Weg vom / Wege in den Kalkül : Herausforderungen auf dem Weg zu Termumformung und Gleichungslehre und Ansätze zu ihrer Bewältigung. Design Based Research zum Einstieg in die Elementare Algebra

Die allerersten Anfänge der Algebra datieren auf ca. 2000 v. Chr. Damals wurden durch Umkehrung einfacher praktischer Aufgaben erste Gleichungen mit Unbekannten konstruiert, wobei diese Algebra völlig ohne algebraische Symbole auskam, was kulturübergreifend bis zu Diophant (ca. 200 n. Chr.) so blieb. Er führt als erster symbolische Abkürzungen für eine Unbekannte ein, die er in seine sonst verbalen Artikulationen einbettet. Erst im 16. Jahrhundert führt Vieta, zusätzlich zu den Unbekannten, Buchstaben für die Parameter einer Gleichung ein. Dadurch wird das symbolische Zahlkonzept(Klein 1936) erfunden und die Algebra wird fortan zu einem Rechnen mit Symbolen und „so kam die mathematische Formel ‚auf die Welt‘ “(Krämer 1988).

Heute ist man sich einig, dass Algebra und Algebraisches Denken nicht erst dann beginnt, wenn man mit dem Buchstabenrechnen anfängt. Eine eindeutige Charakterisierung von Algebra und Algebraischem Denken konnte ich dennoch nirgendwo finden. Es scheint vielmehr so zu sein, dass jeder Charakterisierungsversuch in die Feststellung mündet, „dass die meisten der für die Algebra spezifischen Denkhandlungen auch spezifisch für das Mathematiktreiben im Allgemeinen sind(Hefendehl 2007). Die vielleicht passendste Charakterisierung stammt von Radford (2010): Die Algebra arbeitet mit Objekten unbestimmter Natur, mit denen auf eine analytischeWeise umgegangen wird und die vornehmlich relationalverarbeitet werden.

Die Hoffnung, die Algebra könnte sich so ohne weiteres aus der Arithmetik heraus entwickeln, gilt heute gemeinhin als widerlegt. Zu umfangreich und vielschichtig sind die für die Algebra nötigen Um- und Neudeutungen der in der Arithmetik aufgebauten Konzepte. Sowohl die „fachlich-epistemologische Analyse als auch die empirische Realität“ (Hefendehl 2001) zeigen einen Sprung, einen ‚cognitive gap‘ (Hersovics & Linchevski 1994) oder ‚didactical cut‘ (Filloy & Rojano 1984, 1985) im Lernprozess zwischen der Arithmetik und der Algebra

Aktuelle Ansätze zur Einführung in die elementare Algebra setzen oft ein „Primat des Inhalts vor dem Kalkül“ oder versuchen zumindest alle das Kalkül aus bedeutungstragenden Inhalten heraus aufzubauen. Aus diesen Ansätzen heraus sind zwei Reihen entstanden, die Zugänge wählen, die anfangs von ganz unterschiedlichen Denkhandlungen ausgehen und die einer Problemlöseperspektiveund einer Generalsierungsperspektive auf die Algebra zugeordnet werden können. Mit diesen beiden Reihen wurde eine mehrjährige design-based Entwicklungsforschung im Klassenunterricht durchgeführt.

Die Ergebnisse dieser Entwicklungsforschung widersprechen der Hoffnung, das algebraische Kalkül könne sich so ohne weiteres aus sinnstiftenden und bedeutungstragenden Inhalten heraus entwic­keln. Exemplarisch wird anhand der beiden Reihen aufgezeigt, dass inhaltliche, algebraanbahnende Kontexte, die reichhaltige Denkhandlungen ermöglichen, zwar ungemein hilfreich sein können, aber mitunter auch ganz eigene Lern- und Verstehenshürden beim algebraischen Kalkül aufbauen. So müssen z.B. mühsam aufgebaute Narrative kollabieren oder die Schüler flüchten in aufgebaute und nun vertraute Inhaltsebenen, um dem mühsamen Geschäft des algebraischen Umformens zu entgehen. Inhaltliche Kontexte, Modelle und Darstellungswechsel können auch Hindernisse sein, wenn sie einem symbolischen Verständnis von Zahlen, das eine Grundlage algebraischen Denkens ist, widersprechen (Lins 1992).

Mit einer besonnenen Ausgewogenheit von Inhalt und Kalkül kann eine Einführung in die Algebra gelingen, wenn man sich als Lehrkraft nur der vielfältigen neu aufzubauenden Konzepte und Denkhandlungen bewusst ist und diese im mathematischen Diskurs des Klassenunterrichts auch möglichst explizit macht.

The very first beginnings of algebra date back to about 2000 B.C. At that time, the first equations with unknowns were constructed by reversing simple practical tasks, whereby this algebra was completely without algebraic symbols, which remained so across different cultures until Diophant (about 200 A.D.). He is the first to introduce symbolic abbreviations for an unknown, which he embeds in his otherwise verbal articulations. It was not until the 16th century that Vieta, in addition to the unknowns, introduces letters for the para-meters of an equation. Thus the symbolic number concept (Klein 1936) is invented and algebra henceforth becomes a calculating with symbols and "thus the mathematic formula 'came into the world' "(Krämer 1988).

Today it is widely agreed that algebra and algebraic thinking do not begin when one starts with letter arithmetic. Nevertheless, I could not find a clear characterization of algebra and algebraic thinking anywhere. Rather, it seems that any attempt at characterization results in the statement "that most of the cognitive actions specific to algebra are also specific to mathematical thinking in general" (Hefendehl 2007). Perhaps the most appropriate characterization comes from Radford (2010): Algebra works with objects of an indeterminate nature that are dealt with in an analytic way and processed primarily relationally.

The hope that algebra could easily evolve out of arithmetic is today generally considered to be disproved. The reinterpretations of the concepts built up in arithmetic are too extensive and complex for algebra. Both "professional epistemological analysis and empirical reality" (Hefendehl 2001) show a jump, a 'cognitive gap' (Hersovics & Linchevski 1994) or 'didactical cut' (Filloy & Rojano 1984, 1985) in the learning process between arithmetic and algebra

Current approaches to introduce elementary algebra often place a "primacy of content over calculus" or at least all attempt to build the algebraic calculus out of meaning-bearing content. From these approaches, two series for classroom-instruction have emerged that choose approaches that start from very different acts of thinking and that can be assigned to a problem-solving perspective and a generalization perspective on algebra. With these two series, several years of design-based developmental research were conducted in classroom instruction.

The results of this developmental research contradict the hope that the algebraic calculus can so easily develop out of content that is meaningful and that carries meaning. Using the two series as examples, it is shown that content-related, algebraic contexts, which enable rich thinking actions, can be immensely helpful, but sometimes also create their own learning and comprehension hurdles in algebraic calculus. For example, laboriously constructed narratives must collapse, or students take refuge in constructed and now familiar content levels to escape the tedious business of algebraic transforming. Content contexts, models, and representational changes can also be obstacles when they contradict a symbolic understanding of numbers that is a foundation of algebraic thinking (Lins 1992).

With a prudent balance of content and calculus, an introduction to algebra can succeed, if only teachers are aware of the diverse new concepts and acts of thinking that need to be established and make them as explicit as possible in the mathematical discourse of classroom instruction.

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