Selbstheilende nanopartikuläre ultrahydro- und oleophobe Schichten auf polymeren Oberflächen
Technische Textilien, wie z.B. Bergsteigerseile, deren Beschichtung Gegenstand dieser Arbeit war, gewinnen mit ihren außergewöhnlichen Materialeigenschaften immer mehr an Bedeutung. Die Erzeugung von stark wasser- und ölabweisenden Faseroberflächen spielt gerade bei Bergsteigerseilen eine besonders wichtige Rolle. Beim Fall eines Bergsteigers in das Seil wird die Energie des freien Falls durch das Seil dissipiert. Dies geschieht durch einen aus Filamentbündeln bestehenden Seilkern, zwischen dessen bauschigen Einzelfasern Luft eingeschlossen ist. Beim Fall wird das Seil gestreckt und die Luft im Kern des Seiles komprimiert. Nach Relaxation und Ausschwingen des Seiles ist die Fallenergie durch die Volumenarbeit in Wärmeenergie umgewandelt worden. Bei eingeklemmtem Seil können bis zu 15 Stürze ohne Seilriss erfolgen. In einem nassen Bergsteigerseil hingegen ist die Luft im Kern durch quasi nicht kompressibles Wasser ersetzt und die Energie kann nicht mehr in Form von Volumenarbeit dissipieren. Ein nasses und eingeklemmtes Seil reißt bereits bei einem bis zwei Stürzen. Zur Vermeidung dieses Sicherheitsrisikos werden Bergsteigerseile hydrophobiert. Bisher wurden zur Erzeugung dieser hydro- und oleophoben Schichten klassische Perfluoralkylethylenacrylat-Copolymere eingesetzt, die zur Erhöhung der Gebrauchstüchtigkeit, wie z.B. der Lebensdauer und Waschpermanenz, reaktive Comonomere enthalten, die nach Verbrückung mit der Faser oder intermolekularer Polymerverbrückung hochvernetzte und durch die hohe Netzwerkdichte meist auch harte Schichten ergeben. Es konnte belegt werden, dass bei mechanischer Scheuerung dieser Schichten der Polymerfilm abgetragen wird und die entstehenden Fehlstellen in der Oberfläche nun Wasser und Öl aufnehmen.
Im Rahmen dieser Arbeit wurden Hybridschichten mit Selbstheilungstendenz, bestehend aus Estern von Perfluoralkylethylenalkoholen mit sehr langkettigen, nativen Fettsäuren (Montansäuren) und perfluoralkylsilylmodifizierten Siliciumdioxid-Nanopartikeln, erarbeitet, die dieses Fehlverhalten aus mehreren Gründen nicht mehr zeigen. Die Natur diente mit dem bionischen Vorbild des Clownfisches (Amphipiron percula), der zusammen mit einer Anemone assoziiert lebt, dabei als Lösungsansatz. Eine Anemone ist ein Vielzeller mit einem festen Gerüststock, der auf felsigem Terrain verankert ist und zum Nahrungserwerb eine Tentakelhülle aufweist. In diesen Tentakeln kann der Clownfisch Zuflucht nehmen, aber diese auch verlassen. In der selbstheilenden Hybridbeschichtung dienen Siliciumdioxidpartikel, die untereinander vernetzen können, als harter Grundstock. Als Tentakelhülle wird eine Hülle aus Perfluoralkylsilylcarbamaten auf dieses Partikel aufkondensiert. Diese Hülle zeigt teilweise Leiterstrukturen. Zur Erzielung von Selbstheilungseffekten werden, dem Clownfisch ähnlich, ultrahydrophobe und oleophobe, stäbchenförmige Ester in die Hülle als Depot eingelagert.
Die so erhaltenen Hybidschichten sind zum einen in der Lage durch Packungsverschiebungen Fehlstellen, die durch Abrasion, also Materialabtrag entstanden sind, neu zu belegen. Zum anderen sind die eingelagerten Ester in der Lage, über diffusionskontrollierte Prozesse die Schichthülle zu verlassen und die Fehlstellen zu belegen. Sie zeigen also ähnlich dem Clownfisch ein mobiles Verhalten.
Anfänglich wurden in der Arbeit monodisperse Siliciumdioxidpartikel nach dem von Stöber in den Sechzigerjahren entwickelten Kondensationsprozess aus Tetraalkoxysilanen hergestellt. Es zeigte sich sehr schnell, dass dieser Prozess spätestens im Hinblick auf einen industriellen Übertrag gravierende Nachteile aufweist. So erfolgt die Synthese in starker Verdünnung in einem Ethanol-Wasser-Gemisch unter Zusatz von Ammoniak. Die Partikel fallen nach vierundzwanzigstündiger Hydrolyse als 1,2 %-iges Sol an, das anschließend durch Vakuumdestillation aufkonzentriert und von Ammoniak befreit werden muss. Dabei verbleiben Restammoniumionen in der Hülle der Nanopartikel, stabilisieren diese über eine ionische Grenzschicht, und können durch den Destillationsprozess nicht weiter entfernt werden. Dieser zeitintensive Syntheseprozess, der mit einem energieintensiven Aufkonzentrierungsprozess verbunden ist, bei dem ernorme Mengen an Lösungsmittel-abfällen entstehen, ist unwirtschaftlich. Daher wurden im späteren Teil der Arbeit Organosole als Träger eingesetzt, die über eine destillative Herstellung gewonnen werden und kommerziell bereits verfügbar sind. Ausgangsmaterial sind wässrige Siliciumdioxid-Nanopartikelsole, die aus Natriumpolysilikaten und Salzsäure zugänglich sind, und über einen destillativen Lösungsmittelwechsel in 2-Propanol und anschließend in 4-Methyl-2-Pentanon überführt werden. Durch quantitative Bestimmung der Oberflächensilanolgruppen über eine Oberflächenchlorierung konnte gezeigt werden, dass bei diesem Prozess 80 % der anfänglich vorhandenen Silanolgruppen verethert werden. Im letzten Teil dieser Arbeit wurde ein Phasentransferprozess zur Herstellung von Organosolen erarbeitet, der den Silanolgruppengehalt an der Partikeloberfläche unverändert lässt und damit eine dichtere Oberflächenfunktionalisierung mit den erwünschten Gruppen ermöglicht. Zur Erzeugung von perfluorhüllenmodifizierten Siliciumdioxid-Nanopartikeln wurde daher anfänglich vom kommerziell verfügbaren Organsol ausgegangen und die Oberflächensilanolgruppen mit einem perfluorierten Trialkoxysilan modifiziert. Es ist in der Literatur bekannt, dass Perfluoralkylreste erst ab acht Kohlenstoffatomen in der Kette optimale Oberflächenenergieabsenkungen und damit hohe Kontakt- und Rückzugswinkel erzeugen. Kommerziell ist in großen Mengen nur das 3,3,4,4,5,5,6,6,7,7,8,8,8-Tridecafluorooctyl-triethoxysilan verfügbar.
Mit seiner C6-Perfluoralkylkette zeigt es keine optimalen Oberflächenenergieabsenkungen. Technisch wird bei dieser Verbindung die Kettenlänge gewählt, um ein destillativ aufreinigbares Silan zu erhalten. Längerkettige Silane sind wachsartig und technisch nur sehr aufwendig zu reinigen. Im Rahmen dieser Arbeit ist ein mit seiner C13-Perfluoralkylkette wachsartiges Silan, das 2,2,3,3,4,4,5,5,6,6,7,7,8,8,9,9,10,10,11,11-Icosafluoroundecyl-3-(triethoxysilyl)propyl-carbamat, neu in hoher Reinheit synthetisiert worden, das über hervorragende oberflächenenergieabsenkende Eigenschaften verfügt. Dieses Silan liess sich erfolgreich einsetzen, um Siliciumdioxid-Nanopartikel mit einem hydrodynamischen Durchmesser von 14,1 nm zu belegen. Der Partikeldurchmesser stieg dabei auf 15,7 nm an, was eine 38 %-ige Volumenzunahme bedeutet. Der theoretische Wert liegt bei 33 %. Dies deutet auf die Ausbildung von Leiterstrukturen in der Hülle hin, da die Partikeldurchmesser mittels Photonenkorrelationsspektroskopie durchgeführt wurden und der hydrodynamische Durchmesser, d.h. die Partikel einschließlich der Solvathülle, erfasst wird.
Die Natur nutzt beim so genannten Lotus-Effekt der Lotuspflanze (Nelumbo nucifera) langkettige auf der Epicuticula der Pflanzenblätter sitzende Alkohole, hauptsächlich Nanacosan-10-ol, und Ester zur Erzeugung von hydrophoben Wachsschichten. Wie gezeigt werden konnte, sind diese Schichten lediglich hydrophob und zeigen keine oleophoben Eigenschaften. Präparativ sind langkettige Carbonsäuren von C22 bis C34 und deren Ester im Labormaßstab zugänglich, wirtschaftlich in Großmengen jedoch nicht vertretbar. Da es in der Natur nur Wasser und kein Öl regnet, sind sämtliche Blattoberflächen nur hydrophob und nicht oleophob gestaltet. Oleophobie spielt bei technischen Textilien, wie auch bei Bergsteigerseilen, jedoch eine wichtige Rolle, da Anschmutzstoffe wie Gesteinspartikel, Russ, Hautfette, etc. vom Eindringen in das Textil abgehalten werden müssen. Selbst Schnee in den Alpenländern kann durch die atmosphärische Belastung mit Kohlenwasserstoffen, die sich auf den Schneekristallen abscheiden, auf nicht oleophobierten Oberflächen haften. Viele Gesteinspartikel sind zudem ebenfalls hydrophob und oleophil und würden das Bergsteigerseil verschmutzen. Im Rahmen dieser Arbeit ist es gelungen, fossile pflanzliche Fettsäuren, Montansäuren, die mit ihrem Fettsäurespektrum von C22 bis C34 mit den in heutigen lebenden Pflanzen vorkommenden Wachsen identisch sind, durch eine Acetonitril-Heißextraktion von unerwünschten Estern und Kohlenwasserstoffen vollständig zu befreien. Die so gewonnene aufgereinigte Montansäure konnte durch Veresterung mit Perfluoralkylethylenalkoholen zu sowohl wasser- als auch ölabweisenden nanokristallinen Wachsen transformiert werden. Dabei konnten klassische Wege zur Veresterung wie die protonenkatalysierte Veresterung oder die Synthese über das Säurechlorid wegen der starken Verfärbung der Reaktionsprodukte nicht begangen werden.
Als ideal stellte sich eine titanatkatalysierte Veresterung heraus, die ein helles Produkt und Ester in hoher Reinheit liefert. Sowohl die eingesetzten Montansäuren als auch die daraus synthetisierten Perfluoralkylethylenester wurden über Hochtemperatur-GC-MS bei Trenntemperaturen bis zu 340 °C identifiziert. Aufgrund der extrem hohen Siedepunkte bzw. niedrigen Dampfdrücke der Ester wurde die On-Column-Technik, das bedeutet das der Analyt ohne Verdampfung, direkt in die Trennphase aufgegeben wird, angewandt. Alle Komponenten konnten so basisliniengetrennt chromatographiert und über identifizierte Leitfragmente, deren Entstehungsweg beschrieben werden, quantifiziert und identifiziert werden. Molecular-Modelling-Experimente können als Hinweis dafür gewertet werden, dass die erhaltenen Ester stäbchenförmig vorliegen.
Werden perfluorhüllenmodifizierte Siliciumdioxid-Nanopartikel mit den stäbchenförmigen MontansäurePerfluoralkylethylenester n aus der Lösungsmittelphase getrocknet, so bilden sich homogene Hybridschichten. Die erwünschte amorphe Einlagerung der Montansäure-perfluoralkylethylenester konnte über Röntgendiffraktometrie bewiesen werden. Bei niedrigen Phasenanteilen an Montansäureperfluoralkylethylenestern verschwinden deren kleine Kristallite fast vollständig und werden amorph eingelagert. Erst bei höheren Phasenanteilen treten wieder überproportional viele Montansäureperfluoralkylethylenester-kristallite auf. Diese amorph eingelagerten Montansäureperfluoralkylethylenester sind für einen Teil der Selbstheilung des Systems verantwortlich, da sie aus der Depotschicht der Nanopartikel diffundieren können. Weiterführende Untersuchungen der Hybridschichten mit höheren Phasenanteilen an Montansäureperfluoralkylethylenester mittels REM und AFM belegen, analog dem Lotusblatt, eine bimodale Struktur mit noppenartigen Erhebungen, auf denen die Montansäureperfluoralkylethylenestern nanokristallin sitzen. Die Rauigkeit der Schichten liegt bei 200 nm.
Auf Bergsteigerseilen appliziert zeigen die nanopartikulären Hybridschichten außergewöhnliche Eigenschaften. Im direkten Vergleich zu kommerziellen Produkten, die auf vernetzenden Polymerfilmen aufgebaut sind, werden sehr hohe Abrasionsbeständigkeiten der Schichten erzielt, gepaart mit hohen Kontaktwinkeln für Wasser und unpolare Flüssigkeiten.
So zeigen diese Seile bei statischer Beregnung im Originalzustand nur eine Wasseraufnahme von 1,5 % und nach 100 Scheuerzyklen über eine Stahlkante eine von 1,2 %.
Erweiterte Testverfahren in einem „Rope-Working-Simulator“, in dem das Seil unter gleichzeitiger Beregnung mechanisch gescheuert und gedehnt wird, belegen die exzellenten hydrophoben und oleophoben Eigenschaften. Im Originalzustand konnte ein Sturzzahl von bis zu 16 ohne Seilriss in eingeklemmter Seilposition erreicht werden. Nach dem „Rope-Working-Simulator“-Prozess lag sie noch bei 7 Stürzen ohne Riss.
In erweiterten Untersuchungen wurden die Hybridschichten in einem Argon-Sauerstoff-Plasma geätzt und das Rückstellvermögen der Kontaktwinkel untersucht. Alle Schichten werden dabei vom Plasma stark angegriffen, zeigen aber Selbstheilungsvermögen, was den Kontaktwinkel zu Wasser anbelangt. Zur Verbesserung des Rückstellvermögens wurde ein bei Raumtemperatur flüssiger Perfluoralkylethylenester auf Basis einer kettenverzweigten Carbonsäure, der 2-Butyloctansäure, synthetisiert. Aufgrund der fehlenden Kristallinität lagert sich dieser Ester ausschließlich amorph in die Nanopartikelhülle ein, zeigt etwas niedrigere Kontaktwinkel im direkten Vergleich zum zuvor beschriebenen System, verfügt aber über ein hervorragendes Rückstellvermögen des Kontaktwinkels.
Neben der erarbeiteten Applikation für modifizierte Organosole zur Ausrüstung von Bergsteigerseilen könnten mit Lösungsmittelsolen z.B. in der Lackindustrie, in der Kunststoffindustrie bei der Herstellung von Masterbatches oder neuartiger Hybridmaterialien im Bereich der Kohlefaser-Epoxyd-Hochleistungsverbundwerkstoffe, Leistungssteigerungen und neue Effekte erzielt werden. Dazu ist es aber nötig die bisher kommerziell angebotenen Lösungsmittelsole weiter zu verbessern. Wie bereits erwähnt zeigen käufliche Organsole, die aus einem destillativen Lösungsmittelprozess stammen, aufgrund von Veretherungen einen bis zu 80 % reduzierten Gehalt an Oberflächensilanolgruppen, der aber vollständig für die künftig gewünschten und erweiterten Anwendungen zur Verfügung stehen sollte.
Im letzten Teil der Arbeit wurde eine in der Patentliteratur beschriebene Idee aufgegriffen, nämlich Siliciumdioxid-Nanopartikel durch quaternäre Ammoniumverbindungen als Phasentransferkatalysatoren in Lösungsmittel zu überführen. Die bisher beschriebenen Phasentransferkatalysatoren hatten jedoch den Nachteil, dass die Sole ohne weitere Zusätze von polaren Lösungsmitteln koaleszierten und der Katalysator im System verblieb. Polare Lösungsmittel stören aber bei einer Vielzahl von synthetischen Modifikationen.
Mit Adogen® 464 wurde ein geeigneter flüssiger, sehr hydrophober Phasentransferkatalysator gefunden, der es ermöglicht hochkonzentrierte und langzeitstabile Siliciumdioxid-Sole mit einem Feststoffgehalt von über 30 % und ohne Verlustraten zu 100 % in organische Lösungsmittel zu transferieren. Adogen® 464 wurde als komplexes Gemisch von 27,5 % C25H54NCl, 44,0 % C27H58NCl, 24,9 % C29H62NCl und 3,6 % C31H66NCl mittels ESI+-Ionenfallen-Massenspektrometrie charakterisiert.
Als besonders geeignet für den Phasentransfer zeigten sich schwach polare Lösungsmittel wie Ester und Ether, aber auch Ketone. Untersuchungen über den Einfluss des pH-Wertes auf die Transferrate zeigten, dass über den pH-Wert der Gehalt von Silanolationen an den Partikeloberflächen gesteuert wird und damit die Transferrate beeinflusst werden kann. Oberhalb von pH 7 werden Siliciumdioxid-Nanopartikel bei Überschuss an Phasentransferkatalysator bereits zu 100 % in organische Phasen überführt.
Bei gegebenem optimalen Transfer-pH-Wert zeigten Untersuchungen zur Abhängigkeit der Transferrate von der Phasentranferkatalysatorkonzentration, dass die Oberflächenladung des Nanopartikels komplett mit kationischen Gegenionen entladen sein muss, um das Partikel in die Lösungsmittelphase zu überführen. Der Beweis wurde über strömungspotentielle Partikelladungstitration zusätzlich geführt.
Die so erhaltenen Siliciumdioxid-Organosole lassen sich mannigfaltig präparativ nutzen.
So ist es z.B. möglich, durch makroreticularen Ionenaustausch den Phasentransferkatalysator
vollständig vor der Modifizierung zu entfernen. Es kommt dabei zu einer Umladung der anionischen Grenzschicht in eine protonierte, kationische Grenzschicht.
Wurde der Phasentransfer in einem aprotischen Lösungsmittel wie z.B. tert.-Butylmethylether durchgeführt, ist es möglich, direkt mit Chlorsilanen oder Alkoxysilanen die Oberfläche zu modifizieren, restliche Silanolgruppen mit geeigneten Endcappingreagenzien wie z.B. Hexamethyldisilazan zu verschließen und anschließend den Phasentransferkatalysator zu entfernen. Gleiches gilt bei vorausgehender Abtrennung des Phasentransferkatalystors durch Ionenaustausch.
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