal wird. Insbesondere hat dies zur Folge, daß der H SO -Molenbruch derselben mit steigender Temperatur bzw. fallender Luftfeuchtigkeit zunimmt. Vorgegeben durch das Phasendiagramm von Gable et al. [1950] existieren daher Grenztemperaturen für das Gefrieren der Oberflächenbeschichtung. Diese verschieben sich mit steigender Umgebungsluftfeuchtigkeit zu höheren Werten. Während diese Grenze für p (H O) = 0,02 mbar bei 227,5 K liegt, verschiebt sie sich sukzessive zu höheren Werten und erreicht für p (H O) = 0,10 mbar einen Wert von 232,5 K. Sobald die H O/H SO -Beschichtung der Rußpartikel gefroren ist, setzt die Aufnahme von Wasserdampf ein. Diese ist für größere Partikeldurchmesser diffusionskontrolliert und hält solange an, bis der H O-Partialdruck auf den der lokalen Temperatur entsprechenden Dampfdruck abgefallen ist. Dies hat u.a. zur Folge, daß die erreichbaren Partikeldurchmesser mit steigender Umgebungstemperatur und sinkender Luftfeuchtigkeit kleiner werden.
Homogene Nukleation. Aufgrund der Proportionalität J _ C #exp(__G/k T) der h B Nukleationsrate hängt die Entstehung von H O/H SO -Clustern stark von der radialen Position in der Abgasfahne ab. Wie in Abschnitt 3.2.1 gezeigt wurde, enthalten kritische H O/H SO - Cluster im Regelfall drei oder vier H SO -Moleküle sowie die etwa dreifache Menge an H O- Molekülen. Die genaue Zusammensetzung der kritischen Cluster wird durch die Lage des Sattelpunkt ihrer Gibbsenergie (_G) beeinflußt, die ihrerseits von den lokalen H O- und H SO Konzentrationen sowie der Temperatur abhängt. Beiträge zur Temperaturabhängigkeit von _G ergeben sich aus den Dampfdrücken von H O und H SO [Zeleznik, 1991] sowie den Oberflächenspannungen und Dichten der H O/H SO -Gemische [Martin et al., 2000]. Alle Materialgrößen sind überdies Funktionen der Zusammensetzung (N(H O), N(H SO )). Im Bereich um die Mittelachse der Abgasfahne ist die homogene Nukleation wegen der nach wie vor hohen Temperaturen für z < 60 m unterdrückt. Aufgrund des diffusionsbedingten Eintrags aus den äußeren Bereichen sind auf der Mittelachse dennoch H O/H SO -Cluster vorhanden. An den nukleationsfreien Kernbereich schließt sich eine schmale Zone an, in welcher die kritischen Cluster drei H SO -Moleküle und etwa acht H O-Moleküle enthalten. Für EI*(H SO ) = 0,006 g/kg erreicht die Nukleationsrate dort einen Wert von ca. 10 cm . Aufgrund der kleineren H SO -Partialdrücke in weiter außen liegenden Bereichen sind die
kritischen Cluster dort größer (N(H SO ) = 4; N(H O) _ 13). Dies führt zu einer um etwa eine Größenordnung niedrigeren Nukleationsrate. Den Einfluß des lokalen Partialdrucks von H SO sieht man auch daran, daß die Breite des Bereichs mit N(H SO ) = 3 mit der effektiven H SO - Emission stärker als linear ansteigt. Für 60 m _ z _ 90 m kann die homogene Nukleation auch im Bereich der Mittelachse stattfinden. Jenseits von z = 90 m gehen die Nukleationsraten allerdings stark zurück, da wegen der weiter rückläufigen Temperaturen der Dampfdruck von Wasser sehr klein wird und somit der Hydratfaktor C gegen Null tendiert.
Heterogenes Wachstum und Koagulation. Für das weitere Wachstum der H O/ 2 H SO -Cluster spielt im frühen Jetbereich (z _ 100 m) die Berücksichtigung geladener Teilchen (HSO ) eine wichtige Rolle. Aufgrund der Monopol/Dipol-Anziehung zwischen geladenen und neutralen H SO -Teilchen (Cluster oder Moleküle) erhöhen sich die Kondensations- bzw. Koagulationsraten um einen Faktor, der für die kleinsten Partikel (d _ 0,5 nm) Werte um 100 erreicht.
Wie in Abschnitt 3.2.2 für EI*(H SO ) = 0,08 g/kg gezeigt wurde, entwickeln sich für d > 2 nm die Größenverteilungen daher völlig unterschiedlich. Bei Vernachlässigung der Chemiionen erreichen die Anzahldichten der Cluster mit Durchmessern zwischen 2 und 3,5 nm Werte um 10 cm . Größere Partikel werden nicht gebildet. Bei Berücksichtigung der Chemiionen hingegen sind die Größenbereiche 2...3,5 nm, 3,5...7 nm und 7...18 nm zu etwa gleichen Anteilen (_10 cm ) vertreten. Hieran ändert sich im späten Jetbereich nicht mehr viel, da nach vollständiger Rekombination der Ionen die Wachstumsgeschwindigkeiten auf ihre normalen Werte zurückfallen. Insgesamt gesehen können bei Berücksichtigung der Chemiionen selbst für mittlere H SO -Emissionen (EI*(H SO ) _ 0,01 g/kg Kerosin) Partikeldurchmesser von ca. 20 nm erreicht werden. Wie ein Vergleich mit in-situ-Messungen in Abgasfahnen gezeigt hat [Schröder et al., 1998], können bei einer Vernachlässigung der Chemiionen weder Partikelgrößen noch
Anzahldichten reproduziert werden. Abschließend sei noch hervorgehoben, daß die größten H O/H SO -Cluster auch die höchsten Wasseranteile aufweisen. Sobald letztere höher als 91% liegen, ist nach dem Phasendiagramm von Gable et al. [1950] ein Gefrieren möglich und die H O/H SO -Aerosole können zusätzliche Keime zur Bildung von Eiskristallen bereitsstellen. Dies würde auch die durch Schumann et al. [1996] gefundene leichte Abhängigkeit sowohl der Anzahldichten als auch der mittleren Durchmesser der Eispartikel vom Schwefelgehalt des Treibstoffs erklären.
HNO -Aufnahme durch H O/H SO -Aerosole. Für den homogenen Kondensationsweg wurde auch die heterogene Aufnahme von HNO -Molekülen aus der Gasphase berücksichtigt. Um die Aufnahme von Salpetersäure durch H O/H SO -Aerosole überhaupt berechnen zu können, wurden in dieser Arbeit chemische Potentiale bzw. Dampfdrücke des ternären Systems H O/H SO /HNO korreliert. Da der Dampfdruck von HNO für x(H SO ) < x(H O) mit der H SO -Konzentration ansteigt, können H O/H SO -Aerosole nur unter der Voraussetzung HNO aufnehmen, daß ihr Wassergehalt mindestens 87% beträgt. Dies limitiert die HNO-Aufnahme auf Partikel, deren Durchmesser einen T - und p (H O)-abhängigen Schwellenwert überschreiten. Aufgrund der hohen HNO -Dampfdrücke kann das HNO /H SO -Verhältnis im Cluster selbst für T = 217 K und p (H O) = 0,10 mbar Werte von maximal ca. 1,3×10 erreichen. Dies entspricht einem HNO -Molenbruch von ca. x(HNO ) _ 0,1%. Aus dem gleichen Grund ist eine Aufnahme von HNO nur unterhalb einer Grenztemperatur möglich, die für 0,04 mbar _ p (H O) _ 0,10 mbar im Bereich zwischen 218 und 224 K liegt. Möglichkeiten zukünftiger Anwendungen. Im Rahmen dieser Arbeit wurde die orts-aufgelöste Behandlung aller Nukleations- und Kondensationsprozesse im Jetbereich untersucht. Damit wurde die Möglichkeit geschaffen, die weitere Entwicklung der entstandenen Aerosole im anschließenden Vortexbereich mit hoher Genauigkeit zu berechnen. Entsprechende hydrodynamische Modelle stehen bereits zur Verfügung [Dürbeck und Gerz, 1996; Gerz et al., 1998].
Auch dort werden Temperatur, Druck und Zusammensetzung der Gasphase als Ortsfunktionen berechnet.
Zu einem späteren Zeitpunkt wäre es daher problemlos möglich, sie ebenfalls mit einem Chemie- und Aerosolmodul zu erweitern. Insgesamt gesehen ist also eine exakte Vorhersage des Partikelspektrums auch im späten Bereich der Abgasfahne möglich geworden, wo sich die Randwirbel der Tragflächenkanten aufgelöst haben und atmosphärische Größen (Windscherung, Schichtung etc.) an Bedeutung gewinnen. Der Zustand der gealterten Abgasfahne ist insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung von Eingangsgrößen für mesoskalige und globale Modelle von Interesse.
Obwohl sich alle Modellrechnungen in dieser Arbeit auf den Flugzeugtyp B-747 beziehen, lassen sie sich selbstverständlich auch auf andere Bauarten anwenden. Hierzu bedarf es lediglich der Anfangsparameter des Freistrahls (T, v, r) und der entsprechenden Emissionsindizes.
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