Litzinger, Andreas: Systemintegration, Weiterentwicklung und Anwendung eines Trainingssimulators...


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7. Laufzeitoptimierte Topologieauswertung und Meßwertversorgung

7.1.Laufzeitoptimierte Topologieauswertung

Für das Verständnis der folgenden Ausführungen sind zunächst zwei Definitionen voranzustellen:

  • die potentielle Topologie eines Energieversorgungsnetzes umfaßt den Bestand und die Verbindungsmöglichkeiten aller Netzelemente (Schaltgeräte, Sammelschienen, Leitungen, Transformatoren, u.s.w.).

  • die aktuelle Topologie enthält nur die zu einem gegebenen Zeitpunkt tatsächlich untereinander verbundenen Elemente. Die aktuelle Topologie kann aus der potentiellen Topologie unter Berücksichtigung der zu einem Zeitpunkt bestehenden Schaltzustände und der Zustände der Kraftwerke ermittelt werden.

    Für die Anwendung im Trainingssimulator wird die Zusatzbedingung gestellt, daß aktuell verbundene Netzteile (Netzinseln) mindestens eine synchronisierte Einspeisung enthalten. Auf diese Weise werden derzeit nicht unter Spannung stehende Netzbereiche a priori aus der aktuellen Topologie ausgeschlossen und ihre nutzlose Weiterbehandlung vermieden.

    In der GDL-Netzbeschreibung hinterlegt der Beschreiber die potentielle Topologie des Netzes. Durch den Eintrag der Zustände aller Schaltgeräte - im Prozeß durch die Fernwirkübertragung bzw. Handsetzung, im Simulator per Eintrag des Start-Szenarios und gegebenenfalls weiterer Schaltmaßnahmen durch die Ereignisverarbeitung - wird die aktuelle Topologie festgelegt. Für die Berechnung des Lastflusses im dynamischen Modell wird eine Darstellung des Netzes benötigt, die nur die impedanzbehafteten Zweige und alle dazwischenliegenden Knoten sowie die Last- und Einspeiseanschlüsse enthält. Die Topologieauswertung führt die notwendige Generierung eines Knoten-Zweig-Modells der aktuellen Topologie durch.

    Im Prototyp des Simulators war eine Topologieauswertung implementiert, deren Konzeption und Ausführung in [NAG-86] näher beschrieben sind. Probleme in der Anwendung dieses Programms, die in Abschnitt 7.1.1 geschildert werden, machten eine völlige Neukonzeption erforderlich, die in Abschnitt 7.1.2 beschrieben werden soll.

    7.1.1. Problemstellung

    Die Topologieauswertung nach [NAG-86], im folgenden alte Topologieauswertung genannt, entstand zu einer Zeit, in welcher der in Digitalrechnern zur Verfügung stehende Arbeitsspeicher die Hauptauslegungsgröße für alle Programme darstellte. Sie wurde daher speicherplatzsparend konzipiert. Als erster Schritt wurde die in der GDL definierte Syntax unter Verwendung der Zustände der Schaltgeräte und unter Ausfilterung der topologisch nicht relevanten Spezies ausgewertet. Ergebnis dieser Syntaxauswertung war eine Beschreibung der aktuellen Topologie in GDL. Erst ausgehend von dieser Beschreibung wurden in einem zweiten Schritt die Netzinseln ermittelt und im dritten Schritt die Listen erstellt, die zur Versorgung des Lastflusses und zur Rückübertragung der Ergebnisse in die Datenbank erforderlich waren. Alle diese Schritte mußten bei jeder Topologieänderung, die aufgrund einer Zustandsänderung einer oder mehrerer Schaltgeräte entsteht, vollständig durchgeführt werden [RUM-91].

    Inzwischen wird der Simulator auf große, nationale Energieversorgungssysteme im Umfang von mehr als 250 Schaltanlagen angewendet, wie im Abschnitt 8.3 geschildert wird. Dabei wurde die Laufzeit der alten Topologieauswertung mit 12 bis 15 Sekunden länger als die Dauer eines Zeitschritts im Trainingssimulator von 10 Sekunden. Somit mußte eine neue Topologieauswertung, die den Laufzeitanforderungen gerecht wird, realisiert werden.

    7.1.2. Lösungskonzept

    In der Neukonzeption werden die Möglichkeiten, die sich bei der Anwendung der heutigen Rechnergeneration ergeben, ausgenutzt, indem auf eine Speicherplatz sparende Darstellung des Netzes zur Beschreibung der aktuellen Topologie verzichtet wird. Statt dessen wird eine Abbildung der potentiellen Topologie in Form eines speziellen programminternen Listensystems erstellt.

    Diese Abbildung der potentiellen Topologie erfolgt in der Initialisierungsphase des Programms. (Da die Änderung der potentiellen Topologie im Simulator offline erfolgt, ist die Neuinitialisierung aufgrund einer Änderung der potentiellen Topologie nicht implementiert worden.) Sie braucht nur einmal durchgeführt zu werden, so daß die zeitraubende Filterung und Syntaxauswertung in jedem Rechenschritt entfällt. Weiterhin ist das Listensystem für eine schnelle Auswertung der aktuellen Topologie optimiert, indem Verzeigerungen zwischen den einzelnen Elementen der verschiedenen Listen mit angelegt werden.

    Um Diskrepanzen zur Zustandsbuchführung in der GDL-Datenbank auszuschließen, werden in dieser Abbildung keine Schaltzustände geführt; viel mehr wird eine physikalische Verzeigerung der Objekte auf die zugehörigen Positionen in der GDL-Datenbank erstellt. Die GDL-Datenbank bleibt einzige Institution der Zustandsbuchführung.

    Weitere Rechenzeitvorteile werden dadurch erzielt, daß die Listen bereits mit den Eintragsplätzen für die jeweils aktuelle Topologie vorbereitet werden. Für eine Auswertung der aktuellen Topologie ist dann nur noch ein Durchlauf mit Neunumerierung erforderlich.

    Bei der Neukonzeption werden die Auslegungskriterien gegenüber der alten Topologieauswertung erweitert:

  • Verwendung von mehr als fünf Spannungsebenen möglich,

  • Vermeidung fest vereinbarter Namen für Leitungslisten oder Transformatornumerale,

  • Trennung von betriebsystemabängigen und -unabhängigen Programmteilen, um die Portierung des Programms auf andere Betriebssysteme zu erleichtern, und

  • Anschlußmöglichkeit weitere Applikationen.

    Aus diesen Gedanken ist ein Konzept entwickelt worden, das die Auswertung in drei Schritten vorsieht, wie in Bild 7.1 gezeigt ist.

    Im ersten Schritt der Auswertung wird zunächst die schon beschriebene Generierung des internen Listensystems durchgeführt. Eine detaillierte Schilderung der Listeninhalte kann [LIT-96] entnommen werden, eine Übersicht wird in Abschnitt 7.1.3.1 gegeben.

    Die Aktualisierung, d.h. die Ermittlung der aktuellen Topologie aus der Darstellung der potentiellen Topologie erfolgt im zweiten Schritt durch Eintrag der neuen, aktuellen Verknüpfungsstruktur in die bereits vorhandenen internen Listen. Dabei wird durch eine einfache Tiefensuche ermittelt, welche Zweige mit einer synchronisierten Einspeisung verbunden sind; weiterhin wird die für die Berechnung des Lastflusses (oder bei Kurzschlußrechnungen) notwendige dichte Numerierung der in der aktuellen Topologie befindlichen Netzelemente durchgeführt. Der Algorithmus ist in der Lage, beliebig viele Netzinseln zu erkennen und auszuwerten. Durch den Start der Inselsuche ausgehend von einer synchronisierten Einspeisung werden nicht versorgte Netzteile von vornherein aus der Behandlung ausgeschlossen.

    Im dritten Schritt werden dann aus dem internen Listensystem applikationsspezifische Datensätze generiert. Diese Vorgehensweise macht es möglich, unterschiedliche Programme (Lastfluß im dynamischen Modell, Netzberechnungsprogramme, u.s.w.) mit Daten zu versorgen, ohne das interne Listensystem jeweils an die Anwendung anzupassen.



    Bild 7.1.Konzeption der neuen Topologieauswertung

    7.1.3. Realisierung

    Es sollen zunächst weitere Definition getroffen werden, die für das Verständnis der folgenden Ausführungen wichtig sind:

  • Ein Zweig ist ein Element, das eine leistungsführende Verbindung herstellen kann und entweder impedanzlos (Leistungs- und Lastschalter, Trenner) oder impedanzbehaftet ist (Leitungen, Transformatoren, Drosselspulen u.s.w.). Außerdem werden alle nicht schaltbaren impedanzfreien Verbindungen ( CON/Jx und PECx/Q) als Zweig betrachtet. Erder sind nach dieser Definition kein Zweig.

  • Am Anfangs- und Endpunkt eines jeden Zweiges befindet sich ein Knoten.

  • Als Impedanz-Zweig (IPD-Zweig) werden die Zweige bezeichnet, die impedanzbehaftet sind.

  • Die Knoten, die zwischen den IPD-Zweigen liegen, werden als Impedanz-Knoten (IPD-Knoten) bezeichnet. Das bedeutet, daß ein IPD-Knoten sich über mehrere Knoten und impedanzfreie Zweige erstrecken kann.

    Die aus IPD-Knoten und IPD-Zweigen bestehende Topologie kann zur Versorgung von Netzberechnungsprogrammen wie Lastflußberechnung, aber auch Kurzschlußberechnung verwendet werden.

    7.1.3.1. Struktur des Listensystems

    Bild 7.2 zeigt den Aufbau und die Verzeigerungsmöglichkeiten innerhalb des internen Listensystems und die Zugriffsmöglichkeiten auf die GDL-Datenbank.

    Bild 7.2.: Aufbau und Verzeigerung des internen Listensystems

    In der Impedanzliste werden die Parameter gespeichert, die die Impedanzeigenschaft eines Zweiges näher beschreiben. Alle Parameter, die die Zweigeigenschaft ausmachen, sind in der Zweigliste hinterlegt. Durch eine wechselseitige Verzeigerung kann vom Zweiglistenelement zum korrespondierenden Impedanzlistenelement gesprungen werden und umgekehrt. Gleiches gilt für die Verknüpfung von Transformatorliste und Impedanzliste.

    Muß zu einem Element eine variable Datenlänge hinterlegt werden, wie es z.B. für die Nummern der an einen Knoten angeschlossenen Zweige erforderlich ist, wird auf das Prinzip der indirekten Speicherung zurückgegriffen, indem alle Knotennummern in der Zweig-Index-Reihe separat abgelegt werden und im Knotenlistenelement nur die Anzahl und die Startadresse in der Zweig-Index-Reihe hinterlegt wird. Gleiches gilt für die Anzahl der Erder an einem Knoten und für die Anzahl der Eigenbedarfsanschlüsse für einen Kraftwerksblock.

    Auf die GDL-Datenbank wird mit Hilfe von Adressen, die einen Offset von Beginn der jeweiligen Regionsdatei darstellen, zugegriffen. Diese Vorgehensweise erspart umfangreiche Suchalgorithmen, um beispielsweise den Zustand eines Schaltgeräts oder einer Einspeisung zu ermitteln. Allerdings muß bei einer Erweiterung oder strukturellen Änderung der Datenbank der Initialisierungsschritt wiederholt werden.

    Im folgenden sollen die Algorithmen beschrieben werden, die in den drei Schritten eingesetzt werden.

    7.1.3.2. Erster Schritt: Aufbau der internen Topologielisten

    Im ersten Schritt der Auswertung werden die Einspeisungsdaten und die Netzbeschreibung ausgewertet. Mit Hilfe der Einspeisungsdaten wird die Einspeisungsliste aufgebaut.

    Da die Beziehungen zwischen Objekten in GDL syntaktisch notiert werden, besteht keine direkte Abbildungsvorschrift zwischen den Objekten der Datenbank einerseits und Knoten und Zweigen andererseits. So wird beispielsweise durch einen Junktor ein Knoten erzeugt, während Schaltgeräte Zweige erzeugen. Es entstehen Knoten zwischen Schaltgeräten, die in der Netzbeschreibung nicht mit einer Spezies zu identifizieren sind.

    Die Netzbeschreibung wird von oben nach unten gelesen und verarbeitet. Beim Auffinden einer Schaltanlage werden zunächst vorhandene Sammelschienen und Transformatoren untersucht. Dazu wird für jeden Junktor ein Knotenelement, für einen Zweiwickler-Transformator drei Zweig-, zwei Knoten-, ein Impedanz- und ein Transformatorelement sowie für einen Dreiwickler-Transformator sechs Zweig-, vier Knoten-, drei Impedanz- und drei Transformatorelemente (Dreiwicklertransformatoren werden für die Berechnung in drei im Stern verschaltete Zweiwicklertransformatoren aufgelöst) angelegt. Durch diese Vorverarbeitung kann sichergestellt werden, daß die Generierung der übrigen Elemente durch Top-Down-Verarbeitung der Netzbeschreibung erfolgen kann. Dabei steht immer ein Knoten zur Bearbeitung an, der im folgenden momentaner Knoten genannt wird. Für die Generierung von Knoten und Zweigen werden folgende Regeln beachtet: