Die Juden der mittelalterlichen Stadt Dortmund im Spiegel der Reichs- und Territorialpolitik

von den Anfängen bis zu den Pestpogromen des 14. Jahrhunderts*

von Torsten Fremer und Ingo Runde

* Der Beitrag ist mit Fußnoten gedruckt erschienen in: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark 85/86, 1994/95, S.57-84.

Inhalt: Grundzüge jüdischer Geschichte nördlich der Alpen bis zum 14. Jahrhundert; Juden in Dortmund zur Zeit salischer und staufischer Herrschaft; Die Auseinandersetzungen um das Dortmunder Judenregal; Zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der jüdischen Gemeinde; Ergebnisse.

Umfang und Inhalt der Quellenüberlieferung lassen uns annehmen, daß sich in Dortmund die bedeutendste mittelalterliche Gemeinde der Juden im Bereich des heutigen Ruhrgebiets befand, auch wenn uns keine Angaben über ihre Bevölkerungsgröße vorliegen. Ihre Bedeutung spiegelt sich in der Existenz eines jüdischen Friedhofes, der auf eine zunehmende rechtliche Selbständigkeit gegenüber der Kölner Muttergemeinde hinweist, sowie einer Synagoge, eines Frauenbades (Mikwe) und des Textes eines in den Dortmunder Statuten überlieferten Judeneides. Aus anderen Städten des Ruhrgebiets wissen wir nichts von solchen Einrichtungen. Gleiches gilt für unsere Kenntnisse über die Anfänge jüdischen Lebens in dieser Region. Die aufstrebende Reichs- und Handelsstadt Dortmund, an der Kreuzung von Hellweg und einer Fernstraße aus dem Kölner Becken in den norddeutschen Raum gelegen, bot jedoch eine gute Ausgangsbasis für die seit dem Ende des 11. Jahrhunderts in nordöstlicher Richtung siedelnden Kölner Juden. Diejenigen unter ihnen, welche sich in Dortmund niederließen, gerieten bald in das Spannungsfeld zwischen königlichem Anspruch auf das Judenregal, zugestandenen Privilegien der Erzbischöfe von Köln, Gewohnheitsrechten der Grafen von der Mark und in steigendem Maße auch Forderungen der Stadt. Ihren Beginn nahm diese Entwicklung, als Dortmund 1248 durch König Wilhelm von Holland zum ersten Male an den Kurfürsten und Erzbischof von Köln verpfändet wurde.

Die Auseinandersetzungen der Kölner Erzbischöfe mit den kaiserlichen und regionalen Gewalten bilden den umfangreichsten Abschnitt unserer Ausführungen. Ihm voraus gehen zunächst ein Abriß über die Anfänge jüdischer Geschichte nördlich der Alpen und eine Untersuchung der ersten Erwähnungen von Juden in Dortmund sowie ihrer Stellung zu Kaiser- und Königtum. Die Entwicklungen im Reich stellen die historischen Grundlagen für unser Thema dar, vor deren Hintergrund die folgenden Konflikte erörtert werden müssen. Um die Bedeutung der Dortmunder Juden zu verdeutlichen und nicht zuletzt dadurch das große Interesse am dortigen Judenregal zu erklären, folgt abschließend eine skizzenhafte Darstellung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ihrer Gemeinde.

Grundzüge jüdischer Geschichte nördlich der Alpen bis zum 14. Jahrhundert

Bereits im 4. Jahrhundert lassen sich jüdische Siedlungen in Köln nachweisen, weshalb auch ähnliches für andere rheinische Städte vermutet werden darf. Eine von der Spätantike in das Mittelalter reichende Kontinuität jüdischen Gemeindelebens ist für das Rheinland bislang nicht eindeutig nachgewiesen, wird jedoch für wahrscheinlich gehalten.

Im 7. Jahrhundert zogen Juden aus Italien und, von Seuchen wie judenfeindlicher Politik im westgotischen Herrschaftsgebiet bedrängt, aus Südfrankreich nach Nord- und Osteuropa. Durch diese Wanderströme bildete sich in den folgenden Jahrhunderten neben den in babylonischer Tradition stehenden sefardischen Juden Spaniens der aschkenasische Kulturkreis aus, "der sich trotz grundsätzlicher kultureller Gemeinsamkeiten in Kultgebaren, Umgangssprache, wirtschaftlicher Tätigkeit, sozialem Status und besonders im Verhältnis zur christlich-lateinischen Umwelt mit der Zeit eine klare Eigenidentität schuf".

Gerade das aschkenasische Judentum beteiligte sich vermutlich bereits in merowingischer Zeit vorwiegend am Sklavenhandel mit dem maurischen Spanien. In den Quellen begegnen uns jüdische Geschäftsleute in dieser Funktion besonders unter den Karolingern, deren zahlreiche Kriegszüge gegen westslawische Völker ein großes Angebot für den Menschenhandel schufen - zumal 845/846 auf dem Konzil von Meaux der Handel mit Christen, nicht hingegen mit Heiden, verboten wurde. Von großer Bedeutung für die Entwicklung des Sklavenhandels mit dem Orient war neben dem Schutzprivileg Ludwigs des Frommen besonders der große Bewegungsspielraum jüdischer Kaufleute, welcher durch die Nähe der mosaischen Religion zum Islam begünstigt wurde und sogar den der italienischen Händler zu übertreffen vermochte. Abgesehen von dem markanten Gewerbe des Sklavenhandels betätigten sich Juden auch als Kaufleute, Steuereinnehmer, Goldschmiede und Ärzte. An den Höfen spielten sie als Leibärzte, Händler mit Luxuswaren und geographische Berater "eine gewisse Rolle".

Neben diesem weitgehend entspannten Verhältnis zwischen Christen und Juden führte die Zerstörung der Grabeskirche in Jerusalem durch den Kalifen El Hakim im Jahre 1009 zu verstärkten Konflikten im Abendland. "Die aus tiefchristlicher Reformgesinnung geborene Kreuzzugsbewegung des späten 11. Jhs. zog [...] [dann] die erste große mittelalterliche Welle der Judenverfolgung nach sich, der 1096 vor allem die blühenden Judengemeinden am Rhein zum Opfer fielen.". Doch selbst in dieser durch unkontrollierte Emotionen antijüdisch geprägten Phase versuchten Schirmherren wie der Kölner Erzbischof und mit Juden befreundete Familien diese vor Übergriffen durchziehender Kreuzritter und aufgebrachter Bürger zu schützen.

Im Gegensatz zu den Ketzern stand ihre Existenz als fester Bestandteil christlicher Heilsgeschichte und göttlicher Ordnung außer Frage. Problematisch war naturgemäß die Grenzziehung zwischen der christlichen und der jüdischen Religion, da beide als Offenbarungsreligionen mit Absolutheitsanspruch auftreten und auf die gleichen Wurzeln zurückgehen. So wurden "nach der Lehre der Kirchenväter [...] die Juden durch die Verleugnung der Göttlichkeit Christi von einem auserwählten zu einem verworfenen Volk [...]". Das Bild einer untergeordneten jüdischen Bevölkerung gegenüber ihrer christlichen Umwelt wurde durch deren Zuordnung zu den unbewaffneten Sozialgruppen verstärkt, was aufgrund des dadurch erhöhten Schutzbedürfnisses zugleich eine engere Bindung der Juden an ihre Schutzherren nach sich zog. Diese Schutzbedürftigkeit der Juden fand schon in einem Privileg Kaiser Friedrichs I. vom 6. April 1157 seinen Niederschlag. Im Rahmen des Freispruches der Juden im Fuldaer Ritualmordverfahren bestätigte Friedrich II. im Juli 1236 die Privilegien seines Großvaters, bezeichnete sie jedoch zugleich als "Iudei(s) servi(s) nostri(s)", wodurch neben ihrer Schutzbedürftigkeit die untergeordnete Stellung im Reiche explizit zum Ausdruck kam. Zudem dehnte er das Privileg, welches ursprünglich nur für die Wormser Juden gegolten hatte, auf die Juden des gesamten Reiches aus. "Friedrich II. nahm die Gelegenheit war, erstmals die Zugehörigkeit der Juden zum kaiserlichen Fiskus zu statuieren, dem sie als Sklaven unterstünden (universi Alemannie servi camere nostre)". Battenberg betont weiter, daß die Juden zwar bereits seit Heinrich IV. unter besonderem Schutz des Kaisers gestanden hätten, dieser sich jedoch immer auf einzelne Juden bezogen hätte, wohingegen nun die gesamte Gruppe unter besonderen Schutz gestellt wurde. "Abhängigkeit und Kammerzugehörigkeit aber bedeuteten zugleich finanzielle Sonderbelastung, die für die Schutzgewährung verlangt wurde". Zugleich stellte die Abwehr päpstlicher Ansprüche auf den Judenschutz ein politisches Instrument im Konflikt mit der Kurie dar.

Erst kurz zuvor hatte Papst Gregor IX. im Jahre 1234 die perpetua servitus Iudaeorum - begründet durch ihre 'falsche' Schriftauslegung, in der sie die Göttlichkeit Christi leugneten - im Liber Extra kodifizieren lassen. "Die theologisch begründete Judenknechtschaft wurde in die politisch wirksame Kammerknechtschaft umgesetzt, aus der sich Schutz- und Herrschaftsrechte ableiten ließen und die zu einer fast unerschöpflichen Einnahmequelle gemacht werden konnte".

In den Herrschaftszentren als internationale Kaufleute nach wie vor gefragt und geschätzt, spezialisierten sich die Juden seit dem 12. Jahrhundert zunehmend auf den Waren- und Geldhandel. Gründe für diesen Wandel lagen zum einen im wirtschaftlichen Strukturwandel, welcher durch die Stichworte Urbanisierung, Kommerzialisierung, Monetarisierung und Ost-West-Gefälle angedeutet sei, und zum anderen in dem vom Reformpapsttum inzwischen schärfer gehandhabten Zinsverbot für Christen. Zudem war durch die voranschreitende Christianisierung der slawischen Völker der Sklavenhandel gegen Ende des 11. Jahrhunderts zum Erliegen gekommen. Damit einhergehend begann eine Migrationsbewegung jüdischer Bevölkerungsteile aus dem Rheinland Richtung Norden und Nordosten. Dort wie nahezu im gesamten europäischen Siedlungsraum fand im 13. und gerade bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts ein Prozeß zunehmender Stigmatisierung der jüdischen Bevölkerung statt, welcher mit dem zwar teuer erkauften, doch zunehmend schwindenden Schutzpotential des spätmittelalterlichen Kaiser- und Königtums zusammenfiel. Kleiderordnungen für Juden, die nicht auf berufliche, standesmäßige oder geschlechtsspezifische, sondern allein auf kulturelle und religiöse Unterscheidungen abhoben, wurden durch ihre diskriminierende Intention zum ostentativen Stigma. Damit einher ging die Entwicklung einer Abgrenzung von der christlichen Bevölkerung durch die Ghettobildung.

Vor diesem Hintergrund verstärkten sich die antijüdischen Vorwürfe, welche durch zunehmende Verbreitung zum Allgemeingut wurden. Diese leisteten immer wieder regionalen Pogromwellen Vorschub, wie sie in Franken 1298 und 1336 oder im Elsaß 1338 stattfanden. Stand im gleichen Zusammenhang gegen Ende des 13. Jahrhunderts neben der althergebrachten Ritualmordanklage diejenige des Hostienfrevels im Mittelpunkt der antijüdischen Legendenbildung, so spielte in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts die Brunnenvergiftungstheorie eine dominierende Rolle, zumal sie sich, von den Pestwellen seit 1348 begleitet, zur Vorstellung einer jüdischen Weltverschwörung entwickelte. Jene Pestepidemie stellte für die mittelalterliche Bevölkerung Europas eine existentielle Bedrohung dar, deren überregionale und irrational-religiöse Dimension zusammen mit den ungeklärten medizinischen Fragen der Übertragungsmöglichkeiten eine allgemeine Hysterie hervorriefen. Sie äußerte sich in extremen Erscheinungen wie Flagellantenzügen oder Judenverfolgungen. Die Festlegung konkreter Ursachen für das Phänomen der Judenpogrome bleibt ein beträchtliches Problem. Schon die Schriften zeitgenössischer Chronisten zeigen, daß im Bewußtsein des mittelalterlichen Menschen der Vorwurf der Brunnenvergiftung und der damit verbundenen Verseuchung des Trinkwassers auch als Rechtfertigung des Handelns gegen jüdische Geldverleiher und Kaufleute diente, welches soziale und wirtschaftliche Motive verdeckte. So sieht der zweite Fortsetzer der Cronicae S. Petri Erfordensis Mitte des 14. Jahrhunderts die "großen Geldsummen, die barones cum militibus, cives cum rusticis den Juden schuldeten, als die Ursache der Judenverfolgung an, während er den Vorwurf der Trinkwasservergiftung gegen die Juden mit großer Skepsis referiert".

Juden in Dortmund zur Zeit salischer und staufischer Herrschaft

Als erster Hinweis auf mögliche Aufenthalte bzw. Handelstätigkeiten von Juden in der Reichsstadt Dortmund wird in der Forschung ein Privileg König Heinrichs IV. vom 18. Januar 1074 bezeichnet, in dem er Juden und coeteri Uvormatienses aufgrund ihrer Treue Zollfreiheit an namentlich aufgeführten Plätzen - unter anderem auch in Drvtmvnne - gewährte. Scheinbar sollten neben den im Diplom erwähnten Städten Frankfurt, Boppard, Hammerstein, Dortmund, Gosslar und Enger weitere Orte folgen. Daher wurde vom Schreiber eine Lücke im Text gelassen, die vermutlich erst im 13. Jahrhundert mit dem Zusatz Iudei et coeteri gefüllt wurde.

Explizit findet man Juden in Zusammenhang mit der Stadt Dortmund zum ersten Mal in hebräischen Berichten über die Verfolgung der Kölner Juden während des ersten Kreuzzuges. In zwei tradierten Versionen wird das Schicksal des jüdischen Märtyrers Mar Schermaja und seiner Familie geschildert, welche im Juli/August 1096 von Köln nach Dortmund floh und dort ums Leben kam. Problematisch ist hierbei der genaue Anlaß dieser Bluttat, deren Motive sicherlich in Verbindung mit dem religiös aufgeheizten Klima der ersten überregionalen Pogromwelle zu sehen ist. Schermaja, der wohl in Dortmund bereits bekannt war, wurde gemäß der Erzählung freundlich aufgenommen. Ihm zu Ehren wurde ein Gastmahl ausgerichtet, auf welchem es vermutlich zu Unstimmigkeiten kam, da die jüdischen Gäste nach ihrem Glauben lediglich 'Reines' und 'Erlaubtes' mit neuen Messern essen wollten. Ob daraufhin der Streit ausbrach und die Dortmunder Bürger eine Taufe der Juden verlangten, ist der Quelle nicht zu entnehmen. Vielmehr findet sich nur die Antwort Schermajas: "[...] solange wir noch in unserem Glauben leben, tun wir, wie wir bisher gewohnt sind; morgen aber werden wir zu einem Volke werden. Gebet uns für die Nacht ein besonderes Zimmer bis morgen, denn wir sind müde und ermattet von der beschwerlichen Reise.". Dort tötete er in der Nacht seine Familie mit einem Schlachtermesser und versuchte, sich das Leben zu nehmen, wobei er in Ohnmacht fiel. Rechtzeitig aufgefunden, überlebte Schermaja und wurde vor die Wahl gestellt, sich taufen zu lassen oder an der Seite seiner Familie lebendig begraben zu werden. Er entschied sich für letzteres, um nicht für Verstorbene seinen lebendigen Gott zu verleugnen.

Obwohl sich nicht entscheiden läßt, inwieweit diese Geschichte auf Tatsachen beruht, lassen sich für unsere Fragestellung einige Aspekte herausarbeiten. Zum einen werden hier schon frühe Beziehungen zwischen Kölner Juden und der Stadt Dortmund angedeutet, wenngleich damit nicht belegt ist, ob zu diesem Zeitpunkt bereits Juden in Dortmund ansässig waren. Weiterhin zeigt sie die Heterogenität und Irrationalität der überregionalen, weit verstreuten Judenpogrome dieser Zeit. Während in Köln intensive Judenverfolgungen stattfanden, bot Dortmund zunächst eine freundliche Aufnahme der Verfolgten. Es genügte ein geringfügiger, doch eindeutig religiöser Anlaß, um die Situation durch gegenseitige Überreaktionen eskalieren zu lassen. Dies hatte letztlich den Tod seiner Familie und die Hinrichtung Schermajas zur Folge. In der Schilderung seines Schicksals kommt die latente Gefährdung der Juden Ende des 11. Jahrhunderts zum Ausdruck, welche immer wieder in gewalttätigen Auseinandersetzungen enden konnte.

Die latente Gefährdung der jüdischen Bevölkerung spiegelt ein Ereignis aus dem Jahre 1187 wider. Am 17. Februar tötete in Neuss angeblich ein 'wahnsinniger' Jude ein christliches Mädchen, woraufhin der Täter mit anderen Juden erschlagen und aufs Rad geflochten wurde, während die übrigen vom Kölner Erzbischof Philipp mit einer Geldstrafe belegt wurden. Diese Tat gab dem Erzbischof und mehreren Grafen Anlaß, auch in anderen Orten jüdisches Vermögen einzuziehen. In Zusammenhang mit dem Trierer Schisma und der Fürstenopposition um Philipp von Heinsberg wurde dieser im März 1188 von Barbarossa unter anderem auch wegen der Juden, welche er unter Mißachtung der kaiserlichen Rechte bestrafte, selber mit einer Geldbuße von 2000 Mark an den Kaiser, 260 an dessen Hof und der Ableistung von Reinigungseiden belegt. In das Spannungsfeld von Reichs- und Territorialherrschaft eingebunden, wurden die Juden zur Machtausübung und Bereicherung instrumentalisiert. Zeigte sich die kaiserliche Macht geschwächt, konnten landesherrliche Zugriffe auf das Judenregal erfolgen, deren Ahndung jedoch bei restituierter Autorität des Kaisers unmittelbar folgte. Vor allem durch das Statutum in favorem principum wurde die Macht der Territorialfürsten gestärkt. Die Juden, respektive der Judenschutz, wurden durch die Schwächung des kaiserlichen Einflusses im Reich zunehmend in die Machtkämpfe auf landesherrschaftlicher Ebene involviert. Weit verstreut suchten die Juden im nordwestlichen Reichsgebiet nicht zuletzt deswegen den Kontakt zu ihrem kulturellen Zentrum in Köln.

Schon die erste gesicherte Erwähnung von Juden in Verbindung mit der Stadt Dortmund zeugt von den engen Kontakten zu ihrer Muttergemeinde. So wird in einer vor 1235 datierten Urkunde bekanntgegeben: "Nathan Iudeus (de Tremona filius Livermanni) et uxor eius Bela emerunt erga Ysaak (Ruppe) et uxorem eius Gudam mediatem domus et aree, [...]". Vor 1237 kaufte Jutta, Tochter des Mannis de Tremonia, die andere Hälfte des Hauses von Gutheil, der Frau des Samuel von Iserlohn, und Vivis Sadoch in der Portalsgasse zu Köln. Frühere Urkunden können bei dem Stadtbrand 1232 vernichtet worden sein, weil dieser vermutlich auch das Archiv zerstörte. Die Wohnstätten der Dortmunder Juden befanden sich am westlichen Rand des Stadtkerns, welcher bereits im Gebiet der ersten Stadterweiterung lag, die vermutlich im 11. Jahrhundert, vor allem in westlicher Richtung erfolgte. Daher wird angenommen, daß bereits in dieser Zeit die erste jüdische Siedlung in Dortmund erfolgte.

Ein erstes Anzeichen für eine jüdische Gemeinde in Dortmund gibt 1241 ein Eingangsverzeichnis der Reichssteuern der königlichen Städte zur Zeit Kaiser Friedrichs II., in dem aus jeder Stadt auch die Zahlungen seiner Kammerknechte eigens aufgeführt sind. Hiernach zahlten die Dortmunder Juden mit 15 Mark den gleichen Betrag wie die vier um die Reichsstadt gelegenen Königshöfe, während die Bürgerschaft 100 Mark zu entrichten hatte. Kaum zehn Jahre nach der Brandkatastrophe zeigt sich Dortmund erholt; wahrscheinlich eine Folge des Privilegs Heinrichs (VII.), welcher seiner "civitas noster imperialis" neben ihrem traditionellen Markt von Himmelfahrt bis Pfingsten die Abhaltung eines zweiten Jahrmarktes gestattete. Schließt man unter allem Vorbehalt hinsichtlich der Einmaligkeit dieser Liste, die einen diachronen Vergleich der Zahlungen unmöglich macht, von den differierenden Betragshöhen auf die Größe und Leistungsfähigkeit von Juden- und Stadtgemeinden, so nahm Dortmund jeweils eine Mittelstellung im Reich ein. Während zum Beispiel die Bürger von Duisburg 50 Mark entrichteten, zahlten die Juden der Stadt mit 15 Mark den gleichen Satz wie ihre Glaubensgenossen in Dortmund und damit verhältnismäßig mehr als diese. Gleichzeitig gaben Düren 40 Mark und seine Juden 10 Mark, während allein die Wormser Juden 130 Mark zahlten. Insgesamt betrug der veranschlagte Steueranteil der Juden an der Reichssteuer 16%. Aber auch der synchrone Vergleich bereitet Schwierigkeiten. So ist aufgrund der Überlieferung nicht anzunehmen, daß die Größe der Duisburger Judengemeinde ungefähr der Dortmunder entsprach. Ebenso unklar bleibt der Grund für die Reduzierung des Dortmunder Betrages von ursprünglich 300 auf 100 Mark.

Durch die Pflicht der unmittelbaren Abgabe an die kaiserliche Kammer wird ersichtlich, daß die jüdische Gemeinde nun "eine gewisse Autonomie in Steuersachen besaß, die ihr ermöglichte, die Lasten nach eigenen Vorstellungen unter die Gemeindemitglieder zu verteilen".

Die Auseinandersetzungen um das Dortmunder Judenregal

Im Jahre 1247 wählten die rheinischen Erzbischöfe und ihr Anhang nach dem Tode Heinrich Raspes den Grafen Wilhelm von Holland zum Gegenkönig Friedrichs II. Am 15. Dezember 1248 gaben die Dortmunder Ratsherren und sämtliche Bürger dem Kölner Erzbischof Conrad von Hochstaden die Zusage, auf seinen Rat hin dem König Wilhelm Gehorsam und Treue zu leisten. Dieser verpfändete am 23. Dezember des selben Jahres zum ersten Male die Stadt Dortmund und die umliegenden Höfe für 1200 Mark an den Erzbischof. Auf Bitten der Dortmunder Bürger nahm Conrad im März des Jahres 1250 auch die Dortmunder Juden unter seinen Schutz, wofür diese eine jährliche Abgabe von 25 Mark Kölner Groschen zu entrichten hatten. Hierfür sollten sie, solange es ihnen beliebte, ungestört in Dortmund leben können. Wenn sie die Stadt vorzeitig verlassen wollten, konnten sie "salvis suis rebus parita et persona" auswandern, wenn sie die Schutzabgabe für das laufende Jahr bezahlt hatten. Offensichtlich spiegelt sich in diesem Prozeß der Einbindung der jüdischen Gemeinden in territorialherrschaftliche Zusammenhänge die politische Unsicherheit zu Beginn der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Waren die Juden im Privileg von 1248 nicht genannt, da sie ihre Abgaben vermutlich noch an den offiziellen Schutzherrn Friedrich II. oder Papst Innozenz IV. entrichteten, so ging das Judenregal - auf Betreiben des 1241 erstmals urkundlich erwähnten Dortmunder Rates - an einen Territorialherren. Damit setzte in der Folgezeit ein Ringen der Territorialfürsten untereinander und mit dem Königtum um das wirtschaftlich attraktive Privileg ein. Die Rechte der jüdischen Bevölkerung bestanden zwar auch in dieser Epoche politischer Unsicherheit auf dem Pergament fort, doch inwieweit sie konkret Anwendung finden konnten, hing von den temporären und regionalen Machtverhältnissen ab.

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Unmittelbar nach seiner Krönung bestätigte Rudolf von Habsburg (1273 - 1291) am 26. Oktober 1273 dem Kölner Erzbischof Engelbert II. auch die Rechte in Dortmund. Während hier die Dortmunder Juden keine Erwähnung fanden, forderte Rudolf I. im Juni 1279 die "Judei(s) Tremoniensibus camere sue servitoribus" auf, dem Dortmunder Schultheißen 70 bzw. 14 Mark Sterling auszuzahlen, welche der König dem Bertram und Gottschalk von Ahausen schuldete. Dafür sollten sie von Martini bis zum nächsten Osterfest von der Steuer befreit sein. Offenbar gelang es dem Habsburger, die von Friedrich II. begründete Kammerknechtschaft wieder aufzunehmen und dem kaiserlichen Fiskus nutzbar zu machen; die Verpfändung an den Kölner Erzbischof schien nicht mehr zu bestehen. Es wird angenommen, daß die Erträge aus dem Judenregal einen bedeutsamen Posten im Budget Rudolfs ausmachten, obwohl deren Höhe nicht mehr zu ermitteln ist.
 


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Am 27. April 1292 versprach Adolf von Nassau (1292 - 1298) dem Erzbischof Sifrid nach seiner Wahl und für seine Lebzeiten alle Rechte, Renten, Zölle und Einkünfte in Dortmund und aus den Reichshöfe Westhoven, Brakele und Elmenhorst. Gleiches stellte er kurze Zeit darauf dem Herzog von Brabant in Aussicht. Nachdem er durch die Hand Sifrids am 24. Juni 1292 in Aachen zum König gekrönt worden war, wiederholte er im September desselben Jahres seine dem Erzbischof gegebenen Versprechungen in abgeschwächter und modifizierter Form. So gab er Dortmund wie die anderen zuvor genannten Befestigungen lediglich als Unterpfand, "in Anbetracht der dem Reiche geleisteten und noch zu leistenden Dienste sowie der üblen Lage der Kölnischen Kirche für eine künftig zu zahlende Summe von 25000 M. köln.". Für die Dauer der Pfandschaft befahl Adolf am 4. Oktober 1292 dem Grafen, Schultheißen, den Schöffen wie dem Rat und der Bürgerschaft, dem Erzbischof die Treue zu halten, da er ihm und dessen Nachfolgern die dem König und Reich zustehenden iura, iurisdictiones, redditus, proventus, obvenciones cum suis pertinentiis universis in und außerhalb der Stadt Dortmund verpfändet habe. Obwohl das Judenregal nicht ausdrücklich erwähnt wurde, dürfte es Bestandteil der vergabten Rechte gewesen sein.
 


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Nach der Absetzung Adolfs von Nassau wählten die Kurfürsten in Mainz am 23. Juni 1298 Albrecht, den Sohn Rudolfs von Habsburg, erstmals zum König, wobei Erzbischof Wikbold von Köln Gerhard von Mainz seine Stellvertretung übertragen hatte. Währenddessen weilte der Kölner Erzbischof in Soest, um am 24. Juni mit Bischof Eberhard von Münster, Graf Eberhard von der Mark und den Städten Münster, Soest und Dortmund für das Herzogtum Westfalen und die Diözese Münster ein Landfrieden auf fünf Jahre zu schließen. Nachdem die Kurfürsten nach dem Tod Adolfs in der Schlacht bei Göllheim Albrecht (1298 - 1308) am 27. Juli 1298 in Frankfurt zum zweiten Mal zum König wählten, übergab dieser mit ausdrücklicher Zustimmung der Reichsfürsten am 28. August 1298 Erzbischof Wikbold auf Lebenszeit unter anderem "officium villicationis seu scultetatus oppidi nostri Tremoniensis et custodiam Judeorum ibidem, necnon curtes Westhoven, Elmenhorst et Brakele cum eorum redditibus et attinentiis, quibuscumque [...] ita tamen, quod nichilominus nos a dictis oppidanis et Judeis Tremoniensibus servicia et subsidia requirere possimus, quandocumque nobis videbitur expedire".

Die praktische Umsetzung dieser Verfügung erwies sich jedoch als problematisch. Denn seit der Regierung Rudolfs von Habsburg erhob Graf Eberhard I. von der Mark die königlichen Einkünfte in Dortmund. Dies tat er vermutlich mit Zustimmung des Rates auch weiterhin. Mehrfach ermahnte er die Juden von Dortmund, dem Kölner Erzbischof Gehorsam zu leisten, und tadelte ihr fortwährendes Zögern, seinen Befehlen nachzukommen. Zugleich verurteilte er die passive Haltung der Stadt Dortmund, welche scheinbar hohe Besteuerungen ihrer Judenschaft durch die Märkischen Grafen zuließ, was einige Juden zur Auswanderung veranlaßte. Allerdings mag die Anschuldigung unberechtigter und harter Auflagen auf der parteiischen Darstellung des Kölner Erzbischofs beruhen, welcher den "König [zu] diese[m] geschärften Befehl zur Zahlung" veranlaßte. Dieser forderte den Dortmunder Rat auf, die Rückkehr der Juden herbeizuführen und sie unter Schutz zu stellen. Am 15. Juli 1300 verbot er schließlich der Stadt Dortmund, von den ansässigen Juden, seinen Kammerknechten, Abgaben zu erheben. Es waren nicht zuletzt die Probleme bei der Einlösung der Habsburger Wahlversprechen, welche im Jahre 1300 einen Wendepunkt im Verhältnis zwischen Albrecht I. und den rheinischen Kurfürsten herbeiführten, als diese sich in Reaktion auf das Bündnis zwischen dem Reich und Frankreich wie insbesondere auf das königliche Eingreifen in Holland zu einem Schutzbündnis zusammenschlossen. Folge dieser gegen den König gerichteten Koalition und ihres Scheiterns war die Anweisung Albrechts an die Stadt Dortmund und alle westfälischen Juden vom 8. Februar 1301, dem Grafen Eberhard von der Mark zu gehorchen, was sie aller Dekrete zum Trotz faktisch wohl immer getan hatten.
 


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Bei der Königskandidatur Heinrichs von Luxemburg (1308 - 1313), welche auf das Betreiben seines Bruders, des Erzbischofs Balduin von Trier im Einvernehmen mit Peter von Mainz, zurückging, galt es, die Ansprüche der Kapetinger, welche ihrerseits Karl von Valois als Anwärter auf den deutschen Thron nominierten, auszuschalten. Mit dem Wohlwollen Papst Clemens' V. gelang es dem Luxemburger durch große Zusicherungen, auch Erzbischof Heinrich II. von Köln und mit ihm die Laienwähler zu gewinnen. Zu diesem Zwecke erneuerte er gegenüber dem Kölner Kirchenfürsten in einer Urkunde vom 20. September 1308, zwei Monate vor seiner Wahl zum deutschen König, die Wahlversprechen Albrechts. Er vesprach ihm erneut die Verleihung Dortmunds mit Schultheißenamt, Judenschutz, Reichseinkünften und umliegenden Reichshöfen. Darüber hinaus sicherte er Heinrich II. den Besitz des Judengeleits in seiner gesamten Diözese zu. Zwei Jahre später, am 2. September des Jahres 1310, ermächtigte ihn König Heinrich VII., das Reichsschultheißenamt in Dortmund mit dem dortigen Judenschutz und den Reichshöfen Westhofen und Elmenhorst, ehemals Rechte des edlen Eberhard, "comes de Marka", als Reichslehen einzuziehen. Zugleich forderte er den Grafen Engelbert II. von der Mark auf, diese gegen Zahlung der Verpfändungssumme an den Kölner Erzbischof auszuliefern. Daß dies vermutlich nicht geschah, wird aus einer im folgenden zu behandelnden Urkunde Ludwigs des Bayern ersichtlich, der 1317 wiederum Engelbert die Rechte in Dortmund entzog.
 


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Nach der Doppelwahl des Jahres 1314, bei der Ludwig der Bayer (1314 - 1347) ohne die Unterstützung des Kölner Erzbischofs, welcher den Gegenkandidaten Friedrich den Schönen von Habsburg, krönte, gewählt wurde, verlieh der Wittelsbacher am 22. Mai 1317 dem Grafen Dietrich VIII. von Kleve neben der Vogtei über die Abtei Werden u.a. den Judenschutz und die Reichsgüter zu Dortmund, die er dem Grafen Engelbert II. von der Mark wegen Ungehorsams entzogen hatte. Am 11. August des Vorjahres, nach dem Tode des Grafen Konrad von Dortmund, hatte Friedrich der Schöne dem Erzbischof Heinrich II. von Köln alle dem Reiche entfremdeten Rechte (Grafschaft Dortmund, Gericht, "quod dicitur vreygraschaf", weltliches Gericht, Münze, Zoll und Grut) als Lohn für dessen Unterstützung gegen Ludwig in der Auseinandersetzung um die Stadt Esslingen übergeben.

Wenn Ludwig der Bayer am 21. März 1323 die Stadt Dortmund dem Grafen Heinrich von Waldeck unter der Verpflichtung übertrug, die Reichseinkünfte zu erheben, verlorene Reichseinkünfte wieder zu gewinnen und den Judenschutz zu übernehmen, so scheint auch dies keine konkreten Auswirkungen gehabt zu haben. Denn aus einer Urkunde vom 25. August 1331 geht klar hervor, daß die Juden dem Grafen von der Mark verpfändet waren. Diese bestimmte, "quod ex iure et potentia nostre imperatorie maiestatis steuras et subventiones a providis viris iudeis in imperio constitutis ubicumque locorum imperii accepimus et accipere volumus ab hiis, [...]". Offenbar legitimiert durch seine Kaiserkrönung von 1328 nahm Ludwig das Recht in Anspruch, die Juden im Reich mit einer Sonderabgabe zu besteuern. Die Einnahmen des Grafen von der Mark, welche dieser aus dem Dortmunder Judenschutz bezog, wurden dadurch ausdrücklich nicht beeinträchtigt. Durch die Vergabe des Judenregals an Dritte bestand allerdings "die Gefahr der Aushöhlung der kaiserlichen Schutzbeziehung". Um dem entgegenzuwirken, führte Ludwig im Jahre 1342 den später so genannten 'Goldenen Opferpfennig' ein. Jeder Jude, der das zwölfte Lebensjahr überschritten hatte und über ein Vermögen von mindestens zwanzig Gulden verfügte, mußte diese Abgabe leisten. Wir wissen allerdings nicht, ob diese Verordnung auch in Dortmund zur Anwendung kam.

Mit der Eintreibung der Sonderabgabe beauftragte er in der Urkunde vom 25. August seinen Boten Siboto Pape, und bat die Dortmunder Bürgerschaft, ihm dabei behilflich zu sein. Da die Dortmunder Juden offenbar zum großen Teil nicht bereit waren, diese Sonderzahlung zu entrichten, veranlaßte Propst Gerwin von Bernau mit Hilfe der Stadtoberen ihre Inhaftierung. Dafür erhielten er und die Stadt am 8. Januar 1332 ein Dankesschreiben des Kaisers aus Frankfurt. Doch war die Gefangenschaft der Dortmunder Juden nicht von langer Dauer oder fand sogar schon vor dem Eintreffen der Urkunde ein Ende, da die Stadt Dortmund bereits am 15. Januar 1332 dem Kaiser mitteilen mußte, daß diese zwar festgenommen, jedoch auf die Verwarnung ihres Schutzherren, des Grafen von der Mark, wieder auf freien Fuß gesetzt worden waren. Daraufhin forderte Siboto Pape die Dortmunder Bürgerschaft im Januar 1332 auf, den Anordnungen des Kaisers Folge zu leisten und sich mit Graf Konrad von Dortmund zu einigen. Wie der nach Dortmund zurückgekehrte Propst Gerwin hatte auch dieser der Stadt in offenen Briefen des Kaisers neue Privilegien und Rechte versprochen, falls die Juden 200 Pfund zahlen würden. Zugleich drohte der Propst den Bürgern am 25. Januar mit Vergeltungsmaßnahmen für die entgegen kaiserlichem Befehl erfolgte Freilassung der Juden. Vier Tage darauf teilte Wilhelm III., Graf von Hennegau, Holland und Seeland, Herr zu Friesland und Schwiegervater des in Italien weilenden Ludwig des Bayern der Stadt Dortmund mit, daß der Kaiser über die Straffreiheit der dortigen Juden ungehalten sei, und riet ihnen, durch Gesandte um Gnade zu bitten. Es gibt Grund zu der Annahme, daß eine Urkunde Ludwigs vom 27. März 1332 auf diese Angelegenheit Bezug nimmt. Die empfohlene Gesandtschaft dürfte erfolgreich gewesen sein, da der Kaiser der Stadt Dortmund für ihre Verhandlungen Aufschub bis Pfingsten und freies Geleit gewährte. Allerdings beabsichtigte der Kaiser, den 'mißgeleiteten' Rat durch einen neuen zu ersetzen, welcher nach der Gewohnheit Lübecks eingerichtet sein sollte. Am 23. Juni 1332 forderte er den Dortmunder Rat auf, die größtenteils kaiserfeindlichen Dominikaner aus der Stadt zu vertreiben. Er befahl zudem, Adolf II. von der Mark zu veranlassen, daß er iudeos et bona imperii zur Einlösung freigebe. Diese Bestrafung des Schutzherren der Dortmunder Juden deutet darauf hin, daß die vom Kaiser geforderten Sonderzahlungen nicht geleistet worden waren. Zwei Monate später empfahl er die Dortmunder am 25. August dem Schutze Wilhelms, des Grafen von Holland, Seeland und Hennegau. Am gleichen Tage nahm auch König Johann von Böhmen die Dortmunder in seinen Schutz und befahl, sie mit ihrer Habe und ihren Waren zu fördern. Zum selben Termin bestätigte ihnen Ludwig der Bayer in Anerkennung ihrer treuen Dienste die von ihm und seinen Vorfahren erteilten Privilegien, Rechte und Freiheiten und erweiterte dieselben in einigen Punkten. Drei Tage darauf verbot er der Stadt Lübeck aufgrund der gerade erwähnten Rechte, von den Dortmundern und ihren Waren Zoll zu verlangen. Wiederum einen Tag später, am 29. August, forderte er den Bischof von Münster auf, die durch seine Leute den Dortmundern zugefügten Beeinträchtigungen abzustellen, und befahl seinen Getreuen, die Dortmunder in ihren alten wie neuen Privilegien zu schützen. Diese Kette kaiserlicher Maßnahmen zeigt deutlich, daß "samt und sonders geradezu eine Umwandlung des [kaiserlichen] Unwillens in Wohlwollen" stattgefunden hatte, was vermutlich auf eine willfähigere Haltung der Stadt zurückzuführen ist.
 


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Nach der Neuwahl vom 11. Juli 1346, in der Karl IV. von Luxemburg (1346 - 1378) von allen drei Erzbischöfen, dem Böhmenkönig wie Herzog Rudolf von Sachsen-Wittenberg in Rhens zum Gegenkönig Ludwigs IV. gewählt wurde, bestätigte er dem Erzbischof Walram von Köln am 26. November 1346 "item concessiones, donationes, infeodationes et gratias quascumque de opido Tremoniensi cum territorio suo et districtu, et comitatu, qui vulgariter dicitur "vrygrayschap", necnon judeis, et cum jurisdictione temporali, juribus, pertinentiis et attinentiis et accessionibus dicti opidi universis [...]". Daß nach wie vor keine praktische Umsetzung dieses Privilegs, welches den Judenschutz mit einschloß, auf den Kölner Erzbischof zu erwarten war, zeigt eine Urkunde vom 26. Mai 1350. Engelbert III. von der Mark bekundete, daß er den Johann Morrien wegen bisheriger Verpflichtungen gegenüber Juden in Dortmund und der Grafschaft Mark nicht vor sein Gericht laden wolle. Über nach dem Datum dieser Urkunde eingegangene Verpflichtungen gegen Juden beabsichtigte er, richten zu lassen. Gleichzeitig kann dieser Urkunde entnommen werden, daß die Pest, oder genauer ihr vorausgehende oder nachfolgende Pogrome, Dortmund noch nicht erreicht hatten, während dies in den Rhein- und Niederlanden bereits in den Sommermonaten 1349 der Fall war, da hier von "den juden dey tho Dortmunde ofte in unsen lande ofte walt wonet" die Rede ist. Obwohl bereits am 11. März 1350 Graf Dietrich IV. von Limburg und sein Sohn Cracht die Juden Nathan, Lefmann und Vyvus mit den Kindern des Vyvus in ihren Schutz nahmen und sicheres Geleit versprachen, muß doch der 28. Juni 1350 als terminus ante quem für eine Verfolgung der Dortmunder Juden angesetzt werden. In einer Urkunde diesen Datums einigten sich Graf Engelbert III. von der Mark und die Stadt Dortmund vor Conrad von der Mark in Hörde über die Teilung der Habe der dortigen Juden:

"Een twist was tuschen iuncheren Engelbert den greven van der Marke op eyne side unde der stad van Dortmunde oppe dee anderen side alse van der iuden weghene, dee na meynen gherochte der kerstenheyt hebben verghiven, wilke iuden dee rad van Dortmunde hevet in eren behalde, dee twist is ghescheden unde ghesont tho Hurde vor heren Conrade van der Marke in desser wise, dat dee stad van Dortmunde dee selven iuden hebben unde behalden sal in eren beh[alde], dat see der kerstenheyt nicht en verghiven. [...] unde dee have, dee erschinen is van den iuden dee en w[eren] an lyve efte an dode, dar dee rat van Dortmunde an komen mach mit beschedenheyt unde mit rechte, is half des greven van der Marke unde half des rades van Dortmunde. [...] Vartmer loyvet unde sal dee selve greve van der Marke dee stad van Dortmunde tho verantwordene unde entheven ef see anghespreken werdet van rike efte van dem bisschope van Kolne van der iuden weghene.".

Der junge Graf Engelbert III. von der Mark, welcher bei der Nachfolge seines plötzlich verstorbenen Vaters Adolf II. 1347 erst 13 Jahre alt war, erhielt somit als Schutzherr der Dortmunder Juden nicht den vollen Betrag der enteigneten Gelder, sondern teilte sich diesen mit dem Rat der Stadt. Die Vertreibung der Dortmunder Juden scheint zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht erfolgt oder abgeschlossen gewesen zu sein, da noch von ihrer Inhaftierung die Rede ist. Diese 'Präventivmaßnahme' sollte eine Vergiftung der Christenheit von vornherein unterbinden. Gert van der Schüren spricht in seiner Chronik des klevisch-märkischen Fürstenhauses um 1471 von der Mitschuld der jüdischen Bevölkerung an der Pestepidemie und erwähnt lapidar ihre Ermordung und Verbrennung im Jahre 1350. In der um 1450 niedergeschriebenen Chronik des Dortmunder Dominikaners Johann Nederhoff heißt es hingegen über die Judenverfolgung in Dortmund zum Jahre 1351: "Judei per totam Almanniam igne cremabantur, quia suspecti habebantur, quod fontes et puteos intoxicassent et aliqui torti idem confessi fuerant. Tremonienses tamen Judeos suos non cremabant nec occidebant, sed de civitate expulerunt.". Bedenkt man, daß die Dortmunder ihre Juden wohl nicht sofort töteten, sondern zunächst gefangennahmen, so erscheint es glaubwürdig, daß sie nicht verbrannt, sondern aus der Stadt vertrieben wurden.

Graf Engelbert III. von der Mark quittierte jedenfalls am 11. November 1350 den Erhalt einer Summe von 350 Mark, welche ihm die Stadt Dortmund auf der Grundlage des oben genannten Vertrages vom 28. Juni 1350 vermutlich aus dem Vermögen vertriebener Juden überließ. Er bekundete am 4. April des darauffolgenden Jahres, daß er mit seinen Ansprüchen an das Gut der Juden in Dortmund durch einen Geldbetrag abgefunden sei. Der Kölner Erzbischof Wilhelm von Genepp, gegen dessen und des Reiches Einspruch sich der Graf und die Stadt Dortmund verbündeten, hob erst am 7. Mai des Jahres 1354 sämtliche Kirchenstrafen auf, die er über die Dortmunder verhängte, da sie sich an dem Eigentum der Juden vergriffen hatten.

Für Dortmund ist nur eine einzige Quelle überliefert, welche über den Verbleib jüdischen Besitzes in der Stadt berichtet. Am 23.10.1367 verkaufte der Dortmunder Rat dem Everd Smalenbergh und seinen Erben "eyn deel van der wourt, dey gelegen is aichter Dyderikus huys op dem eynde, dar wanner Juwel dey iude oppe wonet hadde, mit al des deels tobehoryne unde mit dem ganghe, den dey anderen huys, dey dar belegen synt, hebt westene op dem Hilwech, unde were sake, dat op ef in dem deele der wourt vorg. worde ynech ghelt ef gud ghevunden, dat sal des raids syn." Die "varende have", welche Engelbert III. der Stadt im Jahre 1351 überlassen hatte, blieb somit auch in diesem Fall weiterhin Eigentum des Dortmunder Rates. Offenbar dachte man, daß in den Häusern noch versteckte Wertgegenstände gefunden werden könnten. Maser vermutet, es könnten eventuell bereits auf anderen Grundstücken gleichartige Funde gemacht worden sein.

Erst zwei Jahrzehnte nach den Vertreibungen werden wieder Juden in Dortmund aufgenommen. Am 2. November 1372 quittierte Graf Engelbert III. von der Mark der Stadt den Erhalt von "druyttinhundert gude sware ghuyldene" für die Erlaubnis, wieder Juden in die Stadt aufnehmen zu dürfen. Dadurch wurde am 2. Dezember des darauffolgenden Jahres die Aufnahme des Juden Vyssche mit Frau, Kindern und Gesinde für sechs Jahre in der Stadt ermöglicht. Er erhiehlt das Recht, Wucher zu treiben, wofür er der Stadt und den Grafen von der Mark Steuern zahlen sollte.

Zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der jüdischen Gemeinde

Zusammen mit dem Aufkommen der städtischen Autonomie und der Kodifiziereng städtischen Rechts fanden vermutlich schon vor 1257 auch konkrete Anweisungen bezüglich einer allgemeinen wie gewerblichen Tätigkeit der jüdischen Gemeinde in Dortmund ihre Erwähnung in den städtischen Statuten. In Artikel 37 werden zunächst der Judeneid und seine Dortmunder Ausführungsmodalitäten geregelt. Hierbei mußte der betroffene Jude zusammen mit dem Richter und Kläger die Synagoge betreten und seine rechte Hand bis zum Handgelenk in das Buch Leviticus (3. Buch Mose) legen. Das Buch wurde darauf geschlossen und der Eid durch einen Kleriker verlesen. Der Eidesleister sollte diese Worte nachsprechen, wobei er bei jedem Stocken von Neuem zu beginnen hatte und dem Richter Strafe zahlen mußte. Der Kleriker sollte durch ein Talent Pfeffer oder eine entsprechende Geldsumme für das Ritual entlohnt werden.

Artikel 38 nimmt das ältere jüdische Sonderrecht auf, welches Juden erlaubte, Pfänder, selbst wenn sie geraubt oder gestohlen worden waren, nur gegen Erstattung des darauf entliehenen Geldes zurückgeben zu müssen, falls sie diese in gutem Glauben erwarben. Dieses Recht wird in Dortmund allerdings durch Artikel 39 eingeschränkt, "si Judeus aliquis mittit pignus aliquod venale ad forum et illud per aliquem obligatur, qui dicit sibi illud ablatum per furtum vel rapinam et illud per juris formam se offert probarturum, Judeus non potest aliquam prestare warandiam pignoris supradicti extra limen domus sue.". Die genaue Regelung der Pfandgeschäfte in den Statuten verweist auf die wichtige Funktion, welche die Juden als Geldhändler für Dortmund einnahmen. Die Vorschrift, daß der Judeneid in einer Synagoge geleistet werden mußte, läßt auf die Existenz dieser Einrichtung - zumindest seit der Mitte des 13. Jahrhunderts - in Dortmund schließen. Urkundlich belegt ist dort ein religiöses Zentrum erst seit 1346. Die Stadt bestätigte den Juden am 18. September dieses Jahres ein am Westenhellweg gelegenes Grundstück mit der Synagoge und einem Frauenbad (Mikwe), das zu den notwendigen Einrichtungen einer jüdischen Gemeinde gehörte. Neben einer Jahresrente von 26 Schilling hatten die Juden der Stadt dafür Wacht- und Grabendienste zu leisten. Bereits am 26. Januar 1336 verkaufte der Dortmunder Rat den Juden eine Begräbnisstätte vor dem Westentor, auf dem der Jude Joel und seine Gattin Nenneke das alleinige Bestimmungsrecht über die Anordnung der Begräbnisstellen zugesprochen bekamen. Da dieses der einzige jüdische Friedhof im Bereich des heutigen Ruhrgebietes war, dürften neben den märkischen auch die Juden aus Essen und Werden ihre Toten an diesem Ort bestattet haben. Zugleich konnte eine Friedhofsgemeinde benachbarte Juden vor ihr Gericht laden. So verweist die Existenz eines eigenen Friedhofs auf den rechtlichen Vorrang vor anderen jüdischen Gemeinden und unterstreicht ihre gestiegene Bedeutung.

Erscheinen im Jahr 1289 der Jude Joel und sein Sohn Joseph in einer Urkunde als Zeugen, so findet man den frühesten konkreten Beleg für eine gewerbliche Tätigkeit erst in dem sogenannten 'Holzbuch', den städtischen Rechnungen der Jahre 1316-1326, in denen Juden als Gläubiger der Stadt Dortmund erwähnt werden. Auf der Vorderseite der ersten Tafel befinden sich Schuldschreibungen des Grafen Konrad von Dortmund, der dem Isaak mit 200 Mark, dem Sam. und der Rixa jeweils mit 20 Mark verpflichtet war. Sechs Einträge später übernehmen die Dortmunder Bürger Gerwinus de Bredenscede, Conradus Cleppinc senior, Arnoldus Suderman, Alvinus de Hirrica, Alvinus de Braken, Johannes Pannicida und Gos. de Ysprincrode 19 Mark von den 200, welche Graf Konrad dem Isaak schuldete. Dies muß mit einer Urkunde vom 10. Oktober 1321 in Verbindung gebracht werden, in der die Stadt Dortmund sich zur Zahlung von 100 Mark an viro Conrado dicto Stecke und zu dessen Freistellung ex parte debitorum quondam comitis Tremoniensis verpflichtet, die sich aus den zuvor genannten Summen Isaaks, Samuels und Rixas zusammensetzte. Das Holzbuch informiert uns noch über weitere Kredite, welche die Stadt Dortmund bei Juden aufnahm: 1.Jowil: 10, 3 und 2 Mark; 2.Samuel: 60 und 10 Mark; 3.Lewentinus: 10 Mark. Mit 60 Mark verschuldeten sich die Dortmunder auch bei den Münsteraner Juden. Bei den gesamten Schuldverschreibungen handelt es sich um Zeugnisse der schrittweisen Übernahme gräflicher Rechte durch die Bürger der Stadt Dortmund. Auf die gleichen Vorgänge werden auch die städtischen Schuldbriefe Bezug nehmen, welche der Rat am 10. Februar 1332 dem Juden Samuel und fünf Tage später dem Juden Joel ausstellte. Noch in den Jahren 1338 - 1344 erschienen Juden als Gläubiger der Stadt Dortmund.

Ergebnisse

In salisch - staufischer Zeit dominierte das königliche Anrecht auf den - erst unter Friedrich II. reichsweit ausgedehnten und als Kammerknechtschaft apostrophierten - Judenschutz. Trotz der spärlichen Quellenlage läßt sich Gleiches auch für die Dortmunder Verhältnisse konstatieren. Die geschwächte königliche Autorität nach dem Interregnum führte jedoch zu einer gesteigerten Bedeutung der Kurfürsten bei der Wahl des deutschen Königs, wodurch nun zunehmend Reichsgut als Wahlversprechen und Pfandgut eingesetzt wurde, welches dem Reich verloren ging.

Für Dortmund als Reichsstadt hatte dies zur Folge, daß die königlichen Rechte an der Stadt zumeist den Kölner Erzbischöfen versprochen und nach der Wahl auch übertragen wurden. Unter Albrecht von Habsburg gehörten im Jahre 1298 auch die Dortmunder Juden explizit dem zugesicherten Reichsgut an. Den Erzbischöfen von Köln gelang es dennoch nicht, ihre Ansprüche gegenüber den Grafen von der Mark, deren Selbstbewußtsein sich nach der Schlacht bei Worringen (1288) erheblich gesteigert hatte, durchzusetzen. Als Territorialherren erhielten diese im Jahre 1301, nach den heftigen Auseinandersetzungen zwischen König Albrecht, dem Kölner Erzbischof und dem Rat sowie der Dortmunder Judenschaft, ebenfalls den Judenschutz in der Stadt und ganz Westfalen. Dieses Privileg gaben die Grafen in der Folgezeit faktisch nicht mehr ab, und sie haben im Gegensatz zum Kaiser, welcher das Judenregal zunehmend als Einnahmequelle ansah, auch reale Schutzfunktionen ausgeübt. Denn sie verteidigten die Dortmunder Juden gegen städtische Übergriffe, selbst wenn diese auf kaiserlichen Befehl hin erfolgten. Zugleich müssen die Grafen von den Juden als Garanten ihrer Sicherheit verstanden worden sein. Nicht zuletzt waren es die Juden selbst, die sich kaiserlichen Sonderansprüchen und erzbischöflichen Ambitionen verweigerten.

Zur Zeit der Pest fand diese Entwicklung ihr Ende durch die Pogrome Mitte des 14. Jahrhunderts. In deren Verlauf wurden die Dortmunder Juden, wenn auch vermutlich nicht wie andernorts getötet, so doch als 'Präventivmaßnahme' zum Schutze der Christenheit inhaftiert und später vertrieben. Ihr Hab und Gut teilten sich die Stadt und der Graf von der Mark, wobei sie sich gegenseitig des Beistands gegen eventuelle Forderungen oder Anschuldigungen des Kaisers oder Kölner Erzbischofs versicherten. Erst zwanzig Jahre nach den Greueltaten fanden seit 1373 wieder Juden in Dortmund Aufnahme.


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