Pseudo-Empathie – Theorieentwicklung und empirische Beiträge

In der vorliegenden Arbeit wird das Konzept der Pseudo-Empathie eingeführt, welches sowohl innere Prozesse als auch eine spezifische Art der Äußerung in einer empathischen Interaktion umfasst. Es wird auf diejenige Person fokussiert, die in einer Interaktion empathische Empfindungen erlebt und auf ihre Äußerung – im Folgenden „Sender“ genannt. Es wird erläutert, dass eine pseudo-empathische Äußerung im Wesentlichen der Emotionsregulation des Senders dient und auf diese Weise eine Coping-Strategie mit emotional belastenden Interaktionen darstellt. Dabei handelt es sich um eine im Alltag vollkommen funktionale Strategie, die kurzfristig Entlastung schafft, jedoch langfristig einen dysfunktionalen Umgang mit emotionalen Interaktionen darstellen kann, beispielsweise im Kontext sozialer Berufe, in denen empathisch fordernde Interaktionen gehäuft auftreten. Es wird angenommen, dass Pseudo-Empathie für den Sender einen Schutzmechanismus vor einer emotionalen Überlastung darstellt, die durch die emotionale Situation der empathieauslösenden Person entstehen kann. Pseudo-Empathie drückt sich typischerweise in verbalen Äußerungen aus, die durch Invalidierung, mangelnde Anerkennung und ein fehlendes Signalisieren empathischen Verstehens gekennzeichnet sind, z. B. „Kopf hoch, das wird schon wieder“, und gehen damit am emotionalen Erleben des Gegenübers vorbei. Während die Effekte von (mangelnder) Empathie auf ihren Empfänger schon häufiger empirisch untersucht wurden, existiert eine Forschungslücke bezüglich der Auswirkungen auf ihren Sender. Das Erkenntnisinteresse der Arbeit besteht zum einen in der theoretischen Fundierung der Funktion, Auswirkungen, Wirkmechanismen und Prämissen von Pseudo-Empathie, zum anderen im Beitrag erster empirischer Befunde. Den theoretischen Rahmen bildet eine integrative Perspektive auf Empathie, die sowohl innere Prozesse als auch die kommunikative Äußerung in Kombination berücksichtigt. Diese beiden Perspektiven fließen in das entwickelte Empathie-/Pseudo-Empathie-Prozessmodell (EPPM) ein. Im EPPM sind die Prozesse modelliert, die einer pseudo-empathischen Äußerung zugrunde liegen. Das Modell wird zudem in ein Rahmenmodell eingebettet, in dem die emotionsregulatorische Funktion von Pseudo-Empathie, kurz- und langfristige Auswirkungen, die Rolle des Kontextes sowie weitere Einflussfaktoren expliziert sind. Um das Modell theoretisch zu stützen, erfolgt die Einbettung in ein nomologisches Netzwerk. Unter den herangezogenen Theorien liefert der Theoriekorpus der Emotionsregulation den bedeutsamsten Erklärungswert für den pseudo-empathischen Prozess. Basierend auf der theoretischen Forschung werden im Rahmen der Arbeit drei Kernannahmen formuliert: (1) Pseudo-Empathie dient der Emotionsregulation des Senders, (2) eine pseudo-empathische Äußerung führt zu einem Erleben von Unauthentizität aufgrund emotionaler Dissonanz und (3) in einem spezifischen Kontext, in dem Pseudo-Empathie kumuliert auftritt, handelt es sich um eine langfristig dysfunktionale Strategie; hierbei wird angenommen, dass Pseudo-Empathie mit stressbedingten Symptomen und einer Beeinträchtigung des allgemeinen Wohlbefindens in Verbindung steht, z. B. mit Burnout-Symptomen. Es werden eigene Befunde aus zwei explorativen Studien (N = 210 und N = 52) und einem experimentellen Design (N = 117) vorgestellt. Die Stichproben wurden aus dem Bereich der Kranken- und Altenpflege rekrutiert, da hier von einer hohen Dichte an emotionalen Interaktionen im Berufsalltag auszugehen ist. Alle drei Studien liefern empirische Belege für die drei postulierten Kernannahmen. In der Abschlussdiskussion werden die Ergebnisse der Theoriearbeit und die empirischen Befunde zum pseudo-empathischen Prozess, zu den verschiedenen Auswirkungen und ihren Prämissen integriert. Mögliche empirische Zugänge für die weitere Forschung werden diskutiert und praktische Implikationen vorgestellt. Beispielsweise bietet die Reflexion und Vermeidung von pseudo-empathischen Äußerungen einen fruchtbaren Ansatzpunkt für Empathie-Trainings, die auf diese Weise die eigene authentische Kommunikation verbessern können. Ein solches Training könnte zur Prävention möglicher negativer Langzeiteffekte von Pseudo-Empathie als dysfunktionale Coping-Strategie eingesetzt werden.

The present thesis introduces the concept of pseudo-empathy, which encompasses inner processes and a specific type of response in an empathic interaction. The focus is on the person who experiences empathic feelings in an interaction and on his or her response – henceforth referred to as the “sender”. It is outlined that a pseudo-empathic response essentially functions as a coping strategy for the sender to provide emotion regulation. It is assumed that this is a common strategy, which is functional on a short-term basis, but could be dysfunctional on the long term, when a specific context fosters frequent occurrence, e.g., in social professions with a high frequency of empathic interactions. Pseudo-empathy is considered as a protective mechanism for the sender that prevents emotional overload caused by the emotional situation of the empathy-eliciting person. It manifests in verbal responses that are characterized by invalidation, lack of acknowledgement, and absent signaling of empathy, e.g., “cheer up, it’s not that bad!”, and is out of tune with the emotional reality of the empathy-eliciting person. While the effects of nonempathic behavior on the receiving partner are a frequent subject of research, the impact on the sender lacks theoretical and empirical investigation. The objectives of this thesis are the theoretical foundation of the purpose, effects, and premises of pseudo-empathy, and the provision of the first empirical contributions regarding the subject. The theoretical framework is an integrative perspective on empathy, which considers internal processes in an empathic interaction as well as verbal responses. These two perspectives are implemented in the depicted Empathy-/Pseudo-Empathy Process Model, which is developed in the present thesis to clarify the mechanisms of pseudo-empathy within an interaction. Furthermore, the pseudo-empathic process is embedded in a comprehensive framework that specifies the emotional-regulative function of pseudo-empathy as well as short- and long-term effects on the sender, their context and influencing factors. A nomological network is developed to provide theoretical support. Within this network, the field of emotion regulation provides the most significant theoretical foundation for pseudo-empathic processes. Based on the theoretical research, three core assumptions are proposed: (1) pseudo-empathy serves as an emotion regulation strategy for its sender, (2) pseudo-empathic responses lead to a feeling of inauthenticity due to emotional dissonance, and (3) given a specific context of cumulative occurrence, pseudo-empathy is considered dysfunctional on the long term, and is associated with impaired overall well-being and stress-related symptoms, e.g., burnout. Two explorative studies (N = 210 and N = 52) and one experimental design (N = 117) are presented. All participants were recruited from the occupational field of nursing and elderly care, due to the high frequency of emotionally-demanding interactions in participants’ everyday professional life. All three studies provide empirical support for the core assumptions. The general discussion provides an integration of the theoretical research and the empirical results for the processes, effects, and premises of pseudo-empathy. Approaches for further research are discussed, as well as practical implications. For example, understanding and avoiding pseudo-empathy provides a promising basis for empathy-training programs that aim to facilitate authentic communication in empathic interactions, and thereby prevent the long-term negative effects associated with pseudo-empathy as a dysfunctional coping mechanism.

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