JOHANNES CLAUBERG
UND DER REFORMIERTE ARISTOTELES
*
von Francesco Trevisani

Am Ende des sechzehnten und zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts erlebte das protestantische Deutschland die Wiedergeburt des Aristoteles. Damals gab es einen Aristoteles für jeden Gusto: einen scholastischen, einen antischolastischen, einen lateinischen, einen humanistischen, einen für die politische Theorie sowie einen für Poetik und Rhetorik. Natürlich gab es auch einen Aristoteles der Logik, der Ethik, der Physik, der Geschichte, der Medizin etc. Jeder hielt an seinem Aristoteles fest, nicht selten zusammen mit anderen Gesinnungsgenossen, häufiger jedoch im Streit mit diesen. Nur ein theologischer Aristoteles hatte Mühe, ans Licht zu treten.

I. Die reformatorische Verbannung des Aristoteles

Das Monopol des Aristoteles in der katholischen Scholastik ließ einen theologischen Gebrauch der aristotelischen Metaphysik wenig geraten erscheinen, auch wenn Luther der Überzeugung war, daß der 'wahren' Aristoteles nichts mit dem scholastischen Aristoteles zu tun habe.1 Luther blieb gleichwohl dabei, error est dicere: sine Aristotele non fit theologus. Contra dictum commune. Immo Theologus non fit nisi id fiat sine Aristotele.2 Calvin fand noch deutlichere Worte: die aristotelische Theologie selbst sei mit Heidentum durchtränkt. Letztlich war der Kampf der Reformation gegen die scholastische Theologie per definitionem auch ein Kampf gegen Aristoteles und gegen die Auswirkungen des Studiums der Dialektik, der Physik und der Ethik auf die Theologie.
Ebenso ist die Ablehnung des Aristoteles nicht zu trennen von der Ablehnung der scholastischen Ontologie und der natürlichen Theologie, die sich daraus herleitet und für eine Verwissenschaftlichung der Metaphysik verantwortlich ist. Die beiden großen Reformatoren stimmten in diesen Punkten überein, so daß der Respekt, den Luther der Logik, der Rhetorik und der Poetik entgegenbrachte, von dem Gewicht der totalen Opposition gegen einen, sei es nun realistischen oder nominalistischen Aristoteles, kurz gegen die Anwälte des Narristoteles, erdrückt wurde. Für Calvin stellte sich nicht einmal das Problem einer partiellen Wiederanknüpfung an Aristoteles. Ihn schreckte die Vorstellung, die Gotteserkenntnis der antiken Philosophen (an erster Stelle Platons und der Stoiker), der semen religionis, mit dem Gott ihren Geist befruchtet hatte, was auch er anzuerkennen bereit war, könnte als Schlupfloch dienen, durch das die natürliche Theologie wieder eindringt, um alsdann einen Prozeß der Säkularisation des sola scriptura einzuleiten.3 Daher schlossen Luther und Calvin4 es aus, daß die natürliche Theologie und der semen religionis in irgendeine Verbindung mit der Teilhabe an der göttlichen Gnade und Rechtfertigung gebracht werde, und zwar insbesondere deswegen, weil die natürliche Theologie dazu neige, das Wunder der Verkündigung und des Hörens, das die heilige Schrift uns zu Teil werden läßt, zu verdunkeln, was wiederum die Autorität beanspruchenden Systeme der Theologen, die dem heidnischen Papsttum sklavisch ergeben sind oder auch die vernünftige, säkulare Position der Sozzinianer begünstigen könnte. Im wesentlichen war es jedoch der strikte Dualismus der Zwei-Reiche-Lehre, der strenge Gegensatz zwischen Geistlichem und Weltlichem, der dazu führte, daß die Opposition gegen die natürliche Theologie mit der Opposition gegen eine Übernahme der philosophischen Tradition verschmolz.

II. Die Wiederkehr der aristotelischen Philosophie

Humanistischer Geist und evangelische Frömmigkeit, die sich ihrerseits mit einer eigenen Form von Rationalismus verbanden,5 bewirkten eine substantielle Änderung in der Haltung der Reformation Aristoteles gegenüber. Das Ideal einer philosophia christiana, verkündet vom erasmischen Humanismus6 und die Lehre von den loci communes,7 entlehnt gleichermaßen bei Erasmus wie bei der ciceronischen Rhetorik, ließen eine Distanz Melanchthons zu der Position Luthers sehr früh deutlich werden. Beides unterstützte die Rückgewinnung der von Luther8 verbannten Philosophie, eine Rückgewinnung, welche die Komplementarität von Neuplatonismus, Patristik und heiliger Schrift erhalten sollte. Ein rationales Verständnis der imago dei, das dadurch begünstigt wurde, ist jedoch nicht nur das Ergebnis der Position, welche der große Praeceptor Germaniae zugunsten der natürlichen Theologie oder des Aristoteles einnahm9 (im übrigen kann ja die natürliche Theologie die doctrina ecclesiae ebensowenig ersetzen wie die spekulative Theologie die praktische Theologie). Die Rückkehr der Philosophie ist vielmehr die reife Frucht aus einer Verbindung von mindestens drei Faktoren: 1.) der Notwendigkeit der Definition eines methodus, der eine Behandlung der loci communes ermöglicht; die dadurch einer rationalen Interpretation unterworfen werden und die Form natürlicher Gesetze, die das regimen corporale konstituieren, annehmen; 2.) der sich daraus ergebende Aufwertung der Philosophie (und der Wissenschaft), die nun als eine Propädeutik zur wahren Theologie gesehen wird;10 3.) des Widerstandes gegen eine strenge Interpretation des unfreien Willens im Sinne Luthers und die damit verbundene, implizite Zustimmung zu einem gewissen Synergismus, der alsdann in der Konkordienformel seinen Niederschlag gefunden hat.11 Diesem Widerstand entsprachen auf der praktischen Ebene organisatorische Maßnahmen zur Verwirklichung des Konzeptes einer ecclesia visibilis, zu der sich das Gemeindeleben und rational verankerte pädagogische Einrichtungen organisierten, zwar sekundäre, aber keinesfalls nebensächliche Dinge für das regimen spirituale, das ja vom Hören allein auf die Schrift beherrscht wird, das unicum et proprium theologiae principium ist und bleibt.
Nicht der Versuch einer Wiederbelebung der Metaphysik, die übrigens auch Melanchthon zurückwies,12 sondern die ciceronische und aristotelische Rhetorik, die Lektüre der Nikomachischen Ethik, die auch Luther schätzte, bedeuteten die ersten Schritte hin zu einem gewissen Rationalismus, der allerdings eben nur ethisch-pädagogisch, nicht schon metaphysisch oder gar theologisch geprägt war.
Jedenfalls war die anti-aristotelische Front zerbrochen. Wenig konnten die ramistischen Puristen und die Invektiven der Schule des Daniel Hoffmann gegen 'Harschtoteles', gegen die allgemeine Tendenz einwenden, den Aristotelismus in den Unterricht wieder einzuführen. Diese Tendenz war in beiden Zweigen der Reformation gleichermaßen verbreitet. Selbst der Hallensische Pietismus am Ende des siebzehnten Jahrhunderts sowie seine Vorläufer im Rheinland und anderswo, zunächst andeutungsweise in Bremen und in Leiden durch Coccejus und in Duisburg durch Undereyck und Heinrich Hüls, darauf in Marburg durch Samuel Andreae und Reinhold Pauli, in Frankfurt durch Spener vertreten, etc. - sehen wir einmal von den seperatistischen Gruppierungen ab - müssen vom puristischen Blickwinkel der reinen Orthodoxie aus gesehen als ein einziges corpus infectum erscheinen. Kurz gesagt, ein anti-aristotelisches Vorurteil war selbst bei sonst buchstabengetreuen Orthodoxen gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts nicht mehr möglich und nur noch in den Köpfen von radikalen Außenseitern anzutreffen.
Anders lagen die Dinge in den ramistisch orientierten Schulen, denkt man etwa an Herborn oder Steinfurt. Herborn war am Ausgang des 16. Jahrhunderts das Hauptzentrum für die Verbreitung des Ramismus. Die Statuten der Schule aus dem Jahre 1585, in einer Zeit also, als Olevian und Piscator dort lehrten, sahen in der Tat für die erste Klasse die Dialektik von Ramus vor. In der zweiten Klasse sollte der Unterricht der Dialektik des Ramus fortgeführt werden, zuzüglich der Doctrina de Tropis13 des Taleo. Noch im Jahr 1598 schrieb man für das Studium der Philosophie die physica, politica, dialectica Rami14 vor. Doch bereits 1601 wurde Jacchaeus die Erlaubnis erteilt, Aristoteles zu unterrichten. Piscator beklagte sich im darauf folgenden Jahr, daß dies in ignominiam Rami geschehe. Im Jahre 1604 war man bereits an dem Punkt angelangt, daß ein Professor nur deswegen eingestellt wurde, weil er die Fähigkeit besaß, utramque philosophiam Aristotelis & Rami15 zu lehren.
Gleiches spielte sich auch am Gymnasium in Steinfurt ab, das 1588 nach dem Vorbild von Herborn gegründet wurde. Obwohl auf ausdrückliche Anordnung des Stifters, Graf Arnold von Bentheim, die Unterrichtung der artes gemäß der methodo Ramea erfolgen sollte, schlägt die Idea disciplinae16 aus dem Jahre 1596 vor, auch Aristoteles in den Lehrplan aufzunehmen.17 Clemens Timpler, der 1595 als Professor nach Steinfurt kam und als derjenige gilt, der dort die ramistische Methode eingeführt hatte, war aber auch Autor der ersten großen Abhandlung über die Metaphysik, die nach der Reformation in Deutschland erschienen ist, worauf M. Wundt besonders aufmerksam macht. In dem Metaphysicae systema methodicum fordert Timpler ausdrücklich, daß die Metaphysik nach der Methode des Aristoteles gelehrt werden müsse.18
Sodann erschien im Jahre 1609 postum das Scientiae metaphysicae compendiosum Systema des Bartholomaeus Keckermann, der seit 1597 Professor in Heidelberg war. Keckermann vertrat, offensichtlich beeinflußt von der spanischen Spätscholastik, die These, Metaphysik sei die Wissenschaft, die sich mit der Hierarchie und der Ordnung der Substanzen beschäftigt: quae menti nostri etiam explicet, quid sit ens [...] atque adeo quid intersit inter ens et non ens19. Die Methode, die angewandt wird, nämlich die der Klassifikation in einem Systema systematum, steht noch in ramistischer Tradition: sie bedient sich der divisio, der Kategorien des cognatum et oppositum, in Kombination jedoch mit der Heuristik des Giacomo Zabarella. Keckermann übte in der Folgezeit auch einen erheblichen Einfluß auf die holländische Metaphysik aus.
An erster Stelle ist Johannes Maccovius zu nennen, der seit 1615 als Professor für Theologie in Franeker den von Keckermann vorgezeichneten Weg weiter ausbaute. Maccovius war Schüler bei Keckermann in Danzig gewesen. Er bekräftigt die Notwendigkeit des Studiums der Philosophie und unterstreicht die Komplementarität von Metaphysik und Theologie. So betont er nicht nur, summam esse necessitatem studii philosophici, sondern hebt die vollkommene Kompatibilität von Metaphysik und Theologie hervor, insofern erstere lehre, ex nihilio nil fieri per causas secundas, und letztere zeige, fieri aliquid ex nihilio, per causam primam, Deum vimque eius infinitam.20 Sein Traktat über die Metaphysik: Metaphysica ad usum quaestionum in Philosophia ac Theologia adornata et applicata, postum 1645 in Leiden erschienen, stellt, wie Dibon im Jahre 1954 bemerkte,21 die authentischste calvinistische Ontologie des holländischen Aristotelismus dar. Ihm ist jedoch Burgersdijk vorausgegangen, dessen Werk Institutionum Metaphysicarum libri II ebenfalls posthum 1640 in Leiden veröffentlicht worden war.22 Beide verwenden alle ihre Mühe darauf, eine theoretische Versöhnung von der abstrakten Metaphysik Timplers und der konkreten Metaphysik Keckermanns zustande zu bringen.
Doch kehren wir zu den deutschen Schulen zurück. Die Statuten des Paedagogium in Bremen aus den Jahren 1585 und 1592 (seine Umwandlung in ein Gymnasium erfolgte 1610),23 enthalten keine Hinweise zur Methode des philosophischen Unterrichts.24 Der Index Lectionum aus dem Jahre 1577 sieht jedoch wie auch in Herborn das Studium der Rhetorik des Taleo und der Dialektik des Ramus vor. Beide sind auf dem Index Lectionum von 1645 nicht mehr zu finden, wo sie durch Aristoteles ersetzt wurden.25 Die Entwicklung der aristotelischen Metaphysik vollzog sich in Bremen ein wenig später als in Heidelberg und Herborn. Matthias Martini, ein Arminianer, der in der Geschichte der zweiten Reform als derjenige gilt, der während der Dordrechter Synode 1618/19 die Unabhängigkeit der Bremer Kirche gegenüber den orthodoxen holländischen Gomaristen bewahrt hatte,26 ließ 1614 eine Disputatio de naturali Dei cognitione drucken, in der er sich vom ramistischen Extremismus seines Herborner Lehrers Piscator distanzierte und für eine Rückkehr zu Aristoteles eintrat.
Bremen blieb übrigens im gesamten 17. Jahrhundert eine Akademie, die wegen der versöhnlichen irenischen Theologie, die dort gelehrt wurde, sehr beargwöhnt wurde. Sie hatte im lutherischen Lager ihr Pendant in der Helmstätter Irenik eines Georg Calixt, mit dem Crocius den Plan zu einer Union betrieb, der allerdings gescheitert ist.27 Ludovicus Crocius, die beiden Willius (Vater und Sohn) und Neufville übernahmen es, bis in die 40er Jahre hinein die Verankerung der aristotelischen Lehre, wie sie von Martini begonnen worden war, weiter zu betreiben.
In diesem Zusammenhang ist es nicht unwichtig darauf hinzuweisen, daß Clauberg Schüler von Balthasar Willius und Gerard de Neufville war, bevor er dann über Tobias Andreae den Älteren und Johannes Raei Cartesianer wurde.

III. Die Erneuerung der Metaphysik

Was aber ermöglichte den Übergang vom Anti-Aristotelismus, der die erste Phase der ecclesia militans kennzeichnete, in der die Methode Melanchthons und die lectio ramaea vorherrschend waren, hin zum Aristotelismus, der dann in den calvinistischen Schulen des 17. Jahrhunderts in Deutschland, aber nicht nur dort, nahezu unbestritten dominierte? Was erlaubte die Ausbreitung dieses weit verbreiteten Phänomens, das sich, trotz seiner synkretistischen und keineswegs reinen Form, als eine wirkliche und eigentliche Wiederkehr der Metaphysik kennzeichnen läßt, wie W. Sparn es nennt?28
Im Folgenden werde ich kurz, ohne ausführliche Begründung, die Faktoren zusammenfassen, die diesen Umschwung ausgelöst haben:
1.) Die Verbreitung einer allgemeinen Abneigung gegen die spekulative Renaissancephilosophie. Sie war insofern allgemein, als sie die Konfessionsgrenzen überschritt. Im protestantischen Deutschland wurde diese Aversion verstärkt durch die Entdeckung des ´wahren` Aristoteles oder wenigstens des ´anderen` Aristoteles im Gegensatz zum thomistischen. Das Interesse für den ´wahren` Aristoteles verband sich mit dem Beginn der Erneuerung philologischer Studien und der Verwurzelung der humanistischen Tradition, die insbesondere bei der Gründung der Universität Leiden eine Rolle spielte: Joseph Justus Scaliger, Dominicus Baudius, Daniel Heinsius, Joannes Meursius, Lipsius, Paulus Merula, Geradus Johannes Vossius und die Orientalisten leisteten einen fundamentalen Beitrag für die Begründung der philologischen und historischen Disziplinen, für die Numismatik, die Paläographie und ganz allgemein für die Sammelleidenschaft.29 Es handelt sich um einen neuen Typ des Intellektuellen, der sich hiermit durchzusetzen beginnt: Konfessionell geprägt, ist er gerne unterwegs, unterhält eine rege Korrespondenz, ist Intrigen nicht abgeneigt und zeigt sich neugierig und offen. Die Geburt dieses neuen Typus des späthumanistischen Intellektuellen, mit dem in Leiden die Wiederaufnahme der aristotelischen Studien begann, gründete nicht etwa darin, daß die Humanisten eine eigene Philosophie entwickelt hätten, sondern einfach darin, daß sie konsequent die Rückkehr zu den Quellen betrieben hatten.30 Diese Tendenz, die sich mit dem Studium neo-aristotelischer Schriften deutscher und italienischer Provenienz (Goclenius, Magiri, Piccolomini und Zabarella) verband, wurde noch dadurch verstärkt, daß Aristoteliker wie Everardus Vorstius, Petrus Bertius und Gilbertus Jacchaeus31 mit Vorlesungen in Physik, Logik und Metaphysik betraut wurden. Damit wurde die lectio ramea, die sich übrigens in den Studienprogrammen nie vollständig durchgesetzt hatte, verdrängt.32
Das Interesse für den ‘wahren’ Aristoteles ist in Deutschland gänzlich vom ´Paduaner Aristoteles` beherrscht gewesen. Die Argumente im Streit zwischen Piccolomini und Zabarella wurden wieder aufgegriffen, kommentiert und in den Schulen gelehrt. Diese Übernahme begegnet zunächst in den lutherischen, sodann in den calvinistischen Hochschulen und hat ihren Ursprung in einer Neubegründung der aristotelischen Logik. Ein frühes Beispiel ist Jacob Scheck zurück, der 1577 in Tübingen ein Organum Artistotelicum veröffentlichte, gefolgt von Philipp Scherb in Altdorf, der ein Freund von Cesalpino war. Scherb gehört zu den ersten, die in Deutschland den italienischen Aristotelismus verbreitet hatten. Er brachte 1590 eine Dissertatio pro philosophia peripatetica adversus ramistas in Altdorf heraus. Weiterhin ist Julius Pacius zu nennen.33 Es folgten die ersten Kommentare zur aristotelischen Metaphysik: die Isagoge in Metaphysicam Aristotelis von Daniel Cramer,34 Professor in Marburg, sodann die vollständige Darstellung der aristotelischen Metaphysik, die Cornelius Martini zwischen 1597 und 1599 in Helmstedt veröffentlichte.35
Martini ist der wahre Begründer der protestantischen Metaphysik gewesen. Mit ihm ist eine neue Stufe erreicht. Die lutherische Verbannung der Metaphysik aus der Theologie und die humanistische Verbannung der Metaphysik aus der Philosophie sind damit beendet.36 Im Jahre 1604 erschienen in Wittenberg die Theorematum Metaphysicorum Exercitationes von Jacob Martini, ein Schüler von Cornelius Martini. Mit dieser Schrift war nun auch Suarez in der deutschen Metyphysik vertreten.37
Tübingen, Altdorf, Helmstedt, Wittenberg waren lutherische Universtitäten: Die Rückkehr der Metaphysik war also ein Phänomen, das sich zunächst an den lutherischen Hochschulen abspielte.
2.) Der zweite Faktor, der zum Aufstieg des Aristotelismus beitrug, verdankt sich der Notwendigkeit eines pädagogischen Modells für die Ausbildung eines Christianus reformatus. Die Konkurrenz der katholischen Schulen und der Jesuiten, die vor allem in Süddeutschland (Würzburg, Ingoldstadt, Dillingen und Bamberg) groß war, und die Attraktivität, die deren pädagogisches Modell auch auf die Refomierten ausübte, machten die Sache höchst dringlich.38 Ramus konnte von den Lutheranern aus konfessionellen Gründen kaum wie alsdann von den Calvinisten herangezogen werden.
Das pädagogische Modell ramistischer Prägung, das die großen Pädagogen, allen voran Comenius, inspiriert hatte, war allerdings durchaus attraktiv.39 Hingegen war der scharfe Anti-Artistotelismus, der gewissermaßen sein innerstes Wesen ausmachte, in eine Theologie kaum integrierbar, die - auch wenn sie vollständig im Wort, in der Offenbarung, um es mit Troeltsch zu sagen, verankert sein wollte - es doch nicht sine die vertagen konnte, die legitimen Rechte der ratio, der Vernunft, zu berücksichtigen. Der Ramismus, der aus konfessionellen Gründen in den calvinistischen Hochschulen verwurzelt war, bildete zwar dank der besonderen Aufmerksamkeit, die er einem praktischen Wissen bei der Rekonstruktion der historiae und der historiae historiarum widmete, einen starken Panzer gegen die katholische Welt; doch hatte er den Nachteil, eine Beziehung zwischen Glauben und Vernunft unmöglich zu machen. Zunächst hatte er sich in einer kritischen Funktion gegen die Scholastik erschöpft und war in der Allianz mit dem Philippismus festgeschrieben; zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatte der Ramismus sich dann gewandelt und ist wegen seiner antimetaphysischen Ausrichtung zu einem Verteidiger der extremen calvinistischen Orthodoxie geworden. Er nahm so unfreiwillig die Form eines Plädoyers für die Lehre von der doppelten Wahrheit an, als die sich die Verteidigung der strengen Prädestinationslehre in ihrer rigorosesten Form (Supralapsarismus) erwies.40 Die Synode von Dordrecht bedeutete alsdann eine harte Lektion für die deutschen Calvinisten, eine Lektion, die jedoch für die Aristoteliker zugleich den unbestreitbaren Vorteil einschloß, den Niedergang der Hochburg des Ramismus, der Schule von Herborn, anzuzeigen.
Zu eben dieser Zeit bildete sich ein erstaunliches Phänomen aus: Die Schriften der spanischen Scholastik, allen voran von Suarez und Pereira, verbanden sich mit dem Schicksal der Metaphysik in Deutschland. Dieser Vorgang ließ die Konservativen beider Lager aufschreien: "Harschtoteles!" schrien die einen, "Neukatholizismus!" hallte es dagegen aus dem konfessionellen Lager der altprotestantischen Orthodoxie. Dieser Vorgang ist bemerkenswert, aber er sollte nicht überbewertet werden, wie es Eschweiler tut. Lewalter41 hat z.B. festgestellt, daß Martini die Werke von Suarez nicht kannte. Wundt und nach ihm auch Sparn maßen daher diesem Zusammenhang wenig Bedeutung bei. Beispiele von Gelehrsamkeit gibt es in beiden Lagern, sie sollen jedoch hier nicht weiter berücksichtigt werden.

3.) Schließlich der dritte Faktor: die Durchdringung der Wissenschaft mit aristotelischen Vorstellungen. Die Elemente, die den Christianus reformatus ausmachen, sind aus einem konfessionellen und politischen Notstand erwachsen, der sich im reformierten Deutschland ergeben hatte. Folgende Momente sind für seine Ausbildung charakteristisch: a) die Notwendigkeit, dem religiösen Bewußtsein und dem moralischen Verhalten der juristischen Führungsschicht einen habitus zu vermitteln, der sich in Form der prudentia42 zeigt, und dem Wissenschaftler, dem Philosophen und Theologen ein wirksames theoretisches Instrumentarium zu bieten, also eine Theorie zu entwickeln, die ihn von den Katholiken und Lutheranern abhebt; b) ein Gegengewicht zu schaffen gegen das theokratische katholische Universum, in dem das moralische Handeln durch den Bezug auf die Eudaimonia entwertet wird, anstatt es an der prudentia und am Recht auszurichten. Die Lektüre der nikomachischen Ethik entspricht dem Bedürfnis, normativ-rationale Alternativen zu den hedonistisch-eudämonistischen Tendenzen zu schaffen, die dem katholischen Individualismus eigen sind. In den Händen der Reformierten erwies sich die Nikomachische Ethik als ein ausgezeichnetes Instrument, um die katholische Herabsetzung der Ethik und der Politik als ein bloßes Mittel zum Zweck zu bekämpfen.43 c) Verwurzelung in der humanistischen Tradition, vermittelt in der Form einer lectio ramea e philippea; d) Abbau der spekulativen thomistischen Theologie; e) Betonung eines logischen Subjektivismus und des Empirismus; f) Rekonstruktion der Philosophie als eines Instruments, das eine entscheidende Rolle bei der Versöhnung beider Wahrheiten und beider regimina zu spielen vermag. Das Aufkommen einer philosophia christiana, weit davon entfernt, die Vermischung von scholastischer Philosophie und Theologie fortzuschreiben, bestätigt deren Trennung, wobei sich die protestantische Reflexion, anstatt sich nur an der anthropologisch-soteriologischen Ausrichtung, der sie traditionellerweise verpflichtet war, zu orientieren, nun stärker rationalen Erfordernissen öffnet.44
Das Zusammenwirken dieser Faktoren nun fällt mit der Wiederaufnahme des Aristoteles zusammen und verbinden sich dann auch mit dem Namen Aristoteles. Bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts verbot oder ignorierte keine calvinistische Schule mehr die Lehre der peripatetischen Philosophie. Ganz im Gegenteil: in verschiedenen Statuten ist sogar zu lesen, daß die Philosophie more aristotelico zu unterrichten sei. Bald schon verschwindet der Ramismus in seiner reinen Form und macht synkretistischen Systemen Platz, die alle um ein und dasselbe Problem kreisen: Kann Aristoteles ohne seine Metaphysik überhaupt verstanden werden? Oder anders gewendet: Wie ist die Spannung zwischen dem bedingungslosen göttlichen Willen, der in der Prädestination zum Ausdruck kommt, und der Rationalität der Naturgesetze aufzuheben?45 Nachdem Keckermann auf der einen und Timpler auf der anderen Seite den reinen Ramismus beseitigt und eine neue Theologie geschaffen hatten, die sich in vollkommener Übereinstimmung mit der evangelischen Tradition als disciplina practica sah, hatten beide ein und dasselbe Problem: die von den Vätern der Reformation verbannte Metaphysik wieder einzuführen.

IV. Theologie, disciplina practica oder disciplina speculativa?

Der theoretische Kern, um den sich die Diskussion der calvinistischen Metaphysik des 17. Jahrhunderts drehte, kann grob gesehen auf die Frage reduziert werden, ob die Metaphysik eine Wissenschaft sei, die in der Vernunft gründet, oder aber eine Disziplin, die in der Offenbarung verankert ist. Dahinter verbirgt sich jedoch die zentrale Frage, die der Diskussion um das Wesen der Theologie entsprungen war: Appelliert die Theologie ausschließlich an den Willen und hat somit allein die Soteriologie zum Ziel, oder apelliert sie an die Vernunft und besitzt somit spekulativen Charakter. Im Kern geht es also darum, das Rätsel zu lösen, ob die Metaphysik eine Disziplin im Dienste der Christenheit oder im Dienste des Bösen sei.46 Die Rolle, die der Metaphysik damit zugewiesen ist, sollte es sein, den schädlichen Konflikt zwischen Glauben und Vernunft zu überwinden, der von einem theologischen "Präzisismus" und einem ramistischen Pragmatismus ausgelöst worden war. Damit rückt die Frage in den Vordergrund: Kann die Metaphysik der neuen devotia moderna eine Hilfe sein?
Dem Weg, den die calvinistische Metaphysik in Deutschland auf der Suche nach der Definition eines eigenen kulturellen, bürgerlichen, psychologischen, pädagogischen, politischen, oder sagen wir einfach: eines "philosophischen" Selbstverständnisses einschlug, schien sich die tröstende Perspektive philosophia ancylla theologiae aufzutun. Doch dem war nicht so, denn die Theologie war und blieb nur eine disciplina practica. Sie nährt sich von Doxologie, Confessio, Exegese und Apologetik. Schon sehr bald wird bei Clauberg Theologie dann zur analytischen Hermeneutik. Weder bei Calvin und Luther, noch bei denen, die im 17. Jahrhundert Metaphysik betrieben, noch bei Kant war sie spekulativ, und sie wird es niemals sein. Protestantische Theologie ist auf prudentia und auf Praxis hin angelegt.
Wenn die protestantischen Theologen die spanische Metaphysik zu lesen verstanden, so paradoxerweise deshalb, weil sie von dem scotistisch-voluntaristischen Gerüst, das diese trägt, angezogen wurden. Gewiß, die Metaphysik ist die Lehre vom Sein bloß als Sein, aber die Protestanten begreifen das ens nicht so sehr im thomistischen Sinne als substantia separata, d.h. als causa et principium. Sie verstehen vielmehr das ens als substantia concreta, aristotelisch gesprochen als entelecheia, als aktualisierte Potenz, im Gegensatz zu den Katholiken, bei denen Gott als Grund und Ursprung der Substanzen begriffen wird, die wiederum ihm gegenüber in einer Beziehung völliger Unterordnung stehen. Grund und Ursprung sind für die protestantische Metaphysik Attribute des Seins, für die spätscholastische Metaphysik hingegen sind sie, wie bereits für den Heiligen Thomas, selbst schon das Sein. Die Protestanten neigen dazu, Gott als Spezies der Substanz zu behandeln, die Katholiken hingegen neigen dazu, ihn als Ursache der Substanzen anzusehen.47
Aus dieser autoritätskritischen Voraussetzung heraus, die das Sein an die Stelle Gottes ins Zentrum der Spekulation zu rücken weiß, entwickelte sich die allgemeine Tendenz einer Intellektualisierung der Metaphysik, die ihrerseits von der herausragenden Stellung, die in ihr die philosophia prima einnimmt, abhängt, also der Wissenschaft, die die Ordnung der Dinge untersucht, insofern sie in Beziehung zu unserer Erkenntnis stehen. Lutheraner und Calvinisten konzipierten den Ansatz der Metaphysik ausschließlich als eine Beziehung der Erkenntnis zum Sein, nicht etwa des intellectus zum sensus (ex comparatione intellectus ad sensum).48 Dieser Ansatz schien der Logik und der Erkenntnistheorie in der Tat einen konstitutiven Wert im Hinblick auf die Ordnung des Wesens der Dinge zuzumessen. Hiermit aber ist das Repertoire an Gemeinsamkeiten von Lutheranern und Calvinisten auch schon erschöpft. Die Intellektualisierung der Metaphysik schlägt nämlich bei letzteren eine andere Richtung ein. Die Lutheraner, von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind in der Tat äußerst vorsichtig auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie, und es gelingt ihnen kaum, sich von der Ausrichtung auf das ens reale zu lösen. Sie verbleiben, wie im übrigen auch die Katholiken, eng auf die Dinge orientiert und respektieren die thomistische Symmetrie oder Analogie zwischen ordo rerum und ordo idearum. Sie sind daher kaum geneigt anzuerkennen, daß es sich beim ens rationis und beim ens reale um reversible Größen handelt. Die Metaphysik der Lutheraner, selbst bei einem ihrer Vertreter, der einen herausragenden Beitrag zu ihrer Intellektualisierung geleistet hat, wie Gutkius, konnte sich nicht von der Annahme lösen, daß die mens non mensurat res sed mensuratur a rebus.49 Hingegen liegt die Reversibilität bei den Calvinisten in den Prämissen selbst und ist eine Grundvoraussetzung des Denkens. Fraglich ist allein, ob sich ordo idearum vom ordo rerum her, und zwar ein für allemal, konstituiert, nicht jedoch die Tatsache, daß das ens ein cognoscibile ist.
Dies ist der Kern der Debatte in der reformierten Philosophie zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Die Frage ist deswegen entscheidend, weil der metaphysische Ansatz je nach der Antwort, die man zu geben bereit ist, entweder subjektivistisch oder objektivistisch ausfällt. Das Ergebnis ist jedoch das gleiche: Als eine Theologie, die aufgehört hat theologia speculativa zu sein, ist sie nicht mehr nur theologia practica, sie ist natürliche Theologie. Gewiß, die Entwicklung des aristotelischen Calvinismus vollzieht sich unter dem Vorzeichen einer Verschmelzung ramistischer ars logica, von melanchthonischem Humanismus und von spätscholastischen Einflüssen. Der entscheidende Grund für die Intellektualisierung der Metaphysik muß jedoch im semen religionis oder in den notitiae communes von Calvin und Melanchthon gesehen werden, die Justus Lipsius und die reformierten Metaphysiker als koinaì énnoiai im stoischen Sinne wiedergeben. Die Lutheraner hingegen verfügten nicht über diese Möglichkeit.
Für die Calvinisten ist die Erkennbarkeit des ens allgemeine Grundbedingung des Denkens. Wenn ein Dissens bestehen bleibt, so entzündet er sich an der Frage, ob der ordo idearum sich vom ordo rerum aus konstituiert oder ob vielmehr das Gegenteil der Fall ist. Ausgehend von Keckermann und Martini bildete sich eine Richtung aus, die die Metaphysik beim ordo rerum beginnen ließ und der sich Jacchaeus, Burgersdijk, Willius, Neufville, Andreae, Raei anschlossen. Demgegenüber bildete sich mit Timpler und Alsted bis hin zu Bacon der Ansatz aus, der die Realität von der Struktur des Denkens her begreift.
Unter dem Einfluß der italienischen Aristoteliker übernahm Keckermann die Voraussetzung, daß die Logik die Ordnung der Dinge konstituieren müsse, daß allein die logica utens und nicht die abstrakte logica docens imstande sei, den Geist in cogitatione rerum zu leiten und so die Wissenschaft zu begründen. Auch wenn er sich von Zabarella darin unterscheidet, daß er die Logik nicht einfach als habitus instrumentalis konzipiert, der begriffliche Strukturen (secundas notiones) bildet (fingit et fabricat), die als Mittel dienen (ut sint instrumenta), um die Ordnung der Wirklichkeit aufzudecken und die Wahrheit der Dinge zu beweisen,50 so begreift er die Logik doch als ein System des Wissens, das über die compositio, d.h. auf synthetische Weise erworben wird; insofern sind die notiones secundae für ihn nicht nur künstliche Konstrukte des Geistes, sondern wirkliche Abbildungen, die eine reale Ordnung voraussetzen. Es gibt keinen Unterschied zwischen praedicamenta und praedicabilia, wie es auch keine Differenz zwischen methodus (Forschungsmethode) und ordo (Beweisführung) geben kann. Explicare und demonstrare sind synonym wie auch ordo und methodus, und hier fällt die ramistische Tradition ins Gewicht, insofern als das ens formale das ens reale widerspiegelt. Es existiert kein methodus inveniendi veritatem, kein progressus, der von einem regressus zu unterscheiden wäre. Das Wissen ist ein System von Kenntnissen, die ausgehend vom ens reale erworben wurden; dieses System zu konstituieren, ist Aufgabe der Metaphysik oder der philosophia prima.51 Es gibt ein systema logicae, ein systema theologiae, ein systema ethicae, ein systema disciplinae politicae, ein systema rhetoricae, ein systema metaphysicae, ein systema physicum, ein systema mathematices sowie ein systema systematum: eine wirklich wahre enzyklopädische Abhandlung über den Gesamtbereich des Wissens.
Auch für Timpler ist das Wissen ein System. Es gibt ein logicae systema methodicum, ein methaphysicae systema methodicum, ein philosophiae practicae systema methodicum, ein rhetoricae systema methodicum, ein physicae seu philosophiae naturalis systema methodicum, schließlich sogar ein opticae systema methodicum. Wenn es auch zutrifft, daß auch für ihn die Logik zwischen verba et res keinen Unterschied macht,52 so ist sie dennoch weder eine scientia noch ein habitus, sondern eine ars liberalis, die Argumentieren und Wissen zu erwerben lehrt.53 Die von ihr verwendeten Begriffe sind nicht im aristotelischen Sinne formal aus Urteilen abgeleitet, sie sind keine Kategorien, noch sind sie summi generis entia, sondern instrumenta noetica, termini technologici.54 Sie besitzen sozusagen keinerlei ontologischen Status und sind schlicht geistiger Natur im Sinne der memoria cartesiana. Sie sind logische Topoi: totum et pars, antecedens, consequens et connexis, signum et signatum, relatis et coniugatis, distributio, definitio. Die Logik ist also eine technische Disziplin, und die Gesamtheit ihrer Topoi bildet die doctrina logicae; das vollendete logische System ist hingegen disciplina oder systema und bezeichnet die Gesamtheit der Regeln und argumentativen Vorschriften, einschließlich aller Aussageformen, der Syllogismen, der Didaktik und der Hermeneutik, die für die Rekonstruktion und die enzyklopädische Beschreibung alles Wißbaren notwendig sind. Wenn wir den Vergleich von termini technologici und einfachen Gegebenheiten verallgemeinern, könnten wir sagen, daß die technologia zum systema sich verhält wie die cartesianischen Regulae zu den Principia - die ersteren sind Vorbedingung für die letzteren. Termini technologici und naturae simplices erfreuen sich des gleichen ontologischen Status, d.h. sie besitzen praktisch keinen. Nicht umsonst folgt das metaphysicae systema methodicum der Technologia und geht ihr weder im chronologischen noch im systematischen Sinne voraus.55
Eine vergleichende Untersuchung von Regulae und Technologia wäre sicher eine vielversprechende Forschungsaufgabe, die noch auf ihren Bearbeiter wartet. Sie würde die Geschichte der Logik um ein weiteres Kapitel bereichern.
Hiermit sind die Gemeinsamkeiten erschöpft. Timpler übergeht konsequent einen absoluten Gebrauch der Begriffe. Er ist mehr an der Beschreibung des Wißbaren als an der Konstruktion der scientia interessiert. Die Bemühung um eine Intellektualisierung der Metaphysik bleibt bemerkenswert, gibt ihr jedoch eine subjektive Prägung. Seine Metaphysik gehört zu den originellsten Abhandlungen des 17. Jahrhunderts. Er versucht eine subjektivistische Metaphysik zu begründen, die nicht auf dem ens reale, sondern auf dem ens objectivum basiert. Gegenstand der Metaphysik ist demnach omne intellegibile, quaetenus ab homine, naturali rationis lumine sine ullo materiae conceptu est intellegibile.56 Auf diese Weise bestimmt er, daß die Intelligibiliät die Bedingung des Seins und nicht das Sein die Bedingung für Intelligibilität ist. Aus dieser Prämisse, die mit seiner technologia konform geht, erwachsen wichtige Konsequenzen: z.B., daß das Wißbare in den Bereich der anderen Disziplinen fällt, während das Intelligible, nicht das Reale, Gegenstand der Metaphysik ist. Die anderen Wissenschaften sind artes, während die Metaphysik ein habitus ist. Die Metaphysik ist eine scientia contemplativa, während die anderen Disziplinen operativ vorgehen. Äußerst wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß das Nichts zum Bereich des Wißbaren gehört und daher erkennbar ist. Zum Bereich des Intellegiblen gehören das Sein und das Nichts, aliquod et nihil. Das Nichts wird von Timpler nicht nur privativ verstanden, sondern auch als positivum aliquod.57 Ens rationis zum Beispiel ist entweder ens realis oder ein Nichts. Im ersten Fall bezeichnet es etwas Existierendes, im zweiten Falle bezeichnet es etwas Nicht-Existierendes - dennoch ist es immer etwas. Es gibt also keinen metaphysischen Gegenstand, der, absolut betrachtet, nicht auch nichts wäre, der nicht in sich die Negation seiner selbst enthielte. Daraus ergibt sich, daß die Ontologie nicht ein System von ein für allemal feststehenden Gewißheiten festschreibt, sich jedoch vom Bereich des Provisorischen abhebt, der das Gebiet ist, in dem sich historia und topoi bewegen und interagieren.

V. Johannes Clauberg

Dies ist der theoretische Rahmen, mit dem Clauberg sich konfrontiert sah, als er Tobias Andreae das Manuskript seiner Elementa philosophiae, sive Ontosophia überreichte, der es sofort drucken ließ. Clauberg war zu diesem Zeitpunkt gerade im Begriff, nach Leiden zu gehen, um bei Raei Vorlesungen zu hören, die sich gleichermaßen an Aristoteles wie an Descartes orientierten. Wir befinden uns im Jahr 1647.58 Zum Werdegang von Clauberg habe ich mich bereits ausführlicher geäußert,59 was ich hier nicht wiederholen, sondern nur kurz andeuten möchte. Seine Metaphysik ist und will objektivistische Metaphysik sein. Er ist Aristoteliker und Anti-Ramist und erst in zweiter Linie Cartesianer.
Clauberg verabscheute Timpler, und das nicht ohne Grund. Im Gegensatz zu Timpler sieht er sich einer Richtung zugehörend, die mit Keckermann anfängt und von Jacchaeus und Maccovius fortgesetzt wurde, und die die Metaphysik als intellektuelle Disziplin begreift, welche das wirkliche Sein zum Gegenstand hat. Daher weist er es zurück, dem cartesianischen Zweifel eine wirklich metaphysische Dimension zu geben: Er betreffe die idearum ideae und nicht die Ideen an sich. In der Tat: in simplice idea seu conceptu non consistit error.60 Bezogen auf das Urteil ist die Idee das Kriterium und die Norm, weil sie einen exemplarischen Wert besitzt. Die Wahrheit eines Urteils setzt die Ideen voraus, die zuvor gegeben sein müssen.61 Bevor die Ideen im Geist des Menschen sind, sind sie im Geiste Gottes; in unserem Geist stellen sie die Dinge dar, wie sie von Gott gemacht und geschaffen wurden.62 Clauberg scheint sich also in die Tradition seiner Lehrer einzureihen, jenen Persönlichkeiten, die die aristotelische und cartesianische Renaissance in Bremen durchgesetzt hatten: Balthasar Willius und Gerard de Neufville.63
Abgesehen davon, daß Willius ganz offensichtlich antiramistische Positionen einnahm und von daher die canones als sophistische Argumente verurteilte,64 bestätigt er nicht nur, daß zwischen Philosophie und Theologie keinerlei Inkompatibilität bestehe,65 sondern fügt noch hinzu, daß die Theologie ohne die Philosophie eitel sei: Tum demum fore beatas ecclesias, si aut philosophi veri dent operam theologiae, aut theologi philosophentur pie.66 Den gleichen Antiramismus finden wir auch bei Neufville. Der Ansatz seiner Metaphysik verdankt sich, hinsichtlich des Wesens der Vernunft, der scholastischen Überzeugung von der Übereinstimmung von ens objectivum und ens formale, eine Überzeugung, die das lumen naturale der Vernunft nur zu bestätigen weiß.67
Auch in diesem Punkte hat Clauberg andere Lehrmeister als Descartes. Zwischen 1632 und 1636 hatte Johannes Willius (gestorben 1640 und Vater von Balthasar Willius), einen Zyklus von Disputationen, die die theologia naturalis und die Logik zum Thema hatten, verteidigen lassen. Beide Disziplinen unterscheiden sich durch ihre Ziele, nicht aber in der Vorgehensweise, denn beide sind im lumen und ductus rationis verankert.69 Bereits 1632, also fünf Jahre vor dem Erscheinen des Discours de la méthode schreibt Willius in überraschender Analogie zu Descartes, daß es, den Funktionsweisen des Intellekts entsprechend, folgende Teile der Logik gibt: simplicium apprehensio, simplicium resolutio, simplicium compositio, ratiocinatio qua intellectus a notis ad ignota progreditur.70 Es ist ziemlich wahrscheinlich, daß Clauberg, als er seine Logica vetus & nova oder Logica quadripartita verfaßte, eher an diese Gliederung in vier Teile dachte als an die vier cartesianischen Regeln.71 Er bleibt jedoch dabei, daß Logik und Ontologie oder die Philosophia naturalis synthetische Disziplinen sind. Ihr Objekt ist das quod, nicht das quia. Sie setzen eine Definition voraus, die der simplicium apprehensio entspricht. Diese ist nichts anderes als ein logisch syntaktisches Konstrukt zwischen absoluten Begriffen, die ihrerseits auf absolute Weise verbunden sind, insofern sie unabhängig vom Subjekt, das die Verbindung herstellt, existieren: Investiganda sunt attributa absoluta, und nicht respectiva.72 In den logischen Beziehungen droht die Verbindung von signum und signatum, von Bezeichnendem und Bezeichnetem, von Idee und Sache, dem Geist zu entgleiten: Zwischen den Dingen, die die Erkenntnis liefern und den Dingen, so wie sie unabhängig von uns sind, gibt es kein anderes Band als die Positivität des Geistes, der sie affirmiert.73 Diese Positivität ist aus der Idee Gottes abzuleiten: So wie die Idee Gottes seine Existenz einschließt, so schließt die Idee der Dinge ihre Realität ein. Somit ist die Idee Gottes selbst die Garantie für das Band zwischen signum und signatum.74
Mit Clauberg erreicht die objektivistische Richtung in der reformierten Metaphysik einen Höhepunkt der Reflexion, wie er nie zuvor erreicht worden war. War Clauberg Cartesianer? Mit Sicherheit. War er Okkasionalist? Dies kann man bezweifeln. Seiner Metaphysik fehlt die fundamentale Voraussetzung des Okkasionalismus, nämlich der kausale Reduktionismus, der zwischen causa formalis und causa efficiens keinen Unterschied mehr sieht. Nur in der Physik ist Clauberg Okkasionalist: Wenn die Menge an Bewegung in der Natur immer gleich ist, so ist sie es deswegen, weil Gott in die Welt eingreift, um sie zu erhalten.75 Auf sich gestellt, fiele die Welt nämlich der Selbstzerstörung anheim. In der Metaphysik hingegen sind die Ursachen strikt getrennt. Sicher ist seine Metaphysik von der Scholastik durchdrungen, aber sie ist nicht wirklich Scholastik, und zwar nicht nur, weil der Konzeption der Beziehung zwischen Gott und Kreatur die hierarchische Perspektive fehlt, die Gott von allen vertraglichen oder juristischen Beziehungen (foedus) freihalten würde, sondern in erster Linie deswegen, weil das Prinzip der Individuation der Substanzen für Clauberg, wie für Aristoteles,76 ein eminent teleologisches und nicht ein formal abstraktes ist. Wie schon bei Keckermann ist seine Metaphysik eine Metaphysik des Konkreten, in der das principium individuationis, welches die entelecheia der Substanzen bestimmt, ganz in die finalen Ursachen, die den Übergang von der Potenz zum Akt, vom Sein zum Sein-müssen gestatten, hineingenommen wurde. Es ist dieser Finalismus, der den Übergang von der abstrakten Definition des Seins eines Timpler zur konkreten Definition ermöglicht.
Mit Aristoteles räumt er ein, daß Entitäten rein als Potenz existieren können (die Materie).77 Er verneint jedoch, daß die Einheit von Seele und Körper und damit die Individualität im biologischen Sinne, rein als Potenz existieren könne. Das Leib-Seele-Verhältnis definiert sich in Relation zu den Finalursachen, d.h. in Beziehung darauf, was sein soll, zu den einzelnen Akten, in denen es sein Sein entfaltet. Während ein Körper, der sich in einem Zustand der Ruhe (Potenz) befindet, in Bewegung (Akt) versetzt werden kann, so gilt dies nicht für die Leib-Seele-Beziehung, da deren metaphysische Individualität ebenso wie die biologische allein durch Tätigsein, durch die conjunctio actuosa konstituiert wird:78 Conjunctio animi & corporis in actibus quibusdam vel hanc ob causam debuerit consistere [...] Vitam dico, quae sine actu intelligi nulla potest.79 Damit wird nicht ausgeschlossen, daß die materielle Welt durch Finalursachen in Bewegung gesetzt wird, jedoch ist ausgeschlossen, daß sich ihre Zweckgerichtetheit einer Intentionalität verdankt. Der Zweck der res extensa ist ihr Gebrauch und hat im Vergleich zur conjunctio actuosa der Leib-Seele-Beziehung oder zu Gott nur metaphorische Bedeutung.80 Der ontologische Status des menschlichen Seins hingegen ist weder metaphorisch, noch rein deskriptiv oder abstrakt, sondern konkret, insofern er sich in einzelnen Akten, in denen sich seine Würde konkretisiert, entfaltet: At si omni actuali cogitatione animam humanam privare velis, nihil remanebit in ea positivi & absoluti, per quod existat.81 Seine Würde ist von seinem biologischen Schicksal nicht zu lösen. Das Tätigsein ist daher der Weg, über den sich die menschliche entelecheia verwirklicht: Non enim in otio & cessatione, non in quiete; sed in negotiis, actione & motu vario vita hominis, sive corporis organici animique humani conjunctio sita est.82 Die ontologische Würde ist keine abstrakte Würde und daher nicht ein für allemal gegeben. Man erwirbt sie durch einzelne Akte, die Gott und Mensch in gleicher Weise verpflichten und durch ein Band zusammenschließen, welches der juristischen Struktur eines Vertrages entspricht: Es ist der gleiche foedus, der die Seele an den Körper bindet, den Clauberg mit der Ehe vergleicht83 und der den Monarchen an seine Untertanen bindet: er schützt und garantiert die Verantwortlichkeit und die Würde der Untertanen, während er den Monarchen unter anderem verpflichtet, nicht eine größere Menge an Geld in Umlauf zu bringen, als es den verfügbaren Gütern entspricht.84 Das, was Clauberg über einen metaphysischen Rationalismus zu begründen beabsichtigt, ist eine vertrauensvolle Beziehung, die zudem juristisch abgesichert ist, zwischen Gläubigem und Gott, zwischen der politischen Autorität und der Würde des Untertans, zwischen Gebot und Frömmigkeit. Zugleich verweist er mahnend darauf, daß die ontologische Würde nicht ein abstraktes Gut ist, daß ein für allemal zugestanden wurde, sondern vom Menschen erworben werden muß. Der Aristotelismus eröffnet also nicht nur den Zugang zu einer Metaphysik des Seins, sondern wandelt sich in Claubergs Interpretation zu einem wirksamen theoretischen Instrument, das erlaubt, Rechtsbeziehungen zu formulieren, die eine ontologische Würde unter den Vertragspartnern garantieren, welche Würde wiederum auf den beiden Säulen, der Wirksamkeit der Gnade und der pietas operosa gegründet ist,.
Es wurde eingewendet, Claubergs Philosophie sei konservativ. Ich ziehe es vor, sie als Philosophie des preußischen Wohlfahrtsstaates unter dem Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg zu bezeichnen. Es ist die Philosophie des säkularen Rechtsstaates und der Wissenschaft unter der Garantie eines Souveräns, der nicht nur Summus episcopus85 und Summus magistratus sondern auch Summus oeconomus ist. Er ist nicht Tyrann, sondern Monarch,86 absolut nicht bloß im übertragenen Sinne. Er ist faßbar durch das System von Gewißheiten, mit dem der Mensch sich umgibt, insofern er Bürge und Garant des bestehenden Bandes ist, das Wirklichkeit und Idee verknüpft. Kurz, er ist Garant eines weltlichen Rechtsstaates,87 wobei der Begriff der Autorität den Begriff der Freiheit nicht aus-, sondern einschließt. Der Gott, der die Zuverlässigkeit der Wirklichkeit garantiert, entspricht dem Maß der preußischen und calvinistischen Ordnungsvorstellungen des Großen Kurfürsten von Brandenburg.
Auch dazu diente ihm also die Aristoteles-Lektüre. Seine Aktualität erschien Clauberg nicht ablösbar vom Aufkommen einer auctoritas, die sich in dem Maße legitimiert, wie sie die libertas fördert. Ein guter Beleg dafür ist das Schema vom arbor scientiarum, das Clauberg dem Vorwort zu den Principia von Descartes entnimmt. An die Stelle der artes mechanicae und doctrina moralis sind Jurisprudenz und Natürliche Theologie getreten:

Porro Philosophiam cum radicem & fundamentum Jurisprudentiae & Medicinae affirmo, veram & sanam intelligo, quae solius rectae rationis lumen sequitur, quod neque prudentia Juris neque sanandi ars repudiare velit, nec si velit, possit.88

Warum? Weil Philosophie Physik und artes mechanicae einschließt und weil die Aufgabe, eine Ethik zu begründen, nicht in die Zuständigkeit der Philosophie fällt. Mehr noch: Es gibt keinen Bereich für die Moral, der von dem des Rechts, der Theologie und der Medizin zu unterscheiden wäre. Denn eine rationale Moral, die der Nikomachischen Ethik folgt, verfährt normativ und ist somit von der Philosophie nicht zu unterscheiden.89 Auch wenn sie Gewissensfreiheit zuläßt, verliert sie sich nicht in der Unverbindlichkeit des bloß Wahrscheinlichen. Wenn Wahrheit und Wirklichkeit ein und dasselbe sind, so hat das moralische Handeln keinen Ermessensspielraum. Zwischen Willen und Einsicht, zwischen Entscheidung und Zweckgerichtetheit, zwischen Wahrheit und Wirklichkeit gibt es keine Freiräume. Das moralische Handeln ist frei von Ungewißheit und Wagnis. Besser wäre es also, Ethik durch Recht zu ersetzen. Dies nämlich steht in Einklang mit einer rationalen Theologie, mit der Medizin und mit der Physik. Die gleiche Vertragsstruktur,90 die die Beziehungen zwischen Mensch und Gott regelt (auf denen die Frömmigkeit des rheinischen Pietismus ruht), die gleiche Struktur, die die Beziehungen von Leib und Seele regelt (auf denen der Fortschrittsglaube in den Wissenschaften ruht) - sie ist auch grundlegend für die Beziehung der Menschen untereinander. Gott ist Garant und oberster Notar der einzelnen Akte, in denen sich der Fortschritt des Willens und der Würde der Menschen entfaltet.

übersetzung von Torsten Fremer und Eckehart Stöve