Schriftsprachliche Kompetenzen in der Sekundarstufe II : Eine empirische Untersuchung

Standardisierte oder schul- und stufenübergreifende Sprachstandsfeststellungen werden in der Sekundarstufe II an den Schulen üblicherweise nicht durchgeführt und die Überprüfung des sprachlichen Lernstands wird im Rahmen der schriftlichen Arbeiten in der Oberstufe – und hier vor allem im Fach Deutsch – geleistet. Ergebnisse wie beispielswiese  die der DESI-Studie (2003/2004) zeigen allerdings, dass ein nicht geringer Teil der Jugendlichen in der Klasse 9 über nicht hinreichend ausgebaute basale schriftsprachliche Kompetenzen verfügt ebenso wie neuere Untersuchungen an der Universität Duisburg-Essen belegen, (vgl. A. Bremerich-Vos/D. Scholten-Akoun et al., 2016), dass Studierende in der Studieneingangsphase teilweise mit erheblichen Sprachkompetenzdefiziten an der Universität beginnen.

Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass auf basale schriftsprachliche Kompetenzen in der Oberstufe nicht fraglos zurückgegriffen kann und Studierende die festgestellten Defizite bereits aus der Schule an die Universität mitbringen. Zu Beginn der Sekundarstufe II sollte daher eine Diagnose der allgemein- und bildungssprachlichen Kompetenzen der Schüler*innen durchgeführt werden; ergänzend zu der allgemeinen Rückmeldung zur sprachlichen Kompetenz, die an der Schule i. d. R. im Rahmen von Klausurkorrekturen erfolgt, um so die Voraussetzung für eine zielgenaue sprachliche Förderung zu schaffen. In dem Bestreben, eine Einschätzung sowohl der allgemeinsprachlichen Kompetenzen als auch spezifischer sprachlicher Fähigkeiten vornehmen zu können, wurde im Rahmen der vorliegenden Dissertation ein Testinstrument, ein linksseitig getilgter C-Test, für den Einsatz in der Sekundarstufe II entwickelt und erprobt.

Insgesamt wurden dazu Daten von etwa 1585 Schüler*innen an insgesamt 15 verschiedenen Schulen in 8 Städten in NRW in der Einführungs- und Qualifikationsphase I der gymnasialen Oberstufe erhoben und ausgewertet. Die empirische Analyse der erhobenen Daten zeigt, dass der entwickelte C-Test für die Oberstufenschüler*innen eine annähernde Normalverteilung der Ergebnisse hervorbringt und gut differenziert, d. h. für die Zielkohorte weder zu schwierig noch zu leicht ist. In Korrelationsanalysen konnten Korrelationen im mittleren Bereich zwischen dem C-Test und der Deutschnote und dem C-Test und einem standardisierten Lesetest (LGVT 6-12) ermittelt werden.

Im Rahmen der vorliegenden Dissertation wurde darüber hinaus der Frage nachgegangen, wie die allgemeinen Sprachkompetenzen in der gymnasialen Oberstufe ausweislich der C-Testergebnisse verteilt sind bzw. ob sich gruppenspezifische Unterschiede bei der Leistungsverteilung (z.B. in Bezug auf Schulform, Schulstandorttyp, Alter, Geschlecht, Sprachverwendung) erkennen lassen. Auf der Grundlage der im Rahmen dieser Studie erhobenen Daten weist insgesamt ein Viertel aller getesteten Oberstufenschüler*innen einen Förderbedarf im Bereich der mit dem C-Test gemessenen grundlegenden schriftsprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten auf.

Durch die Erfassung der Hintergrundvariablen wurde ebenfalls bestätigt, dass bestimmte Gruppen ausweislich der C-Test-Ergebnisse insgesamt häufiger Förderbedarfe zugeschrieben werden als anderen. So unterscheiden sich die Ergebnisse der Schüler*innen in Bezug auf die Schulform signifikant voneinander bzw. wirkt sich das Merkmal Schulform signifikant auf die gemessene Sprachkompetenz aus: Die durchschnittlich erbrachten Leistungen an den Gymnasien liegen dabei deutlich über den Leistungen der Gesamtschulen, an denen der Anteil von Schüler*innen mit großem Förderbedarf in der hier vorliegenden Stichprobe dreifach höher ist als an den Gymnasien. Die Merkmale Geschlecht, der Bildungsgrad der Eltern und der Schulstandorttyp zeigten im Regressionsmodell hingegen keinen oder einen nur schwachen Einfluss auf die gemessene Sprachkompetenz und eignen sich daher nur bedingt als Prädiktorvariablen. Im Vergleich zur Gruppe der monolingual deutschsprachigen Schüler*innen finden sich mehrsprachige Schüler*innen doppelt so häufig in Leistungsbereichen wieder, für die der C-Test Förderbedarf ausweist. Von den in dieser Arbeit erfassten Hintergrundmerkmalen hat die Variable Mehrsprachigkeit in der hier vorliegenden Untersuchung den insgesamt größten Einfluss auf das C-Test-Ergebnis. 

Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse und einer sich wandelnden gesellschaftlichen und demografischen Realität erweist sich die Diagnose und Überwindung sprachlicher Defizite nicht nur für die Hochschulen als essentiell, sondern für ein gesamtes integratives Bildungssystem, das gleiche Chancen – unabhängig von Herkunft oder Ethnie – bietet.

Literatur:

Bremerich-Vos, A. & Scholten-Akoun, D. (Hrsg.) (2016). Schriftsprachliche Kompetenzen von Lehramtsstudierenden in der Studieneingangsphase. Eine empirische Untersuchung. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.

DESI-Konsortium (Hrsg.) (2008). Unterricht und Kompetenzerwerb in Deutsch und Englisch – Ergebnisse der DESI-Studie. Weinheim, Basel: Beltz Verlag

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