Fortschritte in der Infrarot-Spektroskopie für die in-vivo Blutglycoseanalytik

Diabetes mellitus ist eine der weltweit häufigsten Stoffwechselerkrankungen, weswegen die Glucosekonzentration in Körperflüssigkeiten einer der am meisten bestimmten Parameter in der klinischen Chemie ist. Neben den etablierten enzymatischen Methoden unter Verwendung von Amperometrie oder Photometrie wurden auch spektroskopische Verfahren entwickelt, die eine reagenzfreie Bestimmung der Glucose in komplexen Körperflüssigkeiten erlauben, wobei die Infrarot (IR)-Spektroskopie eine der erfolgreichsten Methoden darstellt. Abweichungen vom normalen Blutglucosekonzentrationsbereich, so genannte Hyper- und Hypoglykämien, treten bei verschiedenen Formen des Diabetes mellitus auf. Ähnliche Symptome sind auch bei Patienten auf Intensivstationen zu beobachten. Studien von Intensivmedizinern zeigten, dass die Mortalitätsrate von Patienten auf Intensivstationen bei Einsatz einer intensivierten Insulintherapie, die häufige Blutglucosemessungen erfordert, erheblich gesenkt werden kann. Die darüber hinausgehende Automatisierung kontinuierlicher Glucosemessungen in Verbindung mit der Steuerung einer Insulinpumpe wird daher eine deutliche Verbesserung der bisherigen Patientenbehandlung ermöglichen. Im Rahmen des EU-Projekts CLINICIP (www.clinicip.org) wurde ein bettseitiges Sensorsystem auf der Grundlage eines programmierbaren Mini-IR-Spektrometers in Kombination mit Mikro-Dialysesonde und automatisierter Fluidik entwickelt. Dieses System ermöglicht eine quasi-kontinuierliche Messung der Glucose mit einem zeitlichen Abstand von 10 Minuten. Hierbei stehen nur geringe Probenvolumina zur Verfügung, da bei der zur Gewinnung von Körperflüssigkeiten verwendeten Mikro-Dialyse Flussraten des Perfusats von ca. 1 uL/min zu realisieren sind. Die Wiederfindungsrate für niedermolekulare Substanzen hängt hierbei unter anderem von der Implantierungsdauer der Sonde und der Flussrate der Perfusionslösung ab. Die Verwendung einer geeigneten Markersubstanz im Perfusat (Acetat), die in dieser Arbeit vorgeschlagen und getestet wurde, ermöglicht die kontinuierliche Bestimmung der variablen Wiederfindungsraten. Dies wurde bei in-vivo Experimenten genutzt, um zuverlässige Werte für die interstitielle Glucosekonzentration online zu ermitteln. Hierzu wurden umfangreiche Untersuchungen durchgeführt, die eine weitere Verbesserung für das Patientenmonitoring mit sich bringen. Ein bedeutender Vorteil der physikalischen IR-spektroskopischen Messmethode ist, dass bei Verwendung der Mikro-Dialysetechnik neben der Glucose noch weitere niedermolekulare Substanzen im Dialysat quantifiziert werden können. Diese wurden durch die Auswertung einer umfangreichen in-vitro Studie identifiziert. Deren spektrale Eigenschaften - speziell die pH-Wert und Temperaturabhängigkeit der höchstkonzentrierten Bestandteile - wurden detailliert untersucht, um die Einflüsse auf die Spektren von Dialysaten abzuschätzen und berücksichtigen zu können. Aus den vorliegenden spektralen Daten wurden multivariate chemometrische PLS- und CLS-Modelle entwickelt, die auf einen minimalen Kalibrieraufwand getrimmt wurden und sich für anderweitige Anwendungen einfach erweitern lassen. Damit können neben der Glucose auch verschiedene andere Bestandteile der Dialysate wie z.B. Harnstoff, Lactat, Hydrogencarbonat und CO_2 quantifiziert werden, die zusätzliche Informationen über etwaige Stoffwechselentgleisungen bei Patienten auf Intensivstationen liefern können. Das hier entwickelte bettseitige Mess-System wurde in verschiedenen klinischen Studien getestet. Bei Berücksichtigung der Wiederfindungsrate ergab sich eine hervorragende Übereinstimmung der Messergebnisse mit den Blutglucosekonzentrationen der untersuchten Probanden. Damit kann das Messgerät die für eine Regelung der Blutglucosekonzentration über eine steuerbare Insulinpumpe benötigte Stellgröße liefern, um dem Ziel eines künstlichen Pankreas nahe zu kommen. Insgesamt steht mit dem portablen Messgerät, das für den Einsatz auf der Intensivstation entwickelt wurde, ein Instrument zur Verfügung, das auch für andere Fragestellungen außerhalb klinisch-chemischer Anwendungen wie beispielsweise beim Monitoring von Bioreaktoren mit Fermentationsprozessen oder bei der Überwachung von Zellkulturen vielseitig eingesetzt werden kann.

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