Litzinger, Andreas: Systemintegration, Weiterentwicklung und Anwendung eines Trainingssimulators...


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8. Anwendungen des Trainingssimulators

Im Laufe der Entwicklung des Simulators wurde ein Stand erreicht, der es erlaubt, den Simulator in verschiedenen Anwendungen zu nutzen; daraus konnten Anregungen für die Weiterentwicklung des Systems gewonnen werden. Die Anwendungen, über die hier berichtet werden soll, sind:

Praktikumsversuch für Studenten des Studiengangs Elektrotechnik / Energietechnik an der Gerhard-Mercator-Universität - Gesamthochschule - Duisburg,

Trainingssimulator für die Stadtwerke Duisburg und

Trainingssimulator für die Durchführung von Netzwiederaufbau-Seminaren für die Betriebsführer des niederländischen Transmissions- und Subtransmissionsnetzes.

8.1. Praktikum für Studenten

In der Ausbildung der Studenten werden die in Vorlesung und Übung „Elektrische Anlagen und Netze" dargestellten theoretischen Grundlagen und Rechenmethoden durch ein Praktikum ergänzt, das die Eigenschaften verschiedener Geräte und Apparate (Transformatoren, Petersen-Spulen, Leistungsschalter, Schutzgeräte u.s.w.) experimentell untersucht. Im Rahmen dieses Praktikums wird auch der Trainingssimulator eingesetzt. Ziel ist dabei, die Betrachtung der Einzelkomponenten durch eine globale Darstellung der Zusammenhänge des Netzbetriebs zu vertiefen. So kann man den Studenten einerseits einen Einblick in das physikalische Verhalten des Gesamtnetzes und andererseits in die daraus resultierenden Aufgaben der Netzbetriebsführung vermitteln.

Zu diesem Zweck wurde ein fiktives Netz in GDL beschrieben, an dem die Studenten mehrere Aufgaben zu lösen haben:

1. Anfahren und Synchronisieren eines Kraftwerksblocks aus der Sicht der Netzleitstelle,

2. Maßnahmen zur Belastungsreduktion von überlasteten Betriebsmitteln,

3. Untersuchung der Einflüsse von längs- und quergeregelten Transformatoren in vermaschten Netzen,

4. Inbetriebnahme von Kabeln und Freileitungen,

5. Freischaltung von Betriebsmitteln zu Wartungszwecken, und

6. Verhalten der Primär- und Sekundärregelung im Inselnetz.

Mit der ersten Aufgabe (Anfahren eines Kraftwerks) soll dem Studenten der Unterschied zwischen Einspeise- und Anfahranschluß eines Kraftwerks und der Übergang in den Blockbetrieb dargestellt werden. Daneben können mehrere typische Eigenbedarfsschaltungen gezeigt werden.

In der zweiten Aufgabe (Belastungsreduktion) soll zunächst festgestellt werden, welches Betriebsmittel überlastet ist, indem im Schaltanlagenbild geeignete Meßwerte zur Beurteilung der Betriebsmittelauslastung angewählt werden. Ist das betroffene Betriebsmittel (Transformator) identifiziert, muß der Student geeignete Gegenmaßnahmen herleiten und durchführen. In diesem Fall kann durch Zuschaltung eines zweiten parallelen Transformators die Belastung halbiert werden. Dabei werden die Einschaltreihenfolge und die Parallelschaltbedingungen von Transformatoren diskutiert und angewendet.

Während der Durchführung der dritten Aufgabe (Längs-/Querregelung) wird durch Verstellung eines längs- bzw. eines quergeregelten Transformators der Einfluß auf die Blind- bzw. Wirkleistungsverteilung in vermaschten Netzen untersucht. Besonders der nicht in allen Fällen bewußte Zusammenhang Längsregelung / Blindleistungsverteilung und Querregelung / Wirkleistungsverteilung wegen des induktiven Verhaltens der beteiligten Betriebsmittel kann verdeutlicht werden.

Die vierte Aufgabe (Einschalten von Leitungen) verlangt, jeweils ein Kabel und eine Freileitung gleicher Länge und Übertragungskapazität in Betrieb zu nehmen, um die unterschiedliche Ladeleistung bei annähernd gleicher Übertragungslänge deutlich zu machen. An dieser Stelle kann der der über-/unternatürliche Betrieb einer Leitung diskutiert werden.

Die fünfte Aufgabe (Freischaltung) soll dem Studenten nochmals die Funktion von Leistungsschalter, Trenner, Erder, Kuppelfeld und Sammelschiene näher bringen. Indem mehrere Freischaltungen in verschiedenen Anlagentypen durchgeführt werden, ergibt sich die Gelegnheit, die Aufgaben der verschiedenen Geräte und Anlagenteile zu diskutieren. Besonders wichtig an dieser Stelle ist die Existenz des Expertensystems für Verriegelung (siehe 3.4.3), das jede nicht zulässige Schalthandlung des Studenten unterbindet und eine Fehlermeldung ausgibt.

In der sechsten Aufgabe (Leistungsregelung) wird das Verhalten der Kraftwerke in einem Inselnetz studiert und dabei die Funktionsweise der Primär- und Sekundärregelung untersucht. Dabei werden Frequenz und Leistung der in der Insel befindlichen Kraftwerke im Meßwertfenster (siehe 3.4.4) angezeigt und deren zeitlicher Verlauf erläutert.

Da die Hardware-Konfiguration des Simulators flexibel aufbaubar ist, kann auf unterschiedliche Anzahl von Studenten in einer Praktikumsgruppe mit variabel gestalteten Arbeitsplätzen reagiert werden. Allerdings zeigt die Erfahrung, daß beim Einsatz mehrerer Arbeitsplatzrechner der Praktikumsleiter auch zu koordinierter Zusammenarbeit ermahnen muß.

Insgesamt konnte festgestellt werden, daß durch den Einsatz moderner Rechnersysteme für den Praktikumsversuch die Motivation und damit die Lernbereitschaft der Studenten sehr hoch lag. Auf Nachfrage wurde fast immer bestätigt, daß dieser Praktikumsversuch hohen Lerneffekt besitzt. Weiterführende Informationen sind in [BRU-94] zu finden.

Weitere Anwendung im Bereich der Lehre findet der Simulator in der Übung zur Vorlesung „Netzleittechnik", wobei vertiefend auf die leittechnischen Funktionen (Ereignisverarbeitung, Bildsystem) eingegangen wird.

8.2 Trainingssimulator für die Stadtwerke Duisburg AG

Zeitgleich zu den in dieser Dissertation besprochenen Arbeiten wurde am Institut „Elektrische Anlagen und Netze" ein Expertensystem für Netzwiederaufbau entwickelt. Hauptaufgabe des Expertensystems ist die Unterstützung des Leitstellenpersonals bei der Netzrestitution nach Großstörungen.

Der Simulator ist in einer reduzierten Version (zwei Workstations) zusammen mit dem Expertensystem (eine Workstation) im Nebenraum der Warte der Stadtwerke Duisburg AG installiert [KÖN-95]. Während der Simulation leitet das Expertensystem den Trainee an, indem die einzelnen Schritte des Netzwiederaufbaus als Empfehlungen auf dem Bildschirm erscheinen und vom Trainee an der Simulation ausgeführt werden. Das Expertensystem überprüft die getroffene Maßnahme und schlägt anschließend den nächsten Schritt vor. Durch eine integrierte Erklärungskomponente hat der Trainee die Möglichkeit, die vom Expertensystem getroffenen Entscheidungen zu hinterfragen.

Das im EVU vorhandene Leitsystem besitzt keine Möglichkeit, mit Hilfe einer Lastflußrechnung geplante Schaltmaßnahmen vor der Durchführung auf Überlastungen oder Spannungsbandverletzungen im Netz kontrollieren zu können. Mit Hilfe des Simulators konnte dieser Nachteil behoben werden, indem die geplanten Maßnahmen im Simulator durchgeführt und die Ergebnisse auf komfortable Weise (im Anlagenbild) dargestellt werden. Allerdings wäre für diesen Zweck eine Kopplung zum Leitsystem wünschenswert, um den Arbeitsaufwand für die Einstellung der aktuellen Netzsituation reduzieren zu können.

Durch Ankauf von Netzteilen, die innerhalb des Stadtgebiets liegen und bisher durch ein anderes Unternehmen betrieben wurden, ist die Größe des Netzes angestiegen. Die Erweiterung des Netzes und die dafür erforderlichen neuen Komponenten konnten den Betriebsführern weit vor der eigentlichen Inbetriebnahme auf dem Simulator dargestellt werden. Somit war dem Personal die Möglichkeit gegeben, sich im Training auf die neue Netztopologie und das daraus resultierende veränderte Netzverhalten einzustellen.

8.3. Trainingsseminare

Die Hauptanwendung des Simulators lag in der Durchführung von Trainingsseminaren, die vom Fachgebiet in Zusammenarbeit mit KEMA-ECC organisiert und durchgeführt wurden [OMM-94]. Das erste Seminarangebot wurde überwiegend von Betriebsführern niederländischer EVU wahrgenommen, so daß kurzfristig die Entscheidung fiel, statt des vorgesehenen fiktiven Netzes das niederländische Transmissions- und Subtransmissionsnetz zu verwenden. Durch die zügige Datenbereitstellung seitens der niederländischen EVU und die hohe Effektivität der GDL-Datenerfassung konnte dieser Schritt rasch realisiert werden.

Im Bereich der niederländischen EVU ist die von der Europäischen Union propagierte Trennung zwischen Erzeugung und Transport elektrischer Energie bereits weitgehend verwirklicht. Sie führte zur Bildung von separaten Produktionsgesellschaften, die jeweils für die Führung ihres Bereichs eine eigene Warte aufgebaut haben.

Das Transmissionsnetz (380 kV und 220 kV) wird von Sep (Samenwerkende elektriciteits-produktiebedrijven) gesteuert und überwacht. Weitere Aufgabe dieser Gesellschaft ist die wirtschaftlich optimale Erzeugung der Leistung in den eigenen Kraftwerken sowie die Regelung der Austauschleistung der Niederlande mit der UCPTE(Union pour la Coordination de la Production et du Transport de l'Ectricite)-Partnern. Die Subtransmissionsnetze (150 kV bzw. 110 kV) werden von insgesamt sieben Netzbetriebsgesellschaften betrieben.

Die Einsatzplanung und Steuerung der Kraftwerke liegt im Normalbetrieb in der Verantwortung von Sep; die Einheiten werden zentral sekundärgeregelt. Der überwiegende Teil der Kraftwerke speist in die Subtransmissionsnetze ein, die allerdings von Sep nicht beobachtet werden.

Die Trennung zwischen Kraftwerks- und Netzleitstellen führt so im Normalbetrieb zu keinen unüberwindbaren Problemen. Im Großstörungsfall hingegen fällt die zentrale Sekundärregelung aus. Es ist dann eine koordinierte Zusammenarbeit von Kraftwerks- und Netzpersonal aller Ebenen erforderlich, wozu als Kommunikationsmittel nur das Telefon zur Verfügung steht.

Bei den niederländischen EVU wurde das Problem erkannt und man nutzte die vom Fachgebiet angebotene Möglichkeit für die periodische Durchführung von Trainingsseminaren. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe „WG hersteltraining", die aus Mitarbeitern der niederländischen EVU besteht, wurde ein mehrstufiges Konzept für die Weiterbildung von Schaltingenieuren und Kraftwerksführern in Leitstellen entwickelt.

In der ersten Stufe steht die Vermittlung der physikalischen Phänomene, wie sie im Netzwiederaufbau in Erscheinung treten, im Vordergrund. Dies sind im besonderen:

Spannungshaltung und Blindleistungssteuerung, sowie

Frequenzhaltung in Inselnetzen.

Außerdem wird spezielles Augenmerk auf die Beobachtung und Steuerung des Wirkleisungsaustausch zwischen Sep und den beteiligten Gesellschaften gelegt.

Durch Eingriffe des Trainers kann ein Netzwiederaufbau beliebig schwierig gestaltet werden. In der ersten Stufe der Betriebsführerausbildung wurde bewußt auf eine solche Erschwerung verzichtet, um die Konzentration des Betriebsführers auf die Dinge zu lenken, die ihn in jedem Netzwiederaufbau vor Probleme stellen werden. Dies bedeutet, daß der Trainer keine Handicaps setzt, sondern statt dessen kooperativ am Netzwiederaufbau mitwirkt.

Weitere Aspekte, die einen Wiederaufbau erschweren können, wurden in der ersten Stufe bewußt vereinfacht dargestellt:

Alle Betriebsmittel sind verfügbar.

Die Anfahrzeiten der Kraftwerken sind verkürzt eingestellt. Diese Maßnahme dient zur Reduzierung von Wartezeiten im Wiederaufbautraining.

Eingeschränkte Kommunikationskanäle werden nicht simuliert, d. h. alle Betriebsführer sind in einem Raum untergebracht und führen gemeinsam das Training durch.

Die letztere Vereinfachung zeigte auch durchaus positive Effekte, da die Betriebsführer die Tätigkeiten der Kollegen unmittelbar mitverfolgen und sich ein Bild von den speziellen Schwierigkeiten der jeweils anderen Betriebsführergruppe machen konnten.

Für das Verständnis der weiteren Ausführungen sollen an dieser Stelle zwei Begriffe definiert werden:

Unter einem Szenario soll der Ausgangszustand verstanden werden, von dem aus der Simulator gestartet wird.

Unter einer Strategie sollen diejenigen globalen Maßnahmen verstanden werden, die zur Behebung der Störungssituation vereinbart sind.

Zur Einführung in den Problemkreis dient ein einfaches Ausgangsszenario, das im folgenden geschildert werden soll. Es wird innerhalb eines Seminars nur leicht verändert mehrfach angewendet. Folgende Punkte charakterisieren das Szenario:

bei der Spitzenlast des niederländischen Netzes tritt ein völliger Netzzusammenbruch ein,

etwa 50 % der synchronisierten Kraftwerke fangen sich im Eigenbedarf,

es sind genügend warme Kraftwerke für die Vollversorgung der Lasten vorhanden und

alle Leistungsschalter sind offen.

Auf dieses Szenario werden drei unterschiedliche Strategien angewendet, die sich folgendermaßen charakterisieren lassen:

Aufbau „von oben" mit maximal 1000 MW Verbundhilfe aus dem europäischen Netz,

keine Verbundhilfe, keine Verwendung des Transmissionsnetzes, Aufbau einzelner EVU-Subtransmissions-Teilnetze mit den inliegenden Kraftwerken, und

keine Verbundhilfe, Aufbau „von unten" unter möglichst früher Verwendung des niederländischen Transmissionsnetzes.

Die erste Strategie, die den einfachsten Fall darstellt, soll den Betriebsführer an den Simulator heranführen. Die Frequenzhaltung im ersten Szenario ist unproblematisch, da an den Verbundkupplungen die Schwungmasse des gesamten UCPTE-Netzes mit ca. 300 GW synchronisierter Leistung dargestellt wird. Da hier nur kleinere Probleme wie beispielsweise Spannungshaltung auftreten, kann ein Teil der Konzentrationsfähigkeit des Trainees dazu benutzt werden, sich an die von seiner Warte leicht abweichende Bedienoberfläche zu gewöhnen. Dies gelingt in etwa ein bis zwei Stunden. Unterschiedliche Eingewöhnungszeiten verschiedener Betriebsführer konnten auf unterschiedliche Erfahrungen im Umgang mit modernen Peripheriegeräten wie Maus und Softtasten erklärt werden.

Die zweite Strategie soll dem Betriebsführer das Verhalten von schwachen Inselnetzen darlegen. Hier ist eine Kopplung der Subtransmissionsnetze mit dem Transmissionsnetz nicht erlaubt. Vielmehr sollen mehrere unabhängige Teilnetze parallel mit den inliegenden Kraftwerken so weit wie möglich aufgebaut werden. Hier wird die Frequenzhaltung zum Hauptproblem, da sie eine enge Koordination zwischen Kraftwerksführung und Lastzuschaltung seitens der Subtransmissions-Netzleitstellen erfordert. Hier konnte ein realistisches Verhalten nur nach Modellierung der Lastabwurfrelais (siehe 6.2) und des Frequenzschutzes der Kraftwerke (siehe 6.3) erreicht werden.

Die dritte Strategie entspricht den allgemeinen Empfehlungen von Sep für den Netzwiederaufbau. In den einzelnen Subtransmissionsnetzen wird zunächst mit allen Kraftwerken, die sich im Eigenbedarf gefangen haben, eine Insel aufgebaut. Diese Kraftwerke bis etwa 50% ihrer Nennleistung mit Lasten in den Netzinseln vorbelastet. Anschließend werden diese Inseln über das (ausgedünnte) Sep-Transmissionsnetz verbunden. Die Weiterbelastung aufgrund anwachsender Kraftwerksleistung bis zur völligen Wiederversorgung erfolgt unter der Koordination von Sep. Die relativ hohe Vorbelastung bei etwa 50% wurde aufgrund der Befürchtung gefordert, daß wenig belastete Blöcke leichter zu Instabilitäten neigen und somit das Gesamtnetz gefährden. Um die Synchronisierung mehrerer Inseln realistisch nachbilden zu können, war die Entwicklung des Modells der Parallelschaltgeräte (siehe 6.4) zwingend erforderlich.

In weiteren Szenarien wird das intakte, jedoch vom UCPTE-Netz getrennte Energieversorgungssystem in den Zusammenbruch getrieben. Kraftwerksabschaltungen, die der Trainer von Hand vornimmt, führen zu Frequenzeinbrüchen, die zunächst aufgrund der Belastungsreduktion durch Lastabwurfrelais aufgefangen werden. Diese Prozedur wird wiederholt durchgeführt, da die Auslösefrequenzen der Lastabwurfrelais in mehreren Stufen gestaffelt sind. Erreicht die Frequenz auf diese Art und Weise einen unteren Grenzwert von 47,5 Hz, werden alle restlichen Kraftwerke durch Unterfrequenzschutz vom Netz getrennt.

Das so entstehende Szenario unterscheidet sich von der einfachen Variante in folgenden Punkten:

Der nach einer Handabschaltung herrschende Betriebszustand der Kraftwerke wird vom Trainer vorgegeben.

Von den durch Unterfrequenzschutz-Auslösung vom Netz getrennten Kraftwerken wird angenommen, daß sich 50% der Blöcke im Eigenbedarf gefangen haben; auf welche Blöcke dies zutrifft, wird durch einen Zufallszahlen-Algorithmus ermittelt.

Soweit während der simulierten Störung keine Leitungen durch Überlastschutz abgeschaltet werden, bleibt das Netz vollständig zusammengeschaltet. Alle Lasten sind mit dem spannungslosen Netz verbunden, allerdings ist die Lasthöhe durch eventuell vorhandene Lastabwurf-Relais reduziert.

Die oben geschilderten Strategien 1 und 3 werden auf dieses Szenario angewendet. Dabei entsteht eine längere Vorbereitungszeit, in der die Ausgangssituation analysiert und gegebenenfalls anderen Betriebsführern mitgeteilt wird. Außerdem müssen vorbereitende Maßnahmen wie die Sektionierung des Netzes getroffen werden. Der eigentliche Wiederaufbau erfolgt etwas schneller, da erheblich weniger Schalthandlungen durchgeführt werden müssen.

Die Erfahrungen mit dem zweiten Szenario zeigen, daß häufiger Fehler seitens der Betriebsführer auftreten, weil die Sektionierung nicht so erfolgt wie eigentlich geplant. Vielfach werden ungewollt zu große Lasten oder - wegen eines nicht abgeschalteten Zweiges - erheblich größere Bereiche als gewünscht zugeschaltet. Dies führt dann zu einem erneuten Netzzusammenbruch. Daraus ergibt sich, daß solche realistischen Szenarien häufiger trainiert werden müssen.

Die Seminare haben einen Umfang von drei Tagen. Der Zeitplan ist in Tabelle 8.1 dargestellt.

TagTageszeitTätigkeit
1 vormittag theoretische Einführung
Kennenlernen des Simulators
1 nachmittag Szenario 1, Strategie 1 Wiederaufbaufälle
2 vormittag Szenario 1, Strategie 2 Wiederaufbaufälle
2 nachmittag Szenario 2, Strategie 1 Wiederaufbaufälle
3 vormittag Szenario 1, Strategie 3 Wiederaufbaufälle
3 nachmittag Szenario 2, Strategie 3 Wiederaufbaufälle
Abschlußbesprechung

Tabelle 8.1.: Zeitplan eines Netzwiederaufbau-Seminars

Während des Wiederaufbaus greift der Trainer nur bei groben Fehlern seitens der Trainees ein. Nach jedem Wiederaufbau wird die Vorgehensweise mit allen Betriebsführern anhand von Kopien aus dem Meßwertarchiv diskutiert, um Probleme, die in einem Teilnetz auftraten, den anderen Teilnehmern transparent zu machen und daraus Konsequenzen ziehen zu können.

Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Dissertation sind fast alle Betriebsführer der niederländischen Subtransmissions- und Transmissions-Netzleitstellen und Produktionsleitstellen (ca. 150) mindestens einmal trainiert worden, so daß nun der Schwierigkeitsgrad des Trainings gesteigert wird. Folgende Punkte werden dabei beachtet:

Einschränkung der Kommunikationskanäle auf ein der Realität entsprechendes Maß durch Verwendung einer Telefonanlage anstatt der direkten Ansprache,

Setzung von Handicaps seitens des Trainers wie z.B. Entziehung der Verfügbarkeit wichtiger Kraftwerke oder Unterstationen,

Training eines worst-case-Szenario, indem davon ausgegangen wird, daß sich kein Kraftwerksblock im Eigenbedarf gefangen hat und der Netzwiederaufbau mit Hilfe schwarzstartfähiger Einheiten begonnen werden muß,

Reduzierung der direkt verfügbaren Informationen, und

Schutzauslösungen während der Wiederaufbauphase.

Zusammenfassend kann festgehalten werden:

Für die Entwicklung des Simulators war die Durchführung der Seminare sehr wichtig, da die vorhandene Funktionalität Betriebsführern an die Hand gegeben werden wurde. Somit konnte eine Beurteilung durch Mitglieder der Zielgruppe, an die sich der Simulator wendet, erfolgen. Weiterhin konnte in Diskussion mit dem Leitstellenpersonal verifiziert werden, welche Modelle und Oberflächen-Funktionen gewünscht oder nötig sind; diese Diskussionen haben zu einigen Denkanstößen geführt, die die Entwicklung einiger Teilkomponenten positiv beeinflußt haben.

Die Seminare werden von den Betriebsführern weitgehend positiv aufgenommen [ENG-93] [OUD-95]. Nach der Durchführung eines Trainings wurde vielfach bestätigt, daß man sich für den Ernstfall besser gerüstet fühlt. Kritikpunkte am Realitätsgrad der Szenarien (nicht am Realitätsgrad des Simulators) können in Zukunft in der zweiten Stufe des Trainings ausgeräumt werden.

Durch die gemeinschaftliche Teilnahme am Seminar wird das Verständnis des Leitstellenpersonals für Probleme von Betriebführern anderer Leitstellen erhöht, so daß positive Auswirkungen (gestiegene Kooperationsbereitschaft) auch im Normalbetrieb zu verzeichnen sind.

Für die Durchführung eines solchen Team-Trainings ist die Verwendung von stand-alone-Simulatoren zwingend erforderlich, da die Kopplung von integrierten Simulatoren nicht möglich ist. Außerdem erlaubt die Anwendung des standalone-Simulators die Durchführung des Trainings an einem „neutralen" Ort.

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