Experimentelle Neuro-Onkogenese in der Ratte : Identifizierung von risikomodifizierenden Genen

Das individuelle menschliche Tumorrisiko hängt sowohl von der Exposition gegenüber exogenen krebsauslösenden Faktoren ab als auch in hohem Maße von der individuellen genetischen Prädisposition bzw. Resistenz. Die Identifizierung der Gene, die individuelle Suszeptibilität bzw. Resistenz gegenüber der Ausbildung von Tumoren vermitteln, wird einen wesentlichen Beitrag für die Abschätzung des individuellen Tumorrisikos, die Prävention von Tumorerkrankungen sowie für die Diagnostik leisten. Dies ist besonders bei den Tumorerkrankungen wichtig, die eine überwiegend schlechte therapeutische Beeinflussbarkeit zeigen, wie die Tumoren des Nervensystems. Der experimentelle Zugang zur Genidentifizierung sowie die spätere Manipulation dieser Gene gelingt leichter mit Hilfe von Tiermodellen. Die chemisch induzierte Kanzerogenese im Nervensystem neonataler BD Ratten stellt ein solches Modellsystem dar. Während ca. 85% der Ratten des BDIX Stamms nach neonataler Applikation der alkylierenden Substanz Ethylnitrosoharnstoff (EtNU) Tumoren des peripheren Nervensystems („Malignant peripheral nerve sheath tumors“; MPNSTs) entwickeln, die hauptsächlich in den Nervi trigemini entstehen, sind die Tiere des BDIV Stamms fast vollständig resistent. Bereits vor Beginn der Arbeiten für meine Dissertation waren unter Verwendung von (BDIX x BDIV) x (BDIX x BDIV) F2 Hybriden sieben Genorte (Mss1-7) kartiert worden, die allelspezifisch die Tumorinzidenz und/ oder Überlebenszeit beeinflussen. Interessanterweise üben die meisten dieser Loci geschlechtsspezifische Effekte unterschiedlicher Stärke aus. In der vorliegenden Dissertation konnte für zwei dieser Loci (Mss4 und Mss7) gezeigt werden, dass diese unabhängig voneinander nahezu vollständige Tumorresistenz bei weiblichen Tieren vermitteln, wenn sie homozygote BDIV Allele aufweisen. Da homozygote BDIV Allele an diesen Loci bei weiblichen Ratten einen nahezu monogenen Effekt auf die Tumorresistenz haben, konnte über eine Analyse der Haplotypen der erkrankten F2 Weibchen der Locus Mss4 auf Chromosom 6 von 34,8 Mb auf 20 Mb und der Locus Mss7 auf Chromosom 10 von 24,8 Mb auf 12,2 Mb eingeengt werden. Zur Verifizierung der Mss Loci wurden verschiedene kongene Rattenstämme gezüchtet, die auf dem genetischen Hintergrund der suszeptiblen BDIX Ratte jeweils ein chromosomales Fragment der resistenten BDIV Ratte tragen, das einem der Loci entspricht. Für den Locus Mss4 wurden drei kongene BDIX.Mss4a-c(BDIV) Sublinien, die unterschiedlich große homozygote Fragmente der BDIV Ratte tragen, generiert. Um den Effekt des Mss4 Locus auf die Inzidenz von MPNSTs und auf die Überlebenszeit zu testen, wurden in diesem Dissertationsprojekt 12 männliche und 16 weibliche BDIX.Mss4a(BDIV) Ratten am ersten Postnataltag mit EtNU behandelt. Während männliche kongene BDIX.Mss4a(BDIV) Ratten in gleichem Ausmaß MPNSTs entwickelten und gleichlang überleben wie BDIX Männchen, hatte das kongene Fragment bei BDIX.Mss4a(BDIV) Weibchen einen stark tumorprotektiven Effekt, so dass das in der Assoziationsanalyse erhaltene Ergebnis hierdurch funktionell bestätigt wurde. Gleichzeitig wurden nach funktionellen und geschlechtsspezifischen Kriterien Kandidatengene in den Loci Mss4 und Mss7 ausgewählt. Im Mss4 Locus schienen in dieser Hinsicht besonders das „Transforming growth factor beta 3“ (Tgfb 3) Gen, das „Latent Tgf beta binding protein 2“ (Ltbp 2) Gen, das „Estrogen related receptor beta“ (Esrrb) Gen und das „Estrogen receptor beta“ (Er beta) Gen interessant. Die Sequenzanalyse dieser Gene ergab, dass lediglich im Er beta Gen zwischen BDIV und BDIX DNA funktionell bedeutsame Polymorphismen zu finden sind. Sowohl der Polymorphismus in dem die E-Box flankierenden Nukleotid als auch der Polymorphismus im 5’-untranslatierten Bereich zwischen den alternativen Startkodons lassen auf eine niedrigere Expression des Er beta Gens in tumorsuszeptiblen BDIX Ratten schließen. Der Polymorphismus, der sich in dem Intron befindet, das vor dem alternativ gespleißten Exon 5 liegt, könnte dazu führen, dass vermehrt Splice Varianten mit einer niedrigeren Affinität zu den Liganden entstehen. Meine Ergebnisse zeigen, dass das Er beta Gen sowohl in den Schwann Zellen als auch in den in den Nervus trigeminus eingewanderten Immunzellen der BD Ratte exprimiert ist. Dabei scheint die Anzahl an Er beta exprimierenden Schwann Zellen von EtNU-behandelten BDIX Weibchen im Vergleich zu BDIV Weibchen abzunehmen. Zusammen mit der schwachen Expression in MPNSTs lässt dies den Östrogenrezeptor beta als vielversprechendes Kandidatengen für die Tumorresistenz bei weiblichen BDIV Ratten erscheinen. Besonders interessant sind diese Ergebnisse, da auch bei einigen humanen neuralen Tumoren eine ausgeprägte Geschlechtsspezifität des Erkrankungsrisikos besteht. Gene, die die geschlechtsspezifische Prädisposition gegenüber der EtNU-induzierten PNS-Kanzerogenese in BD Ratten vermitteln, könnten auch für das menschliche Risiko, Tumoren des zentralen und peripheren Nervensystems zu entwickeln, relevant sein.

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