Eine neue Ökozentrik : Ein konstruktivistischer Beitrag zur Bildung einer nachhaltigkeitsorientierten Perspektivität in der Raum- und Strukturplanung
Eine neue Ökozentrik stellt die Idee eines konstruktivistischen Erkenntnisprinzips und Handlungsideals, das eine möglichst nahbare, gänzliche und uniforme Orientierung in Bezug auf ein in nachhaltiger Ordnung und Steuerung einzurichtendes System herzustellen sucht, vor und bietet damit einen erkenntnistheoretischen Lösungsansatz für das Problem der nachhaltigkeitsbezogenen Theorie-Praxis-Lücke an. Praktisch umsetzen lässt sich die Idee einer neuen Ökozentrik über die Idee eines perspektivischen Übergangs als deren methodisches Prinzip und folgern lässt sich aus ihr der erkenntnistheoretische Ansatz eines Weltsystemkonstruktivismus. Alle drei Ideen streben zusammen die Überkunft des Nachhaltigkeitsdilemmas an.
Ziel der Formulierung der Idee einer neuen Ökozentrik ist die Ermöglichung einer nachhaltigkeitsorientierenden Systemordnung und -steuerung, insbesondere für die Zwecke der Struktur- und Raumplanung beziehungsweise generell für alle Entscheidungs- und Entscheidungsfindungsprozesse, die direkt oder indirekt die Veränderung des alle Existenz essentiell grundlegenden Gesamtsystems bedeuten und damit immer über die Kompetenz des Individuellen hinausgehen.
Die Idee einer neuen Ökozentrik basiert im Grundsatz auf der Idee des herkömmlichen Ökozentrismus, welcher als umweltethisches Konzept die selbstkonstruierte und selbstzentralisierende anthropogene Werthierarchieposition innerhalb des globalen Geo-Ökoregims egalisiert, den Begriff Umwelt zu Mitwelt überführt sowie den holistischen Rahmen der ganzheitlichen Verbundenheit dieser herausstellt. Im Kern statuiert der Ökozentrismus beziehungsweise seine Perspektivität, die Ökozentrik, den intrinsischen Wert aller Arten und Ökosysteme und stellt diesen ethisch-moralisch über einzelne Individuen (Dierks 2016: 169). Das mit der Formulierung eines Nachhaltigkeitsdilemmas aufgeworfene erkenntnistheoretische Problem, dass ein gemeinschaftliches Erkennen, welches der Ökozentrismus als notwendige Befähigung voraussetzt, tatsächlich aber unmöglich und Erkenntnis stattdessen immer nur subjektiv und individuell eigen ist, spart dieser in der Anlage der herkömmlichen Ökozentrik aus. Der Ansatz einer neuen Ökozentrik muss entsprechend darin bestehen, die Formulierung ausgehend von der erkenntnistheoretischen Position eines weltsystemisch erweiterten radikalen und relationalen Konstruktivismus1 zu vollziehen.
In dem Sinne erweitert die Idee einer neuen Ökozentrik die herkömmliche Ökozentrik, in dem sie nicht nur eine Unterordnung beziehungsweise Integration des Individuellen in Bezug auf das Kollektive und eine Egalisierung der herausgestellten Position des Anthropogenen gegenüber anderen Lebensformen und Lebenswelten statuiert sondern, ausgehend von der Feststellung, dass so eine Unterordnung beziehungsweise Integration erkenntnistheoretisch unmöglich ist, deren (Re-) Konstruktion als einen individuell bewusst und selbst angeführten Akt und somit die vollständige und selbstbestimmte Unterordnung beziehungsweise Integration des Anthropogenen in dessen systemischen Gesamtkontext fordert. Dies tut sie, ebenfalls die herkömmliche Ökozentrik erweiternd, nicht nur unter ethisch-moralischen Gesichtspunkten sondern basiert auf systemisch-ökonomischen und erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten2, mit dem Ziel, die Umweltgerechtigkeit menschlichen Handelns (und damit das Nachhaltigkeitsprinzip) nicht nur ethisch-moralisch zu fordern, sondern ökonomisch und erkenntnistheoretisch als einzig logische Konsequenz herauszustellen.
Dierks, Jan 2016. Ökozentrik. In Konrad Ott, Jan Dierks und Lieske Voget-Kleschin (Hg.), Handbuch Umweltethik. Stuttgart: J.B. Metzler, 169-177.
1Das System, das Egoexistenz essentiell grundlegt, ist tatsächlich nicht (repräsentiert aber sehr wohl) erkenntlich und wird im Folgenden (im Rahmen der beziehungsweise als Repräsentation) Weltsystem genannt.
2 Das Systemisch-Ökonomische verweist an dieser Stelle auf das Essentielle und das Erkenntnistheoretische auf das Existentielle im Sinne des Paradoxons, dass durch deren Gegensatz gebildet wird.
A new ecocentrism introduces the idea of a constructivist principle of cognition and ideal of action, which seeks to establish the closest possible, complete and uniform orientation with regard to a system to be set up in sustainable order and managment, and thus offers an epistemological approach to solving the problem of the sustainability-related theory-practice gap.
Practically, the idea of a new ecocentrism can be implemented via the idea of a perspective transition as its methodological principle, and as an epistemological approach the idea of a world system constructivism can be deduced from it. All three ideas together strive to overcome what may be called the sustainability dilemma.
The aim of the formulation of the idea of a new ecocentrism is to enable a sustainabilityoriented system order and management, especially for the purposes of structural and spatial planning or, more generally, for all decision-making and decision-making processes that directly or indirectly mean the change of the overall system essentially fundamental to all existence and thus always go beyond the competence of the individual.
The idea of a new ecocentrism is principally based on the idea of conventional ecocentrism, which as an environmental-ethical concept equalizes the self-constructed and self-centralizing anthropogenic value hierarchy position within the global geo-ecoregime, transfers the concept of Umwelt (surrounding environment) to Mitwelt (mutual environment) and emphasizes the holistic framework of the overall interconnectedness of the latter. In essence, ecocentrism, or rather its perspectivity, ecocentrism, statues the intrinsic value of all species and ecosystems and places this ethically-morally above single individuals (Dierks 2016: 169). The epistemological problem raised by the formulation of a sustainability dilemma, that a communal cognition, which ecocentrism presupposes as a necessary enablement, is in fact impossible and that cognition is instead always only subjective and individual, is omitted by the latter in its layout of conventional ecocentrism. Accordingly, the approach of a new ecocentrism must consist in formulating it starting from the epistemological position of a world-systemically extended radical and relational constructivism1.
In this sense, the idea of a new ecocentrism extends the conventional ecocentrism, in which it not only states a subordination or integration of the individual in relation to the collective and an equalization of the emphasized position of the anthropogenic in relation to other forms of life and life worlds, but also, based on the ascertainment that such a subordination or integration is epistemologically impossible, demands its (re-) construction as an individually consciously self-determined act and thus complete and self-determined subordination or integration of the anthropogenic into its systemic overall context. It does this, also extending the conventional ecocentrism, not only under ethical-moral aspects but based on systemiceconomic and epistemological aspects2, with the aim to demand the environmental justice of human action (and thus the principle of sustainability) not only ethically-morally, but economically and epistemologically as the only logical consequence.
Dierks, Jan 2016. Ökozentrik. In Konrad Ott, Jan Dierks und Lieske Voget-Kleschin (Hg.), Handbuch Umweltethik. Stuttgart: J.B. Metzler, 169-177.
1 The system, which essentially founds ego existence, is actually not (represented, however, very well) recognizable and is called world system in the following (in the context of or as representation).
2 The systemic-economic refers at this point to the essential and the epistemological to the existential in the sense of the paradox that is formed by their opposition.