Die Volksrepublik und die Republik China: Die Gratwanderung zweier chinesischer Staaten zwischen Politik und Wirtschaft
Am 7.10.1995 hat Taiwans nationale Fluglinie, China Airlines, endgültig ihr neues Logo vorgestellt, das an die
Stelle der Flagge der Republik China treten wird.2 Die größtenteils staatseigene Linie vollzieht diesen Schritt, da
sie andernfalls nicht an der bald erwarteten Eröffnung direkter Routen zwischen Taiwan und dem Festland
teilhaben könnte und also eines ungemein attraktiven Geschäftsfeldes verlustig ginge. Dies geschieht natürlich
nicht ohne Zustimmung der Regierung, die ungeachtet der weiterhin schwierigen politischen Beziehungen
zwischen der Republik und der Volksrepublik gerade zu Beginn dieses Jahres erneut und klar bekräftigt hat, daß
die Intensivierung des wirtschaftlichen Austausches höchste Priorität besitzt.3 Hierfür gibt es innen- wie
außenpolitische Gründe: Alle Parteien des inzwischen auf Taiwan entstandenen Mehr-Parteiensystems müssen
einer starken Gruppe von Wählern, deren Einkommen direkt oder indirekt vom Handel und Wandel mit dem
Festland abhängt, demonstrieren, daß sie eine konstruktive Haltung in dieser Frage einnehmen. Nach außen
gerichtet, kann die enge wirtschaftliche Verflechtung mit dem Festland die Pekinger Führung in ein Netz
ökonomischer Interessen einweben, die letztlich militärische Eskapaden unwahrscheinlich werden lassen.4 Auf
den ersten Blick dürfte also die wirtschaftliche Entwicklung im chinesischen Kulturraum eine friedenstiftende Kraft
zu sein. So erscheint dann auch der westlichen Politik der Raum kaum als krisenverdächtig, wie auch in der
Entscheidung der Bundesregierung deutlich wurde, das Gebiet nicht mehr als "Krisengebiet" im Sinne der
deutschen Gesetzgebung zu Waffenexporten zu betrachten.5 Die Spannungen zwischen beiden Seiten werden
freilich immer dann schmerzhaft bewußt, wenn die VR China Marktzugangsbarrieren für Unternehmen jener
Nationen errichtet, die es wagen, der Republik China Waffen zu verkaufen oder ihren politischen Status bilateral
aufwerten, wie es durch die USA geschah, als im Sommer 1995 der taiwanesische Staatspräsident Lee Teng-hui
erstmals ein "privates" Visum zum Besuch seiner Alma Mater Cornell erhielt.6 Vor allem zwischen den USA und
der VR China spielt diese Frage inzwischen eine überragende Rolle in den bilateralen Beziehungen. Bevor wir
uns also mit diesem Gegensatz zwischen politischer Spannung und wirtschaftlicher Dynamik näher beschäftigen,
sollten die wichtigsten Dimensionen der Herausforderungen bezeichnet werden, die sich in der Region entfalten.