Textverstehen von Hauptschülern der fünften Jahrgangsstufe

PISA 2000, PISA 2003 und PISA 2006 zeigten, dass über die Hälfte 15-jähriger Hauptschüler kaum in der Lage ist, Texte adäquat zu verstehen. Folglich scheint eine frühzeitige Förderung von Hauptschülern direkt nach der Grundschule indiziert. Textverstehen ist jedoch ein komplexer Prozess, bei dem zahlreiche Subprozesse eine Rolle spielen. Um ein neues Trainingsprogramm für Hauptschüler der fünften Jahrgangsstufe zu entwickeln, sollte zuerst untersucht werden, welcher dieser basalen Subprozesse noch defizitär ist und dadurch zu einer Überlastung des Arbeitsgedächtnisses führt. Folglich wurde eine explorative Studie mit 255 Hauptschülern der fünften Klasse durchgeführt. Es zeigte sich, dass Hauptschüler auch basale Prozesse wie das akkurate und schnelle Vorlesen zusammengesetzter Wörter noch nicht beherrschten. Um die Lesegeschwindigkeit beim Lesen zusammengesetzter Wörter zu verbessern, wurde ein silbenbasiertes Lesegeschwindigkeitstraining entwickelt. Schüler wurden in einer ersten Trainingsphase vier Wochen lang schultäglich 15 min. hinsichtlich ihrer Lesegeschwindigkeit trainiert. Währenddessen wurde die Kontrollgruppe im schnellen Lösen von Aufgaben in den Grundrechenarten trainiert. Durch eine erhöhte Lesegeschwindigkeit als Zeichen voranschreitender Automatisierung sollte Arbeitsgedächtniskapazität frei werden, so dass diese Arbeitsgedächtniskapazität zum Textverstehen genutzt werden kann (LaBerge & Samuels, 1974). Gemäß Pressley (1994) reicht eine Verbesserung der Lesegeschwindigkeit zur Erhöhung des Textverstehens nicht aus; zusätzlich muss noch der Einsatz von Verstehensstrategien unterrichtet werden. Folglich wurden in einer zweiten Trainingsphase Lesestrategien trainiert. Obwohl nach der ersten Trainingsphase Lesegeschwindigkeit und Leseverstehen auf Wort- und Satzebene durch das silbenbasierte Training erhöht werden konnten, ließ sich entgegen der Theorie der automatischen Informationsverarbeitung (LaBerge & Samuels, 1974) kein besseres Textverstehen feststellen. Da das Lesestrategietraining nicht effektiv war, ließ sich Pressleys Theorie nicht überprüfen.<br> Aufgrund der Kürze des Trainings ist anzunehmen, dass durch das silbenbasierte Lesegeschwindigkeitstraining noch keine Automatisierung aller deutschen Silben erreicht werden konnte. In einer Folgestudie nahmen Hauptschüler deshalb drei Monate lang jeweils 45 min. dreimal wöchentlich an einem silbenbasierten Lesegeschwindigkeitstraining teil, während die gematchte Kontrollgruppe im gleichen Umfang an einem herkömmlichen textbasierten Lesegeschwindigkeitstraining teilnahm. Obwohl wieder Lesegeschwindigkeit und Leseverstehen auf Wortebene signifikant zugunsten der silbenbasierten Trainingsgruppe erhöht werden konnten, ließ sich das Textverstehen nicht verbessern. Folglich stehen auch diese Ergebnisse im Widerspruch zu LaBerges und Samuels Theorie und stützen eher Pressleys Theorie.
According to results of PISA studies in 2000, 2003 and 2006, German 15-year-old students from secondary moderns (‘Hauptschule’) have enormous deficits in text comprehension. Hence, early intervention programs taking place directly after primary school seem to be indicated. However, text comprehension is a complex process containing multiple subprocesses. In order to develop a new intervention program for German fifth graders from ‘Hauptschule’, it should be explored beforehand which of those subprocesses causes most problems leading to a cognitive overload in working memory. Therefore, an explorative study was conducted revealing that German fifth graders from ‘Hauptschule’ were still not proficient in basal reading processes such as reading aloud compound words accurately and quickly. To improve students’ reading rate of compound words, a syllable-based reading rate training was developed in which students participated for 15 minutes daily during one month in a first training phase. A control group was meanwhile trained in basic arithmetic. Through improved reading rate and thereby progressing automatization, working memory capacity should be freed so that remaining working memory capacity could be used for text comprehension (LaBerge & Samuels, 1974). According to Pressley (1994), however, an improved reading rate alone is not sufficient, adequate reading strategies must be taught as well to improve text comprehension. Consequently, reading strategies were trained in a second training phase. Although, after the first phase, reading rate and reading comprehension on word level and on sentence level were improved by the syllable-based reading rate training, in contrast to LaBerge’s and Samuels’ theory (1974) there was no improvement of text comprehension. As the reading strategy training in the second training phase was not effective, Pressley’s theory could not be validated either. Because of the short training period, probably there was not enough time for automatization so that text comprehension could not be augmented. Thus, in a further training study, German fifth graders from ‘Hauptschule’ participated in the syllable-based training three times a week for 45 minutes during three months whereas their matched control group participated in a text-based fluency training. Although reading rate and reading comprehension on word level again could be improved, there was still no improvement for text comprehension. Hence, those last results disagree with LaBerge’s and Samuels’ theory and support Pressley’s theory.

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