Litzinger, Andreas: Systemintegration, Weiterentwicklung und Anwendung eines Trainingssimulators...


InhaltsverzeichnisVoriges Kapitel Elektronische DissertationenHauptseite der UB

6. Schutz- und Sekundärgerätemodelle

Der Gerätebestand der Energieversorgungssysteme kann in zwei Kategorien eingeteilt werden [ABB-88]:

Primärgeräte: Generator, Transformator, Freileitung, Kabel, Leistungsschalter, Trenner, Sammelschiene u.s.w. Diese Geräte sind für die Aufgabe der Energieerzeugung und -verteilung erforderlich.

Sekundärgeräte: Sammelschienenschutz, Parallelschaltgerät, Überlastschutz, Fernwirkgerät u.s.w. Diese Geräte dienen der Überwachung und dem Schutz der Primärgeräte.

Der Prototyp des Trainingssimulators war in der Lage, die für die Durchführung von Netzwiederaufbaustudien relevanten physikalischen Vorgänge in den Primärgeräten zu modellieren. Im Bereich der Sekundärtechnik wurde nur der Meßwerteintrag in die Datenbank behandelt. Schutzeinrichtungen wurden nicht berücksichtigt.

Wie in den folgenden Abschnitten beschrieben wird, wurden aus dem Bereich der Sekundärtechnik folgende Apparaturen modelliert und in den Trainingssimulator integriert:

Diese Sekundärgerätefunktionen spielen im Netzwiederaufbau eine wichtige Rolle, da z.B. durch unvorsichtige Lastzuschaltungen erzeugte Frequenzeinbrüche Lasten wieder abgeworfen werden. Als weiteres Beispiel sei die Synchronisierung von Netzinseln genannt, die nur an den Stellen im Netz durchgeführt werden kann, wo entsprechende Parallelschalteinrichtungen vorhanden sind.

Nicht modelliert wurde der Fehlerschutz, da Netzfehler weitgehend unabhängig von den Wiederaufbauaktionen auftreten. Die Zuschaltung geerdeter Netzteile wird im Trainingssimulator durch die Verriegelung (siehe 3.4.3) verhindert und der Trainee entsprechend gewarnt. Fehlerschutzmeldungen können jedoch ohne weiteres in die Netzbeschreibung aufgenommen und - zusammen mit den Schalterstellungsänderungen - in Form einer vorbereiteten Liste zur Laufzeit über die Ereignisverarbeitung in die Datenbank eingespielt werden, um zusätzliche Handicaps zu setzen.

6.1. Grenzwertüberwachung und Überlastschutz

6.1.1. Problemstellung

Für einen sicheren Betrieb des Netzes ist es unter anderem notwendig, Betriebsmittel vor Überlastung zu schützen. Als Indikator für die Belastung einer Leitung oder Transformators werden Wirkleistungs-, Blindleistungs- und Strommeßwerte benutzt. Das Personal hat die Aufgabe, diese Meßwerte zu überwachen; dabei wird es durch das Leitsystem unterstützt, indem bestimmte Meßwerte auf die Einhaltung vorgegebener Grenzwerte untersucht werden. Bei Über- bzw. Unterschreitung der Grenzwerte wird eine akustische und optische Warnmeldung ausgegeben. Mit Hilfe der Überwachung und Alarmierung möchte man erreichen, daß der Betriebsführer geeignete Maßnahmen ergreift, um der Grenzwertverletzung entgegenzuwirken.

Diese Funktion ist im Störfall - speziell im Netzwiederaufbau - besonders wichtig, da während der Restitution in den Netzen durch noch nicht wieder zugeschaltete Betriebsmittel Grenzwertverletzungen wahrscheinlicher auftreten als im Normalbetrieb. Wird der akut gefährdete Zustand eines Betriebsmittels durch den Betriebsführer nicht registriert und korrigiert, so kann eine Schutzauslösung dieses Betriebsmittels erfolgen. Dadurch wird im Wiederaufbau die Stabilität des unter Umständen ohnehin labilen Netzes weiter reduziert; durch Kettenreaktionen, wie sie durch weitere Schutzauslösungen oder Instabilitäten durch Pendelungen der Kraftwerke initiiert werden können, kann das Netz (wieder) zusammenbrechen.

Es werden nicht nur Überschreitungen sondern auch Unterschreitungen von Meßwerten aus dem Netz überwacht. Speziell die Kontrolle der Spannung an einigen oder allen Sammelschienen im Netz ist sinnvoll, um den Qualitätsanforderungen der Kunden gerecht zu werden; weiterhin kann der Einbruch oder das Ansteigen der Spannung zu unerlaubten Zuständen einiger Betriebsmittel führen (Erregungsgrenze der Generatoren, Isolationsgrenze von Leitungen oder Transformatoren u.s.w.).

Aus diesen Überlegungen folgt, daß diese wichtige Leitsystemfunktion in einem Trainingssimulator für die Betriebsführung ebenfalls vorhanden sein muß.

6.1.2. Lösungskonzept

Die Nachbildung der Grenzwertüberwachung kann entweder in das dynamische Modell integriert oder an das Datenbanksystem angeschlossen werden. Da in der Realität die Meßwertüberwachung eine Leitsystemfunktion ist, wird für den Simulator für die Meßwertüberwachung die Implementation am Datenbanksystem gewählt. Da der Überlastschutz mit der Grenzwertüberwachung eng verwandt ist, wurde er in die Grenzwertüberwachung integriert; in der Realität wird er durch geeignete Schutzrelais in der Unterstation ausgeführt.

Für die Darstellung von Meßwerten in den Unterstationsdiagrammen ist es erforderlich, die Werte aus der Datenbank auszulesen und an der entsprechenden Position im Anlagenbild darzustellen. Sind neue Meßwerte durch die Meßwertrückversorgung (siehe 7.2) in die Datenbank eingetragen worden, wird das Bildsystem durch einen zyklischen Anstoß veranlaßt, die neuen Meßwerte darzustellen. Überschreitet ein Meßwert einen vorgegebenen Grenzwert, muß die entsprechende Darstellung des Meßwerts im Anlagenbild besonders hervorgehoben werden. Dazu ist es erforderlich, daß die Grenzwertuntersuchung vor dem zyklischen Anstoß zur Meßwerterneuerung durchgeführt werden muß, um dann den überschrittenen Meßwert zusammen mit einer entsprechenden Markierung darstellen zu können. Deshalb wird die Grenzwertüberwachung in das Programm, das den zyklischen Anstoß erzeugt, integriert.

Die Grenzwertüberwachung ermöglicht eine Klassifizierung des Zustands eines Betriebsmittels. Dabei sollte nicht nur nach „nicht überlastet" und „überlastet" unterschieden werden; vielmehr ist es erforderlich, schon eine drohende Überlastung zu erkennen. Außerdem kann eine Überlastung - sofern sie nicht zu hoch ist - über einige Minuten toleriert werden; allerdings ist eine erhöhte Aufmerksamkeit des Betriebsführers erforderlich. Daraus folgt eine Klassifizierung des Zustands eines (impedanzbehafteten) Betriebsmittels in:

Es sind verschiedene Möglichkeiten denkbar, die für die Grenzwertüberwachung notwendigen Daten in GDL zu beschreiben; sie sind in [ROL-92] dargestellt. Die einfachste Variante wäre eine generelle Festlegung der Grenzwerte für alle Meßstellen. Dies führt aber nicht zum gewünschten Erfolg, da die Nennleistung der Betriebsmittel nicht einheitlich ist und somit jedes Betriebsmittel eine eigene Definition der maximalen Belastbarkeit aufweist. Aus diesen Überlegungen folgt die Auswahl einer Beschreibungsvariante, die maximale Flexibilität gewährt.

Die Variante, die Grenzwerte mit einzelnen Betriebsmitteln zu verknüpfen, führt zu einer dann notwendigen Zuordnung der Grenzwerte zu einem Meßwert, die vom Schaltzustand in der Schaltanlage abhängig ist. Da die Kontrolle auf Grenzwertverletzung (in jedem Rechenschritt) zyklisch erfolgt, würde dieser Aufwand zu einem hohen Rechenzeitbedarf führen. Um dieses Problem zu umgehen, werden die Grenzwerte den Meßwerten direkt zugeordnet, wie es auch in der Praxis üblich ist.

Der Betriebsführer beobachtet sein Netz mit Hilfe des Übersichtsbildes. Auch hier müssen die Grenzwertverletzungen sichtbar gemacht werden. Zu diesem Zweck muß zusätzlich zu den eigentlichen Grenzwertmeldungen eine anlagen- bzw. stationsallgemeine Meldung generiert werden können, die in einer der vier Ecken des Unterstationssymbols angezeigt werden kann.

Die Belastung eines Netzes kann an bestimmten Punkten kurzfristig schwankende Werte aufweisen. Ein Beispiel hierfür ist der Anschluß von großen Induktionsöfen oder der Start großer Asynchronmaschinen. Um nicht bei einer kurzzeitigen Über- bzw. Unterschreitung eines Meßwerts den Betriebsführer unnötig zu alarmieren, muß eine zeitliche Verzögerung implementiert werden. Weiterhin könnten bei Meßwerten, die einen Grenzwert nur wenig verletzt haben, häufig wechselweise Meldungen wie „in Ordnung" und „Grenze verletzt" entstehen. Um dies zu verhindern, muß eine Hysterese vorhanden sein, die erst dann eine nicht mehr vorhandene Grenzwertverletzung meldet, wenn die Belastung deutlich unter dem Grenzwert liegt.

Werden trotz einer gemeldeten Überlastung keine geeignete Maßnahmen ergriffen, dieser entgegenzuwirken, wird gegebenenfalls das Betriebsmittel durch eine Überstromauslösung abgeschaltet. Da die Erfassung eines Überstroms prinzipell gleich funktioniert wie die Erfassung einer Grenzwertverletzung, kann der Überlastschutz einfach in die Grenzwertüberwachung integriert werden. Lediglich die topologische Suche des Leistungsschalters, der das Betriebsmittel (einseitig) abschaltet, muß für die Überlastschutzfunktion implementiert werden.

6.1.3. Realisierung

Zunächst wird eine geeignete Art der Beschreibung der Grenzwerte geschildert, ehe ein Algorithmus zur Verarbeitung dieser Daten vorgestellt wird.

Um den Rechenaufwand für die Grenzwertüberwachung minimal zu halten, werden die Grenzwerte am Meßwert in Form von relativen Spezies hinterlegt. Zu jedem Meßwert können bis zu drei obere bzw. untere Grenzwerte angegeben werden. Hierdurch wird die Klassifizierung des Betriebsmittelzustands in die Klassen „Warnung", „Alarm" und „Notfall" ermöglicht. Zur Beschreibung der verschiedenen Grenzwerte wurden also sechs relative Spezies definiert, die an die absolute Spezies des Meßwerts anzuhängen sind.

Beispiel: Ein Spannungsmeßwert an einer Sammelschiene der 220-kV-Ebene kann mit der maximalen Anzahl von Grenzwerten wie folgt beschrieben werden:

...,U.*GRO1=(240ENH)*GRO2=(250ENH)*GRO3=(260ENH)
*GRU1=(200ENH)*GRU2=(190ENH)*GRU3=(180ENH),...

Mit Hilfe dieser Art der Beschreibung ist es möglich, für jeden Meßwert individuell seine Grenzen zu definieren.

Es wurde für die oben angegebenen Spezies ein „neutrales" Attribut ENH (=Einheiten) gewählt, um die Spezies für die Überwachung aller Meßwertarten einsetzen zu können. Die Einheit des Meßwerts wird durch den entsprechenden Attributsatz des Meßwerts definiert.

Der Zustand „Meßwert hat obere/untere Grenze x verletzt" wird als Attribut am Meßwert hinterlegt; als Beispiel sei der Attributsatz für Spannungsmeßwerte angegeben:

328=(OK/GO1/GO2/GO3/0/KU1/KU2/KU3)(''KV);

Die Attributnamen haben folgende Bedeutung:

OK		: Meßwert ist innerhalb der Grenzen oder gleich null
GO : Meßwert ist größer als oberer Grenzwert der Stufe
KU : Meßwert ist kleiner als unterer Grenzwert der Stufe

In GDL ist es möglich, bestimmte Folgen von Spezies mit ihren Attributen zu sogenannten Typen zusammenfassen zu können. Mit dieser Möglichkeit können häufig auftretende Kombinationen von Spezies schnell und effektiv beschrieben werden. Charakteristisches Einsatzgebiet ist die Beschreibung einheitlicher Meß- und Schutzeinrichtungen. Obige Beschreibung läßt sich durch den Einsatz eines solchen Typs stark vereinfachen, indem der Meßwert mit seinen Grenzwerten als eigener Typ definiert wird. Typen werden beim Übersetzungsvorgang in ihre Speziesfolge aufgelöst, so daß auf Datenbankebene keinerlei Typen vorzufinden sind.

Mit der neuen Meßwertrückversorgung (vgl. 7.2) wurde eine neue Gattung von Meßwerten eingeführt, welche die prozentuale Auslastung des Betriebsmittels bezogen auf seine Nennscheinleistung angibt. Die für die Berechnung der prozentualen Auslastung notwendige Nennscheinleistung wird in die Beschreibung des Betriebsmittels als relative Spezies *S.NEN integriert. Die Zuordnung zwischen Betriebsmittel und Meßwert ist in der Topologieauswertung (siehe 7.1) für die Versorgung der Wirk- bzw. Blindleistungsmeßwerte und Strommeßwerte bekannt und wird für die Versorgung der prozentualen Auslastung ebenfalls benutzt.

Unter Verwendung des Meßwerts der prozentualen Auslastung - im folgenden Beispiel durch die Spezies RS. repräsentiert - kann die Grenzwertbeschreibung dann stark vereinfacht werden, indem an diesem Meßwert einheitlich folgende Beschreibung verwendet wird:

...,RS.*OGR1=(80ENH)*OGR2=(100ENH)*OGR3=(120ENH),...

Erreicht der Meßwert RS. den Wert von 80%, wird eine Warnung ausgegeben. Die Alarmmeldung erfolgt bei 100%, die Notfallmeldung bei 120% Auslastung des Betriebsmittels. Dieser Ausdruck kann als Typ definiert und in allen Abgängen zu impedanzbehafteten Betriebsmitteln verwendet werden.

Die Grenzwertüberwachung wird aufgerufen, nachdem alle Meßwerte durch die Meßwertrückversorgung in die Datenbank eingetragen worden sind. Es wird die Bankart 1 Region 1 der Datenbank von oben nach unten durchsucht; dabei werden alle gefundenen Meßwerte kontrolliert, ob entsprechende Grenzwerte angegeben sind. Ist dies der Fall, wird der aktuelle Wert mit den Grenzwerten verglichen. Wird dabei festgestellt, daß der am Meßwert hinterlegte Grenzwertzustand nicht der aktuellen Situation entspricht, wird wie in dem folgenden Beispiel vorgegangen:

In der Datenbank wird vorgefunden:

'''ADORF''220'SS[...U.=(OK 205KV)*GRU1=(210ENH),...]

Zur Nachbildung der zeitlichen Verzögerung wird bei erstmaliger Grenzwertverletzung zunächst nur vermerkt, daß erstmalig eine Grenzwertverletzung vorliegt; weitere Aktionen finden zunächst nicht statt. Erst wenn ein Meßwert eine Grenze mehr als zehn Sekunden (entsprechend einem weiteren Modellzyklus) verletzt ist, wird das folgende Ereigniselement gebildet:

'''ADORF''220'SS[U.=KU1]

und in die Datenbank eingetragen, so daß anschließend der Spannungsmeßwert mit dem Attribut „kleiner als Untergrenze 1" versehen ist:

'''ADORF''220'SS[...U.=(KU1 205KV)*GRU1=(210ENH),...]

Die Hysterese wurde durch Einführung eines Sicherheitsabstands realisiert. Erst wenn die Differenz zwischen Meßwert und Grenzwert größer als dieser Abstand ist, wird der Zustand des Betriebsmittels als „nicht überlastet" beurteilt. Der Abstand kann prozentual für die verschiedenen Meßwertarten (Strom, Spannung, Leistung) als Programmoption separat vorgegeben werden. Wird kein Wert vorgegeben, wird für Leistungs- und Strommeßwerte eine untere Schwelle von 95% vorgegeben, d.h. erst wenn der Meßwert 95% des Grenzwertes unterschreitet, wird die Überlastmeldung zurückgesetzt. Für Spannungsmeßwerte ist dieser Wert auf 100% gesetzt, d.h. hier wird die Hysterese nicht angewendet; durch eine entsprechende Programmoption beim Start der Grenzwertüberwachung kann aber auch für Spannungsmeßwerte eine Hystereseschwellwert angegeben werden.

Um auch im Übersichtsbild eine Überlastung eines Betriebsmittels anzeigen zu können, muß im Partial der stationsallgemeinen Meldungen die Spezies GRZWRT_A hinterlegt werden. Existiert diese Spezies und verletzt ein Meßwert seinen Grenzwert, wird zusätzlich ein Ereigniselement erzeugt, das den Zustand dieser Spezies von UEB- nach UEB verändert. Dieses Attribut kann in der Übersichtbilddarstellung durch Aktivierung eines Indikators im Unterstationssymbol angezeigt werden. Außerdem kann auf diese Weise in der Schaltanlagenbilddarstellung neben dem Anlagennamen ein Symbol eingeblendet werden, das den Bediener auf die Existenz einer Grenzwertverletzung in dieser Anlage hinweist. Sind die Meßwerte in einem späteren Zeitschritt wieder alle in ihren Grenzen, aber die Spezies GRZWRT_A weist noch eine Grenzwertverletzung aus (Attribut UEB), wird ein Ereigniselement erzeugt, welches die Veränderung des Attribut in UEB- bewirkt.

Bild 6.1 zeigt einen Auszug aus einem Ereignisprotokoll, in dem Ereignisse, wie sie unter anderem von der Grenzwertverletzung generiert werden, zu finden sind.

0:01:31 '''EHV	''380 'GT_Z	[LS       = AUS]
0:01:31 '''EHV ''380 'GT_W [LS = AUS]
0:01:31 '''GT ''380 'EHV_W [LS = AUS]
0:01:31 '''GT ''380 'EHV_Z [LS = AUS]
0:01:57 '''GT ''150 'TBW [I. = GO1]
0:01:57 '''GT ''150 'OTD [I. = GO1]
0:01:57 '''GT ''150 'HTW [I. = GO1]
0:01:57 '''GT ''150 'WW [I. = GO1]
0:01:57 '''GT ''150 'ALLG [GRZWRT_A = UEB]
0:01:57 '''TBN ''150 'BT [I. = GO1] 0:01:57 '''TBN ''150 'ALLG [GRZWRT_A = UEB]
0:01:57 '''TBW ''150 'TBN [I. = GO1] 0:01:57 '''TBW ''150 'ALLG [GRZWRT_A = UEB]

Bild 6.1.: Meldungen der Grenzwertüberwachung
Mit der Zeitmarkierung 0:01:31 findet man vier Meldungen, wie sie bei einer Kurzschluß-Schutzauslösung einer 380-kV-Doppelleitung auftreten. Daraufhin kommutiert ein Teil der über diese Leitungen geflossene Leistung in das unterlagerte, parallel verlaufende 150-kV-Netz. Die deshalb eintretenden Grenzwertverletzungen in einigen Leitungen des 150-kV-Netzes werden entsprechend später (Start der Lastflußrechnung um 0:01:40, Start der zweiten Lastflußrechnung um 0:01:50, Generierung der Ereignisse nach Abschluß der zweiten Lastflußrechnung um 0:01:57) gemeldet.

In die Grenzwertüberwachung integriert wurde eine unverzögerte Überlastauslösung. Die Beschreibung erfolgt analog zur Beschreibung der Grenzwerte, indem eine relative Spezies an den entsprechenden Meßwert gehängt wird:

...,I.*OGR1=(...)*SZ_AUS=(2000ENH),...

Überschreitet der Strommeßwert den angegebenen Wert von 2000 Einheiten (in diesem Fall Ampere), so wird eine topologische Suche gestartet, die den Leistungsschalter sucht, mit dessen Hilfe das überlastete Betriebsmittel abgeschaltet werden kann. Dazu wird zunächst im gleichen Partial, in dem der entsprechende Meßwert zu finden ist, ein Leistungsschalter gesucht. Ist dieser ausgeschaltet, so kann davon ausgegangen werden, daß das Feld mit Hilfe einer Umgehungssammelschiene und einem Kuppelleistungsschalter versorgt wird. Dazu wird die Umgehungssammelschiene identifiziert und entlang dieser Sammelschiene das Kuppelfeld mit dem Kuppelleistungsschalter gesucht. Ist der zugehörige Leistungsschalter gefunden worden, wird ein Ereigniselement generiert, das die Auslösung des Schalters beschreibt.

Weitere Detailinformationen zum Programm der Meßwertüberwachung mit integrierter Schutzauslösung finden sich in [ROL-92].

6.2. Lastabwurf bei Unterfrequenz

6.2.1. Problemstellung

Tritt in einem Netz durch plötzlichen Erzeugerausfall oder Steigerung der Belastung ein Erzeugungsmangel ein, wird die Differenz zwischen mechanischer Leistung der Turbinen und der Leistung der Verbraucher aus der Rotationsenergie der Schwungmassen des Netzes entnommen. Als Folge davon sinkt die Netzfrequenz. Die Primärregelung versucht, durch Leistungssteigerung der einzelnen Blöcke der Frequenzabsenkung entgegenzuwirken. Gelingt dies - z. B. wegen mangelnder Leistungsreserve in den Kraftwerken - nicht, wird die Frequenz weiter sinken. Wie in Abschnitt 6.3.1 geschildert wird, werden aus kraftwerkstechnischen Gründen bei einer Frequenzabsenkung von etwa 2,5 Hz alle Kraftwerkseinheiten vom Netz getrennt. Da durch die Abschaltung von einer oder mehrerer Erzeugereinheiten der Erzeugungsmangel verstärkt wird, sinkt die Frequenz noch schneller ab, und es werden weitere Erzeugereinheiten abgeschaltet; in letzter Konsequenz tritt ein völliger Netzzusammenbruch ein.

Um einen Frequenzeinbruch auf diese Werte zu verhindern, wird versucht, durch gezielte Lastabschaltungen oberhalb der kritischen Frequenz das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch wiederherzustellen. Da die Gradienten, mit der sich die Frequenz verändert, gegebenenfalls so steil sein können, daß der Netzbetriebsführer nicht genügend Reaktionszeit hat, erfolgt diese Abschaltung durch Lastabwurfrelais automatisch.

Durch Messung der aktuellen Frequenz wird bei Unterschreiten eines vorgegebenen Schwellwerts ein Leistungs- oder Lastschalter ausgelöst, der die Gesamtnetzlast dadurch reduziert. Die Wiedereinschaltung erfolgt nicht automatisch, sondern per Fernwirkbefehl oder vor Ort.

Im Bereich der Deutschen Verbundgesellschaft ist ein 5-Stufen-Plan für die Versorgung im Störungsfall definiert worden [DVG-80]. Hier werden fünf Frequenzwerte definiert, bei denen die folgenden Maßnahmen getroffen werden:

1. Stufe bei 49,8 Hz: Alamierung des Personals. Einsatz der noch nicht mobilisierten Kraftwerksleistung,
2. Stufe bei 49,0 Hz: unverzögerter Lastabwurf von 10 - 15% der Netzlast,
3. Stufe bei 48,7 Hz: unverzögerter Lastabwurf weiterer 10 - 15% der Netzlast
4. Stufe bei 48,4 Hz: unverzögerter Lastabwurf weiterer 10 - 15% der Netzlast, und
5. Stufe bei 47,5 Hz: Abtrennen der Kraftwerke vom Netz.

Im Netzwiederaufbau kann bei Zuschaltung von großen Lasten ein Frequenzeinbruch auftreten, der zu einer Auslösung von Unterfrequenzrelais und damit zu einer erneuten Abschaltung von Verbrauchern führen kann. Um dem Trainee die Folgeerscheinungen bei der Zuschaltung einer zu großen Last realistisch darstellen zu können, wurde die Implementierung eines entsprechenden Modells notwendig.

6.2.2. Lösungskonzept

Wird im Zusammenhang mit dem Simulator von einer Last gesprochen, so ist dies nicht im wörtlichen Sinne als einzelner Verbraucher zu verstehen, sondern als Grenzpunkt für die Beobachtbarkeit des Netzes. Aus Sicht der Netzführung der Hoch- und Höchstspannungsnetze stellen somit die Mittelspannungsnetze eine Last dar. Diese Sichtweise wurde für den Simulator übernommen.

Lastabwurfrelais werden vielfach in den Transformatorabgängen zum Mittelspannungsnetz eingebaut. Hier sind Varianten mit der Abschaltung sowohl auf der Oberspannungsseite als auch auf der Unterspannungsseite zu finden. Es besteht aber auch prinzipiell die Möglichkeit, die Lastabwurfrelais in die Abgänge der Mittelspannungs-Speisestation zu integrieren. Um das Verhalten von Relais in nicht mehr in der Simulatordatenbank abgebildeten Netzbereichen simulieren zu können, muß eine Reduzierung der Lasthöhe vorgenommen werden. Diese Lasthöhe ist aber von der Höhe einer Stellast zu unterscheiden, mit deren Hilfe die Zuschaltung einzelner Teilbereiche des Mittelspannungsnetzes nachgebildet werden kann. Liegt der vom Lastabwurfrelais ausgeschaltete Leistungsschalter im beobachtbaren Bereich, muß durch Generierung eines geeigneten Ereigniselements der Zustand des entsprechenden Schalters geändert werden.

Im europäischen oder internationalen Raum werden durchaus andere als die von der DVG vorgeschlagen Frequenzwerte verwendet. Außerdem treten Streuungen des Auslösewerts in Lastabwurfrelais elektromechanischer Bauart auf, die durch eine bewußte Verstellung des Auslösefrequenzwerts simuliert werden könnte. Eine Aufsplittung der vorgegebenen Frequenzwerte kann auch sinnvollerweise vorgenommen, da bei einer zeitgleichen Abschaltung 15 % der Netzlast - somit bei größeren Netzen Verbraucher mit einer Gesamtlast von mehreren hundert MW - ein momentaner Erzeugerüberschuß auftreten kann, der zu unerlaubt hohen Frequenzen führt. Also werden zur Erhaltung der vollen Flexibilität die Frequenzschwellwerte nicht als Stufennummer nach dem DVG-Plan, sondern mit ihrem absoluten Wert vorgegeben.

6.2.3. Realisierung

Die Beschreibung einer Last erfolgt mit Hilfe einer absoluten Spezies LAST oder SLAST, an die Parameter wie Wirk- oder Blindlasthöhe in Form von relativen Spezies angehängt werden. Da die Unterfrequenzrelais Einfluß auf das Lastverhalten haben, werden ihre Parameter ebenfalls als relative Spezies additiv zu einer Lastbeschreibung hinzugefügt.

Unter Beachtung der im vorhergehenden Abschnitt geschilderten Randbedingungen ergibt sich somit die folgende Definition von Spezies, die für die Beschreibung der Unterfrequenzrelais Verwendung finden:

Eine Beschreibung einer Last hat somit folgendes Erscheinungsbild:

'LAST[...,SLAST*TYP1=(100MVA)*TYP2=(50MVA)
*HOEHE=(100PZ)*UFRQ1=(48.5HZ 80PZ)
*UFRQ2=(48.3HZ 50PZ)*REDUZ=(100PZ),...]

Die hier vorliegende Stellast hat eine Wirkleistungsaufnahme von 100 MW, eine Blindleistungsaufnahme von 50 MVAr und ist zur Zeit auf 100% gestellt. Bei 48,5Hz wird die Leistung auf 80%, bei 48,3 Hz auf 50% - bei gleichbleibendem Leistungsfaktor cos phi reduziert. Die aktuelle Reduktion beträgt 100%, d.h. die Last ist nicht reduziert, also haben in dem durch die Last repräsentierten Netzbereich keine Unterfrequenzrelais ausgelöst.

In obigem Beschreibungsbeispiel wäre die Angabe einer Reduktion von 90% an der Spezies *UFRQ2 nicht zulässig, da der Wert größer als die Reduktion auf 80% der ersten Stufe ist; dies würde eine Laststeigerung bei dieser Frequenz bedeuten. Bei der Beschreibung ist also darauf zu achten, daß bei Erreichen eines Schwellwerts die Last wirklich reduziert wird. Die deshalb notwendige Plausibilitätsüberprüfung erfolgt in der Lastdatenaufbereitung, die für den Unterfrequenzschutz erweitert wurde.

Die vollständige Abschaltung eines Lastabgangs kann durch eine Reduktion auf 0% beschrieben werden. Wird bei einer solchen Reduktion auf 0% zusätzlich das Attribut LS angegeben, so wird statt einer entsprechenden Lastreduktion der Leistungsschalter abgeschaltet, über den diese Last mit dem übrigen Netz verbunden ist. Der Deskriptor dieses Schalters wird in jedem Zeitschritt durch eine topologische Suche in der Topologieauswertung (siehe 7.1) ermittelt, indem ausgehend von jeder Last der Leistungsschalter, mit dessen Hilfe die Last vom Netz getrennt werden kann, gesucht wird. Somit ist es möglich, auch die oberspannungsseitige Abschaltung von Transformatoren in die Mittelspannungsebene zu modellieren.

Durch den erweiterten Datenumfang mußte das Lastkartuschenformat gegenüber den Ausführungen in [ADE-92] erweitert werden. Nähere Informationen sind in [HIL-93] zu finden.

Die vereinfachte Berechnung der aktuellen Frequenz einer Insel erfolgt im Mittelzeitmodell durch Lösung der folgenden Differentialgleichung mit Hilfe des Runge-Kutta-Verfahrens [DIC-86]:
>

Dabei stellt PL die Summe aller versorgten Lasten in einer Insel („Insellast") dar. Bisher wurde PL für die Berechnung des Frequenzverlaufs innerhalb von 10 Sekunden als konstant angenommen.

Zur Berechnung der Frequenz unter Einfluß der Lastabwurfrelais wird nun im Mittelzeitmodell in jedem 0,1-s-Zeitschritt kontrolliert, ob bei der aktuellen Frequenz ein oder mehrere Lastabwurfrelais in Aktion treten. Um die für diese Ermittlung benötigte Rechenzeit möglichst gering zu halten, werden die Daten der Lastabwurfrelais beim Start des Simulators im dynamischen Modell nach der Abschaltungsfrequenz sortiert abgelegt. Erfolgt die Abschaltung einer oder mehrerer (Teil-)lasten durch Lastabwurfrelais, wird die Insellast PL entsprechend verkleinert. Das Runge-Kutta-Verfahren gibt dann den durch die Lastreduktion beeinflußten Frequenzverlauf wieder.

Zur Vereinfachung des Trainings für ungeübtes Personal können die Reaktionen des Unterfrequenzschutz durch Angabe einer Programmoption beim Start des dynamischen Modells unterdrückt werden.

6.3. Kraftwerksschutz

6.3.1. Problemstellung

Der Bereich des Kraftwerksschutzes fehlte in der Prototypversion völlig. Der Kraftwerksschutz umfaßt viele Bereiche [HOS-88], die sich jeweils mit dem Schutz einzelner Kraftwerkskomponenten beschäftigen. Ein vollständiges Schutzmodell für Kraftwerke, das den Schutz aller Komponenten berücksichtigt, wurde nicht implementiert, da nur wenige Schutzeinrichtungen eines Kraftwerks durch Aktionen der Netz- bzw. Kraftwerksleitstelle beeinflußt werden. Die meisten Kraftwerksschutzauslösungen sind von den Leitstellen nur als spontane Abschaltung des Blocks zu erkennen. Ausgenommen davon sind:

Abschaltung wegen Über- oder Unterfrequenz und

Rückleistungsschutz.

Weitere Schutzauslösungen können durch den Trainer simuliert werden, indem er mit Hilfe der Modelloberfläche Kraftwerkseinheiten abschaltet.

Turbinenschaufeln sind schwingungsfähige Gebilde, vergleichbar mit einer Stimmgabel oder Klaviersaite. Da innerhalb einer Turbine Schaufellängen von wenigen Zentimetern bis hin zu Metern auftreten, ergibt sich ein Spektrum von möglichen Resonanzfrequenzen. Aufgabe der Turbinenkonstrukteure ist es, einen Bereich um die Nenndrehzahl von solchen Resonanzen freizuhalten. Die Höhe der Resonanzerscheinungen sind abhängig vom Belastungsgrad der Maschine, da die Anregung durch den durch die Leitschaufeln geführten Dampf erfolgt. Um Schäden aufgrund von Resonanzen in der Turbine zu vermeiden, wird das Kraftwerk bei erreichen der oberen bzw. unteren Grenzfrequenz (Grenzdrehzahl) vom Netz getrennt. Außerdem soll durch die Abtrennung erreicht werden, daß das Fangen im Eigenbedarf mit höherer Sicherheit erfolgt und damit der Block für eine schnelle Wiederversorgung zur Verfügung steht. In den Forderungen der Deutschen Verbundgesellschaft findet man einen unteren Grenzwert von 47,5 Hz, der obere Grenzwert wird auf die Schnellschlußdrehzahl festgesetzt [DVG-91].

Ist ein Kraftwerksblock gerade synchronisiert worden, wird zunächst praktisch keine Leistung in das Netz eingespeist. Steigt in diesem Zustand die Netzfrequenz -beispielsweise durch Sollwertanhebung an einem anderen Kraftwerksblock oder Reduktion der Netzlast -, so schließt die Primärregelung die Turbinenventile völlig und der Generator deckt die Turbinenverluste, indem er Leistung aus dem Netz aufnimmt; durch die Verwirbelungsverluste kommt es zu Überhitzungen der Beschaufelung im Niederdruckteil der Turbine [DOE-95]. Ein dauerhafter Betrieb in diesem Arbeitspunkt ist nicht zulässig. Dies wird durch Auslösung des Rückleistungsschutzes verhindert, indem der Block wieder vom Netz getrennt wird.

Die Abschaltung eines Blockes durch das Rückleistungsrelais erfolgt nicht unverzögert, da aufgrund von Pendelungen kurzzeitige negative Leistungen auftreten, die aber zugelassen werden können. Erst wenn die Rückleistung längere Zeit (5...15 s, [HOS-88]) ansteht, wird der Block vom Netz getrennt.

Auf die Entstehung der oben angeführten Phänomene hat der Betriebsführer der Kraftwerksleitstelle entsprechende Einflußmöglichkeiten, da er für die Führung der Netzfrequenz verantwortlich ist bzw. durch Erhöhung des Leistungssollwerts einer soeben synchronisierten Einheit das Ansprechen des Rückleistungsschutzes vermeiden kann.

6.3.2. Lösungskonzept

Der Frequenzschutz der Kraftwerke kann als konsequente Fortsetzung des Lastabwurfmodells gesehen werden. Im Mittelzeitmodell wird die Frequenz beobachtet und bei Erreichen eines Grenzwerts der entsprechende Block abgeschaltet, indem entsprechende Ereigniselemente generiert und über die Ereignisverarbeitung in die Datenbank eingetragen werden.

Als Auslösekriterium für den Rückleistungsschutz muß die vom P-Distributor ermittelte Leistung jedes einzelnen Kraftwerksblocks verwendet werden. Erreicht sie negative Werte, wird die Anregung des Rückleistungsschutzes simuliert. Ist ein Rückleistungsschutzrelais zwei Zeitschritte hintereinander angeregt, erfolgt die Auslösung des entsprechenden Blocks ebenfalls durch Erzeugung entsprechender Ereigniselemente.

6.3.3. Realisierung

6.3.3.1. Frequenzschutz

Als unterer Frequenzwert wird in Anlehnung an die DVG-Empfehlungen [DVG-91] eine Abweichung von 2,5 Hz vom Nennfrequenzwert fest vorgegeben. Zur weiteren Vereinfachung wird ein oberer Grenzwert mit einer Abweichung von ebenfalls 2,5Hz festgelegt. Mit dieser Vereinfachung ergibt sich, daß die Auslösefrequenzen für alle Kraftwerke gleich ist; daraus ergeben sich zwei Konsequenzen:

  • auf eine explizite Beschreibung kann verzichtet werden, und

  • bei Erreichen einer der beiden Grenzwerte werden alle einspeisenden Blöcke abgeschaltet.

    Die Netzfrequenz in einer Insel ist das alleinige Kriterium für das Ansprechen des Frequenzschutzes; somit wurde der Algorithmus zur Nachbildung des Verhaltens der Frequenzschutzrelais in das Mittelzeitmodell implementiert. Verläßt die Frequenz das Intervall von ± 2,5Hz um die Nennfrequenz herum, werden Ereigniselemente generiert, die die Abschaltung aller in die betroffene Insel einspeisenden Kraftwerksblöcke bewirken. Ist ein synchronisierender Schalter (siehe 5.4) beschrieben worden, werden zusätzlich die entsprechenden Ereigniselemente generiert, die den Zustand dieser Schalter verändern. Als Folge davon ist in dieser Insel ein totaler Netzzusammenbruch eingetreten.

    Das Fangen im Eigenbedarf bei Abtrennung des Blocks gelingt nicht in allen Fällen. Untersuchungen haben ergeben, daß sich ein Block mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 50% im Eigenbedarf fängt [RUM-83a]. Wird im Modell nun ein Block durch Unterfrequenzschutz getrennt, wird über einen Zufallszahlen-Algorithmus ermittelt, ob er für den weiteren Verlauf als synchronisierbereit oder als nicht synchronisierbereit angenommen wird. Soll ein größerer Schaden im Block simuliert werden, der eine Verfügbarkeit für weitere Maßnahmen ausschließt, kann der Trainer per Eingabe an der Modelloberfläche den Block auf „nicht verfügbar" setzen.

    Soll das Training für unerfahrene Betriebsführer vereinfacht werden, kann der Frequenzschutz der Kraftwerke durch Angabe einer Programmoption beim Start des dynamischen Modells deaktiviert werden.

    6.3.3.2. Rückleistungsschutz

    Im dynamischen Modell werden am Ende eines Zeitschritts die vom P-Distributor ermittelten Leistungen daraufhin kontrolliert, ob sie negativ geworden sind. Ist dies der Fall, wird an der Bedienoberfläche des Modells eine Warnung ausgegeben. Ist während der Dauer von zwei Zeitschritten die Leistung negativ, wird der entsprechende Block abgeschaltet.

    In der ursprünglichen Version des P-Distributors wurden negative Einspeiseleistungen durch Nullsetzen des Leistungswerts unterbunden. Da aber eine negative Leistung als Anregekriterium für den Rückleistungsschutz erforderlich ist, wurde der P-Distributor modifiziert, damit negative Einspeiseleistungen auftreten können.

    Die Modifizierung des P-Distributors hat eine Änderung im Kraftwerksmodell zur Folge. Im Kraftwerksmodell wird unter anderem ausgehend von der Einspeiseleistung eine äquivalente Leistung des Frischdampfs („Dampfleistung") ermittelt, um daraus den Massendampfstrom zu ermitteln. Da negative Leistungen im P-Distributor nicht mehr unterdrückt werden, wird eine negative Dampfleistung berechnet, die einerseits zu einem Programmabbruch wegen eines negativen Arguments eines Logarithmus führt, aber andererseits auch physikalisch unsinnig ist. Durch Nullsetzen der Dampfleistung im Falle negativer Einspeiseleistung wird das algorithmische Problem umgangen.

    6.4. Parallelschalteinrichtungen

    6.4.1. Problemstellung

    Wird ein Leistungs- oder Lastschalter geschlossen, müssen unter Umständen die Parallelschaltbedingungen geprüft werden, um die Auswirkungen von Ausgleichsvorgängen im Netz zu begrenzen. Die aus der Sicht der Netzführung relevanten Bedingungen lauten im einzelnen:

    1. Auf beiden Seiten des Schalters muß annähernd die gleiche Frequenz herrschen.

    2. Auf beiden Seiten des Schalters muß annähernd der gleiche Spannungsbetrag vorliegen.

    3. Die Phasendifferenz zwischen den beiden Seiten des Schalters darf nicht zu groß sein.

    Die Festlegung der zulässigen Differenzen hängen von der Spannungsebene, der Art der Lasten im von der Schaltung betroffenen Netzbereich und der Entfernung zu großen Kraftwerkseinspeisungen ab.

    Dem Betriebsführer stehen in der Leitstelle nicht alle Meßwerte zur Verfügung, um die Einhaltung der Bedingungen vor der Erteilung eines Einschaltkommandos selber zu kontrollieren. Statt dessen werden vor Ort verschiedene Geräte eingesetzt, die diese Kontrolle übernehmen:

    1. Synchronisiergeräte in Kraftwerkseinheiten haben - neben der Kontrollfunktion - die Möglichkeit, durch Beeinflussung der Spannung (durch Eingriff in die Generatorerregung) und der Frequenz (durch Beeinflussung des Drehzahlreglers) automatisch für die Erfüllung der Parallelschaltbedingungen zu sorgen.

    2. Parallelschaltgeräte im Netz haben keinen Einfluß auf Spannung oder Frequenz auf einer oder beiden Seiten des Schalters. Darf im Moment der Befehlserteilung wegen Verletzung einer oder mehrerer Parallelschaltbedingungen nicht zugeschaltet werden, wird der Einschaltbefehl zunächst gespeichert und an die Leitstelle zurückgemeldet, aus welchem Grund (noch) nicht zugeschaltet werden kann. Werden die Parallelschaltbedingungen zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt, wird der Einschaltbefehl an den Schalter weitergegeben.

    3. Parallelschaltsperren sind vereinfachte Parallelschaltgeräte, die keine Zwischenspeichermöglichkeit des Schaltbefehls aufweisen. Sind im Moment der Befehlserteilung die Parallelschaltbedingungen nicht erfüllt, wird der Schaltbefehl unterdrückt und muß gegebenenfalls wiederholt werden.

    Parallelschaltgeräte und Parallelschaltsperren werden im folgenden unter dem Begriff Parallelschalteinrichtungen zusammengefaßt.

    Speziell im Netzwiederaufbau können bei ungeschickter Vorgehensweise Situationen auftreten, bei denen eine Zuschaltung durch eine Parallelschalteinrichtung verhindert wird. Belastet man beispielsweise eine einseitig offene Netzmasche zu stark, so wird am offenen Ende der Spannungswinkel gegenüber dem Ausgangsspannung so weit drehen, daß eine Zuschaltung nicht mehr zulässig ist, wie im linken Teil des Bilds 6.2 gezeigt ist.

    Bild 6.2. Spannungswinkeldrehungen bei Belastung

    Dies kann verhindert werden, indem die Masche möglichst in zwei Teilen aufgebaut wird, wie im rechten Teil des Bildes 6.2 zu sehen ist. Die Spannungswinkeldifferenz, die dann in der Schaltanlage D auftritt, ist bei symmetrischen Verhältnissen auf der oberen bzw. unteren Hälfte der Masche gleich null, bei in der Praxis auftretenden Unsymmetrieen aber trotzdem hinreichend klein. Wird die Masche geschlossen, bevor man die einzelnen Lasten zuschaltet, treten kaum Spannungswinkeldrehung auf, jedoch kann es zu erheblichen Differenzen im Spannungsbetrag kommen.

    Zerfällt bei Eintritt einer Großstörung ein Netz in mehrere Inseln, müssen diese im Laufe des Wiederaufbaus wieder synchronisiert werden. Dazu ist die Verwendung von Parallelschaltgeräten erforderlich, die zu diesem Zweck an strategischen Punkten im Netz eingebaut sind. Zu diesen Punkten müssen zu synchronisierende Inseln vorgeschaltet werden.

    Das Verhalten der Synchronisiergeräte war schon in der Prototypversion des Simulators enthalten. Allerdings fehlte ein Modell zur Nachbildung der Parallelschalteinrichtungen, um die oben beschriebenen Effekte im Training zeigen zu können.

    6.4.2. Lösungskonzept

    Ein Modell zur Nachbildung der Parallelschalteinrichtungen könnte in das dynamische Modell integriert werden, da hier alle Funktionen vereinigt sind, die nicht in der Leitstelle ablaufen. Im Modell ist allerdings die Topologie des Netzes nur in Form aller aktuell zugeschalteten impedanzbehafteten Betriebsmittel mit den dazwischenliegenden Knoten bekannt. Für die Ermittlung der Spannungs- und Frequenzwerte an einem zu schließenden Schalter ist aber die Kenntnis der genauen Anlagentopologie erforderlich.

    Ein Programm, das ausschließlich auf der Datenbank aufsetzt und seine zur Prüfung der Parallelschaltbedingungen nötigen Spannungs-, Phasenwinkel- und Frequenzwerte aus der Datenbank bezieht, ist ebenfalls nicht möglich, da nicht alle erforderlichen Meßwerte an allen benötigten Stellen zur Verfügung stehen. Somit mußte eine Hybrid-Lösung angestrebt werden, die einerseits die an der Parallelschaltung beteiligten Knoten mit der Kenntnis der Anlagentopologie auf Basis der Datenbank ermittelt und andererseits die Spannungs- und Frequenzwerte aus dem dynamischen Modell abfragen kann [MIC-94].

    Werden zwei Knoten innerhalb einer Insel miteinander verbunden, kann die über dem Schalter anstehende Phasendifferenz der Spannungen durch die Phasenlage der Knotenspannungen zum Bezugsknoten der Lastflußrechnung ermittelt werden. Sind beide Knoten jedoch in verschiedenen Inseln, werden die Phasenlage der Knoten relativ zu verschiedenen Bezugsknoten angegeben, eine Bestimmung der Phasendifferenz zwischen den Knoten ist somit nicht möglich. Es besteht - wie auch in realen Netzen - im Moment der Befehlserteilung eine zufällige Phasendifferenz. Im Simulator wird deshalb in diesem Moment eine Phasendifferenz durch einen Zufallszahlenalgorithmus bestimmt. Der weitere zeitliche Verlauf der Phasendifferenz wird aus der Frequenzdifferenz der beiden Inseln durch Integration ermittelt.

    Die möglichen Rückmeldungen der Parallelschaltgeräte, die im Falle der Zuschaltungsverweigerung an die Leitstelle übertragen werden, sind sehr vielfältig und nicht zuletzt auch vom Hersteller der Geräte abhängig. Für den Trainingssimulator muß ein einheitlicher Satz von Meldungen vereinbart werden.

    6.4.3. Realisierung

    Wie oben ausgeführt wurde, ist eine einheitliche Parametrierung aller Parallelschalteinrichtungen nicht möglich, da die im Einzelfall eingestellten Parameter vom Einbauort des Geräts abhängen. Allerdings kann durch eine Default-Parametrierung der Beschreibungsaufwand reduziert werden, sofern die genauen Daten nicht bekannt sind oder an vielen Stellen dieselben Parameter verwendet werden.

    Im Programm ist eine Voreinstellung für die maximal zulässigen Differenzen der Frequenz und Spannung hinterlegt (Winkeldifferenz 10 Grad, Frequenzdiefferenz 100mHz, relative Spannungsdifferenz 2,5%). In einer speziellen Kartusche der Netzbeschreibung, die netzallgemeine Daten enthält ( '''ALLG), können diese Werte für alle Spannungsebenen, aber auch für einzelne Spannungsebenen, überschrieben werden. Weiterhin ist es möglich, statt der Defaults Parameter zu verwenden, die am Parallelschaltgerät selbst beschrieben werden. In der Anwendung wird jeweils die Definition gewählt, die auf der niedrigsten Beschreibungsebene zum Gerät gefunden wird.

    Außerdem muß für die Beschreibung der Parallelschalteinrichtungen die Unterscheidung in Parallelschaltgeräte und -sperren erhalten bleiben, da sich ihre Reaktionsweise unterscheidet. Aus diesen Randbedingungen ergibt sich die Definition der zur Beschreibung erforderlichen Spezies, wie sie in Tabelle 6.1 aufgelistet sind. Die Beschreibung erfolgt als eine relative Spezies; sie wird an den Leistungsschalter angehängt, dessen Einschaltbefehle von einer Parallelschalteinrichtung bearbeitet werden.

    SpeziesFunktion Defaultparameter verwenden RBE-Nummer des Attributsatzes
    *PSGParallelschaltgerätja122
    *PSSParallelschaltsperreja122
    *PSGMP Parallelschaltgerät nein400
    *PSSMP Parallelschaltsperre nein500

    Tabelle 6.1.: Spezies zur Beschreibung von Parallelschalteinrichtungen

    Zur Beschreibung der Defaults in der Kartusche mit den netzallgemeinen Daten werden die beiden unteren Spezies verwendet. Da sie aber relative Spezies sind, muß eine absolute Spezies ( PSEPAR, Parallelschalteinrichtungsparameter) eingeführt werden, an die die relativen Spezies angehängt werden können. Die Spezies PSEPAR trägt keinerlei Attribute (RBE-Nummer 100).

    Die Rückmeldungen des Parallelschaltgeräts werden vereinheitlicht, indem nur der Grund für eine Zuschaltungsverweigerung qualitativ angegeben wird, d.h. ist die Frequenzdifferenz zu hoch, meldet das Gerät genau diesen Zustand ohne eine quantitative Bewertung (ein wenig zu hoch, viel zu hoch u.s.w.). Ist eine genaue Kenntnis der Differenzen erforderlich, kann der Betriebsführer sie vom Trainer erfragen, der sie aus den tabellarischen Lastfluß- und Mittelzeitmodellergebnissen ermitteln kann.

    Demzufolge lauten die für die Parallelschalteinrichtungen definierten Attributsätze:

    122=(OK/DPH/DU/DF)(-/LFT);
    400=(OK/DPH/DU/DF)(-/LFT)('GRD)('PPT)('mHz);
    500=(OK/DPH/DU/DF)(-/LFT)('GRD)('PPT)('mHz)('SEK);

    Dabei bedeuten die Abkürzungen:

    OK : alle Bedingungen erfüllt
    DPH : Spannungswinkeldifferenz zu hoch (Delta PHi)
    DU : Spannungsbetragdifferenz zu hoch (Delta U)
    DF : Frequenzdifferenz zu hoch (Delta F)
    LFT : Parallelschaltgerät läuft
    GRD : maximale Spannungswinkeldifferenz in GRaD
    PPT : maximale Spannungsbetragdifferenz in Promille (Parts Per Thousands)
    mHz : maximale Frequenzdifferenz in Millihertz
    SEK : Speicherzeit des Befehls in SEKunden
    Im folgenden GDL-Text ist die Verwendung der Spezies zur Beschreibung des Verhaltens der Parallelschaltgeräte gezeigt.

    '''ALLG
    ''380
    'ALLG [PSEPAR*PSGMP=(15GRD 75PPT 100mHz 60SEK)]
    ''220
    'ALLG [PSEPAR*PSGMP=(15GRD 100PPT 100mHz 60SEK)]
    '''''

    '''ADORF
    ''380
    'FELD_1 [...,LS*PSG,...]
    'FELD_2 [...,LS*PSGMP=(15GRD 75PPT 50mHz 120SEK),...]

    In der Kartusche ALLG erkennt man die Festlegung der Parameter für alle Parallelschalteinrichtungen der 380-kV- und 220-kV-Ebene. In dem Auszug aus der Kartusche ADORF werden für das Parallelschaltgerät im FELD_1 die oberen in ALLG angegebenen Parameter benutzt; im FELD_2 hingegen wird der am Gerät angegebene Parametersatz verwendet.

    Die Einbettung der Programme zur Simulation der Parallelschalteinrichtungen und die sich daraus ergebenden Kommunikationskanäle sind in Bild 6.3 gezeigt.



    Bild 6.3.: Struktur des Modells der Parallelschalteinrichtungen

    Ein Schaltbefehl an einen Leistungsschalter mit Parallelschalteinrichtung wird wie folgt behandelt:

    Wird ein Schaltbefehl wegen Verletzung der Parallelschaltbedingungen nicht ausgeführt, kann der dann zwischengespeicherte Befehl durch den Bediener abgebrochen werden. Dazu wird nach entsprechender Bedienung vom Bildsystem ein Ereigniselement generiert, das den Objektdeskriptor des Parallelschaltgeräts mit dem Attribut LFT- enthält.

    Für die Darstellung der Rückmeldungen im Anlagenbild werden beispielsweise die im Bild6.4 dargestellten Symbole verwendet, die rechts unterhalb des Symbols des zu betätigenden Leistungsschalters (Rechteck) erscheinen.



    Bild 6.4.:Symbole der Parallelschalteinrichtungen

    Aufgrund der oben beschriebenen Funktionalitäten ergibt sich bei der Synchronisierung zweier asynchroner Netzinseln beispielsweise folgender Ablauf:

    Zurück zum AnfangNächstes KapitelInhaltsverzeichnisElektronische DissertationenHauptseite der UB