Konrad Ehlich


LMU – Munich/Berlin

Germany


Wednesday, August 27


Modalitäten der Mehrsprachigkeit


Abstract:

Die Mehrsprachigkeit erscheint in der so genannten „Ersten Welt“ noch immer als ein weitgehend problematisches Konzept. Diese Problematisierung lässt sich kaum von Erkenntnissen, insbesondere linguistischen, beeinflussen, die die Zweifel an der Mehrsprachigkeit in Frage stellen, denen gegenüber diese Zweifel sich aber offensichtlich als resistent zeigen. Der Vortrag wird im ersten Teil eine Spurensuche nach Gründen für diese Unbeeinflussbarkeit unternehmen. Sie führt in die Konstituierung des europäischen Nationalstaats-Konzepts und entwickelt aus ihm heraus die Modalität des Nicht-Dürfens von Mehrsprachigkeit als Konstituens für die politischen Erfordernisse der nationalisierten Moderne.

Der zweite Teil des Papiers fasst die linguistischen Erkenntnisse zur Mehrsprachigkeit in systematisierender Absicht zusammen. Dabei geht es um die Modalität der Möglichkeit von Mehrsprachigkeit in einem individuellen wie in einem gesellschaftlichen Sinn. Die Mehrsprachigkeit wird mit Blick auf die drei zentralen Dimensionen von Sprache untersucht: die zweckbezogene oder teleologische, die wissensbezogene oder gnoseologische und die identitätsbezogene oder kommunitäre. Dabei wäre es naiv, die Möglichkeit von Mehrsprachigkeit als etwas zu konzeptualisieren, das sich quasi von selbst, naturwüchsig umsetzen könnte oder würde. Vielmehr wird die Möglichkeit von Mehrsprachigkeit als Anforderung an gesellschaftliche wie an individuelle Arbeit gesehen. Der dritte Teil des Vortrags konfrontiert die Möglichkeit von Mehrsprachigkeit mit der gesellschaftlichen Realität der Gegenwart – sowohl der der „Ersten Welt“ wie der derjenigen Teile der Welt, die sich in den Emanzipationsbewegungen des 20. Jahrhunderts aus deren Hegemonie – mehr oder weniger effizient - herausgelöst haben. Das Augenmerk wird dabei exemplarisch auf den indischen Subkontinent einerseits, den europäischen Kontinent andererseits gerichtet.

Aus der Analyse der postnationalen Konstellationen wird die Modalität der Notwendigkeit von Mehrsprachigkeit für das Projekt einer differenzierten Weltgesellschaft entwickelt. Deren kommunikationsethische Fundierung bedarf einer Differenzierung des Verständigungshandelns, die den regressiven Rückfall in nationalistische wie ethnizistische Identitätsmodelle ebenso verhindert, wie sie die Gefahren einer repressiven Negation dessen meidet, was in der sprachlichen Konsolidierung entfalteter Sprachenpotentiale gesellschaftlich gewonnen wurde.Aus solcher Deontik der Mehrsprachigkeit ergeben sich Konsequenzen sowohl für die kommunitäre wie für die gnoseologische und die teleologische Dimension von Sprache.

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