Ein kalibrierbares integratives Modell zur Beschreibung des Schlauchbildungsprozesses in der Blasfolienextrusion

Zusammenfassung Unter allen Kunststoffverarbeitungsprozessen ist die Blasfolienextrusion eines der wichtigsten Verfahren, um kontinuierlich dünnwandige Massenprodukte herzustellen. Eine Leistungssteigerung des Produktionsprozesses kann auch im Bereich der Folienextrusion nur durch eine ständige Weiterentwicklung der Maschinentechnik realisiert werden. Den leistungsbegrenzenden Faktor in der Produktionslinie stellt das Kühlsystem dar. Die Verfahrensweise, den schmelzeförmigen heißen Folienschlauch mittels eines ringförmigen Kühlluftfreistrahls lediglich anzuströmen, stößt hier an ihre Grenzen. Entwicklungen in der Industrie sowie im universitären Umfeld haben gezeigt, dass es möglich ist, den Kühlluftfreistrahl länger an der Folie zu führen und somit effektiver zu nutzen. Der frei deformierbare Schmelzeschlauch reagiert jedoch in unvorhersehbarer Weise auf die so geänderten Randbedingungen. Um ein Kühlsystem optimal auszulegen, muss jedoch die Ausbildung der Folie bekannt bzw. vorhersagbar sein. Nur so kann erreicht werden, dass der flexible Folienschlauch möglichst effektiv geführt wird. Das übergeordnete Ziel sollte dabei sein, eine vollständige Kalibrierung der Blase in der Schlauchbildungszone zu realisieren. Bisher erfolgt eine Auslegung und Optimierung von Kühlsystemen rein auf Erfahrungswerten und einer empirischen Vorgehensweise. Um diesen Entwicklungsprozess effektiver zu gestalten, liegt es nahe, den vollständigen Folienverstreckprozess in Wechselwirkung mit dem eingesetzten Kühlsystem zu simulieren. Eine vollständige Simulation des Prozesses gestattet es, diesen im Vorhinein zu analysieren und zu bewerten. Seit Anfang der 70iger Jahre werden Modelle entwickelt, die es ermöglichen sollen, den Schlauchbildungsprozess zu berechnen. Diese haben jedoch aufgrund ihres nicht hinreichenden Abbildungsvermögens und ihrer zunehmenden Komplexität bisher keinen Einzug in industrielle Anwendungen gefunden. Um dieser Problematik zu begegnen, ist in der vorliegenden Arbeit ein kalibrierbares interaktives Simulationsmodell entwickelt worden. Es setzt sich aus zwei miteinander gekoppelten Berechnungsmodulen zusammen. Verwendung findet hierbei zum einen ein mathematischer Ansatz zur Folienkonturbeschreibung und zum anderen ein Strömungssimulationsprogramm. Mit Hilfe der Computational Fluid Dynamics (CFD)-Analyse werden die Strömungs- sowie Abkühlvorgänge in Abhängigkeit der Blasengeometrie und des verwendeten Kühlluftführungssystems berechnet. Diese Ergebnisdatensätze stellen die Eingangsgrößen des Konturberechnungsmoduls dar. Das Konturberechnungsmodell basiert auf der Theorie nach Pearson und Petrie [PP70a, PP70b], welche einen Zusammenhang zwischen den richtungsabhängigen Spannungen in der Folie und dem Druckprofil auf der Folienoberfläche aufstellt. Die Beschreibung der rheologischen Spannungszustände in der Folie erfolgt mittels eines erweiterten Materialmodells nach Phan-Thien und Tanner [PT77]. Dabei wird dem anisotropen Materialverhalten bei unterschiedlichen Verstreckverhältnissen durch das Einführen richtungsabhängiger Dehnviskositäten Rechnung getragen. Anhand dieses Modells erfolgt eine Beschreibung des Verstreckprozesses auf Grundlage der dehnrheologischen sowie temperaturabhängigen Eigenschaften des Polymers. Diese Materialeigenschaften messtechnisch zu erfassen, ist - wenn überhaupt - nur mit großem Aufwand möglich. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit eine Kalibrierung der nicht direkt zugänglichen Materialparameter, wie z. B. der Viskosität und der Relaxationszeit, durchgeführt. Der Folienkontur als Resultat aller im Gleichgewicht stehender Einflüsse kommt hierbei eine zentrale Rolle zu. Innerhalb eines Kalibrierraums erfolgt die Erfassung einzelner Konturen. Anhand dieser Konturdatensätze wird das rheologische Material-modell für das hier verwendete Polymer (PE-LD) kalibriert. Dabei beinhaltet der Versuchsraum unterschiedliche Aufblasverhältnisse (2 bis 3) bei variierender Folienenddicke (50 µm bis 125 µm). Durch diesen Ansatz ist es zum ersten Mal gelungen, einen vollständigen Versuchsraum numerisch abzubilden. Diese Modellkalibrierung war einzig durch die Auswahl der zulässigen Parameter möglich. Hinsichtlich der praxisgerechten Einsetzbarkeit eines solchen Simulationstools stellt diese Vorgehensweise einen bedeutenden Schritt dar. Die Simulationsergebnisse zeigen, dass der hier entwickelte Ansatz zur Berechnung und Vorhersage bekannter Zustände eine gute bis sehr gute Übereinstimmung mit experimentell erfassten Konturverläufen besitzt. Ein bedeutender Schritt hin zur korrekten Einflussnahme eines Kühlsystems auf den Verstreckprozess konnte hierbei durch die eingebundene CFD-Analyse gemacht werden. So wird in die Berechnungen ein realitätsgetreues Druckprofil eingeführt und nicht von einem konstanten Außendruck ausgegangen. Erst dies macht es möglich den Venturi-Effekt, d. h. das Ansaugen der Folie an die Kühlluftführung, realitätsnah abzubilden. Mit diesem kalibrierten Simulationsmodell ist es zum ersten Mal möglich, sich frei einstellende Blasfolienkonturen zu berechnen. Ein Verhalten der Folienblase, wie es im realen Extrusionsprozess auftritt, kann mit diesem Simulationsmodell entsprechend vorhergesagt werden. Nur durch die Betrachtung des gesamten Prozesses als ein sich stetig im Gleichgewicht befindliches System ist dies möglich. So kann gezeigt werden, dass die Variation lediglich eines Prozessparameters losgelöst von allen anderen nicht sinnvoll ist. Als Resultat des numerischen Modells erhält man zwar eine Konturabbildung, diese gibt jedoch keinen realen sich im Gleichgewicht befindenden Zustand mehr wieder. In der Realität reagieren alle am Schlauchbildungsprozess beteiligten Parameter unmittelbar und abhängig aufeinander. Aus diesem Grund ist nur eine ganzheitliche Betrachtung des Verstreckprozesses mit all seinen Einflüssen zielführend. Die Berechnung solcher Gleichgewichtszustände konnte erfolgreich in dem Modell umgesetzt werden. Um das Potenzial des Modells nachzuweisen, ist es hinsichtlich seiner Abbildungsfähigkeit unterschiedlichster Prozesszustände untersucht worden. Hierzu wurde die iterative Berechnung eines bekannten Zustands durchgeführt, um nachzuweisen, dass quasistationäre Zustände erhalten bleiben. Das Ergebnis konnte zeigen, dass das Modell fähig ist, diesen Prozesszustand abzubilden. Im Folgenden wurden auf Basis eines ermittelten Konturverlaufs beliebige Prozesszustände im Versuchsraum schrittweise berechnet. Es ist gelungen, ausgehend von einem Initialisierungszustand eine unbekannte Kontur nahezu exakt abzubilden. Darüber hinaus konnte anhand eines erweiterten Kühlluftführungssystems gezeigt werden, dass das Prozessmodell auf geänderte Luftführungsgeometrien der Realität entsprechend reagiert. Hierbei konnte eine wesentliche Beeinflussung des Konturverlaufs durch das auftretende Druckprofil nachgewiesen werden. Das durch den Venturi-Effekt hervorgerufene Ansaugen der Schlauchfolie an die Kühlluftführung kann korrekt abgebildet werden. Erste Untersuchungen des Modells hinsichtlich des generellen Abbildungsvermögens zeigen eine bemerkenswert gute Qualität im Vergleich mit experimentell ermittelten Prozesszuständen. Während aller Simulationen konnte eine sehr gute Stabilität der einzelnen Iterationsrechnungen beobachtet werden. Auf die gesamten Untersuchungen bezogen zeigen die Ergebnisse das vorhandene Potenzial dieses integrativen Simulationsmodells. Durch dieses Simulationsmodell wird es erstmals möglich, die Effektivität von Kühlluftführungssystemen im Zusammenhang mit der Folienreaktion zu betrachten und zu bewerten. Dies erlaubt es in Zukunft, Kühluftsysteme zu optimieren und die Entwicklung neuer besserer Systeme voranzutreiben. Es können zum ersten Mal in Interaktion mit dem Kühlsystem sich frei einstellende Konturen vorhergesagt werden. Ferner sind in dieser Arbeit richtungsweisende Schritte erarbeitet worden, ein solches Modell zu einem handhabbaren Simulationstool zu machen. Ungeachtet des generell guten Abbildungsvermögens sind in der exakten Einflussnahme des Druckprofils auf die Kontur noch Schwächen zu finden. Dies liegt hauptsächlich an der komplexen Reaktion der gekoppelten Prozessparameter untereinander. Um ein tiefgreifendes Verständnis der Parameterabhängigkeiten zu erlangen, ist es sinnvoll, dieses Modell noch umfassender einzusetzen. Hierzu ist das Modellverhalten in Bezug auf deutlich unterschiedliche Polymere und andere Prozessräume zu untersuchen. Anhand der so gewonnenen Erfahrungen kann eine Verbesserung der Abbildungsgenauigkeit des Modells ermöglicht werden.

Summary Amongst all plastic processes, the blown film extrusion is the most important one to produce thin mass products continuously. Increasing the performance of the whole production process can only be achieved by further developments in machine technologies. This also applies to the film blowing process. Here the constraining factor for the whole production line is the cooling system. The method of cooling the hot molten polymer tube is only realized by means of an annular cooling free jet, which currently reaches its limits. Developments in the industry as well as in Universities have shown that it is possible to force the air jet to remain longer at the bubble surface. Thus the cooling air jet can be used more efficiently. Due to these altered boundary conditions, the molten and free deforming plastic tube reacts in an unknown way. It is necessary to know the bubble shape in advance to design a cooling system which is most efficient. Only the knowledge of the film contour allows developing a device which is capable of guiding the polymer film in best possible manner. The greater goal should be the guiding of the bubble in a way that the tube formation zone can be fully calibrated. Until now the design and engineering of cooling systems is based on experiences and lots of trials at production plants. To gain a more efficient engineering process it is obvious to simulate the whole film stretching process in interaction with the cooling device. Thanks to this it will be possible to analyze and evaluate the process in advance. Since the early 70ties models were developed which should provide the calculation of the tube formation zone. Due to their limited ability to reproduce the whole process and their increasing complexity, they are not used in any industrial manner. To approach this problem, this work deals with a calibrated, interactive simulation model. It is based on two coupled calculation modules. On the one hand a numerical model is used to describe the film contour and on the other hand a computational fluid dynamic program is utilised. Thanks to the CFD-analysis the air flow conditions, as well as the heat transfer between the film and cooling air can be calculated. Those results set the input data for the film contour calculation. The numerical contour calculation is based on a theory by Pearson and Petrie which describes a relation between the stresses in the film and the pressure profile along the bubble. By means of an enhanced Phan-Thien and Tanner-model the rheological stresses during the stretching process are represented. Because of the biaxial elongation and elongation rates the material behaviour is direction dependent and thus is regarded as anisotropic. By implementing direction dependent viscosities the anisotropic characteristics are taken into account. With this model the stretching processes are calculated based on elongation rate and temperature dependent polymer characteristics. Measuring those material properties can only be done with high effort, if at all. In this work the rheological measuring is avoided. Therefore a calibration of the unknown material parameters is accomplished. In this case the determined film contour is of key importance because it displays the result of all influences as equilibrium. Within a calibration space, a set of contour is experimentally measured. Based on this contours the rheological model is calibrated. Thanks to this, it is possible to entirely represent the whole experimental determined space, for the first time. It contains several blow up ratios (2 to 3) and varying film thicknesses (50 µm up to 125 µm) for one polymer (PE-LD) and mass flow. The results of the contour simulations show that the developed approach is very capable to represent known process states. Good up to very good correlations can be achieved regarding the experimentally measured film contours. Particularly the Venturi-effect, i. e. the suction pressure in the air guiding device, can be displayed. For the first time ever this simulation model allows to calculate a free arising bubble contour based on given process conditions. Therefore the ability of the simulation model was tested to calculate unknown states. First of all an iterative calculation of a stationary process state is carried out. This is done to prove that this model is capable to obtain such states and as well maintaining them. Starting form this stationary state an arbitrary, user defined state is computed step by step. It could be pointed out, that starting by a given state unknown process states can be calculated almost precisely. Furthermore these iteration steps showed a real to life model reaction. Virtual examination with an enhanced air flow guiding system could prove that this model is able to display the bubble reaction caused by an altered cooling system. Those first studies concerning the developed model show its ability to estimate process state generally. It is remarkable that very good film contour representations can be achieved in every simulation. Furthermore, the iteration processes turned out to be very stable. Taking a look at the entire results, the potential of this calibrated iterative model could be indicated. Thanks to this model it is possible to take into account the interaction between the cooling system and the bubble reaction. This allows analysing and evaluating the capability of cooling devices in advance. Weaknesses can be found in the exact influence of the pressure profile on the bubble formation. The origin for this may be found in the complex interaction of the linked process parameters. To gain more knowledge and a better understanding of those parameter dependences, it is reasonable to employ this model under varying conditions. For this purpose the model reaction concerning quite different polymers and broader process spaces should be examined. With the results of those trials, it should be possible to improve the model and thus increase the quality of the contour representation.

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