Wir und die „Flüchtlinge“ : Politische Werthaltungen von Jugendlichen zu Flucht und Asyl

Theoretische Annahmen und Forschungsstand Die Gegenstandskonzeption ergibt sich aus einer Überschneidung unterschiedlicher Annahmen: Schülervorstellungen, politische Werthaltungen und Werturteile sind dabei gleichermaßen von Bedeutung. Politische Werthaltungen haben fachdidaktische Relevanz als erfahrungsbasierte Schülervorstellungen und werden nicht als explizierbare Einstellungen, sondern als implizites Wissen verstanden. Ein politisches Werturteil liegt hingegen auf einer expliziten Ebene (Bohnsack 2010). Werthaltungen werden als ein Bestandteil eines Werturteils angenommen.

Forschung zu politischen Werturteilen auf einer impliziten Ebene sind weitestgehend ein Desiderat in der Politikdidaktik (Petrik 2011, S. 71). Durch die Rekonstruktion von politischen Werthaltungen mit der Dokumentarischen Methode ist diese Arbeit vor allem an Forschungen von Schelle (1995), Asbrand (2009), Thormann (2012), Winckler (2017) und Petrik (2013) anschlussfähig.

Erkenntnisinteresse
I. Wie verhalten sich die Schülerinnen und Schüler in Gruppendiskussionen und in Einzelarbeit zu einer Werturteilsaufgabe?
II. Welche impliziten Werthaltungen lassen sich aus den Urteilen rekonstruieren? In welchem Verhältnis stehen explizite Werturteile und implizite Werthaltungen?
III. Auf welche Wissensbestände greifen die Schülerinnen und Schüler bei der Bearbeitung zurück?

Forschungsdesign In dem Forschungsprojekt wurden 36 Schülertexte und fünf Gruppendiskussionen an Gymnasien in Nordrhein-Westfahlen erhoben, mit der dokumentarischen Methode ausgewertet (vgl. Bohnsack 2014) und trianguliert (vgl. Helsper u.a. 2013). Dabei wurde ein Stimulus in Anlehnung an das Entscheidungsurteil (Detjen 2013) gewählt.

Ergebnisse Die Studie liefert Erkenntnisse über den Zusammenhang von (Alltags-)Erfahrungen und der subjektiven Auseinandersetzung mit einer politischen Werturteilsfrage. Aus den Schülertexten konnten drei Metatypen von Werturteilen auf der expliziten Wissensebene hergeleitet und vier dokumentarische Typen von impliziten Werthaltungen rekonstruiert werden. Die Werturteile auf einer formulierenden Ebene orientieren sich an den Urteilskriterien Effektivität und Legitimität (Massing 2003). Darin drückt sich u.a. die Leistungsdimension einer schulischen Handlungspraxis aus. Auf einer impliziten Ebene konnten vier Typen von Werthaltungen rekonstruiert werden:
Typ A, „Die Abwehrenden“, umkreist das Problem und zeigt eine ablehnende Haltung gegenüber Geflüchteten.

Typ B, „Die Sachlichen“, orientiert sich an einer Sachzwanglogik und versteht politisches Handeln als vorstrukturiert.

Typ C, „Die Pragmatischen“, befindet sich in einem Dilemma, weil die Orientierung zu helfen aufgrund der administrativen Gegebenheiten nicht umgesetzt werden kann.

Typ D, „Die Empathischen“, zeigt sich sehr emotionalisiert und lehnt einen vorurteilsbeladenen Mehrheitsdiskurs ab. Jugendliche dieses Typs sehen als Lösung für die gelungene Aufnahme Geflüchteter Empathie und Perspektivübernahme.
In den Gruppendiskussionen werden, im Gegensatz zu den Texten, zudem die erfahrungsbasierten Wissensbestände deutlich. Sie lassen sich systematisieren in Medien, Verknüpfung mit der eigenen Identität als Jugendlicher mit Migrationshintergrund, persönlicher Kontakt, Schule, Politikunterricht, Narrativ und Familie.

The conception of the research topic results from the overlap of various assumptions that are of equal importance: student perceptions, political values, and value judgments. Political values are didactically relevant as experience-based student perceptions. They are not understood as explicit attitudes, but rather as implicit knowledge. The political value judgment, however, exists on an explicit level (Bohnsack 2010), and values are understood as part of the value judgment. Research on political value judgments at an implicit level is primarily a desideratum in civic education (Petrik 2011, p. 71). Reconstructing political values using the documentary method, this dissertation continues the research of Schelle (1995), Asbrand (2009), Thormann (2012), Petrik (2013), and Winckler (2017).

Research questions
I. How do students behave in group discussions and individual work when given a value judgment task?
II. Which implicit values can be reconstructed from their judgments? How do explicit value judgments and implicit values relate to each other?
III. What kind of existing knowledge do the students use to work on these tasks?

Research design In this research project 36 student texts were evaluated and five group discussions were conducted at high schools (Gymnasien) in North Rhine-Westphalia, which were analyzed with the documentary method (cf. Bohnsack 2014) and subsequently triangulated (cf. Helsper et al. 2013). In this regard, one stimulus was chosen in reference to the Entscheidungsurteil (decision judgment) (Detjen 2013).

Results The study provides insights into the connection of (everyday) experiences and the subjective examination of a political value judgment question. Three meta types of judgment values on the explicit knowledge level as well as four documentary types of implicit judgment values could be derived from the student texts. The value judgments on an expressive level are based on the judgment criteria of effectiveness and legitimacy (Massing 2003), which is an expression of the performance dimension of a school practice. Four types of values could be reconstructed on an implicit level:
Type A, “the defensive“, circles the problem and shows a hostile attitude towards refugees.

Type B, “the objective“, is orientated towards an inherent necessity logic and understands political actions as pre-structured.

Type C, “the pragmatic“, faces a dilemma, as their willingness to help is prevented by administrative circumstances.

Type D, “the empathic“, is very emotionalized and rejects the prejudicial discourse of the majority. Adolescents of this type understand empathy and perspective-taking as the requirement for a successful intake of refugees.
In contrast to the student texts, the group discussions also reveal experience-based knowledge. This knowledge base can be categorized in media, linked with the own identity as an adolescent with an immigration background, personal contacts, school, political education, narratives, and family.

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