Heft CC BY-NC 4.0
Veröffentlicht

Arbeitslosigkeit und Sucht : Eine qualitative Studie zu Suchtkarrieren von Arbeitslosen

<p>Die Arbeitslosigkeit in Deutschland hat sich auf hohem Niveau verfestigt. Offiziell waren im September 1995 3,5 Millionen Menschen ohne Arbeit (vgl. ANBA Nr. 10/1995), nach Meinung der Arbeitsgruppe "Alternative Wirtschaftspolitik" (1995: 115) fehlen in der Bundesrepublik Deutschland gar sieben Millionen Arbeitsplätze. Arbeitslosigkeit trifft heute nicht mehr nur Menschen mit einem erhöhten Zugangsrisiko, also schlecht ausgebildete, gesundheitlich beeinträchtigte und ältere Arbeitnehmer bzw. soziale Randgruppen wie z.B. jugendliche Ausländer, sondern mittlerweile vermehrt auch Arbeitnehmer ohne vermittlungshemmende Merkmale, z.B. gut ausgebildete, junge und gesunde Facharbeiter und Akademiker. Daneben bleibt immer mehr Jugendlichen aufgrund des unzureichenden Lehr stellenangebots bereits der Einstieg in das Berufsleben verwehrt.<p> Auch das Verbleibsrisiko hat sich in den letzten Jahren deutlich erhöht, nicht nur für Arbeitslose mit vermittlungshemmenden Merkmalen (vgl. Klems/Schmid 1990). "Wir hatten in Nordrhein-Westfalen noch nie so viele engagierte und qualifizierte Arbeitssuchende unter den Langzeitarbeitslosen wie derzeit", so Dr. Karl Pröbsting, Präsident des Landesarbeitsamtes (Presseinformation des Landesarbeitsamtes NRW, Nr. 18/1995). Für die Bundesrepublik belief sich der prozentuale Anteil der Langzeitarbeitslosenl an allen Arbeitslosen im September 1995 auf rund 32 % (vgl. ANBA Nr. 10/1995) - erschreckend viele Menschen, die für längere Zeit bzw . dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden.<p> Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, daß Arbeitslosigkeit gesundheitliche bzw. psychosomatische Beschwerden auslöst, die sich mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit verstärken können. Darüber hinaus werden Arbeitslose mit zahlreichen wirtschaftlichen und sozialen Problemen konfrontiert, die häufig zu Überschuldung und Verarmung, gesellschaftlicher Diskriminierung und Marginalisierung führen (vgl. Guggemos 1989; Kiesel­ bach/Wacker 1987).<p> Auch besteht ein Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Suchtverhalten. So geht die Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (DHS) davon aus, daß Suchtkrankheiten unter Arbeitslosen - im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt - doppelt so häufig auftreten (zit. in: Böseke/Spitzner 1983: 174). Insbesondere in Hinblick auf die Herausbildung bzw . Intensivierung und Chronifizierung von Alkoholmißbrauch bzw. -sucht kommt dem Faktor „Arbeitslosigkeit" eine herausragende Bedeutung zu (vgl. Henkel 1992a).<p> Derzeit sind in der Bundesrepublik laut Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (1995) 2 ,5 Millionen Menschen alkohol- und 1,4 Millionen medikamentenabhängig. Daneben sollen sechs Millionen Raucher behandlungsbedürftig sein. Hinzu kommen 170.000 bis 210 .000 Konsumenten harter Drogen wie Heroin und Kokain (vgl. Bundeskriminalamt 1995:152) sowie unzählige Betroffene stoffungebundener Süchte. Die aus diesem Suchtpotential resultierenden volkswirtschaftlichen und sozialen Schäden sind enorm. Jährlich sind 40.000 Alkoholtote und rund 1.500 Opfer harter Drogen zu beklagen; allein in West deutschland verursacht der Alkoholmißbrauch pro Jahr einen volkswirtschaftlichen Schaden von 30 Milliarden Mark.<p> In einer Gesellschaft, die geprägt ist von exzessivem Konsum und kaum stillbarem Erlebnisdrang, gleichzeitig aber auch von Rezession und hoher Arbeitslosigkeit geplagt wird, sind Antworten auf die Frage, inwieweit Arbeitslosigkeit einen intervenierenden Faktor für die Ausbildung von (alkoholbedingten) Suchtmechanismen darstellt, von großer gesellschaftlicher Relevanz. Es gilt, die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf das Suchtverhal­ten der Betroffenen wissenschaftlich zu ergründen und öffentlich zu diskutieren, um sinnvolle therapeutische und sozialpolitische Maßnahmen zu ergreifen.

Zitieren

Zitierform:
Zitierform konnte nicht geladen werden.

Rechte

Nutzung und Vervielfältigung:
Dieses Werk kann unter einer
CC BY-NC 4.0 LogoCreative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell 4.0 Lizenz (CC BY-NC 4.0)
genutzt werden.