Dynamische Geometrie mit dem Computer

Geometrische Konstruktionen mit Zirkel und Lineal sind die Domäne der Schulmathematik. "Wie halbiert man einen Winkel?" "Wenn man so und so drei Geraden konstruiert, dann schneiden sie sich - oh wunder - genau in einem Punkt." Es gibt einige Computerprogramme, die diesen Bereich unterstützen. Sie werden unter dem Sammelbegriff "Dynamische Geometrie Programme" gehandelt und sind mir in der letzten Zeit verstärkt ins Auge gefallen. Ich glaube, daß sie auch an der Universität zur Veranschaulichung von geometrischen und mechanischen Zusammenhängen eingesetzt werden können. Die folgenden fünf Programme sollen hier einer kleinen Besprechung unterzogen werden:

Die Existenz dieser Programme ist der sich im Internet austauschenden Wissenschaftswelt lange Zeit weitgehend verborgen geblieben. Vor zwei Jahren habe ich auf einer Computer-Algebra-Veranstaltung, an der auch Mathematik-Lehrer und Mathematik-Didaktiker teilnahmen, die Namen von einigen der hier besprochenen Programmen erfahren. Wieder zurück, setzte ich mich gleich hin, um mehr Informationen im Internet zu finden. Ohne nennenswerten Erfolg. Daß die Situation jetzt anders ist, liegt daran, daß die Schulen, genauer gesagt die Lehrer, verstärkt ins Internet drängen und das Netz als ihr Austauschmedium entdecken. Dies wird sicher auch den Austausch zwischen Schule und Hochschule in Deutschland fördern. Im Anhang zu diesem Artikel geben wir noch einige "Surf-Tips" zum Thema Schulmathematik. Kommen wir aber jetzt zu den Geometrie Programmen.
 

Euklid

Euklid ist ein Shareware-Programm, das man sich frei im Internet herunterziehen kann. Der Autor Roland Mechling ist Lehrer für Mathematik, Physik und Informatik an einem Gymnasium. Shareware bedeutet, daß das Programm frei verteilt und ausprobiert werden kann, daß man es aber für eine produktive Nutzung lizensieren muß. Da es sich um ein Lehr- und Lern-Werkzeug handelt, schließt die produktive Nutzung natürlich den Einsatz in Schule und Hochschule ein.

Auffällig am Programm ist die übersichtliche Menü-Führung. Man kann sehr schnell zwischen vier verschiedenen Symbolleisten wechseln, und durch "Ballonhelps" und Aufforderungen in einer Statuszeile ("Gerade auswählen") erhält man sehr schnell einen Überblickt, was man machen kann und wie es geht.

Fangen wir jetzt an zu "konstruieren". Man setzt einen Punkt, noch einen Punkt, eine Gerade durch die beiden Punkte, usw. Das Auswählen einer Konstruktionsart (z.B. "Punkt auf eine Gerade setzen") gilt bei diesem Programm immer nur für ein einmaliges Durchführen dieser Konstruktion. Das hat zwei Vorteile: Erstens führt es zu weniger Fehlern, da man sich jedesmal neu entscheiden muß, welche Konstruktion man ausführen will. Zweitens wird das Programm nach jeder einzelnen Konstruktion in einen Modus versetzt, in dem man die Objekte anpacken und bewegen kann. Die geometrischen Verknüpfungen ("Punkt liegt auf Gerade") bleiben bei diesen Bewegungen natürlich erhalten. Diesen "Zug-Modus" gibt es bei allen hier besprochenen Programmen, und er ist letztlich ja auch der Sinn der Programme. Eine weitere Funktionalität, die auch alle Programme haben, ist das Erzeugen von "Ortslinien". Bei Euklid klickt man zunächst auf "Ortslinie aufzeichnen". Danach wird man aufgefordert, den Punkt auszuwählen, dessen Ortslinie man aufzeichnen möchte. Jetzt ist man wieder im "Zugmodus". Bewegt man nun einen Basispunkt, hinterläßt der Aufzeichnungspunkt eine Spur aus vielen Einzelpunkten.

Internet-Link:
http://home.t-online.de/home/roland.mechling

 

Zirkel und Lineal

"Zirkel und Lineal" ist ein Public-Domain-Programm, daß es auch in einer englischen Version gibt. Es ist von Dr. R. Grothmann, der Privatdozent an der Katholischen Universität Eichstätt ist. Er ist übrigens auch der Autor des Programms EULER, das ein interaktives Mathematik-Programm zum numerischen Rechnen ist, und Programmier- und Plot-Funktionalitäten besitzt. Jetzt aber zu "Zirkel und Lineal".

Die Konstruktionsmöglichkeiten von "Zirkel und Lineal" sind im wesentlichen die gleichen wie bei Euklid. Lediglich die Handhabung ist etwas anders. Im Gegensatz zu Euklid ist hier eine Konstruktionsmethode solange eingestellt, bis man eine andere wählt, oder bis man z.B. auswählt, daß man die Objekte bewegen möchte. Ortslinien werden wie bei Euklid aufgezeichnet. Es werden aber nicht einzelne Punkte gezeichnet, sondern Polygone. Das sieht zunächst etwas ansprechender aus. Fährt man beim Aufzeichnen der Linie aber etwas zu schnell, können Teile der Kurve abgeschnitten werden (d.h. die Kurve nimmt Abkürzungen und wird eckig). Die Beschriftungsmöglichkeiten sind hier etwas eingeschränkter als bei den anderen Programmen.

Internet-Link:
http://mathsrv.ku-eichstaett.de/MGF/homes/grothmann/car.html

 

Geolog

Das Programm Geolog ist von Gerhard Holland, der Professor für Didaktik der Mathematik an der Universität Gießen ist. Es wird kommerziell vom Dümmler Verlag vertrieben. Mir liegt eine Demo-Version vor, die man bei Prof. Holland an der Universität Gießen downloaden kann. Das ist das vollständige Programm, aber das Abspeichern der Konstruktionen ist nur möglich, wenn ein Lizenzschlüssel installiert ist. Geolog beinhaltet neben dem eigentlichen GEOLOG noch die Systeme GEOCON und GEOPROOF, GEOEXPERT. Dabei sind GEOCON und GEOPROOF zwei "Task-orientierte Tutorien-Systeme". Einmal steht die geometrische Konstruktion im Mittelpunkt und einmal der geometrische Beweis. Mit GEOEXPERT wird das Erstellen von GEOCON- und GEOPROOF-Tutorien unterstützt.

Wir wollen uns hier aber nur mit Geolog selbst befassen. Die verschiedenen Konstruktionsmöglichkeiten sind in Gruppen zusammengefaßt. Man klickt z.B. zunächst auf "Punkt einfügen" und entscheidet in einem Untermenü um welche Art Punkt es sich handeln soll, also ein frei plazierter Punkt, ein Punkt auf einer Linie oder der Schnittpunkt von zwei Linien. Brauchbar ist z.B. der "Autoname"-Modus der den Objekten automatisch Namen gibt (A, B, C, a, b, c, ...) und sie beschriftet. Die durchgeführte Konstruktion wird in einem "Programm"-Fenster protokolliert und man könnte die Konstruktion auch mit eingetippten Kommandos fortführen. Das Erzeugen von Ortskurven gelingt hier nicht so unmittelbar wie bei den beiden vorherigen Programmen. Schaut man sich mitgelieferte Beispiele an, wird klar, daß die Philosophie hier etwas anders ist. In der Kommandodatei des Beispiels wird z.B. der Radius eines Kreises in Abhängigkeit einer anderen Größe arithmetisch (also nicht geometrisch) definiert und die Ausgangsgröße in einer Animation variiert. Dabei werden die Positionen eines ausgewählten Punktes bei jedem Animationsschritt aufgezeichnet.

Internet-Link:
http://www.uni-giessen.de/math-didaktik/holland.htm

 

Cabri Géomètre II

Dies ein kommerzielles Programm, das aus Frankreich kommt, aber in vielen Sprachen angeboten wird. Ursprünglich in der Macintosh-Welt beheimatet, gibt es jetzt auch eine Windows-Version. Die mir vorliegende Demo-Version kann man im Internet bei der Firma Cabri Géomètre in Frankreich, oder bei Texas Instruments bekommen. Texas Instruments bietet für Schulen den TI-92 an. Das ist eine Art Taschenrechner, auf dem neben einer Version des Computer-Algebra-Systems Derive auch eine Version von Cabri Géomètre fest verdrahtet ist. Die Demo-Version von Cabri II enthält keine Dokumentation, läuft immer nur 15 Minuten und man kann nichts abspeichern.

Bei der Benutzeroberfläche fällt auf, daß es nur sehr wenige Klick-Buttons gibt. Die Funktionalität, die man damit erreicht, ist aber beachtlich, da die ausgewählten Zeichenoperationen immer kontextbezogen interpretiert werden. Fährt man mit dem Mauszeiger über das Bild, wird immer angezeigt, welches Objekt fokussiert ist ("Dieser Strahl", "Dieser Punkt"). Hierbei werden auch Schnittpunkte erkannt, ohne daß man vorher in einer gesonderten Operation den Schnittpunkt als Objekt eingefügt hat. Trotzdem fehlen zunächst einige Operationen. Irgendwann merkt man dann, daß sich hinter jedem Menü-Button ein kleines Untermenü verbirgt, das nur erscheint, wenn man den Knopf etwas länger geklickt hält. So wechselt man die Bedeutung des Knopfes von z.B. "Gerade zeichnen" auf "Strecke zeichnen".

Mehr Einarbeitungszeit benötigt man auch für das Aufzeichnen einer Ortskurve. Zunächst muß man finden, wo sich der entsprechende Menüpunkt hinter einem Knopf verbirgt. Bewegt man sein Gebilde im Zug-Modus, fällt ein entscheidender Unterschied zu den anderen Programmen auf. Nehmen wir ein Beispiel. Wir setzen zwei Punkte und ziehen dadurch eine Gerade. Die Punkte können nun frei bewegt werden, wodurch sich die Gerade entsprechend mitbewegt. Bei den anderen drei Programmen läßt sich die Gerade selbst nicht anfassen und bewegen. Ihre Position ist durch die Punkte eindeutig und fest bestimmt. Anders bei Cabri II. Hier läßt sich auch die Gerade mit der Maus anfassen und bewegen. Dabei bewegen sich die Punkte automatisch mit. Dieses Nachziehen der Punkte ist aber von der Geometrie nicht eindeutig. Schon Figuren mit kleiner Komplexität können einem dabei leicht unvorhersehbar aus den Fugen geraten. Man kann sich aber helfen, indem man Objekte feststeckt. Somit hat man insgesamt flexiblere Möglichkeiten, muß aber eine größere Kompliziertheit in Kauf nehmen.

Es sollte noch erwähnt werden, das es in Cabri II neben Kreisen auch allgemeine Kegelschnitte (also Ellipsen, Parabeln und Hyperbeln) als Objekte gibt.

Internet-Link:
http://www-cabri.imag.fr/ und http://www.ti.com/calc/docs/cabriwin.htm

 

 

Geometer’s Sketchpad

Das Programm Geometer’s Sketchpad wird von dem amerikanischen Verlag Key Curriculum Press angeboten. Es gibt ebenfalls eine Demo-Version, die aber in manchen Punkten eingeschränkt ist.

Das geometrische Konstruieren erfolgt ähnlich wie bei Cabri II, ist aber nicht ganz so intuitiv. Dinge wie Mittelsenkrechte oder Winkelhalbierende können nicht per Mausklick eingefügt werden, sondern müssen "wie es im Buche steht" konstruiert werden. Ortslinien konnten mit der Demoversion nicht erzeugt werden. Vermutlich muß man dazu auf die Programmiermöglichkeiten von Sketchpad zurückgreifen. Mit diesen "Programm-Scripts" kann man wohl noch eine Menge machen, wie das reichhaltige Beispielmaterial zeigt. Hierbei wird ein sehr großer Teil der visuellen Mathematik abgedeckt. Z.B. lassen sich Kurven (z.B. arithmetische Funktionen) in einem Koordinatensystem darstellen und interaktiv animieren. In die Konstruktionen können Objekte aus anderen Anwendungen OLE-mäßig eingebunden werden. Aus den Beispielen geht ebenfalls hervor, das man Flächen farbig füllen kann. Wie es geht, war aber nicht festzustellen. Von den anderen Programmen hat nur Geolog ebenfalls diese Funktionalität.

Internet-Link:
http://www.keypress.com

 

Zusammenfassung

Wer einmal ein wenig mit der dynamischen Geometrie herumprobieren möchte, oder sich geometrische Sachverhalte klarmachen will, ist mit "Zirkel und Lineal" gut beraten. Außerdem ist es kostenlos. Will man das Programm etwas professioneller einsetzen, z.B. für die Unterrichtsvorbereitung, zum Erstellen von Graphiken für Scripte oder Publikationen, oder will man das Programm direkt im Unterricht verwenden, wird man sich eher für das Shareware-Programm Euklid entscheiden. Man kann seine Beispiele besser graphisch gestalten und beschriften, die Benutzerführung ist sehr ansprechend und (z.B. für Schüler) leicht zu verstehen. Die beiden kommerziellen Programme Geolog und Cabri II bieten eine größere Gesamtfunktionalität, die man sich aber mit einer schwierigeren Handhabung erkauft. Man sollte hier genau hinsehen, welche Dinge man wirklich haben will. Geolog ist vielleicht durch seine algorithmischen Funktionalitäten interessant, und Cabri II eher durch seine erweiterten geometrischen Möglichkeiten. Wenn es um das reine geometrische ad hoc Konstruieren geht, scheint das Programm Geometer’s Sketchpad hinter den anderen zurückzuliegen. Für die Vorbereitung von interaktiven Unterichtsmaterial bietet es dem Eingearbeiteten aber sehr viele Möglichkeiten, die auch ein größeres mathematisches Anwendungsfeld abdecken, als die anderen vier Programme.

 

Und was noch?

Immer wenn es heute in der EDV um Bewegung und Interaktion geht, fällt auch irgendwann das Stichwort Java. Java ist eine Programmiersprache, die sich besonderes deshalb zunehmender Beliebtheit erfreut, weil die heutigen Internet-Browser gleichzeitig Java-Interpreter sind. So können Java-Programme in WWW-Seiten eingebunden werden, und im Browser des Betrachters ablaufen. Hier sind Aktivitäten im Gange, die das Ziel haben, dynamische Geometriemodelle mit Hilfe von Java auf Web-Seiten zu präsentieren. Hier einige Internet-Links zu diesem Thema:

The Geometry Applet von David E. Joyce. Hier findet man unter anderem einen Online-Text zu Euklid’s Elementen mit dynamischen Illustrationen.

Das GEONET-Applet und ein "Mathematisches Kabinett" des Instituts für Didaktik der Mathematik an der Universität Bayreuth "Cinderella’s Cafe" von Jürgen Richter-Gebert und Ulrich Kortenkamp, ausgezeichnet mit dem Multimedia-Innovationspreis des Südwestfunks Baden-Baden Java Sketchpad (Java-Version von Geometers’s Sketchpad) Die Seite "Manipula Math with Java" der japanischen Firma "International Education Software"

Anhang

Hier noch einige Internet-Tips zum Thema Schulmathematik.

"learn:line" Bildungsserver NRW

Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet e. V. Mathe-Treff der Bezirgsregierung Düsseldorf Ka’s Geometriepage Hans-Jürgen Elschenbroichs Mathe-Werkstatt  
Burkhard Wald (( 2921)
wald@hrz.uni-essen.de