Twinning in den EU-Außenbeziehungen zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit : Policy-Transfer am Beispiel von EU-Twinning-Projekten der IRZ
Der Transferprozess zur Rechtsstaatsförderung in den Außenbeziehungen der Europäischen Union (EU) durch Justiz-Twinnings ist bislang eine wissenschaftliche terra incognita. Twinning ist ein langjähriges Instrument der Europäischen Kommission mit Projektcharakter zum Institution Building und zur Vermittlung des EU-Acquis. Es beruht auf dem Grundgedanken einer Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen öffentlichen Institutionen der Mitgliedsstaaten der EU und Partnerstaaten der EU-Außenbeziehungen. Twinnings bilden als Instrument die Grundlage für die horizontale Ebene des Transferprozesses, d.h. einer bilateralen Kooperation, im Rahmen eines originären Europäisierungsgedankens. Der Justizsektor gehört zu einem der wichtigsten Anwendungsbereiche von Twinning, der jedoch selbst innerhalb der EU noch nicht vollharmonisiert ist.
Es soll mit vorliegender Dissertation erstmals das Instrument Twinning zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit untersucht und ein Überblick über den Transferprozess auf der Mikroebene geschaffen werden. Im Fokus steht die Forschungsfrage: „Wie erfolgt der Transferprozess zur Rechtsstaatsförderung im Rahmen von deutschen Justiz-Twinnings als Instrument der Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik und inwieweit führt dieser Prozess zu einer Europäisierung?“.
Gegenstand der Untersuchung bilden Justiz-Twinnings der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit e.V. (IRZ) aus den Jahren 1998 bis 2019. Mit Hilfe eines Mixed-Methods-Ansatzes wurden Expert*inneninterviews und zwei Onlinebefragungen durchgeführt sowie Daten durch die Dokumentenanalyse generiert und integrativ ausgewertet. Die Analyse erfolgte aus der Mitgliedsstaatsperspektive Deutschlands. Ziel war es, eine umfangreiche Datenbasis über Twinning in der Justiz zu generieren, um den Transferprozess der Rechtsstaatsförderung mit seinen Ursachen, Vorbildern, Inhalten, Bedingungen, Ergebnissen und besonders seinen Akteur*innen mit dem Modell der externen Europäisierung durch einen Multi-Level-Policy-Transfer untersuchen und erklären zu können.
Twinning hat seinen programmatischen Ursprung in der Erweiterungs- und Nachbarschafts-politik und ist grundsätzlich ein Europäisierungsinstrument. Die Rechtsstaatsförderung als Top-Thema der EU-Außenbeziehungen ist jedoch eine komplexe Herausforderung für das Instrument, das nicht immer in EU-Strategien o.ä. eingebettet war. Der Transferprozess zur Rechtsstaatsförderung mit Justiz-Twinnings basiert mithin auf einem triangulären Akteursverhältnis, das einem großen Konglomerat an Bedingungen unterliegt und seine inhaltliche Basis vorrangig im mitgliedsstaatlichen Recht, Europäischen Standards und soweit vergemeinschaftet, im EU-Acquis findet. Mit Blick auf die mitgliedsstaatlichen Akteure bleibt festzuhalten, dass erhebliche Defizite in der dienstrechtlichen und personalstrategischen Unterstützung der Einsätze der Expert*innen für Justiz-Twinnings bestehen. Justiz-Twinning Deutschlands finanzieren sich vorrangig aus der intrinsischen Motivation der Expert*innen für die internationale rechtliche Zusammenarbeit.
Justiz-Twinnings finden ihr Vorbild nicht in einem EU-Modell, sondern sie werden vom Wettbewerb der Justiz-Systeme der Mitgliedsstaaten getragen. Die Europäisierung erschöpft sich hierbei mehr als in einem Regeltransfer, vielmehr im Best-Practice-Austausch und der Bewusstseinsförderung. Der Partnerschaftsgedanke von Twinning ist in der Justiz jedoch nicht 1:1 umsetzen und wird mit zunehmender geografischen Ausweitung schwieriger. Den Charakter als Kollegialinstrument in der Twinning-Generation 1.0 und 2.0 hat Twinning verloren. Justiz-Twinnings dienen nicht mehr nur der punktuellen Unterstützung bei Justizdefiziten und dem Feinschliff zum EU-Beitritt, sondern fungieren nunmehr als Generalinstrument in Staaten mit z.T. erheblichen Rechtsstaatlichkeitsdefiziten. Es besteht die Herausforderung, dass das Instrument in den EU-Außenbeziehungen nicht verbraucht wird und mit seinem originären besonderen Charakter erhalten bleibt.
The transfer process for the promotion of the rule of law in the external relations of the European Union (EU) through justice twinnings has so far been an academic terra incognita. Twinning is a long-standing instrument of the European Commission with a project character for institution building and for transferring the EU acquis. It is based on the fundamental idea of a peer to peer partnership between public institutions of EU member states and partner states in EU external relations. As an instrument, twinning forms the basis for the horizontal level of the transfer process, i.e. bilateral cooperation, within the framework of an original Europeanisation idea. The justice sector is one of the most important areas of application for twinning, although it is not yet fully harmonised even within the EU.
This dissertation is the first to analyse twinning as an instrument for promoting the rule of law and to provide an overview of the transfer process at the micro level. The focus is on the research question: "How does the transfer process for the promotion of the rule of law take place within the framework of German judicial twinning as an instrument of enlargement and neighbourhood policy and to what extent does this process lead to Europeanisation?".
The subject of the study are justice twinnings of the German Foundation for International Legal Cooperation (IRZ) from the years 1998 to 2019. Using a mixed-methods approach, expert interviews and two online surveys were conducted and data was generated and analysed integratively through document analysis. The analysis was conducted from the perspective of Germany as a member state. The aim was to generate a comprehensive database on justice twinnings in order to be able to examine and explain the transfer process of rule of law promotion with its causes, role models, content, conditions, results and especially its actors with the Model ofExternal Europeanisation through a Multi-Level Policy Transfer.
Twinning has its programmatic origins in enlargement and neighbourhood policy and is fundamentally a Europeanisation instrument. However, promoting the rule of law as a top issue in EU external relations is a complex challenge for the instrument, which has not always been embedded in EU strategies or similar. The transfer process for promoting the rule of law with justice twinnings is therefore based on a triangular relationship between actors, which is subject to a large conglomerate of conditions and finds its substantive basis primarily in Member State law, European standards and, where communitised, in the EU acquis. With regard to the member state actors, it should be noted that there are considerable deficits in the legal and strategic personnel support for the assignments of justice twinning experts. Germany's justice twinnings are primarily financed by the intrinsic motivation of the experts for international legal cooperation.
Justice twinnings are not based on an EU justice model, but instead driven by competition between judicial systems of member states. Europeanisation is more than a transfer of rules, but rather an exchange of best practice and the promotion of awareness. However, the partnership concept of twinning cannot be implemented 1:1 in the judiciary and becomes more difficult with increasing geographical expansion. Twinning has lost its character as a collegial instrument in Twinning Generation 1.0 and 2.0. Justice twinning no longer only serves to provide selective support for judicial deficits and to fine-tune EU accession, but now functions as a general instrument in states with, in some cases, considerable rule of law deficits. The challenge is to ensure that the instrument is not used up in EU external relations and retains its original special character.