Indigene Psychologie in der Türkei

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es eine umfangreiche Indigenisierung (siehe Kapitel 2.3.6) als eine Bewegung in der Türkei als solche nicht gibt, obwohl Bemühungen in Richtung der indigenen Psychologie bereits existieren (Kökce, 2011, S. 63). Die Bewegungen im Sinne der indigenen Psychologie nahmen mit Çiğdem Kağıtçıbaşı ab den 1980er Jahren ihren Anfang auf dem türkischen Territorium. Diesbezüglich können weitere Persönlichkeiten, wie z. B. Sibel Arkonaç, Nebi Sümer und Olcay İmamoğlu, genannt werden, die für ihre kritischen Haltungen gegenüber der westlichen Psychologie in der Türkei bekannt sind und eine indigen-orientierte türkische Psychologie unterstützen (Kökce, 2011, S.62). Zunächst lässt sich, wie in dem theoretischen Teil herausgearbeitet, feststellen, dass die indigene Psychologie eine „politische Bewegung“ (Dueck/Ting/Cutiongco, 2007, S. 59) ist. In dieser Hinsicht deutet sowohl die bereits erwähnte antiamerikanische als auch die antieuropäische Haltung der indigenen Psychologie auf eine klare politisch ausgerichtete Strömung hin. Darüber hinaus sollte unterstrichen werden, dass die Unterscheidung bzw. Trennung der Wissenschaft nach Herkunft als Ost und West aus der Perspektive des indigen-psychologischen Ansatzes ebenfalls kritisch betrachtet werden sollte. In diesem Kontext lässt sich die Frage stellen, warum ein kulturinformierter Ansatz keine verbindende Rolle übernimmt. Außerdem sollte noch einmal daran erinnert werden, dass die Wissenschaft nicht von politisch-nationalen Interessen geprägt werden sollte. Die indigene Psychologie spielte in den als Beispiele ausgesuchten psychologischen Fachbereichen türkischer Universitäten weder in den Lehrplänen noch in Studienprogrammen oder wissenschaftlichen Forschungen eine sichtbare Rolle. Sowohl in dem durchgeführten ExpertInnengespräch, den ExpertInneninterviews als auch dem Forschungsstand der indigenen Psychologie stellt sich heraus, dass der indigene Ansatz in der Türkei kaum zu finden ist, während nach den bisherigen Recherchen der Verfasserin die türkischsprachige Literatur reichlich Stoff zum Thema Subgruppen in der Türkei bietet. Ausgehend von dem empirischen Teil dieser Arbeit kann auch konstatiert werden, dass die indigene Psychologie im türkischen Kontext sowohl in der Lehre als auch im Bereich der Forschung kaum sichtbar vertreten wird. Demgegenüber überwiegen eine positive Einstellung zu indigener Psychologie und ein akademischer Widerstand (d. h. Verweigerung) innerhalb der türkischen Akademie gegenüber der indigenen Psychologie in der Türkei. Zudem herrscht eine Unzufriedenheit über den heutigen Zustand der indigen orientierten Psychologie in der Türkei. Diesbezüglich könnte sogar gefragt werden, wie auch insbesondere aus einigen ExpertInneninterwiews hervorgeht, ob und inwiefern eine türkische indigene Psychologie überhaupt existiert. Als Gefahren der indigenen Psychologie könnten, wie sich die ExpertInnen in der Studie 4 bereits geäußert haben, vor allem die Entfernung von der Wissenschaft sowie Ethnozentrismus genannt werden. Geschichtlich betrachtet und wie bereits in den Abschnitten über die Darüşşifas und Musiktherapie in der Türkei dargelegt wurde, können die Therapiearten (etwa die Musik-, Wasserklangtherapie und Therapien mit Düften) in den Jahren vor der Modernisierung der akademischen Psychologie im türkischen Kontext als mögliche indigene Bemühungen betrachtet werden. Diese wurden jedoch zu Beginn des 20. Jahrhundert von der akademische-westlichen Psychologie überschattet. Diese zentralen Forschungsfragen lassen sich, auf der Basis der hier dargestellten Recherchen und Ergebnissen in der Kürze wie folgt beantworten: 1) Es existieren kaum wissenschaftliche Tätigkeiten bezüglich der indigenen Psychologie im türkischen Kontext. 2) Fundierend auf dem empirischen Teil wurden unterschiedliche indigene Modelle festgestellt, die jedoch nicht tatsächlich, sondern nur angeblich indigen-psychologisch orientiert sind. 3) Es handelt sich hinsichtlich der indigenen Psychologie nicht um ein verbreitetes Wissen. Abschließend ist zu betonen, dass unklar ist, inwiefern, wie stark und ob die indigene Psychologie in der wissenschaftlichen Psychologie in Zukunft eine Rolle spielen wird. Die Relevanz, Notwendigkeit, Brauchbarkeit und Überlebenschance des indigenen Ansatzes neben der Kulturpsychologie und kulturvergleichenden Psychologie anhand der im theoretischen Teil erwähnten Kritiken sind ebenfalls ein Thema, mit dem wir uns noch beschäftigen sollten. Die zukunftsbezogene Überlebenschance der indigenen Psychologie wurde im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht thematisiert. Dennoch könnte sie als Anregung für weitere Forschungen dienen. Anhand der in der Schlussfolgerung vorgestellten Ergebnisse könnte eventuell für die weiteren Forschungen interessant werden, dem nachzugehen, warum die indigene Psychologie, wie es diese Dissertation empirisch gezeigt hat, eine etwas schwache Präsenz innerhalb der türkischen Psychologie aufweist. In diesem Zusammenhang können die Gründe dieser schwachen Präsenz ausführlich betrachtet werden. Ein weiterer Forschungsbedarf könnte darin liegen, der folgenden Frage nachzugehen: Wer sind die Indigenen? Aus welchen Subgruppen bestehen sie? In einem multikulturellen Kontext wie der Türkei wird diese Fragestellung im Zusammenhang mit der indigenen Psychologie als Sammelbegriff unabdingbar.

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