Einleitung

Für jeden Bürger der Bundesrepublik Deutschland ist es selbstverständlich, jederzeit mit elektrischer Energie hoher Qualität versorgt zu werden. Unter „hoher Qualität" sind in diesem Zusammenhang nur minimale Spannungs- und Frequenzschwankungen sowie eine Verfügbarkeit von nahezu 100 % zu verstehen. In den Energieversorgungsunternehmen werden erhebliche technische und wirtschaftliche Aufwendungen getroffen, um diesen vom Gesetzgeber im Energiewirtschaftsgesetz von 1935 [BRI-80] definierten Auftrag erfüllen zu können. So sind im Bereich der Erzeugung und des Transports der elektrischen Energie genügend Reserven vorgesehen, um Nichtverfügbarkeiten und Störungen ohne Beeinträchtigungen der Endkunden überbrücken zu können. Wirtschaftlicher Druck hat die Energieversorgungsunternehmen dazu bewegt, kleinere Netze miteinander zu verbinden und damit die Reservehaltung für jeden einzelnen Netzbetreiber zu verkleinern. So ist ein Verbundsystem entstanden, das sich über Europa von Portugal bis Polen, von Dänemark bis nach Griechenland erstreckt. Auch auf anderen Kontinenten sind solche großen Verbundsysteme zu finden.

Parallel zur Entwicklung der Verbundsysteme hat sich die Betriebsführung elektrischer Netze durch die Fortschritte in der Netzleittechnik stark verändert. Da die Beobachtung und Steuerung der Netzanlagen über große Entfernungen kein technisches Hindernis darstellt, wurde eine Hierarchie von zentralen Leitstellen eingerichtet, in denen das Personal im Schichtdienst rund um die Uhr dafür Sorge trägt, daß der oben definierte gesetzliche Auftrag erfüllt wird und die bei Erzeugung und Transport elektrischer Energie auftretenden Kosten so klein wie möglich gehalten werden. Durch Einsatz moderner Rechnertechnologie in der Leittechnik konnten die Netzbereiche, die ein Betriebsführer zu kontrollieren hat, größer werden. So wird der Druck auf das Personal wegen der steigenden Informationsmenge (und auch gestiegenen Verantwortung des einzelnen Betriebsführers) immer höher. Viele Energieversorgungsunternehmen bereiten das Personal durch eine gezielte Ausbildung auf diese Aufgaben vor; eine berufsbegleitende Weiterbildung soll das Wissen der Betriebsführer vertiefen und an die sich wandelnden Gegebenheiten anpassen.

Ein in der Technik verbreitetes Mittel zur Aus- und Weiterbildung ist die Anwendung von Trainingssimulatoren. Am weitesten bekannt sind Flugsimulatoren, bei denen die Piloten in einer originalgetreuen Nachbildung des Cockpits das Verhalten eines Flugzeugs im normalem und gestörtem Betrieb erproben können. Im Bereich elektrischer Energieversorgung hingegen sind Simulatoren erst in den letzten Jahren stärker eingesetzt worden.

Im Rahmen der vom Wissenschaftsministerium Nordrhein-Westfalen und der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungen im Fachgebiet „Elektrische Anlagen und Netze" der Gerhard-Mercator-Universität - Gesamthochschule - Duisburg sind umfangreiche Vorarbeiten geleistet worden, die - wie in dieser Dissertation geschildert wird - um weitere Komponenten ergänzt zu einem Trainingssimulator für die Betriebsführung elektrischer Netze integriert worden sind. Zu Beginn der Arbeiten zu dieser Dissertation wurde ein Prototyp vorgefunden, der die Richtigkeit der bis zu diesem Zeitpunkt gemachten Entwicklungen zeigte, allerdings wegen fehlender Komponenten und einer unzureichenden Bedienoberfläche noch nicht für die Ausbildung von Betriebspersonal eingesetzt werden konnte. Aufsetzend auf diesen Vorarbeiten konnte in mehreren Schritten das Gesamtsystem so umgestellt und erweitert werden, daß der heute vorliegende Simulator für verschiedene Anwendungsfälle eingesetzt werden kann. Herausragendes Merkmal des Systems ist die Möglichkeit, Personal aus mehreren Leitstellen gleichzeitig am Simulator arbeiten zu lassen, um somit die koordinierte Zusammenarbeit im Netzwiederaufbau nach Großstörungen trainieren zu können.

Wichtigstes Einsatzgebiet des Simulators sind regelmäßig stattfindende Seminare für die Betriebsführer des niederländischen Hoch- und Höchstspannungsnetzes, in denen die Simulatorausbildung eine zentrale Rolle einnimmt. Eine mit einem Expertensystem gekoppelte Version ist bei den Stadtwerken Duisburg AG im Einsatz. Außerdem wird der Simulator im Fachgebiet beim Praktikum zur Vorlesung „Elektrische Anlagen und Netze" sowie in den Übungen zur Vorlesung „Netzleittechnik" eingesetzt, um den Studenten die Grundaufgaben des Netzbetriebs und den Aufbau von Netzleitsystemen näher zu bringen.

Das folgende, zweite Kapitel schildert zunächst den Aufbau elektrischer Netze, um daraus den Aufgabenbereich des Betriebspersonals ableiten zu können. Anschließend werden die sich aus den Aufgaben resultierenden Trainingsaufgaben näher definiert. Andere Simulatoren werden vorgestellt und der Stand der Technik ausgewiesen.

Das dritte Kapitel beschreibt kurz die bisher geleisteten Arbeiten und die vom Autor dieser Dissertation durchgeführten Schritte zur Systemintegration und Weiterentwicklung des Duisburger Simulators.

Die Kapitel vier bis sieben umfassen die Detaildarstellung der vom Autor geleisteten Neuentwicklungen in der Modellbildung von Kraftwerken und Schutzgeräten, der Konzeption und Realisierung der Ereignisverarbeitung sowie einer laufzeitoptimierten Topologieauswertung für den Trainingssimulator.

Nach der Schilderung der Anwendungen des Simulators (Kapitel 8) wird abschließend eine kurze Zusammenfassung und ein Ausblick auf weitere Entwicklungsmöglichkeiten gegeben.

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