Die Noahgeschichte in rabbinischer Literatur und bei Koraninterpreten

Was das Hauptziel meiner Dissertation betrifft, so versteht sich meine Arbeit als ein Beitrag zum Kulturdialog. Denn in dieser Dissertation handelt es sich um einen Vergleich zwischen dem Judentum und dem Islam. Und wie bekannt ist, stellt der interreligiöse Vergleich einen wichtigen Teil des Kulturdialogs dar. Um dieses Ziel zu verfolgen, habe ich mich für die Untersuchung der Noahgeschichte entschieden. Denn sowohl im Judentum als auch im Islam stellt diese Geschichte eine der bedeutendsten Zeitwenden in der menschlichen Geschichte dar. Entsprechend der jüdischen und der islamischen Traditionen stammen von Noah alle Generationen ab, die als Urväter für alle Menschen gelten. Um das Ziel eines interreligiösen Dialogs zu verfolgen, geht es in meiner Dissertation hauptsächlich nicht um den Inhalt der Noahgeschichte in der Genesis und im Koran. Es handelt sich in meiner Arbeit um den Inhalt dieser Geschichte in einigen ausgewählten Werken der rabbinischen Literatur und der Koraninterpretation. Es werden also nicht die ursprünglichen Texte untersucht, sondern die interpretatorischen Werke. Der Grund für die Untersuchung dieser Geschichte innerhalb dieser Werke und nicht in den ursprünglichen Texten besteht darin, dass die interpretatorischen Werke meiner Meinung nach bedeutender als die Originaltexte sind. Denn bei der Auseinandersetzung mit Äußerungen von Rabbinen und Koraninterpreten zur Noahgeschichte bestätigt sich in der vorliegenden Arbeit die These vom ständigen aktualisierenden Verständnis beider Originaltexte. Hier sind die Bibel und der Koran gemeint. Dieses ständig aktualisierte Verständnis bot eine sehr ergiebige Basis für die Übernahme zahlreicher jüdischer Kulturelemente durch Koraninterpreten bei ihrem Versuch, den Koran zu verstehen. Diese Übernahme führte folglich zu vielen Gemeinsamkeiten zwischen den zahlreichen Auffassungen, die sowohl bei den Rabbinen als auch bei den Koraninterpreten vorhanden sind. Dies kann in der heutigen Zeit als Ausgangsbasis gelten, um einen interreligiösen Kulturdialog zwischen dem Judentum und dem Islam durchzuführen. Was die Methode meiner Arbeit betrifft, so möchte ich kurz auf die Methode sowohl bei der Auswahl der zu untersuchenden Werke als auch bei der Gliederung meiner Arbeit eingehen: Was die Methode bei der Auswahl der zu untersuchenden Werke betrifft, so habe ich von Anfang an Folgendes berücksichtigt: Wie ich erwähnt habe, besteht das Hauptziel meiner Arbeit in der Suche nach Gemeinsamkeiten zwischen beiden Traditionen. Um dieses Ziel verfolgen zu können, müssen sowohl in den auszuwählenden Koraninterpretationen als auch in den rabbinischen Werken bei ihrer Interpretation der Noahgeschichte die gleichen bzw. die ähnlichen Fragen ausgelöst worden sein. Hierbei gab es ein Problem bei der Auswahl der Koraninterpreten. Denn im Gegensatz zu den rabbinischen Werken ist fast jede Koraninterpretation nur einem einzelnen Ausleger zugeschrieben. Da jeder Koraninterpret seine eigene theologische Tendenz vertritt, fehlt es in seiner Interpretation an anderen Tendenzen. Dieses Problem gab es nicht in der rabbinischen Literatur. So sind in Genesis Rabba und in dem babylonischen Talmud, die das Belegmaterial in meiner Dissertation bilden, unterschiedliche Tendenzen vertreten. Um dieses Problem zu überbrücken, habe ich mich im islamischen Teil meiner Arbeit für drei Koraninterpreten mit unterschiedlichen Tendenzen entschieden; nämlich für Óabarī mit seiner strengen sunnitischen Richtung, für RÁzī mit seiner theologisch spekulativen Tendenz und für den Großscheich der Sufis Ibn ‘Arabī. Was die Methode bei der Gliederung der Arbeit betrifft, so besteht meine Dissertation neben der Einleitung, dem Literaturverzeichnis und einem Anhang mit Transkriptionstabelle für arabische und hebräische Laute und Abkürzungentabelle, aus drei Teilen. Zu bemerken ist, dass dabei die ausgewählten rabbinischen Werke und die ausgewählten Koraninterpretationen in getrennten Teilen behandelt werden. Der erste Teil der Arbeit besteht aus zwei Kapiteln: Das erste Kapitel in diesem Teil befasst sich mit den Gründen für die Auswahl der rabbinischen Werke. Das zweite Kapitel in demselben Teil setzt sich mit den Äußerungen der Rabbinen in diesen Werken zur Noahgeschichte in der Genesis auseinander. Ebenfalls besteht der zweite Teil meiner Arbeit aus zwei Hauptkapiteln. Das erste Kapitel in diesem Teil (es ist zugleich das dritte Kapitel in der Arbeit) befasst sich mit den Gründen für die Auswahl der Koraninterpreten. Das zweite Kapitel in diesem Teil behandelt die Äußerungen dieser Koraninterpreten zur koranischen Noahgeschichte. Das Schlusskapitel ist ein vergleichender Ausblick zwischen den Darlegungen in den ersten beiden Teilen der Arbeit. Abschließend möchte ich zur Methode bei der Gliederung meiner Arbeit bemerken, dass die Trennung der beiden ersten Teile der Arbeit eher methodischen Zwecken dient. Denn trotz der Gemeinsamkeiten zwischen den ausgewählten rabbinischen Werken und den Koraninterpretationen war es systematisch unmöglich, eine parallele Darlegung durchzuführen. Dies liegt an dem zum Teil unterschiedlichen Inhalt der Noahgeschichte in der Bibel und im Koran. Dies liegt auch an einigen einzelnen Aspekten, die nur in einer der beiden Traditionen betrachtet werden. Hier möchte ich noch hinzufügen, dass trotz dieser Trennung die ersten beiden Teile der Arbeit vom Inhalt her ähnlich, in vielen Fällen auch identisch gegliedert wurden. Nun möchte ich kurz die wichtigen Ergebnisse der einzelnen Kapitel erwähnen. Um die Gemeinsamkeiten beider Traditionen zu veranschaulichen, werde ich in dieser Zusammenfassung die Ergebnisse von jedem Kapitel im rabbinischen Teil mit dem entsprechenden Kapitel im islamischen Teil gegenüber stellen. Das erste Kapitel im rabbinischen Teil und das dritte Kapitel im islamischen Teil untersuchen die Auswahl und Bewertung der Werke. Dazu möchte ich folgende Punkte erwähnen: Erstens: Im Allgemeinen kann festgehalten werden, dass jeder Auslegung der Rabbinen oder der Koraninterpreten eine normierte Auslegungsweise zugrunde liegt. Der Sammelbegriff für diese Regeln ist bei den Rabbinen der Terminus middot. Die Koranwissenschaftler sprechen diesbe züglich von `uÒūl at-tafsīr (das sind die Grundregeln der Koraninterpretation). Zweitens: Bezüglich der Anwendung von Auslegungsregeln in den ausgewählten Werken zur Interpretation der Noahgeschichte sind vor allem zwei Hauptregeln von großer Bedeutung. 1) Der Text soll zunächst immanent ausgelegt werden. So entstanden die so genannten innerbiblischen und die innerkoranischen Auslegungsregeln. 2) Die Rücksicht auf das System und den Gebrauch der Sprachen, in denen die heiligen Texte geschrieben sind (das Hebräische und das Arabische), galt als eine der wesentlichsten Auslegungsregeln. Drittens: In der rabbinischen Literatur scheint der Gebrauch der Regeln systematischer zu sein als bei den Koraninterpreten. Als ein Beispiel dafür gilt das Folgende: Bei der Auslegung der Noahgeschichte in der Genesis wird bei der Anwendung der gezera schawa der Akzent auf bestimmte Bücher des Alten Testaments gelegt, wie auf das Buch Hiob. Im Gegensatz dazu ziehen die Koraninterpreten die koranischen Stellen beliebiger heran, das heißt aus verschiedenen Suren des Korans. Viertens: Zu den sprachlichen Aspekten, mit denen sich sowohl die Rabbinen als auch die Koraninterpreten beschäftigen, gehören die Phänomene der ambigen Ausdrücke in den heiligen Texten, die widersprüchlich zu sein scheinen und daher aufzuheben sind. Das zweite Kapitel im rabbinischen Teil und das vierte Kapitel im islamischen Teil behandeln die Auslegung der Noahgeschichte in den ausgewählten Werken. Hierzu werde ich nur Beispiele für die wichtigsten Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Traditionen angeben. Ich werde nur Beispiele anführen, die mit den theologischen Fragen zusammenhängen. Denn meiner Meinung nach bietet die Übereinstimmung vor allem in diesen Fragen einen Nährboden für einen aktiven Kulturdialog. Wie ich im Schlusskapitel meiner Dissertation angeführt habe, betreffen die Äußerungen der ausgewählten rabbinischen Werke und Koraninterpretationen im Allgemeinen zwei Themen. Diese sind Noahs Bild und das Sintflutereignis. Bei der Charakterisierung Noahs ist zu bemerken, dass es sich um die positive oder negative Bewertung Noahs handelt: Im Gegensatz zu den Rabbinen in Genesis Rabba und im babylonischen Talmud versucht der Koraninterpret RÁzī, jeden koranischen Ausdruck sprachlich umzudeuten, der nicht zugunsten Noahs interpretiert werden kann. Diese Umdeutung durch RÁzi geht auf seine aschÝaritische Tendenz zurück, die das ‘iÒma-Dogma (die Unfehlbarkeit der Propheten) scharf verteidigt. Dahingegen stimmt der sufische Koraninterpret Ibn ÝArabī mit den Rabbinen überein, dass auch Noah zu kritisieren sei. Beide Parteien ziehen andere Gestalten Noah vor. Während die Rabbinen biblische Figuren wie Sem, Moses und Abraham Noah vorziehen, stellt Ibn ‘Arabī Mohammed in einen höheren Rang als Noah. Auch die Gründe der Vorzüglichkeit unterscheiden sich voneinander. Beide Parteien belegen ihre Meinungen anhand der Originaltexte. Zu den Ähnlichkeiten zwischen den Rabbinen und den Koraninterpreten gehört ebenfalls der Gedanke, dass die Taten eines tugendhaften Menschen (in diesem Fall Noah), für seine Nachkommen aufbewahrt werden. Ähnlich ist der Gedanke der Šafa‘a (die Fürsprache) bei den Koraninterpreten. Hier gibt es aber einen Unterschied: Während die Rabbinen die Gnade Gottes den Nachkommen im Diesseits zuteil werden lassen, wird die Šafa’a nach der Auffassung der Koraninterpreten den Sündigen beim Jüngsten Gericht erwiesen. Nun komme ich zu den wichtigsten Gemeinsamkeiten bezüglich des Sintflutereignisses zwischen den ausgewählten rabbinischen Werken und Koraninterpretationen: Zu den allerwichtigsten Gemeinsamkeiten zwischen den Rabbinen und RÁzī bei der Auseinandersetzung um das Verhalten der Sintflutgeneration gehört der theologische Streit über das Verhältnis zwischen dem Schicksal und der Wahlfreiheit des Menschen. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Schicksal und Wahlfreiheit des Menschen ist eng mit der Frage nach dem bösen Trieb im Menschen verbunden. Auch dies wurde sowohl in GenR als auch bei RÁzī diskutiert. Sowohl einige Rabbinen als auch RÁzī vertreten bei ihrer Auseinandersetzung mit den Sünden der Sintflutgeneration die Auffassung, dass der bösِe Trieb bereits in den Menschen mit erschaffen ist. Diese Frage hängt im muslimischen Denken mit der Frage der qadaÞ und qadar (Schicksal und Vorherbestimmung) zusammen. Die weitere Frage, die zu den Gemeinsamkeiten zwischen den Rabbinen und den Koraninterpreten gezählt werden kann, ist die Frage des Tun-Ergehens-Zusammenhanges. Die Sintflutgeneration war Gott gegenüber ungehorsam und wurde deshalb vernichtet. Deshalb suchten sowohl die Rabbinen als auch die Koraninterpreten nach einer Antwort auf die Frage, ob der Frevel und die Bosheit als Gründe für die Strafe und der Gehorsam und die guten Werke als Gründe für die Belohnung im Diesseits aufzufassen sind. Die beiden Koraninterpreten Óabarī und RÁzī und einige Rabbinen in GenR bejahen diese Frage. Während diese Koraninterpreten diese Frage im Zusammenhang der Diskussion über den rizq (das ist die Gewährung des Lebensunterhaltes der Menschen durch Gott) und über den aººal (das ist die festgesetzte Frist des Ende des Lebens eines jeden Menschen) debattieren, befassen sich die Rabbinen damit, wenn sie über die Regel midda kneged midda (Das bedeutet: Maß für Maß) sprechen. Nun komme ich zu meinem letzten Beispiel für die wichtigsten Gemeinsamkeiten. Beide Parteien befassen sich mit der Frage nach der Schuld der Unschuldigen wie Erde, Pflanzen und Kinder, die mit vernichtet wurden. Denn sowohl die biblische Noahgeschichte als auch die koranische rufen den Eindruck hervor, dass es sich bei der Sintflut um eine globale Katastrophe handelt. Diese Frage wurde unterschiedlich beantwortet: Entsprechend dem bT haben auch die Tiere Promiskuität getrieben. GenR sieht eine Sinnlosigkeit des Überlebens der anderen Geschöpfe, wenn der Mensch vernichtet wird. RÁzī meint, dass zur Zeit der Sintflut keine Kinder existierten, denn Gott hat die Frauen vorher für vierzig Jahre lang unfruchtbar gemacht.

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