2. Trainingssimulatoren in der Energieversorgung

2.1. Energieversorgungssysteme und Betriebsaufgaben

Elektrische Energieversorgungssysteme umfassen die Bereiche der Erzeugung, des Transports, der Verteilung und der Nutzung elektrischer Energie. In den Kraftwerken wird die elektrische Energie bereitgestellt. Der Transport elektrischer Energie, die im energietechnischen Maßstab nicht speicherbar ist, erfolgt meistens leitungsgebunden. Innerhalb eines Gesamtnetzes muß jederzeit die Erzeugung genau so groß wie der Verbrauch sein. Auf der elektrischen Seite ist diese Gleichheit physikalisch gegeben; auf der mechanischen Seite der elektrischen Energieerzeuger muß die Gleichheit durch Regelung und betriebliche Maßnahmen hergestellt werden.

2.1.1. Netzaufbau

Transport und Verteilung elektrischer Energie erfolgt mit Hilfe von Freileitungen und Kabeln. Aus wirtschaftlichen Gründen werden für den Transport höhere Spannungen eingesetzt als sie der Verbraucher verwenden kann. Die Umsetzung zwischen den verschiedenen Spannungsebenen erfolgt durch Transformatoren. Eine schematische Übersicht über den Aufbau der in Mitteleuropa verwendeten Netzebenen vermittelt Bild 2.1.


Bild 2.1. Schematische Netzstruktur
Das vermascht aufgebauteTransmissionsnetz (Höchstspannungsnetz) mit 400 kV bzw. 230 kV Nennspannung überspannt fast ganz Europa. In diese Spannungsebenen speisen die Kraftwerke größerer Leistung wie große konventionell beheizte Kraftwerke und Kernkraftwerke ein. Wenige Industriebetriebe mit sehr hohem Leistungsbedarf sind an diese Spannungsebene angeschlossen.

Die ebenfalls vermascht aufgebauten Subtransmissionsnetze (Hochspannungsnetze) mit 110 kV Nennspannung werden als eigenständige Netzgruppen betrieben und meistens an einer oder wenigen Stellen an das Transmissionsnetz angeschlossen. Dadurch wird vermieden, daß Leistungstransporte in höheren Spannungsebenen nicht anteilig durch das unterlagerte Netz fließen. Aufgabe dieser Netzebene ist der Weitertransport elektrischer Energie im Bereich bis zu ca. 200 km. Große Industriebetriebe finden hier ihren Anschluß.

Die Verteilnetze ( Mittelspannungsnetze) mit Nennspannungen zwischen 10 und 30kV übernehmen die regionale Verteilung der Energie im Umkreis von maximal 50km. Diese Netze werden zwar auch vermascht aufgebaut, aber üblicherweise durch Einbau von Trennstellen in den Maschen als Strahlennetz betrieben; Sondervertragskunden (Kaufhäuser, Sportstadien, kleinere Industriebetriebe, größere Gewerbebetriebe) werden aus dieser Spannungsebene versorgt.

Die Niederspannungsnetze mit 400 V Nennspannung werden mit Hilfe der Ortsnetzstationen an das Verteilnetz angeschlossen. Die Reichweite beträgt je nach Leistungsdichte etwa hundert Meter bis wenige Kilometer. Hier werden Haushalte und Gewerbebetriebe angeschlossen.

2.1.2. Unterstationen

Leitungen und Transformatoren werden in Anpassung an den im Tages- und Jahresverlauf veränderlichen Bedarf zu- und abgeschaltet; während Wartungsarbeiten müssen sie abgeschaltet und geerdet werden. Gegen Fehler (Kurzschlüsse) und Überlastung sind sie durch automatische selektive Abschaltung zu schützen. Dies erfordert den Einsatz von Schalt- und Schutzgeräten, die in Schaltanlagen an Netzknotenpunkten angeordnet werden. Schaltanlagen besitzen in der Regel mehrere Sammelschienen bzw. Sammelschienenabschnitte, auf welche Leitungen und Transformatoren in Auswahl zugeschaltet werden, um das Netz unterschiedlich konfigurieren zu können, z.B. in galvanisch unverbundene Netzgruppen oder in Umwegschaltungen zur Verminderung der Kurzschlußleistung.

Transformatoren werden in der Regel zusammen mit ober- und unterspannungsseitigen Schaltanlagen an einem Ort errichtet; so entstehen Umspannanlagen, die oft mehr als zwei Spannungsebenen umfassen.

Die an einem Ort befindlichen Schaltgeräte, Sammelschienen, Meß- und Schutzgeräte sowie gegebenenfalls Transformatoren werden unter dem Begriff Unterstation zusammengefaßt. Unterstationen enthalten weitere Hilfsgeräte und -anlagen zur Herstellung und Sicherung des Eigenbedarfs, zur Überwachung der Funktionstüchtigkeit der Geräte, zum Brandschutz der Transformatoren sowie zum Schutz der dort angeordneten Betriebsmittel.

2.1.3. Netzleittechnik

Unterstationen besitzen traditionell neben der Möglichkeit, die Schalter vor Ort zu steuern, eine Nahsteuerwarte, in welche die Informationen aus den Anlagen übertragen und angezeigt werden und von wo aus die Schaltgeräte gesteuert werden können. In den Industrienationen sind Nahsteuerwarten in der Regel unbesetzt und werden nur noch benutzt, wenn in der Unterstation Wartungsarbeiten durchgeführt werden.

Die zum Netzbetrieb benötigten Informationen werden aus mehreren bis vielen Unterstation in eine Leitstelle übertragen und hier zusammenfassend dargestellt. Leitstellen besitzen meist auch die Möglichkeit fernzusteuern. Die Informationsübertragung erfolgt mittels Fernwirkgeräten; in Pionieranlagen sind bereits Rechner in den Unterstationen eingesetzt, die eine Übertragung mittels Rechner-Rechner-Kopplung erlauben.

2.1.4. Leitstellenhierarchie

Entsprechend dem hierarchischen Aufbau der Netzebenen entsteht eine Hierarchie von Leitstellen mit unterschiedlichen Betriebsaufgaben, wie sie schematisch in den Bildern 2.2.a und 2.2.b dargestellt ist.

Im Prinzip ist dem Transportnetz eines Energieversorgungsunternehmen (EVU) eine Leitstelle zugeordnet, den tieferliegenden Netzebenen mehrere bis viele Leitstellen nach regionaler Teilung.

In Deutschland findet man meist eine Betriebsstruktur nach Bild 2.2.a derart, daß jede Leitstelle die ihr (regional) zugeordnete Netzebene auch unmittelbar steuert. Im (insbesondere außereuropäischen) Ausland herrscht dagegen eine Betriebsstruktur nach Bild 2.2.b vor, in der die übergeordneten Leitstellen die Informationen angezeigt erhalten, aber nur regional zugeordnete Leitstellen die Fernsteuermöglichkeit haben. Diese Leitstellen steuern nach telefonischer Anweisung durch die verantwortliche Hauptschaltleitung auch die in der Region liegenden Transportnetz-Schaltanlagen. Vergleicht man die Betriebsstruktur mehrerer EVU, so werden auch Mischformen zwischen den beiden abgebildeten Extremen gefunden. In der Störungssituation ergeben sich evtl. andere Wege in den Betriebsabläufen, wie sie im folgenden noch besprochen werden.


Bild 2.2.a: Leitstellenhierarchie und -organisation in Europa



Bild 2.2.b: Leitstellenhierarchie und Organisation in Übersee

Traditionell werden von zwei Arbeitsplätzen der obersten Leitstelle eines EVU sowohl das Transportnetz als auch die Kraftwerke überwacht und gesteuert. Neuere politische Einflüsse („Öffnung des elektrischen Energiemarkts", „freier Zugang zum Netz") führen zur Ausgliederung der Kraftwerke in unabhängige Unternehmen und daraus folgend zur Schaffung eigener Kraftwerksleitstellen. Hierdurch ergibt sich auch auf oberster Ebene eine Trennung in eine Netzwarte und eine oder mehrere Produktionswarten, deren eng koordinierte Zusammenarbeit in der Störungssituation erforderlich wird.

Die Fernsteuerung der Betriebsmittel im Netz erstreckt sich in Deutschland auf alle oberen Netzebenen bis zu den 20- bzw. 10-kV-Speisestationen des Mittelspannungsnetzes. Ortsnetzstationen werden bei Bedarf vor Ort von entsandtem Personal gesteuert.

2.1.5. Aufgaben des Leitstellenpersonals

In den Leitstellen arbeiten rund um die Uhr ein oder mehrere Betriebsführer, deren Aufgaben wie folgt zu skizzieren sind:

  • optimale Einsatzplanung und Koordinierung der Erzeugereinheiten in Anpassung an den Verbrauch,

  • Optimierung des Netzes durch Zu- oder Abschaltung von Betriebsmitteln wie Leitungen, Transformatoren oder Kompensationseinrichtungen sowie Verstellung von Transformatorstufungen,

  • Planung bzw. Durchführung von Freischaltungen und Wiederinbetriebnahmen von Betriebsmitteln, und

  • Erkennung und Beseitigung von Störungssituationen.

    Der erste Aufgabenbereich wird nur in der Hauptleitstelle bzw. den Produktionsleitstellen erledigt, in hierarchisch tieferliegenden Leitstellen treten nur noch die Aufgaben 2) bis 4) auf.

    Die Tätigkeitsbereiche 1) bis 3) sind vorherplanbar und stellen die Betriebsführer deshalb vor keine größeren Probleme, solange die bei der Erstellung des Plans prognostizierten Bedingungen auch bei der Durchführung gelten. Störungen hingegen treten als unvorhergesehenes, plötzliches Ereignis auf. Ihre Erkennung und Beseitigung kann beim Personal eine Streßsituation erzeugen.

    In Planung und Betrieb elektrischer Energieversorgungsnetze wird das (n-1)-Prinzip angewendet. Diese Regel besagt, daß ein beliebiges Betriebsmittel jederzeit ausfallen darf, so daß die übrigen (n-1) Betriebsmittel die Versorgung aller Kunden aufrecht erhalten können. Dieses Prinzip gilt - wegen des vermaschten Aufbaus - uneingeschränkt innerhalb der Hoch- und Höchstspannungsnetze. Tritt ein Betriebsmittelausfall im Mittelspannungsbereich ein, kann durch Umschaltungen (Verschiebung der Trennstellen) jeder Kunde in weniger als einer Stunde wiederversorgt werden. In Niederspannungsnetzen wird aus wirtschaftlichen Überlegungen das (n-1)-Prinzip nur in Sonderfällen (Industrienetze) angewendet.

    Dieser hohe Grad konstruktiver und betrieblicher Sicherheit bewirkt, daß in den Netzen Mittel- und Westeuropas Störungen, bei denen die Stromversorgung in einem großen Gebiet ausfällt, nur äußerst selten auftreten. Ein Betriebsführer kann mit Glück einen großen Teil seines Berufslebens hinter sich bringen, ohne mit den Problemen, die während einer solchen Großstörung auftreten, konfrontiert zu werden; tritt aber die Großstörung oder sogar der völlige Netzzusammenbruch ein, so ist der Betriebsführer unvorbereitet. Hinzu kommt, daß der Netzwiederaufbau Schritt für Schritt eine koordinierte Zusammenarbeit aller Produktionsleitstellen und der Leitstellen auf allen Netzebenen erfordert.

    2.1.6. Ausbildung des Leitstellenpersonals

    Das Personal in Netzleitstellen bedarf einer gründlichen Aus- und Weiterbildung, um den komplexen Aufgaben der Netzführung gerecht werden zu können. Vielfach wird die Möglichkeit der Ausbildung während der Arbeit ( training on job) genutzt, indem neues Personal von erfahrenen Mitarbeitern am Arbeitsplatz eingearbeitet wird. Dieses Verfahren kann nur angewendet werden, wenn der neue Mitarbeiter über genügend tiefes Grundlagenwissen verfügt, das er durch ein Ingenieurstudium an einer Hochschule oder durch langjährige Berufserfahrung in anderen Bereichen der Energieversorgung erworben hat.

    Soll - wie es außereuropäisch vielfach üblich ist - Personal eingesetzt werden, dem die Einblicke in die physikalischen Phänomene der Energieversorgungssysteme fehlen, muß eine Grundlagenausbildung vorgeschaltet werden.

    Ist das Personal eingearbeitet, muß eine kontinuierliche Weiterbildung einsetzen, die sich in erster Linie mit Behandlung von Störungssituationen beschäftigt. Der Ausfall einzelner Betriebsmittel wird - wie oben erwähnt - genügend häufig auftreten, so daß der Betriebsführer in seiner täglichen Arbeit genügend Routine erhält. Tritt aber ein weitgehender oder totaler Netzzusammenbruch auf, ist ein starkes Erfahrungsdefizit festzustellen, da

  • das Netz gegenüber dem Normalbetrieb ein grundlegend anderes Verhalten zeigt,

  • Großstörungen äußerst selten auftreten und somit keine Erfahrungen gesammelt werden können und

  • in den Zeiträumen zwischen Großstörungen Ausbauänderungen des Netzes zu veränderten Bedingungen führen.

    Um den Erfahrungsmangel des Personals in dieser Situation auszugleichen, werden vielfach Wiederaufbaupläne angefertigt, die Maßnahmen zur Restitution des Netzes vorschreiben oder vorschlagen. Allerdings ergibt sich durch Kombinatorik der Randbedingungen eine große Vielfalt aller möglichen Szenarien. Hieraus entsteht die Gefahr, daß die Wiederaufbaupläne dem Betriebsführer im Ernstfall nicht die gewünschte Hilfe geben können.

    Die Ausbildung des Leitstellenpersonals kann von unterschiedlichen Digitalrechner-Systemen unterstützt werden; wie in [BOS-92] geschildert wird, kann zwischen CBT (computer based training) und DTS (dispatcher training simulation) unterschieden werden. Eine detaillierte Modellierung erfolgt in den DTS, während in CBT detaillierte Modelle durch stark vereinfachte Ersatzfunktionen substituiert werden. Im folgenden soll nur von DTS-Systemen gesprochen werden, da sie als die effizienteste Möglichkeit zur rechnergestützten Ausbildung angesehen wird.

    Trainingssimulatoren

    Eine Möglichkeit zur Vorbereitung der Mitarbeiter auf ihre Aufgaben stellt die Verwendung von Trainingssimulatoren dar . Solche Systeme sind ein in vielen Bereichen der Technik eingesetztes Hilfsmittel, um Bedienpersonal komplexer Systeme für die verschiedensten Betriebsfälle aus- und weiterzubilden.

    Am weitesten bekannt sind Flugsimulatoren, mit deren Hilfe Piloten auf einen neuen Flugzeugtyp eines Herstellers eingewiesen werden. Weiterhin ist eine Nachschulung in regelmäßigen Abständen vorgesehen, wobei der Pilot angeleitet wird, die unterschiedlichsten technischen Störungen oder natürlichen Beeinflussungen (Wetter) zu beherrschen.

    Ein weiteres, bereits eingeführtes Anwendungsfeld von Simulatoren ist in der Betriebsführung von Kernkraftwerken zu finden. Hier wird das Bedienpersonal eines Kraftwerks trainiert, alle Aufgaben des Normalbetriebs zu beherrschen und auch in Störungssituationen schnell und effizient reagieren zu können [KSG-94].

    Die Aufgaben des Betriebsführers elektrischer Energieversorgungsnetze sind ebenfalls so kompliziert wie die eines Piloten oder Kraftwerksführers. Deshalb bietet es sich an, Trainingssimulatoren auch für die Aus- und Weiterbildung des Leitstellenpersonals einzusetzen.

    Im Ausland, insbesondere in Japan und USA, wurde die Entwicklung von Trainingssimulatoren für den Netzbetrieb schon viele Jahre vorangetrieben und hat besonders in Japan zu sehr aufwendigen Nachbildungen ganzer Netzleitwarten geführt [SUS-87] [MIN-88] [WAI-91]. In Deutschland und auch Europa war die Reaktion der EVU eher zurückhaltend. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß hier Leitstellenpersonal mit einer besseren Grundausbildung als in der übrigen Welt verfügbar war. Die Deutsche Verbundgesellschaft (DVG) stellte in ihrem Bericht 1989 [DVG-89] einen Trainingsbedarf „im Bereich selten zu erwartender extremer Großstörungen" fest. Weiterhin kann festgestellt werden, daß die Notwendigkeit des Trainings für Betriebsführer durch die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) [ANF-94] bestätigt wird. Von der VDEW sind weitergehende Anforderungen gestellt worden, die mit verschiedenen Arten von Simulatoren erfüllt werden können. Auch sind in den letzten drei Jahren mehrere Trainingssimulatoren in Europa installiert worden (siehe 2.2.2).

    2.2.1 Klassifizierung von Trainingssimulatoren

    Betrachtet man die bis zum heutigen Zeitpunkt realisierten Simulatoren näher, so kann man eine Klassifizierung vornehmen, die durch die technische Ausführung bedingt wird [ANF-94]:

  • autonome ( „stand-alone") Simulatoren, die getrennt von einer Leitwarte erstellt und betrieben werden und eine eigene Wartennachbildung besitzen,

  • in ein Netzleitsystem integrierte („attached") Simulatoren, die einen Teil der Wartenausrüstung auch für das Training nutzen, und

  • halb-integrierte ( „semi-attached") Systeme, in denen Softwarekomponenten des Leitsystems auf eine separate Hardware kopiert werden; sie stellen eine Mischform der obigen Systeme dar.

    Bei den integrierten und halb-integrierten Systemen kann der Aufwand für die Erstellung der Simulationsdatenbank erheblich reduziert werden, da die vorhandene Prozeßdatenbank kopiert wird. Allerdings sind additive Daten für eine detaillierte Simulation erforderlich, die auf einem Nebenweg in die Simulationsdatenbank einzubringen sind. Mit diesen Systemen kann nur das Netz simuliert werden, das auch in der Leitstelle abgebildet ist. Daraus folgt, daß ein integrierter Simulator nur für das eigene Personal eingesetzt werden kann; die für die Simulationskomponente erforderlichen Zusatzaufwendungen können deshalb nur von wenigen Betriebsführern genutzt werden. Die Anwendung eines halb-abhängigen Simulatorsystems umgeht dieses Problem nicht, bietet aber zumindest die Möglichkeit, mehr als eine Person am Simulator trainieren zu können, ohne den Betrieb zu beeinträchtigen.

    Die autonomen Simulatoren vermeiden zunächst Rückwirkungen des Trainings auf den Wartenbetrieb. Weiterhin ist es möglich, beliebige Netze zu beschreiben und somit den Simulator für Betriebsführer verschiedener EVU und/oder unterschiedlicher Netzebenen zu nutzen, um somit die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen. Diese Nutzung kann sequentiell erfolgen, indem zeitlich nacheinander mehrere EVU oder verschiedene Betriebsstellen eines EVU ihr Netz in das System einbringen und damit ein Training durchführen. Die Nutzung kann aber auch parallel erfolgen, indem ein Netz, das aus Teilnetzen in der Zuständigkeit mehrerer Leitstellen besteht, auf dem Simulator abgebildet wird; so wird ein leitstellenübergreifendes Training möglich. Diese Trainingsanwendung ist erforderlich, wenn die enge Zusammenarbeit, wie sie im Normalbetrieb, aber erst recht im Notfall erforderlich ist, ebenfalls trainiert werden soll. Die Unabhängigkeit der Simulationsdatenbank vom Leitsystem erlaubt auch, zukünftige Ausbauzustände eines Netzes abzubilden und im Training zu behandeln. Problematisch ist aber der erhebliche Aufwand für die erstmalige Erstellung der Datenbank ( Erstaufdatung) und die Datenpflege, die für das Original-Leitsystem und für den Simulator getrennt erfolgen muß. Wie später geschildert werden wird, kann diese Problematik bei Einsatz einer effizienten Beschreibung, einem weitgehend automatischen Bilddesign und einer Selbstadaption der Simulationskomponente erheblich abgemildert werden.

    Die verschiedenen Klassen von Simulatoren werden für unterschiedliche Ausbildungsaufgaben verwendet. In Übersee werden vielfach unabhängige Simulatoren mit der Abbildung eines fiktiven Netzes oder eines reduzierten Originalnetzes für die Erstausbildung von Leitstellenpersonal verwendet. Dieses Einsatzgebiet ist in Deutschland nicht zu finden, da hier - zumindest in den Leitwarten der Hoch- und Höchstspannungsnetze - Mitarbeiter mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium eingesetzt werden.

    Zur Einarbeitung in die Bedienung des Leitsystems eignen sich nur integrierte oder halb-integrierte Systeme, da hier die originale Mensch-Maschine-Schnittstelle verwendet werden muß. Sollen auf einem solchen System Störungserkennung und -behandlung trainiert werden, ist eine aufwendige zusätzliche Simulationskomponente erforderlich.

    Ein effektives Training zur Großstörungsbeseitigung muß die Möglichkeit einschließen, das Personal mehrerer Leitwarten zusammen trainieren zu können, da die Behebung der Störung die koordinierte Zusammenarbeit zwischen der Hauptschaltleitung, der Netzleitstelle, des Regionallastverteilers und dem Kraftwerkslastverteiler erfordert. Somit sind integrierte oder halb-integrierte Simulatoren für diese Aufgabe nicht einsetzbar. Ein unabhängiger Simulator muß die Möglichkeit bieten, jedem am Training beteiligten Betriebsführer sein Netz in betriebsrealistischer Weise darzustellen. Somit ist für jeden Leitstellenbereich ein eigener Arbeitsplatz vorzusehen.

    2.2.2. Übersicht realisierter Trainingssimulatoren

    In [ADE-92] wurde eine Übersicht über zwölf weltweit realisierte Simulatoren für Netzbetrieb im Zeitraum bis 1992 gegeben. Diese Aufstellung soll hier um weitere sieben neuere Anwendungen erweitert werden:

  • BKW Energie AG, Bern, Schweiz,

  • EMASZ KDSZ, Ungarn,

  • HEW, Hamburg,

  • Österreichische Verbundgesellschaft, Wien,

  • National Grid Company, England,

  • Stadtwerke Duisburg und

  • Central Electricity Authority, Indien.

    Die ersten vier Simulatoren sind integrierte bzw. halb-integrierte Systeme, die bei Anschaffung eines neuen Leitsystems miterworben wurden.

    Im neuen Leitsystem der BKW, Bern, Schweiz, wurde ein Trainingssimulator integriert, der es ermöglicht, als Ausgangsszenarien aktuelle oder auch archivierte Netzzustände zu verwenden [BEN-95]. Im Simulator finden weitestgehend die Funktionsbausteine der Netzsicherheitsrechnung Verwendung. Über spezielle Arbeitsplätze für einen oder mehrere Trainees und einen Trainer wird nicht berichtet.

    Ende 1993 wurde bei der EMASZ KDSZ, einem regionalen Energieversorgungsunternehmen in Nord-Ungarn, ein halb-integrierter Trainingssimulator in Betrieb genommen [DEM-94]. In diesem Fall wurde ein separater Trainingsraum mit einem Original-Arbeitsplatz des Leitsystems und einem Trainerarbeitsplatz ausgerüstet, so daß Beeinträchtigungen des Netzbetriebs durch das Training ausgeschlossen werden können. Der Trainer-Arbeitsplatz ist mit einer vereinfachten Arbeitsoberfläche ausgerüstet, während der Trainee die gewohnte Oberfläche vorfindet. Besonderer Wert wurde hier auf die Nachbildung des Netzschutzes und der Telemetrie gelegt. Die Kopie der Leitsystemdatenbank kann als Grundszenario verwendet werden, das erforderlichenfalls noch verändert werden kann. Da nur die Subtransmissionsebene mit einer Nennspannung von 120 kV und die stark reduzierte Mittelspannungsebene nachgebildet werden, ist ein umfangreiches Kraftwerksmodell nicht erforderlich. Auffällig ist, daß unterschiedliche Topologiebeschreibungen für das Netzmodell und für das Schutzmodell verwendet werden. Die Autoren berichten über die Idee, diesen halb-integrierten Simulator auch für andere Netze zu verwenden, indem die Datenbanken anderer Leitsysteme auf die Simulatordatenbank adaptiert werden sollen.

    Bestandteil des neuen Leitsystems der Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW) ist ein integrierter Simulator, dessen Konzeption in [LAN-92] geschildert wird. Hier wurde besonderer Wert auf die Nachbildung des Kraftwerksverhaltens im Verbund- und Inselbetrieb sowie HEW-spezifischer Anfahr-Automatiken für Gasturbinenkraftwerke gelegt. Trainer- und Trainee-Arbeitsplätze sind streng voneinander getrennt. In diesem Beispiel zeigt sich, daß für ein Trainingssystem durchaus erhebliche zusätzliche Aufwendungen geleistet werden müssen, um in allen für ein Training wichtigen Situationen ein realistisches Verhalten aller beteiligten Komponenten zu erreichen. Die Anwendung von höheren Rechenfunktionen des Leitsystems reicht für ein effektives Training nicht aus. Die Programmbausteine für die Kraftwerksmodellierung wurden vom Fachgebiet „Elektrische Anlagen und Netze" der Universität Duisburg zur Verfügung gestellt.

    Bei der Errichtung eines neuen Leitsystems für den Hauptlastverteiler der Österreichischen Verbundgesellschaft wurde ein Trainingssimulator integriert [MOI-93]. Die Reserverechner des Leitsystems werden für die Simulation eingesetzt, die Visualisierung erfolgt an einem zusätzlichen Trainingsarbeitsplatz, der aber im Gegensatz zum Normalarbeitsplatz nur drei statt vier Monitore besitzt. Vorteilhaft bei der Anwendung dieses Simulators ist ebenfalls die Möglichkeit, Ausgangsszenarien aus dem aktuellen Prozeßzustand oder aus dem Störungsarchiv zu gewinnen. Die Nachteile liegen prinzipbedingt im kleinen Kreis der Zielpersonen, für die dieser Simulator eingesetzt werden kann. Alle Handlungen, die der Trainee nicht selber ausführen kann, müssen vom Trainer vorgenommen werden; das Zusammenspiel von Betriebsführern verschiedener Leitwarten kann nicht geübt werden.

    Die folgenden drei Simulatoren sind der Kategorie der autonomen Systemen zuzuordnen.

    Der Trainingssimulator, der bei der National Grid Company [CLA-96] in Großbritannien installiert wurde, gibt dem Betriebsführer die Möglichkeit, sowohl technische als auch kommerzielle Probleme des Netzbetriebs studieren zu können. Es ist das Transmissionsnetz in England und Wales dargestellt, welches von mehreren Leitstellen aus gesteuert wird. Im Training werden Kopien der Bilder eingesetzt, mit denen der Trainee in seinem Leitsystem täglich arbeitet. An diesem System können sowohl die Betriebsführer der Hauptlastverteilung als auch aus regionalen Netzleitstellen trainiert werden. Gegenstand der Modellierung ist immer das vollständige Netz, jedoch wird am Arbeitsplatz nur ein Ausschnitt dargestellt, wenn Leitstellenpersonal aus einer regionalen Netzleitstelle trainiert werden soll. Personal aus Hauptlastverteilung und regionalen Netzleitstellen können nicht gleichzeitig trainieren, da nur eine Warte nachgebildet wurde. Hervorzuheben ist das detaillierte Kraftwerksmodell und die Möglichkeit, mehrere Netzinseln berechnen zu können.

    Im Fall der Stadtwerke Duisburg wurde eine reduzierte Version des im Rahmen dieser Arbeit entstandenen Simulators zusammen mit einem Expertensystem für Netzwiederaufbau gekoppelt und installiert. Eine detaillierte Schilderung findet sich in Abschnitt 8.2, so daß an dieser Stelle nicht näher auf dieses System eingegangen wird.

    Der bei der Central Electricity Authority in Indien [SWA-92] installierte Trainingssimulator stellt ebenfalls ein autonomes System dar. Da der Netzausbau der Laststeigerung in den letzten Jahren nicht folgen konnte, muß das Netz mit geringen Sicherheitsmargen betrieben werden. Demzufolge wurde eine Simulatorausbildung durchgeführt, die die Betriebsführer dazu ertüchtigen soll, diese Situation beherrschen zu können. Auf dem Simulator wird der nördliche Teil des indischen Netzes in einer auf 100 Knoten reduzierten Form dargestellt. Verschiedene Aufgaben wie Blindleistungssteuerung, Frequenzregelung und Inselbetrieb können an diesem System geübt werden. Auffällig ist ein hoher Modellierungsaufwand für verschiedene Schutzfunktionen. Obwohl ein autonomes System zur Verfügung steht, wird der Simulator wegen des hohen Parametrieraufwands nur für einen eingeschränkten Personenkreis genutzt.

    Gegenüber dem hier geschilderten Stand der Technik weist der Trainingssimulator, dessen Weiterentwicklung und Anwendung Gegenstand dieser Dissertation ist und der in den nächsten Kapiteln beschrieben werden soll, folgende wesentliche Fortschritte auf:

  • Durch Verwendung eines sprachorientierten Datensystems und der automatischen Bildgenerierung konnte (zumindest im Vergleich mit anderen autonomen Simulatoren) eine drastische Effizienzverbesserung in Erstaufdatung und Änderungsdienst erreicht werden.

  • Aufgrund der hohen Effizienz in der Datenhaltung können auf einfache Weise mehrere bis viele Netze ohne erheblichen Aufwand gepflegt und das jeweils für die Betriebsführung verantwortliche Personal im Wechsel auf dem Simulator trainiert werden.

  • Es können gleichzeitig mehrere Leitstellen nachgebildet und deren Kooperation im Netzwiederaufbau trainiert werden.

  • Infolge der flexiblen Softwaregestaltung kann auch die Hardwarekonfiguration (Workstations) an die speziellen Trainingsaufgaben angepaßt werden.

  • Die Modellbildung wurde insbesondere zur betriebsrealistischen Wiedergabe der Netzdynamik im Wiederaufbau nach Großstörungen vorangetrieben und enthält innovative Details.

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