Litzinger, Andreas: Systemintegration, Weiterentwicklung und Anwendung eines Trainingssimulators...


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3. Duisburger Trainingssimulator für Netzwiederaufbau

3.1. Entwicklungsziele

Gegenstand der Arbeiten zu dieser Dissertation ist die Integration, Weiterentwicklung und Anwendung eines autonomen Trainingssimulators für die Betriebsführung elektrischer Netze, der im Fachgebiet „Elektrische Anlagen und Netze" der Gerhard-Mercator-Universität - Gesamthochschule - Duisburg entstanden ist.

Er wurde mit dem Ziel entwickelt, insbesondere den Netzwiederaufbau nach Großstörungen trainieren zu können. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen sind:

  • Großstörungen betreffen alle Netzebenen der gestörten Region. Ihre Behebung erfordert Schritt für Schritt die laufende Kooperation der Betriebsführer in mehreren Netz- und gegebenenfalls Kraftwerksleitwarten. Diese sind auf dem Simulator parallel darzustellen.

  • Während des Wiederaufbaus treten Netzschaltzustände und damit Betriebseinschränkungen und physikalische Erscheinungen auf, die während des Normalbetriebs nie erlebt werden. Die Auswirkungen sind weitgehend netzspezifisch. Ein sinnvolles Training erfordert daher, daß jedem Betriebsführer genau sein Netz bzw. seine Kraftwerke im betrieblichen Detail interaktiv steuerbar dargestellt wird. Ein Training an einem fiktiven Netz oder einem Fremdnetz kann den Erfahrungsschatz des Betriebsführers nicht wesentlich erweitern.

  • Die von einer Störung betroffene Netzregion kann sehr umfangreich sein. Elektrische Energiesysteme werden an die geographischen Gegebenheiten (die Lage der Städte, Dörfer und Kraftwerke) und an die für die Kraftwerke verfügbaren Primärenergieträger (Kohle, Gas, Öl, Kernkraft, Wasserkraft) angepaßt. Sie sind historisch gewachsen, denn man ersetzt aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus diese kapitalintensiven Anlagen nicht in kurzen Fristen. Jedes Netz ist somit ein Individuum und muß speziell modelliert werden.

  • Ein wesentlicher Engpaß beim Netzwiederaufbau ist die jeweils verfügbare Kraftwerksleistung. Die Kraftwerke befinden sich aufgrund der vorangegangenen Netzstörung meistens ebenfalls in einem Störzustand (Notabschaltung, Leistungsreduktion auf Eigenbedarf, Störfallregelung). Die Modellierung der Kraftwerke in diesen Zuständen und während des Übergangs in den Normalzustand erfordert spezielle Berücksichtigung.

  • Desgleichen zeigen Lasten, die nach längerem Ausfall wiederzugeschaltet werden, ein vom Normalbetrieb stark abweichendes Verhalten.

    Neben den speziellen und umfangreichen Modellierungen wurde für den Duisburger Trainingssimulator die Aufgabe gestellt, im Wechsel beliebige Netze behandeln zu können. Damit - und durch die Forderung, mehrere Leitstellen parallel darzustellen - ist praktisch die Möglichkeit ausgeschlossen, Netz- und Bilddaten (mit einem Erstellaufwand in der Größenordnung von Mannjahren) aus den Rechnern der verschiedenen Leitstellen in den Simulator zu importieren, wie es bei den halb-integrierten Simulatoren versucht wird. Sie müssen vielmehr für den hier angestrebten Trainingszweck neu beschrieben werden.

    Die hierdurch definierten Aufgaben wurden gelöst:

  • durch konsequente Verwendung eines - ebenfalls im Fachgebiet entwickelten - sprachorientierten Datensystems (GDL für Grid Data Language), das den Netzdaten-Erfassungsaufwand um mehr als den Faktor zehn reduziert [RUM-83] [POS-89],

  • durch Entwicklung einer standardisierten, aber betriebsgerechten Bedienoberfläche, die weitgehend automatisch aus der GDL-Prozeßdatenbank erstellt wird. Der für die Erstellung der Bedienoberfläche sonst erforderliche Aufwand von ein bis zwei Mannjahren kann so auf wenige Minuten reduziert werden [SCH-91] [RUM-93]; und

  • durch ein einfach zu handhabendes Organisationssystem zur Aufteilung der Daten auf die Bedienoberflächen der verschiedenen Leitstellennachbildungen (u.a. Gegenstand dieser Dissertation).

    Die Entwicklungsarbeiten des Datensystems wurden aus Mitteln des Wissenschaftsministerium Nordrhein-Westfalen, alle anderen Arbeiten überwiegend durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert.

    3.2. Vorarbeiten und zeitliche Entwicklung

    Die in dieser Dissertation geschilderten Arbeiten setzen auf verschiedenen Vorarbeiten am Institut auf. Bild 3.1 zeigt zusammenfassend die Entwicklungsphasen, die im folgenden geschildert werden.

    Ab 1980 wurden in Parallelarbeit die folgenden Teilprobleme gelöst: Entwicklung des sprachorientierten Datensystems GDL [RUM-83] [POS-89], einer Topologieauswertung [NAG-86] und eines dynamischen Modells [DIC-86], das für die Spezifika des Netzwiederaufbaus konzipiert worden ist.

    Für das bessere Verständnis der vorliegenden Dissertation werden die Grundlagen der GDL im Abschnitt 3.4.1 kurz dargestellt.



    Bild 3.1.:Zeitliche Entwicklung der Simulatorkomponenten

    Das dynamische Modell stand 1988 in einer lauffähigen Version für eine Netzinsel zur Verfügung, war jedoch noch nicht an die GDL-Datenbank angebunden und mußte aufwendig parametriert werden. In dieser Form wurde es erstmalig für Netzwiederaufbaustudien eingesetzt [VOR-88]. Bild 3.2 zeigt die innere Struktur des dynamischen Modells.


    Bild 3.2.:Innere Struktur des dynamischen Modells

    Das dynamische Modell besteht aus einem Langzeit- und einem Mittelzeitmodell. Im Langzeitmodell werden alle Vorgänge, die im Bereich mehrerer Sekunden bis zur Zeit unendlich liegen, mit einer Auflösung von zehn Sekunden berechnet, während im Mittelzeitmodell in erster Linie der Frequenzverlauf mit einer Auflösung von einhundert Millisekunden bestimmt wird.

    Basis des Langzeitmodells ist ein Newton-Raphson-Lastfluß, der einerseits aus den Kraftwerksmodellen und andererseits aus dem Lastmodell versorgt wird.

    Für konventionelle, mit fossilen Brennstoffen beheizte Dampfkraftwerke (DKW), Wasserkraftwerke (WKW), Gasturbinenkraftwerke (GT), Kernkraftwerke mit Druckwasserreaktor (DWR) bzw. Siedewasserreaktor (SWR) wurden unterschiedliche kraftwerkstypspezifische Modelle entwickelt. Bei der Entwicklung der Modelle wurde darauf geachtet, daß die Modellierung der physikalischen Struktur der einzelnen Kraftwerkstypen entspricht und somit die Modelle einfach zu parametrieren sind. Sie sind nach dem Prädiktor-Selektor-Prinzip an das übrige Modell angeschlossen, d.h. die Modelle berechnen für jeden Block ausgehend vom Momentanzustand ein Wirkleistungsintervall, das ohne Überschreitung von Auslegungs- oder Lebensdauergrenzen im nächsten Zeitschritt zur Verfügung steht. Die tatsächlich zugeteilte Leistung im nächsten Zeitschritt bestimmt der P-Distributor, der somit zusammenfassend die Primärregelung in den Kraftwerken nachbildet. Außerdem wird in den Kraftwerksmodellen der für den momentanen Arbeitspunkt benötigte Eigenbedarf und das aus dem Generatorleistungsdiagramm zur Verfügung stehende Blindleistungsintervall errechnet. Externe Einspeisungen (EXT) werden als Generatoren großer Nennleistung und Schwungmasse modelliert.

    Wird die Versorgung eines Kunden mit elektrischer Energie unterbrochen, zeigt seine Leistungsaufnahme nach der Wiederzuschaltung ein anderes zeitliches Verhalten als der Verlauf ohne Versorgungsunterbrechung. Beispielsweise starten alle Kühl- und Klimageräte nach einer längeren Störung im Wiederversorgungszeitpunkt gleichzeitig, was zu einer erhöhten Leistungsaufnahme der Verbraucher gegenüber dem Normalbetrieb führt. Im Lastmodell wird die Langzeitdynamik der Punktlasten unter Berücksichtigung der Ausfall- und Wiederversorgungszeit ermittelt, um die oben geschilderten Nachholeffekte abbilden zu können.

    Im Mittelzeitmodell wird aus der Differenz zwischen gesamter Erzeugungsleistung und gesamter Last unter Beachtung der Leistungsgrenzen der Einspeisungen der Frequenzverlauf berechnet.

    Parallel zur Entwicklung des dynamischen Modells wurde die erste Version der Topologieauswertung konzipiert und ausgeführt; sie hat die Aufgabe, aus der in der Prozeßdatenbank niedergelegten potentiellen Topologie aller Netzobjekte sowie den eingetragenen Schaltzuständen die aktuelle Knoten-Zweig-Topologie zu ermitteln und nach gegebenenfalls bestehenden unverbundenen Netzinseln zu gliedern. Die erste Version setzte unmittelbar auf der GDL-Prozeßdatenbank auf und war für minimalen Speicherbedarf konzipiert. Der gesamte Ablauf mußte in jedem Rechenschritt bzw. nach jeder Schaltungsänderung (d.h. im Netzwiederaufbau fast dauernd) neu durchlaufen werden.

    In einem ersten Integrationsschritt wurde 1992 das dynamische Modell um die schon in Bild 3.2 gezeigten Kraftwerkstypen Gasturbinen sowie Druck- und Siedewasserreaktoren bereichert und an die GDL-Prozeßdatenbank angebunden. Zusammen mit der Topologieauswertung zur Lastflußversorgung wurde so eine effiziente Netzparametrierung [RUM-91] erreicht und die Möglichkeit geschaffen, den Zerfall des Netzes in mehrere Netzinseln zu erkennen und zu behandeln. Die Bedienoberfläche für den Trainer sowie für die Kraftwerksführung blieb jedoch in diesem Integrationsschritt noch unmittelbar an das dynamische Modell gekoppelt. Beide Aufgaben mußten vom Trainer wahrgenommen werden, was sich in den nachfolgenden Erstanwendungen als nachteilig herausstellte.

    Parallel zur Entstehung des dynamischen Modells wurde das automatische Design von Schaltanlagen-Diagrammen entwickelt [SCH-91]. Es handelt sich hierbei um ein regelbasiertes Programmsystem, dessen Regeln die Vorgehensweise eines Bildkonstrukteurs nachahmen, der mit CAD-Mitteln ein Schaltanlagenbild aufbaut. Aufsetzend auf der GDL-Prozeßdatenbank und unter Ausnutzung der hier hinterlegten Anlagentopologie und des Objektbestands wird so der erforderliche Satz von interaktiven Anlagendiagrammen mit ca. 1 Sekunde Rechenzeit pro Bild erzeugt. Der erforderliche Datenbankanschluß der aktiven Symbole wird auf diesem Wege mitgeliefert.

    Aufgrund dieser Arbeiten wurde 1992 ein Prototyp des Simulators erstellt. Charakteristisch für diese Version ist ein Netzarbeitsplatz, der mit der Netzdatenbank gekoppelt ist. Traineroberfläche und Kraftwerksführungs-Oberfläche werden unmittelbar vom dynamischen Modell versorgt. Die Struktur dieses auf drei Workstations ablaufenden Prototyps ist in Bild 3.3 wiedergegeben.


    Bild 3.3.: Grundstruktur des Prototyps

    Die Generierung und Initialisierung der für den Betrieb des Simulators erforderlichen Datenbank erfolgt dabei in insgesamt vier Schritten:

  • Übersetzung der Quelldaten (Netzbeschreibung und Kraftwerksbeschreibung),

  • automatisches Design der Schaltanlagenbilder,

  • Eintrag der Startzustände in die übersetzte Netz- und Kraftwerksbeschreibung und

  • automatische Berechnung modellspezifischer Datensätze für Kraftwerksblöcke und Lasten.

    Weitere Parallelarbeiten betrafen die Entwicklung eines Verriegelungsprogramms in einer ersten Version [ABD-89], welches im Zugriff auf die GDL-Datenbank die topologischen Verriegelungsbedingungen im Nahbereich bis zur nächsten Schaltanlage behandelte und unerlaubte Schalthandlungen (Öffnen eines Trennschalters unter Last, Zuschalten eines Erdungsschalters auf spannungsführende Netzteile u.s.w) sperrte.

    Weiterhin wurde ein Unterstationsmodell [LUO-93] erstellt, das Schalt- und Steuerbefehle entgegennimmt und (nach Ausfall der äußeren Versorgung der Unterstation) über die noch verbleibenden Eigenbedarfs-Speicherinhalte buchführt. Nach Erschöpfung der Eigenbedarfsspeicher werden die Reaktionen der Unterstation modelliert und entsprechende Meldungen an die simulierte Leitstelle zurückgemeldet bzw. bei Erschöpfung der Batterie für die Fernwirkeinrichtungen nicht mehr zurückgemeldet. Dieses Modell wurde in den derzeitigen Ausbauzustand des Simulators noch nicht integriert, da sein Rechenzeitbedarf bei der momentan zur Verfügung stehenden Hardware zu groß ist. Es wurde durch ein vereinfachtes Unterstationsmodell ersetzt, das alle erteilten Fernwirk- und Ortssteuerungsbefehle als erfüllbar annimmt und in entsprechende Stellungsmeldungen umwandelt (vgl. 4.1.3.5).

    3.3. Weiterentwicklung und Integration

    3.3.1. Leittechnische Basisfunktionen und Modellbildung

    Der zu Beginn der Tätigkeiten für diese Dissertation vorgefundene Prototyp konnte die Richtigkeit der bis zu diesem Zeitpunkt erfolgten Entwicklungen zeigen; allerdings waren folgende Punkte noch nicht berücksichtigt:

  • Schutz- und Sekundärgerätefunktionen, die im Netzwiederaufbau einen erheblichen Einfluß haben können, waren nicht implementiert, und

  • das dynamische Modell hatte für spontane Ereignisse und Befehlseingaben keine Anbindung an die Datenbank. Die Daten der Kraftwerkseinheiten und Lasten blieben in ihrem Ausgangszustand erhalten. Kraftwerksstell- und Laständerungsbefehle konnten nur über eine Direkteingabe am dynamischen Modell, nicht aber an anderen Arbeitsplätzen des Simulators erteilt werden.

    Hauptziel der Arbeiten zu dieser Dissertation war die Weiterentwicklung des Prototyps zu einem Simulator, der das Training von Betriebsführern elektrischer Netze erlaubt. Es wurden also die folgenden Teilgebiete neu bearbeitet:

  • Entwicklung einer leistungsfähigen Ereignisverarbeitung, die auftretende Ereignisse, wie sie von Trainer und Trainee, aber auch von den Modellen erzeugt werden, in die Datenbank (Zustandsbuchführung) und ein chronologisches Ereignisprotokoll (Ereignisbuchführung) einträgt; zusätzlich wurde ein Visualisierungssystem zur Anzeige des Ereignisprotokolls entwickelt, das ein Filtersystem zur ad hoc Generierung unterschiedlicher Ereignislisten nach Bedienereingabe realisiert (vgl. 4.1),

  • Anbindung des dynamischen Modells an die Ereignisverarbeitung bezüglich der Steuerung von Kraftwerken und Lasten (siehe 4.2),

  • Erweiterung des dynamischen Modells (vgl. Kapitel 5) um

  • eine Nachbildung des Sollwertführungsgeräts in Kraftwerksblöcken,

  • ein modifiziertes Gasturbinenmodell und

  • die Behandlung der topologischen Anschlüsse der Einspeisungen und der synchronisierenden Leistungsschalter.

  • Parametrierhilfe für die Kraftwerksmodelle (siehe 5.5),

  • Konzeption und Realisierung von Schutz- und Sekundärgerätefunktionen (Grenzwertüberwachung, Überlastschutz, Lastabwurfrelais, Kraftwerksschutz, Parallelschalteinrichtungen, siehe Kapitel 6) und

  • Neukonzeption und Realisierung einer zweiten, laufzeitoptimierten Version der Topologieauswertung (vgl. Kapitel 7).

    Weiteres Hauptziel dieser Dissertation ist die Integration

  • der aus dem Prototyp verwendbaren, mit einigen Änderungen versehenen Komponenten,

  • der im Rahmen dieser Arbeit neu entwickelten Bausteine, sowie

  • von Komponenten, die von anderen Mitarbeitern des Fachgebiets entwickelt und beigestellt wurden,

    zu einem flexibel konfigurierbaren Gesamtsystem.

    Zum letzten Punkt gehören das dreistufige Bildsystem, das Expertensystem für Schaltfolgen und Verriegelungen sowie die Meßwertarchivierung und -darstellung. Für diese Komponenten wird eine kurze Beschreibung in den Abschnitten 3.4.2 bis 3.4.4 gegeben.

    3.3.2. Struktur des Gesamtsystems

    Durch die Anwendung der im vorigen Abschnitt geschilderten Modultechnik wurde ein für die jeweilige Trainingsaufgabe in Soft- und Hardwarekomponeten flexibel konfigurierbarer Simulator geschaffen, wie in Bild 3.4 gezeigt ist.

    Die Basis des Simulators stellen die Datenbank- und die Simulationskomponente dar. Sie laufen auf zwei Workstations ab. Der Bildschirm des dynamischen Modells wird als Traineroberfläche genutzt. An diese Basiskomponenten können - je nach Anforderung durch die Trainingsaufgabe - mehrere Schalt- bzw. Kraftwerksarbeitsplätze angeschlossen werden. Das Gesamtsystem ist auch auf nur einer Workstation ablauffähig. Allerdings sind durch die nicht mehr vorhandene Parallelisierung Performance-Einbußen hinzunehmen. In dieser Einfachkonfiguration wurden Planungsuntersuchungen mit dem Simulator durchgeführt [MOG-95].


    Bild 3.4.: Grundstruktur des Simulators

    Für die Netz- bzw. Kraftwerksoberfläche können folgende Submodule kombiniert werden:

  • Dreistufiges Bildsystem mit Übersichtsbild, Knotenpunktsdarstellung und Anlagenbild (vgl. 3.4.2) für den Schaltarbeitsplatz,

  • Expertensystem für Verriegelung und Schaltfolgen (nur mit dreistufigem Bildsystem kombinierbar, siehe 3.4.3),

  • Darstellung von kontinuierlichen Meßwerten (siehe 3.4.4),

  • Ereignisprotokoll (siehe 4.1) und

  • Kraftwerksbedienoberfläche (vgl. 4.3)

    Zur Nachbildung einer Bedienoberfläche für die Netzsteuerung können die Komponenten 1) bis 4) verwendet werden. Soll eine Kraftwerksleitstelle dargestellt werden, finden die Komponenten 3) bis 5) Verwendung. Gemeinsame Eigenschaft dieser Softwarebausteine ist die Tatsache, daß sie gleichzeitig parallel auf verschiedenen Workstations des Simulators ablauffähig sind. Somit kann jede für das Training relevante Wartenfunktion individuell für die Trainingsaufgaben auf dem Simulator nachgebildet werden. Von der Systemkonzeption her ist die Zahl der Netz- bzw. Kraftwerksoberflächen nicht begrenzt, wohl aber durch die Rechenleistung der derzeit am Fachgebiet verfügbaren Workstations.

    Über die Nutzung der verschiedenen Konfigurationsmöglichkeiten wird in Kapitel 8 berichtet.

    3.4 Integrierte Programmkomponenten von anderen Mitarbeitern

    In den folgenden Abschnitten 3.4.1 bis 3.4.4 werden die Komponenten, die von anderen Mitarbeitern des Fachgebiets für den Simulator zur Verfügung gestellt wurden, kurz dargestellt.

    3.4.1. Netzdatensprache GDL

    Die Netzdatensprache GDL (für Grid Data Language) verwendet für die Datenstrukturierung kein Tabellensystem, sondern eine Syntax. Dadurch wird es möglich, den Datenbestand und die Topologie eines Energieversorungsnetzes formatfrei unter Beachtung weniger syntaktischer und semantischer Regeln effizient zu beschreiben. Die Basis der GDL ist eine formalisierte Schaltsprache, die im Betrieb dazu verwendet wird, Personal vor Ort einen genau definierten Schaltbefehl zu erteilen. Hierbei werden zur Kennzeichnung des Zielobjekts hierarchische Ebenen verwendet. Oberste Ebene ist die Unterstation mit einer oder mehreren Schaltanlagen und gegebenenfalls Transformatoren. Darunter folgt die Schaltanlage, die sich aus mehreren Abgangsfeldern und einer oder mehrerer Sammelschienen zusammensetzt. Jedes Feld enthält mehrere Schaltgeräte, Meßwandler und Schutzeinrichtungen. Zur Identifizierung wird also ein vierstufiger Deskriptor verwendet. Um die einzelnen Deskriptorstufen voneinander unterscheiden zu können, wird eine bestimmte Folge von Sonderzeichen verwendet, wie in Tabelle 3.1 angegeben ist. Durch die Einführung von Kunstnamen für die einzelnen Deskriptorstufen wird die Möglichkeit eröffnet, beliebige von der Schaltsprache nicht erfaßte Objekte nach dem gleichen Schema zu behandeln.
    EbeneBezeichnungKunstnameSonderzeichen
    1UnterstationLokal'''
    2SchaltanlageNumeral''
    3Feld/SammelschienePartial'
    4SchaltgerätSpezies[ ]

    Tabelle 3.1.: Hierarchie-Ebenen in der GDL

    Ein Leistungsschalter LS in der Unterstation SUED, Schaltanlage 220 kV, im Feld mit dem Namen NORD_W trägt nun in GDL den folgenden Deskriptor:

    '''SUED''220'NORD_W[LS]

    Die Abkürzungen werden innerhalb eines EVU definiert, um in Bildern, Protokoll-Darstellungen und Datenauflistungen Platz einzusparen; da sie vom Betriebsführer täglich verwendet werden, ist die Identifizierung der Lokation bzw. der Geräte durch ihre Abkürzung problemlos möglich [RUM-84]. Will man den Schaltgerätebestand eines Feldes angeben, ergibt sich folgende Auflistung:

    
    '''SUED''220'NORD_W[ST1]		;;Sammelschienentrenner 1;;

    '''SUED''220'NORD_W[ST2] ;;Sammelschienentrenner 2;;

    '''SUED''220'NORD_W[FET1] ;;Felderdungstrenner 1;;

    '''SUED''220'NORD_W[LS] ;;Leistungsschalter;;

    '''SUED''220'NORD_W[FET2] ;;Felderdungstrenner 2;;

    '''SUED''220'NORD_W[AT] ;;Abzweigtrenner;;

    '''SUED''220'NORD_W[AET] ;;Abzweigerdungstrenner;;

    In diesem Beispiel ist die Möglichkeit der Kommentierung ( „;;" am Anfang und Ende eines Kommentars) benutzt worden. Durch eine gekettete Schreibweise läßt sich die Übersichtlichkeit der Auflistung erhöhen und der Schreibaufwand erheblich reduzieren, indem nur die Teile des Deskriptors aufgeführt werden, die sich von Gerät zu Gerät ändern. Somit ergeben sich Geräteauflistungen innerhalb eines Feldes. Jedes Gerät wird mit einem Komma vom vorhergehenden Gerät getrennt.

    '''SUED
    ''220
    'NORD_W [ST1,ST2,FET1,LS,FET2,AT,AET]
    'NORD_S [ST1,ST2,FET1,LS,FET2,AT,AET] ;;zweites Feld;;

    In diesem Beispiel ist ein zweites Abgangsfeld hinzugefügt worden. Man erkennt, wie einfach man auf diese Weise den Gerätebestand eines Netzes mit einem Text- Editor auflisten kann. Mit identisch aufgebauten Deskriptoren lassen sich auch beliebige weitere Netzobjekte wie z.B. Transformatoren oder Leitungen, aber auch Meldungen und Meßwerte beschreiben und behandeln.

    Um die Topologie, d.h. die Verbindungen der Geräte untereinander, im Text ausdrücken zu können, werden Zusatzdefinitionen getroffen. Dazu werden die Objektarten eines Netzes, im folgenden Spezies genannt, nach dem im Bild 3.5 gezeigt Schema klassifiziert. Zunächst unterscheidet man absolute und relative Spezies; letztere werden eingesetzt, um fakultativ weitere Eigenschaften einer absoluten Spezies (z.B. „Schaltgerät ist fernsteuerbar") zu beschreiben. Die absoluten Spezies werden weiter in topologisch relevante und topologisch nicht relevante Spezies differenziert. Die topologisch relevanten Spezies werden in topologische Klasse 1 (Reihenschaltung) sowie topologische Klasse 2 (Verzweigung) weiter unterteilt. Die Spezies der Klasse 2 enthalten als Kennzeichnung im Namen einen Schrägstrich; Erdungsschalter zählen ebenfalls zu den Spezies der Klasse 2.


    Bild 3.5.: Speziesklassen der GDL

    Mit Hilfe dieser Klassifizierung und einer vereinbarten Syntax wird durch die Reihenfolge der Spezies im Partial der topologische Aufbau des Feldes ausgedrückt. Außerdem werden für Verbindungen, die über die Partialgrenze hinausgehen, mehrere Sonderspezies mit Verweisen definiert, wie aus Tabelle3.2 ersichtlich ist:

    ArtNameVerwendungsbeispieleDeskriptor-Stufen
    anlagenübergreifendPEC/QLeitungs-/ Trafoanschluß4
    anlageninternJUNx/VSammelschiene2
    anlagenintern xxx/JSammelschienentrenner1

    Tabelle 3.2.: Verweisklassen der GDL

    Damit kann nun die Beschreibung der oben begonnenen Anlage erweitert werden:

    '''SUED
    ''220
    'SS1 [JUN1/V('NORD_S-ST1'NORD_W-ST1)]
    'SS2 [JUN2/V('NORD_S-ST2'NORD_W-ST2)]
    'NORD_S [ST1/J1,ST2/J2,FET1/,LS,FET2/,AT,AET/,
    PEC/Q('''LEILI''220'NORSUE_S-PEC1)]
    'NORD_W [ST1/J1,ST2/J2,FET1/,LS,FET2/,AT,AET/,
    PEC/Q('''LEILI''220'NORSUE_W-PEC1)]

    Im Beispiel erkennt man die Beschreibung der Sammelschienen in den Partialen SS1 und SS2 mit Hilfe der Standardspezies JUNn/V. Weiterhin sind die Anschlüsse der Leitungen PEC/Q('''LEILI...) aufgenommen worden.

    Durch Einführung der Standardspezies TTT (Verzweigungspunkt) und EEE (Ende der Verzweigung) ist es möglich, nach Art von Klammeroperationen Verzweigungen höherer Ordnungen in einem Partial zu beschreiben. Weiterhin kann durch die Spezies SEPAR (Separation) eine nicht überbrückbare Trennung innerhalb eines Partials beschrieben werden, wie sie beispielsweise für die Beschreibung mehrerer Sammelschienenabschnitte in einem Sammelschienenpartial erforderlich ist.

    Ein ASCII-Text, der alle Geräte mit allen topologischen Verbindungen eines Netzes enthält, wird als Netzbeschreibung bezeichnet. Auf diese Art und Weise ließ sich der Gerätebestand inkl. Topologie eines Netzes mit ca. 275 Unterstationen, 80 Kraftwerksblöcken und einer Gesamtlast von 12,8 GW mit einem Arbeitsaufwand von ca. 6 Mannwochen erfassen (vgl. 8.3).

    Um nun für die verarbeitenden Programme diese Namen interpretierbar machen zu können, wird parallel zur Netzbeschreibung ein Diktionar angelegt, in dem durch Eintrag des Namens an eine bestimmte Position die in Bild 3.5 gezeigte Klassifizierung der Spezies vorgenommen wird. Dabei werden die topologisch relevanten Spezies weiter detailliert in Leistungsschalter, Lastschalter, Lasttrenner, Trenner, Erdtrenner, Sammelschienentrenner u.s.w. Auch spezielle Geräte wie Schaltwagen und kombinierte Trenner mit Erdtrenner können definiert werden.

    Ziel der Beschreibung des Netzes ist es, eine für die Prozeßführung bzw. -simulation geeignete Datenbank zu erhalten. Dazu ist aber nicht nur die Existenz eines Schaltgeräts von Bedeutung, sondern auch der aktuelle Zustand (bei Schaltgeräten z. B. „ein" oder „aus"). Zu diesem Zweck werden für jede Spezies Attribute definiert. Viele Objekte im Netz können mehr als zwei Zustände annehmen. Dabei treten Gruppen von Zuständen auf, die einander ausschließen und in der Datenbank zusammenfassend codiert werden können. Ein Objekt kann jedoch mehrere solcher Zustandsgruppen beinhalten, in denen zu einem gegebenen Zeitpunkt jeweils ein Zustand existiert. In GDL wird dieses Faktum dadurch ausgedrückt, daß jeder Spezies ein Satz von potentiellen Attributen zugeordnet werden kann, der in Attributgruppen gegliedert ist. Der erste Zustand einer Attributgruppe wird als Grundzustand der Attributgruppe definiert. Alle potentiellen Attributsätze werden in der Attributliste definiert.

    Manche Objekte weisen kontinuierlich bzw. quasi-kontinuierlich veränderliche Zustände auf. Hierzu wurden in GDL Zahlattribute eingeführt, bei denen eine INTEGER-Codierung in einem 16 bit-Wort oder eine REAL-Codierung in zwei 16 bit-Worten möglich ist.

    Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen ergibt sich eine Schreibweise für die Attributliste, wie sie das folgende Beispiel zeigt:

    101= (ZWI/AUS/EIN/STO)(QIT/-);
    200=('NR);
    304=(''MVA);

    In der ersten Zeile sind die potentiellen Zustände eines Trenners codiert. Die erste Attributgruppe beschreibt den Schaltzustand des Geräts, in der zweiten Gruppe wird angegeben, ob der Betriebsführer diesen Zustand zur Kenntnis genommen hat ( QIT wie quittiert) oder nicht. In der zweiten Zeile findet man die Angabe einer INTEGER-Zahl (beispielsweise die Stufennummer eines Transformators), erkennbar an einem Apostroph vor dem Attributnamen. Der dritte Eintrag ist eine REAL-codierte Zahl (z.B. eines Meßwertes), erkennbar an den zwei Apostrophen vor dem Einheitennamen. Der Bereich, der in der Datenbank zur Ablage eines oder mehrerer Attributes zu einer Spezies dient, wird als Wertrahmen bezeichnet.

    Die Korrespondenz zwischen Spezies und zugehörigen potentiellen Attributen wird über die Rahmen- und Belegungsnummer hergestellt, die zu Beginn einer jeden Attributdefinition und in jedem Spezieseintrag im Diktionar zu hinterlegen ist.

    Die Beschreibung der Kraftwerksparameter erfolgt ebenfalls unter Verwendung von GDL, um die Daten mit Hilfe vorhandener Programme in die Datenbank einbringen und wieder auslesen zu können [LIT-90].

    Die Quellbeschreibungen werden in einem Assemblierungsprozeß, der die Syntax der Quellform aufrecht erhält, in Kartuschen übersetzt (z.B. eine Kartusche pro Unterstation bzw. Kraftwerk) und für einen schnellen Zugriff mit Verzeigerungen auf jedes Partial versehen, die im Adreßflur hinterlegt wird. Anschließend werden die Kartuschen mit einem Datenbankmanager [TRA-89] in die Datenbank eingebracht. Außerdem werden Diktionar und Attributliste in eine Maschinenform assembliert [BÜS-88] und den Programmen zur Verfügung gestellt.

    Um den Zugriff auf den Datenbankinhalt weiter beschleunigen zu können, ist die Datenbank hierarchisch gegliedert. Kartuschengruppen werden zu Regionen, Regionen zu Bankarten zusammengefaßt. Es sind insgesamt 255 Bankarten mit je maximal 15 Regionen erlaubt. So werden beispielsweise alle Kartuschen der Netzbeschreibung in der Region 1 der Bankart 1 hinterlegt, die Kraftwerksbeschreibungen in die Regionen 4 bzw. 5 derselben Bankart. Weitere Bankarten werden für die Einlagerung von Kartuschen benutzt, die nicht aus einem GDL-Text assembliert wurden, sondern applikationsspezifische Datenstrukturen aufweisen, wie z.B. automatisch erstellte Bilddaten und die Daten zur Versorgung des dynamischen Modells.

    Durch generische und automatische Funktionen wird innerhalb von wenigen Minuten aus den Quelldaten eine prozeßfähige Datenbank aufgebaut, aus der in weiteren Initialisierungsschritten des Trainingssimulators die Prozeßoberflächen zusammengestellt werden und auf der schließlich die Betriebsfunktionen ablaufen.

    3.4.2. Dreistufiges Bildsystem

    Dem Schaltingenieur soll ein Bildsystem an die Hand gegeben werden, das zwei sich zunächst widersprechende Anforderungen erfüllt:

  • Darstellung des gesamten Netzes und

  • Darstellung aller für die Betriebsführung relevanten Objekte in vollem Detail.

    Der Widerspruch kann gelöst werden, indem zunächst ein Netzübersichtbild verwendet wird, das die Struktur des Netzes in Form von Leitungen und Unterstationen zeigt (siehe Bild 3.6 Teil a). In der Unterstation entstehen alle Meldungen und Ereignisse, auf die der Betriebsführer zu reagieren hat. Demzufolge können Markierungen in den vier Ecken des Unterstationssymbols (Rechteck) mit einer Sammelmeldung aus der Unterstation belegt werden. Das Übersichtsbild entsteht semi-automatisch, indem nur das Unterstationsrechteck auf dem Bildschirm interaktiv plaziert werden muß. Alle anderen Elemente (Kraftwerks- und Lastsymbole, Freileitungen und Kabel) werden automatisch in das Bild eingefügt. Auf diese Weise ist es möglich, die erste Forderung (Darstellung des gesamten Netzes) zu erfüllen.

    Für Handlungen seitens des Betriebsführers ist die Darstellung der Schaltanlage in vollem Detail erforderlich. Die automatisch erzeugten Anlagenbilder werden auf Anforderung durch den Bediener dargestellt. Als Beispiel sei auf Bild 3.6 Teil c) verwiesen. In der unteren rechten Ecke ist das Schaltfenster dargestellt, mit dessen Hilfe der Bediener Schalt- und Steuerbefehle formulieren kann. Es erscheint nach Anwahl eines Schaltgeräts durch Mausklick.

    Weitere Entwicklungen auf diesem Gebiet betreffen die Knotenpunktsdarstellung, die eine Verbindungsebene zwischen Übersichtsbild und Anlagenbild darstellt. Auf Mausklick hin wird statt des Unterstationsrechtecks eine Darstellung in höherer Detaillierungsstufe (vgl. Bild 3.6 Teil b) in das Übersichtsbild eingebettet. Der für die Knotenpunktsdarstellung benötigte zusätzliche Platz wird mittels einer elliptischen Expansion gewonnen.


    Bild 3.6.: Hierarchie-Ebenen des dreistufigen Bildsystems

    3.4.3. Expertensystem Verriegelung und Schaltfolgen

    Expertensysteme versuchen, die menschliche Vorgehensweise bei der Lösung von Problemen nachzuahmen. Charakteristisch ist die Trennung von Wissen (in der Wissensbasis) und der Verarbeitung des Wissens (in der Inferenzmaschine) [KRO-92].

    Die Erfahrungen im Einsatz der ersten Version des Verriegelungsprogramms [ABD-89] mündeten in einer Entwicklung eines Expertensystems [JU-96a], das auf Basis der Netzbeschreibung die folgenden Funktionen realisiert:

  • topologischen Verriegelungen, wie z.B. Verbot des Ausschaltens eines Trenners unter Last,

  • betriebliche Verriegelungen, wie z.B. bei drohender Abschaltung eines Kunden oder der Betätigung eines gestörten Schaltgeräts, und

  • Generierung von Schaltfolgen für komplizierte Umschaltungen, wie z.B. Sammelschienenwechsel oder Abschaltung, Abtrennung und Erdung einer Leitung

    Sowohl topologische wie betriebliche Verriegelungen sind teilweise wieder aufhebbar, d.h. der Betriebsführer nimmt eine Warnung des Verriegelungsprogramms entgegen, kann aber den Schaltbefehl trotzdem an das Schaltgerät absetzen. Weitere betriebliche Bedingungen, die nicht aus der Netzbeschreibung ableitbar sind, können als Sonderregeln in die Wissensbasis eingebracht werden.

    3.4.4. Meßwertarchiv und Meßwertdarstellung

    Als Ersatz für in Warten installierte Meßwertschreiber wurde ein Meßwertarchiv mit zugehörigem Meßwertfenster entwickelt. Dieses System ermöglicht es sowohl dem Trainer als auch den Trainees, Meßwerte auszuwählen und ihren Verlauf über der Zeit anzuzeigen:

  • alle in der Prozeßdatenbank beschriebenen Meßwerte mit einer Auflösung von 10Sekunden,

  • Verknüpfungen (Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division) aller in der Datenbank beschriebenen Meßwerte,

  • alle Inselfrequenzen mit einer Auflösung von 400 ms und

  • spezielle, vom Modell errechnete Größen (Netzverluste, Spannungsband, Gesamterzeugung) in 10-Sekunden-Auflösung.

    Das Meßwertfenster wird während der Trainingssitzung vom Trainee zur Anzeige des Frequenzverlaufs oder von Austauschleistungen benutzt. Außerdem kann es vom Trainer für die Beurteilung einer Trainingssitzung in einer Abschlußbesprechung verwendet werden, indem spezifische Werte (Frequenz, Spannungsband, wiederversorgte Last) über dem gesamten Zeitbereich einer Sitzung dargestellt werden.

    3.5. Leitstellennachbildungen

    3.5.1. Problemstellung

    In der Prototypversion (siehe Bild 3.3) gab es nur zwei Oberflächen: die Oberfläche „Netz" mit einer Schaltanlagenbild-Darstellung sowie die Traineroberfläche, über die gleichzeitig die Kraftwerksführung zu erledigen war. Damit war a priori festgelegt, welche Daten auf welcher Oberfläche zu erscheinen hatten.

    In der neuen Struktur (vgl. Bild 3.4) sind mehrere Netz- und Kraftwerksoberflächen zu erkennen, die jeweils eine Netzleitstelle bzw. Kraftwerksleitstelle nachbilden. Damit ergibt sich die Aufgabe, die Bezirke, die von einer Leitstelle aus beobachtet und gesteuert werden, zu definieren und bestimmten Oberflächen zuzuordnen.

    3.5.2. Lösungskonzept

    Im Prinzip sind zwei Vorgehensweisen denkbar:

  • 1.Die Daten der einzelnen Bezirke werden bereits in der Prozeßdatenbank getrennt geführt und den Datenbankbereichen werden die Oberflächen zugeordnet. Ein weiterer naheliegender Schritt in diese Richtung wäre dann, für die einzelnen Bezirke jeweils eigene dynamische Modelle zu installieren, die lediglich über funktionelle Schnittstellen gekoppelt sind.

  • 2. Die Daten des Gesamtsystems werden gemeinsam in einem Bereich der Datenbank abgelegt und einheitlich von einem dynamischen Modell behandelt. Für die einzelnen Oberflächen werden Datenfilter definiert, die den Zugriff auf den jeweiligen Operationsbezirk einschränken.

    Für den hier behandelten Anwendungsfall weist der zweite Weg entscheidende Vorteile auf:

  • da die im Netzzusammenbruch und im Wiederaufbau entstehenden physikalisch zusammenhängenden Netzinseln, die auch dynamisch zusammenhängend behandelt werden müssen, sich keineswegs nach den Abgrenzungen der Betriebsorganisation richten,

  • da innerhalb einer hierarchischen Betriebsorganisation vielfach Überlappungen auftreten; d.h. ein Teil der Daten ist auf mehr als einer Oberfläche darzustellen, und

  • da die Filter für die Operationsbezirke - auch mit Überlappungen - mit Hilfsmitteln der GDL verhältnismäßig einfach zu beschreiben sind.

    3.5.3. Realisierung

    Für die verschiedenen Oberflächen wird die Vereinfachung getroffen, daß jeweils eine ganze Schaltanlage zugeordnet oder nicht zugeordnet werden kann. Es wird dabei in Kauf genommen, daß der Betriebsführer im Training an den Netzgrenzen unter Umständen mehr Information erhält als in der Realität. Damit kann die Beschreibung der Bezirke auf die ersten beiden Deskriptorteile verkürzt werden. Für die Zuordnung einzelner Kraftwerksblöcke zu einer Leitstelle genügt ebenfalls ein zweistufiger Deskriptor. Bild 3.7 zeigt die kommentierte Definition eines Netzbezirks, welcher der Leitstelle mit dem Namen NORD zugeordnet wird. Dabei werden die GDL-Sonderzeichen „?" (beliebig) und „\" (mit Ausnahme von) verwendet.

    Diese Definitionen werden für mehrere Netzleitstellen in einer Datei zusammengefaßt und an zentraler Stelle gespeichert. Auf gleiche Weise werden in einer weiteren Datei die Kraftwerksblöcke beschrieben, die den jeweiligen Kraftwerksleitstellen zugeordnet werden.


    TEILNETZ: "NORD"
    '''?    ''400   ;; Alle Schaltanlagen 400 kV
    '''?    ''230   ;; alle Schaltanlagen 230 kV
    
    \'''CSA ''?     ;; mit Ausnahme dieser Schaltanlangen
    \'''DIE ''?     ;; auf 400 bzw. 230 kV, die aber nicht
    \'''GNO ''?     ;; von NORD betrieben werden  
    \'''HIP ''?
    
    '''KIY  ''50    ;; aber zusätzlich diese Anlagen, in
    '''WOD  ''50    ;; denen von NORD betriebene Kompen-
    '''DIC  ''50    ;; sationsmittel (50 kV) bzw. 
    '''UNS  ''50    ;; Kraftwerksanschlüsse (21 kV / 10kV)
    '''EAN  ''21    ;; liegen
    '''GDT  ''21
    '''HCL3 ''?
    '''RBP  ''21
    '''EAUN ''21
    

    Bild 3.7.: Beispiel einer Leitstellendefinition

    Die so entstehenden Leitstellendefinitionen werden zu verschiedenen Zeiten benutzt. Bei der Editierung der Übersichtsbilder (siehe 3.4.2) in der vorbereitenden Phase werden die Netzleitstellen-Definitionen dazu verwendet, für jede Netzleitstelle jeweils ein Übersichtsbild zu erstellen, das nur die von dieser Leitstelle zu steuernden Schaltanlagen enthält. Aus diesem Übersichtsbild heraus werden dann im dreistufigen Bildsystem die der Leitstelle zugeordneten Schaltanlagenbilder angewählt. In der Kraftwerksbedienoberfläche (siehe 4.3) hingegen wird die tabellarische Übersicht der zur Leitstelle zugeordneten Kraftwerksblöcke zur Laufzeit zusammengestellt und angezeigt.

    Sowohl in einer Netz- wie in einer Kraftwerksleitstelle wird ein Ereignisprotokoll eingesetzt. Daher interpretiert die Protokolldarstellung (siehe 4.1) beide Leitstellendefinitionsdateien.

    In der Realität sind aber auch kombinierte Arbeitsplätze zu finden, von denen aus sowohl das Netz als auch die Kraftwerke überwacht und gesteuert werden. Die gemeinsame Protokolldarstellung aller Ereignisse wird erreicht, wenn beiden Definitionslisten der gleiche Leitstellenname gegeben wird. Dann vereinigt das System beide Listen zu einer gemeinsamen Definition.

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