Die Rolle und das Potenzial räumlicher Fähigkeiten für den Studienerfolg in MINT-Fächern

Räumliche Fähigkeiten sind eine zentrale Facette in vielen Intelligenzmodellen, die auch in vielen Anwendungsbereichen von Bedeutung ist. Beispielsweise zeigten zahlreiche Studien, dass räumliche Fähigkeiten einen starken Prädiktor für sowohl Interesse an als auch Leistung in naturwissenschaftlich-technischen Fächern darstellen (bspw. Wai et al., 2009). Aufgrund der häufig gefundenen Überlappung von räumlichen Fähigkeiten mit der generellen Intelligenz g (Lohman, 1996) und fluider Intelligenz, ihrem stärksten Indikator (Carroll, 1993) war es aber bisher in wenigen Studien möglich, die Bedeutung räumlicher Fähigkeiten für Leistungen in naturwissenschaftlich-technischen Fächern von Einflüssen anderer Intelligenzfacetten wie dem fluiden Denken zu trennen, da nur wenige Studien zur Kontrolle auch Tests anderer Intelligenzfacetten mit erhoben. Ein zusätzliches Problem stellt hier dar, dass auch Tests räumlicher Fähigkeiten (wie Tests aller Intelligenzfacetten) immer auch eine g‑Komponente mit messen (bspw. Carroll, 1993; Spearman, 1904), also auch innerhalb eines Tests nicht zweifelsfrei gesagt werden kann, ob die Testleistung die abhängige Variable vorhersagt, weil der Test räumliche Fähigkeiten misst oder weil er g misst und die räumliche Komponente für die Vorhersage kaum von Bedeutung ist. Die vorliegende Arbeit befasst sich mittels zwei unterschiedlicher Herangehensweisen mit diesem Problem: In der ersten vorgestellten Studie wurde der mentale Rotationstest (Vandenberg & Kuse, 1978) psychometrisch dahingehend untersucht, welche kognitiven Prozesse bei seiner Bearbeitung eine Rolle spielen – konkret in Bezug auf die beschriebene Problematik, inwieweit räumliche Fähigkeiten über g hinaus die Testleistung vorhersagen. In der zweiten und dritten Studie hingegen werden studienbezogene Leistungsmaße (Fachwissenserwerb und Klausurnoten) mittels räumlicher Fähigkeiten (gemessen anhand des in der ersten Studie untersuchten mentalen Rotationstests) vorhergesagt und dabei für fluide Intelligenz kontrolliert wurde. Die erste Studie konnte hierbei zeigen, dass die Leistung im mentalen Rotationstest in der Tat sowohl von g, aber eben auch darüber hinaus von räumlichen Fähigkeiten vorhergesagt wurde, er also beide als voneinander abgrenzbare Komponenten misst. Die zweite und dritte Studie belegten hingegen, dass räumliche Fähigkeiten substanziell die untersuchten Studienleistungen voraussagten – und zwar durch sowohl ihre g-Komponente (was sich darin äußerte, dass die durch einen Test fluiden Denkens vorhergesagte Varianz vollständig auch durch den mentalen Rotationstest erklärt wurde) als auch darüber hinaus durch ihre räumliche Komponente (da der mentale Rotationstest auch über die mit fluidem Denken überlappende erklärte Varianz noch signifikant mehr Varianz erklärte).

Neben der beschrieben psychometrischen Problematik wurde der Zusammenhang räumlicher Fähigkeiten mit Leistungen in naturwissenschaftlich-technischen Fächern bisher nur entweder für jeweils ein einzelnes Fach gezeigt (typischerweise mittels schwer vergleichbarer Leistungsmaße; bspw. Sorby et al., 2018) oder nur deskriptiv durchschnittliche räumliche Fähigkeiten zwischen Fächern verglichen, ohne konkrete Leistungsmaße zu berücksichtigen (bspw. Shea et al., 2001). Entsprechend war es bisher nicht möglich, die tatsächlichen Zusammenhänge zwischen räumlichen Fähigkeiten und fachspezifischen Leistungen zwischen unterschiedlichen Fächern zu vergleichen, um so belastbare Aussagen darüber treffen zu können, in welchen Fächern räumliche Fähigkeiten für die tatsächliche Leistung (statt nur der bloßen Fachwahl oder binärer Erlangung eines Abschlusses) besonders relevant sind. Um diese Frage zu beantworten, untersuchte die zweite Studie der vorliegenden Arbeit drei naturwissenschaftlich-technische Fächer und ein gesellschaftswissenschaftliches Fach, um die Bedeutung räumlicher Fähigkeiten für den Fachwissenserwerb im ersten Semester dieser Studiengänge zu vergleichen. Insgesamt zeigte sich das erwartete Muster: In den naturwissenschaftlich-technischen Fächern war der Zusammenhang deutlich stärker (mit weiteren Abstufungen innerhalb der Gruppe) als in der Gesellschaftswissenschaft. Allerdings stellte sich hierbei heraus, dass sich die Bedeutung für den universitären Fachwissenserwerb (unter Kontrolle von Vorwissen und Abiturnote) zwischen den vier Fächern tatsächlich nicht signifikant unterschied. Fachunterschiede zeigten sich hingegen deutlich auf den indirekten Pfaden des berechneten Mediationsmodells, gerade hinsichtlich der Bedeutung räumlicher Fähigkeiten für den vor-universitären (typischerweise also schulischen) Fachwissenserwerb. Insgesamt konnte diese zweite Studie somit einerseits endlich zeigen, inwieweit sich unterschiedliche Fächer hinsichtlich des Zusammenhangs räumlicher Fähigkeiten mit fachspezifischen Leistungsmaßen unterscheiden, und eröffnete andererseits eine neue Fragestellung hinsichtlich des Unterschieds zwischen universitärem und schulischem Lernen in Bezug auf die Nutzung und Notwendigkeit räumlicher Fähigkeiten.

Nachdem der korrelative Zusammenhang zwischen räumlichen Fähigkeiten und Fachwissenserwerb in spezifischen Fächern sowohl in der hier vorgestellten zweiten Studie als auch in früheren Studien bereits demonstriert wurde, sollte die dritte Studie der vorliegenden Arbeit diesen nun zur kausalen Verbesserung des Fachwissenserwerbs einer Stichprobe von Ingenieursstudierenden nutzen. Hierbei sollte ein Videospieltraining als in der Literatur bisher vernachlässigte dritte Kategorie räumlicher Fähigkeitstrainings nach Uttal et al. (2013) verwendet werden, um auch die Effektivität dieser Trainingskategorie für den Transfer auf fachliche Leistungsmaße zu evaluieren. Es zeigte sich, dass das Videospieltraining die räumlichen Fähigkeiten der Studierenden verbesserte, wobei sich kein signifikanter Unterschied im Trainingseffekt zwischen einem räumlich sehr anspruchsvollen und einem räumlich weniger anspruchsvollen Spiel ergab. Die trainierten räumlichen Fähigkeiten sagten anschließend sowohl den Fachwissenserwerb als auch (mediiert über den verbesserten Fachwissenserwerb) die Klausurnoten der Studierenden vorher – erneut unter Kontrolle von fluider Intelligenz und fachlichem Vorwissen.

Spatial ability is a central facet in many models of intelligence, and it is also important in many applicational contexts. For example, numerous studies showed that spatial ability is a strong predictor of both interest and achievement in science and technology disciplines (e.g., Wai et al., 2009). However, an overlap of spatial ability with general intelligence g (Lohman, 1996) and fluid intelligence, its strongest indicator (Carroll, 1993), is frequently found. Few studies have been able to separate the importance of spatial ability for performance in science and technology disciplines from effects of other facets of intelligence, such as fluid intelligence, because few studies have included corresponding tests as control variables. An additional problem is that tests of spatial ability (like tests of all facets of intelligence) always measure a g‑component as well (e.g., Carroll, 1993; Spearman, 1904). Thus, even within a spatial test, it cannot be said beyond doubt whether test performance predicts the dependent variable because the test measures spatial ability or because it measures g and the spatial component is of little importance for prediction. The present work addresses this problem using two different approaches. On the one hand, in the first study presented the mental rotation test (Vandenberg & Kuse, 1978) was psychometrically investigated to determine which cognitive processes play a role in completing it – specifically, to which extent spatial ability beyond g predict test performance. In the second and third studies, on the other hand, study-related performance measures (content knowledge acquisition and exam grades) were predicted using spatial ability (measured using the mental rotation test investigated in the first study), controlling for fluid intelligence. The first study showed that performance on the mental rotation test was indeed predicted by both g and spatial ability, which means the test measured both as distinct components. The second and third studies demonstrated that spatial ability substantially predicted study performance through both their g-component(as evidenced by the fact that the variance explained by a test of fluid intelligence was fully explained by the mental rotation test as well) and their spatial component (as the mental rotation test explained significant variance beyond fluid intelligence).

In addition to the psychometric issues described above, the relationship of spatial ability with performance in science and technology disciplines has only been shown either for a single discipline at a time (typically using performance measures that are difficult to compare; e.g., Sorby et al., 2018) or only descriptively compared average spatial ability between disciplines without considering specific performance measures (e.g., Shea et al., 2001). Accordingly, it has not been possible to compare the actual relationships between spatial ability and discipline-specific performance between different disciplines to make robust statements about which disciplines spatial ability are particularly relevant for actual performance (rather than mere choice of study discipline or binary attainment of a degree). To answer this question, the second study in this paper examined three science and technology disciplines and one social science discipline to compare the importance of spatial skills for content knowledge acquisition in the first semester of these courses. Overall, the expected pattern emerged: the correlation was significantly stronger in the science and technology disciplines (with further variance within that group) than in the social science discipline. However, it turned out that the importance for university content knowledge acquisition (controlling for prior knowledge and GPA) actually did not differ significantly among the four disciplines. Instead, discipline differences were clearly evident on the indirect paths of the calculated mediation model, especially with respect to the importance of spatial skills for pre-university (typically in school) content knowledge acquisition. Overall, this second study was thus able to finally show the extent to which different disciplines differ with respect to the association of spatial skills with discipline-specific performance measures, and further opened up a new line of inquiry regarding the difference between university and school learning with respect to the use and necessity of spatial skills.

Having already demonstrated the correlative relationship between spatial skills and content knowledge acquisition in specific disciplines both in the second study presented here and in previous studies, the third study of the present work was now intended to use this to causally improve content knowledge acquisition in a sample of engineering students. Here, video game training was used as the third type of spatial ability training according to Uttal et al. (2013) that has been neglected in the literature so far. The goal was to evaluate the effectiveness of this type of spatial ability training for achieving transfer effects on discipline-specific performance measures. Video game training was found to improve students' spatial ability, with no significant difference in training effect between a highly spatially challenging game and a less spatially challenging game. The trained spatial skills subsequently predicted both content knowledge acquisition and (mediated by improved content knowledge acquisition) students' exam grades – again controlling for fluid intelligence and prior knowledge.

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