Englischunterricht mit digitalen Lehr- und Lernmitteln : wie könnte eine Alternative zum vorwiegend analogen Lehrwerk aussehen?
Es wird untersucht, wie ein Arrangement von digitalen Lehr- und Lernmitteln im formalen Lernkontext konzipiert sein sollte, um es nachhaltig in der Praxis zu verankern. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass die erfolgreiche Implementierung digitaler Lehr- und Lernmittel im Fremdsprachenunterricht nur gelingen kann, wenn die bestehende Unterrichtskultur der vorwiegend analogen Lehrwerkdominanz abgelöst wird, ohne die Qualitäten einer systematisch angelegten Progression aufzugeben. In einer forschungsreflektierenden Herleitung werden die systemischen Bedingungen, die Paradigmen des Fremdsprachenunterrichts und der CALL Forschung und Qualitätsmerkmale entwickelt und herausgearbeitet, wie im Sinne Legutkes Differenzierung in Einklang mit der individuell-kognitiven und sozial-emotionalen Dimension von Unterricht erreicht werden kann.
Es werden zunächst die Unterrichtsrealität und Implementierungsbarrieren betrachtet. In Abgrenzung eines strukturtheoretischen Ansatzes werden einem kompetenztheoretischen Ansatz folgend die systemischen Bedingungen des Lehrkrafthandelns bzgl. der Erfahrung und der Klassenführung skizziert und in Beziehung zu den zwei Ansätzen der Differenzierung, nämlich sprachkompetenzbezogener versus lernerbezogener Ansatz, gesetzt. Im Ergebnis wird festgestellt, dass der pädagogische Takt und damit die Steuerung und das Verhalten der Lehrkraft einen größeren Faktor darstellen und deswegen digitale Lehr- und Lernmittel dynamisch und modifizierbar für die Nutzenden sein sollten. Implementierungsbarrieren werden im Bereich der Ausstattung, der professionellen Entwicklung, der Einstellung von Schulleitungen und der Unterrichtskultur festgestellt. Bei Lehrkräften besteht Bereitschaft digitale Medien im Unterricht einzusetzen, auch wenn sie sich dazu nicht unbedingt kompetent fühlen. Die professionelle Entwicklung wird durch eine ungünstige Fortbildungsstruktur, fehlender grundlegender Integration des Themas in der Lehrerbildung und ein fachdidaktisches Forschungsverständnis, dass die Bedeutung des Themas nicht vollkommen erfasst, ungünstig beeinflusst. Chancen der Überwindung der Implementierungsbarrieren werden u.a. in der Entwicklung einer pro-aktiven Forschungshaltung gesehen.
Der Forschungsstand der CALL-Forschung (Computer Assisted Language Learning Forschung) wird dargestellt und gezeigt, dass die Teilung in eine Outcome- und Wirksamkeitsforschung (Fokus auf Kompetenzen) und eine Lernsituationsforschung (Fokus auf Lebenswirklichkeit) überwunden werden sollte, um einen ganzheitlichen Zugang ähnlich Rüschoffs Idee des ‘Haus des Fremdsprachenlernens im 2.0 Kontext’ zu entwickeln. Die derzeitige vierte Phase der CALL-Forschung, ecological CALL, wird in ihrer Bedeutung für den Fremdsprachenunterricht entlang ihrer Merkmale Multimedia, MALL (Mobile Assisted Language Learning), CMC (Computer Mediated Communication) und intelligent CALL untersucht. Im Ergebnis kann gezeigt werden, dass die Potentiale digitaler Medien über die reine Aufgabenorientierung hinausgehen und als Kommunikations-, Lehr- und Lernwerkzeug, vernetzende Informationsquellen und Organisationsinstrument auf alle Facetten des Fremdsprachenunterrichts bezogen betrachtet werden sollten.
Mit Bezug auf die Ergebnisse der Erforschung von subjektiven Theorien bzw. Lehrkraftkognitionen wird Unterrichtsplanung als Designprozess definiert bei dem die Lehrkraft auf die Konstituenten des Fremdsprachenunterrichts zurückgreift. Lehr- und Lernmittel werden als materialisierte Unterrichtsplanungsprozesse verstanden. Um Planungsprozesse und damit die schulischen Realitäten zu berücksichtigen, werden entwickelte Konstituenten des Fremdsprachenunterrichts, nämlich Lernkultur, Monitoring, Thema, Text, Aktivität, sprachliche Mittel und Rahmenbedingung als Kategorien verwendet, um die Prinzipien des Materialdesigns von Tomlinson und Kumaravadivelus Makrostrategien des Fremdsprachenunterrichts zu systematisieren. Die so entstehenden vorläufigen Qualitätsmerkmale werden mit den Paradigmen des Fremdsprachenunterrichts ergänzt und/oder präzisiert, die durch eine Diskussion der Kompetenzorientierung, Aufgabenorientierung, Lernerautonomie und des Lexical Approach abgeleitet werden.
Die Qualitätsmerkmale werden genutzt, um bestehende digitale Lehr- und Lernmittel zu evaluieren, Anforderungen an digitale Materialien zu formulieren und um eine Vision für ein Arrangement digitaler Lehr- und Lernmittel für den formalen Lernkontext zu entwickeln. Bei der Qualitätsanalyse der Lernplattformen Moodle und der G Suite for Education, beide ohne fachlichen Bezug oder Inhalten, überzeugt die G Suite u.a., weil Lernende Kontrolle über ihre Dokumente haben und kollaboratives Arbeiten möglich ist. Die Evaluation des verlagseigenen Angebots für das Fach Englisch ‘Scook' von Cornelesen zeigt, dass das Produkt im analogen Denken verhaftet geblieben ist. Es sind Übungen mit automatisch generiertem Feedback möglich, aber darüber hinaus gehende digitale Potentiale, wie z.B. individualisierter Wortschatzaufbau oder kollaboratives Arbeiten, werden nicht umgesetzt. Als Anforderung eines Arrangement digitaler Lehr- und Lernmittel wird die Anpassungsfähigkeit des Systems an den Autonomiegrad der Lernenden in individueller Differenzierung und auch der Lehrkräfte gesehen. Wie sich dies auf die verschiedenen Konstituenten auswirkt wird dargestellt. Herausforderungen stellen die wirtschaftliche Umsetzbarkeit, die datenschutzkonforme Speicherung der Lernergebnisse und das Erreichen einer Balance zwischen Lernbegleitung und damit verbundener Kontrolle und Privatheit zum angstfreien Experimentieren mit Sprache dar.
Schließlich beschäftigt sich die Arbeit mit einer Vision eines Arrangements digitaler Lehr- und Lernmittel, die nicht nur eine Zusammenstellung von Texten und Aufgaben zu verschiedenen Themen darstellt, sondern vielmehr ein Arbeitsumfeld mit Impulsen, in dem verschiedene Materialien für unterschiedliche Schwerpunkte zu Lernwegen werden und eine langfristige Progression möglich ist. Es werden die drei Ebenen Monitoring, Kompetenzentwicklung und Materialdesign miteinander vernetzt. Während im Feld Monitoring Meso-, Mikro- und Makroprogression berücksichtigt werden, spiegelt die Kompetenzentwicklung Hauptaufgabenformen verknüpft mit sprachlichen Mitteln. Die Rubrik Materialdesign stellt ein modifizierbares Materialpool dar. Diese drei Bereiche werden digital so verbunden, dass aus dem Materialpool Elemente in die Kompetenzentwicklung gelegt werden können. Es gibt eine Oberfläche für Lernende über die diese den virtuellen Klassenraum, die bearbeiteten Materialien und dazu passende Trainingsformen aufrufen können, aber auch Kompetenzerwartungen über Checklisten einsehen und auf das Materialpool zugreifen können.
Die Arbeit schließt mit Überlegungen zur Realisierung der Vision: Die Fachdidaktik könnte in einem stärkeren Theorie-Praxis Austausch in Zusammenarbeit mit informationstechnologischer Forschung einen Fachbereich Materialdesign ausbilden, so dass Studierende ausgebildet werden könnten, die digitale Lehr- und Lernmittel nutzen, bewerten und kollaborativ entwicklen.
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