Was tun wir hier? Albrecht Kunkel - Fotografie als (kunst)geschichtliche und medienreflexive Spurensuche
In dem vorliegenden Text stehen die Fotografien von Albrecht Kunkel zur Diskussion, der von ca. 1989 bis 2009 eine ausserordentlich vielschichtige künstlerische Praxis entwickelte, in der er sich theoretische Fragestellungen durch das eigene kreative Tun näherte. In einer stetigen gedanklichen Suchbewegung, die sich auch tatsächlich in einer regen Reisetätigkeit ausdrückte, bewegte Kunkel sich durch Raum und – wie wir im Verlauf feststellen werden – Zeit, um Verbildlichungen für seine Ideen zu finden. Mit seiner Arbeitsweise entwickelte Kunkel ein Werk, dass zahlreiche Anknüpfungspunkte an medientheoretische, kunstgeschichtliche, bildanalytische und epistemologische Themenkomplexe in sich trägt. Manche sind vom Künstler bewusst während des Produktionsprozesses eingedacht worden, andere werden durch die nachträgliche Analyse erkennbar. In einer Zeit, in der Umwerfungen wie beispielsweise der Deutsche Mauerfall oder die Anschläge auf das Word Trade Center in New York die bisherige (geo)politische Ordnung neu sortierten und sich die Digitalisierung des technischen Mediums der Fotografie rasant durchsetzte, war Albrecht Kunkel ein Zeitgenosse, der die Gegenwart für sich zugänglich machen wollte, indem er zum Einen bildhafte Übertragungen für seine Überlegungen (er)fand und zum anderen sein eigenes Medium, die Fotografie, hinterfragte. Die kunstwissenschaftliche Beschäftigung mit Kunkels Werk birgt die Erkenntnis und das Vergnügen, einen künstlerischen Zugang zur Welt nachzuvollziehen, der eine zugleich geschichtliche wie auch gegenwartsanalytische Bewegung in sich trägt und in dem das Medium Fotografie in besonderer Weise medienreflexiv eingesetzt wird. Dieser Text untersucht, kontextualisiert und interpretiert in vier Teilen und einem ausführlichen Anhang folgende Aspekte der künstlerischen Fotografie von Albrecht Kunkel: seinen beruflichen Werdegang, seine Bildmotive und deren theoretische Konzepte, seine Bildsprache als bewusste Darstellung eines Blick in mehrfache Zeitlichkeiten sowie den Einfluss medientheoretischen Denkens auf seine Fotografie. In "Teil 1 – Künstlerische Biografie" wird in einem ersten Schritt der berufliche Weg Kunkels mit seinen unterschiedlichen Stationen in den Blick genommen. In einem zweiten Schritt werden Kunkels Fotografien denen seines Lehrers Thomas Struth gegenüber gestellt. "Teil 2 – Kunkels Bildmotive und deren theoretische Konzepte: Landschaften, Orte, Räume und Portraits" ist der umfangreichste Teil dieser Arbeit, der sich wiederum in drei Teile strukturiert, die sich an den unterschiedlichen Motivgruppen in Kunkels Werk orientieren. In "Teil 3 – Der distanzierte Blick: Kunkels Bildsprache als Bühne einer mehrfachen Zeitlichkeit" wird die Bildsprache Kunkels im Hinblick auf etablierte fototheoretische Begriffe hin diskutiert. In einem ersten Schritt wird Kunkels Bildsprache der dokumentarischen Fotografie zugeordnet. Daraufhin wird die Idee eines distanzierten Blicks anhand von kurzen Werkanalysen formuliert, welche das dokumentarische Programm Kunkels als die Voraussetzung für ein inhaltliches Spiel mit mehrfachen Zeitlichkeiten kennzeichnet, in dem eine dreifache Zeitstruktur zur Wirkung kommt: die gegenwärtige Zeit im Akt des Betrachtens, die zeitgenössische im dargestellten Ort zum Entstehungszeitpunkt der Aufnahme und eine historische im abgebildeten Bildgegenstand. Als abschließender Gedanke dieser Arbeit wird in "Teil 4 – Medientheorie(n) als künstlerisches Thema in den Arbeiten von Albrecht Kunkel" der Bedeutung von medientheoretischen Texten nachgegangen. Kunkel betonte selbst mehrfach, dass bildanalytische und medientheoretische Fragestellungen als inhaltliche Ankerpunkte seiner künstlerischen Praxis eine wichtige Rolle spielten, und so wird in einem letzten Analyseschritt dieser Aspekt vertiefend betrachtet. Der Textteil dieser Arbeit wird ergänzt mit einem ausführlichen Anhang, in dem der Nachlass in seiner materiellen und systematischen Form erläutert wird. Ergänzt wird der Anhang mit schriftlichen Selbstzeugnissen des Künstlers.
The present text contains the photographs by Albrecht Kunkel, who developed an extraordinarily complex artistic practice from around 1989 to 2009, in which he approached theoretical questions through his own creative work. In a constant intellectual search, which was actually expressed in a lively travel activity, Kunkel moved through space and - as we will find out later - time to find illustrations for his ideas. With his way of working, Kunkel developed a body of work that bears numerous links to media-theoretical, art-historical, image-analytical and epistemological thematic complexes. Some were consciously thought of by the artist during the production process, others become recognizable through subsequent analysis. At a time when upheavals such as the fall of the German Wall or the attacks on the World Trade Center in New York were reorganizing the previous (geo)political order and the digitization of the technical medium of photography was rapidly gaining ground, Albrecht Kunkel was a contemporary who wanted to make the present accessible for himself by on the one hand (inventing) pictorial translations for his reflections and on the other by questioning his own medium, photography. Studying Kunkel's work from an art-historical point of view brings with it the knowledge and pleasure of understanding an artistic approach to the world that carries both a historical and contemporary-analytical movement and in which the medium of photography is used in a particularly media-reflective manner. This text examines, contextualizes and interprets the following aspects of Albrecht Kunkel's artistic photography in four parts and a detailed appendix: his professional career, his pictorial motifs and their theoretical concepts, his pictorial language as a conscious representation of a view into multiple temporalities and the influence of media-theoretical thinking on his photography. In "Part 1 - Artistic Biography" Kunkel's professional path with its various stations is examined in a first step. In a second step, Kunkel's photographs are compared to those of his teacher Thomas Struth. "Part 2 - Kunkel's motifs and their theoretical concepts: landscapes, places, spaces and portraits" is the most extensive part of this work, which in turn is structured into three parts, which are based on the different motif groups in Kunkel's work. In "Part 3 – The Distant Gaze: Kunkel's Visual Language as a Stage for Multiple Temporality" Kunkel's visual language is discussed with regard to established photo-theoretical terms. In a first step, Kunkel's visual language is assigned to documentary photography. The idea of a distanced view is then formulated on the basis of short work analyses, which characterize Kunkel's documentary program as the prerequisite for a substantive game with multiple temporalities, in which a threefold time structure comes into effect: the present time in the act of viewing, the contemporary in the location shown at the time the picture was taken and a historical one in the pictured object. As a concluding thought of this work, the meaning of media-theoretical texts is pursued in "Part 4 - Media theory(s) as an artistic theme in the works of Albrecht Kunkel". Kunkel himself repeatedly emphasized that image-analytical and media-theoretical questions played an important role as anchor points in his artistic practice, and so this aspect is examined in depth in a final analysis step. The text part of this work is supplemented with a detailed appendix in which the estate is explained in its material and systematic form. The appendix is supplemented with written testimonials from the artist.