Einflussfaktoren auf das Randschichtverhalten in der Extrusion

Als kontinuierliches Fertigungsverfahren stellt die Extrusion eines der bedeutsamsten Verfahren zur Herstellung von Produkten aus thermoplastischen Kunststoffen dar. Im industriellen Alltag sind aufgrund der enormen Material- und Farbvielfalt sowie der zunehmend sinkenden Losgrößen häufige Produktwechsel notwendig. Diese erfolgen zumeist im laufenden Extrusionsprozess durch eine direkte Umstellung auf das gewünschte Zielmaterial bzw. die benötigte Produktfarbe. Die hierfür zu vollziehenden dynamischen Wechselprozesse gehen mit einem hohen zeitlichen und materiellen Aufwand einher. Dies resultiert aus den geringen Fließgeschwindigkeiten an der Fließkanalwand, wodurch die dort befindliche Kunststoffschmelze die höchsten Verweilzeiten aufweist und folglich den Wechselprozess dominiert.</br> Zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit gilt es daher, neben maschinenbaulichen Verbesserungen der Verfahrenstechnik sowie einer stetigen Weiterentwicklung der eingesetzten Materialien, die benötigte Wechselzeit zu minimieren. Um dieser Forderung nachzukommen und die notwendigen Wechselprozesse effizienter zu gestalten, ist ein Ausbau des Wissensstandes über das Randschichtverhalten von großer Relevanz. </br> Im Rahmen dieser Dissertation werden daher verschiedene Einflussfaktoren auf das Randschichtverhalten während des Extrusionsprozesses untersucht, wodurch der vorhandene Wissensstand erweitert wird. Die durchgeführten Untersuchungen umfassen sowohl das zeitabhängige thermo-rheologische Materialverhalten als auch verschiedenartige Grenzflächeninteraktionen, welche sich in katalytisch induzierte Alterungsprozesse sowie durch eine von der Oberflächentopologie beeinflussten strömungsmechanische Gegebenheiten in Randschichten gliedern. </br> Zur Untersuchung des rheologischen Materialverhaltens werden verschiedene am Markt etablierte Messgeräte (Rotationsrheometer, Messkneter) sowie ein neuartiges und im Zuge dieser Arbeit entwickeltes Messsystem (ExtruStab) eingesetzt und hinsichtlich der abbildbaren zeitabhängigen strukturellen Änderung miteinander verglichen. Die vorgenommenen Materialanalysen unterliegen prozessrelevanten thermischen und mechanischen Bedingungen, welche verschiedenartige materialspezifische Alterungseinflüsse induzieren. Ferner wird abhängig vom genutzten Messverfahren die Einflussnahme der mechanischen und thermischen Belastung isoliert voneinander betrachtet und innerhalb der Versuchsreihen variiert.</br> Mittels weiterer am Rotationsrheometer vorgenommener Untersuchungen werden mögliche katalytisch induzierte Materialalterungsprozesse analysiert. Hierzu werden verschiedene, für die Kunststoffverarbeitung relevante Oberflächenbeschichtungen zugrunde gelegt. Die in einer Laboranalyse durchgeführten Messungen erfolgen exemplarisch anhand eines Polyethylens niedriger Dichte als auch hoher Dichte, einem Polyamid 6 sowie einem Ethylen-Vinylalkohol-Copolymer. Wie die Messungen belegen, sind thermoplastische Kunststoffe als reaktive Materialien anzusehen.</br> Abhängig von der Zeit zeichnet sich ein thermo-rheologisch komplexes Materialverhalten ab, bei dem über die Prozesstemperatur, der Oberflächenbeschichtung des Fließkanals oder die Scherung des Materials ein Einfluss auf den stattfindenden Alterungsprozess genommen wird. Werden diese Erkenntnisse auf den Extrusionsprozess übertragen, ist demnach mit zeitabhängigen strukturellen Änderungen zu rechnen, die zu einem zeit- und temperaturabhängigen Prozessverhalten führen. </br> Neben den thermo-rheologischen Materialcharakterisierungen wird mittels praktischer Wechselversuche dem Grenzflächenverhalten zwischen der Kunststoffschmelze und der Fließkanaloberfläche bei Farbwechselversuchen nachgegangen. Vorausgegangene Arbeiten von legten die Vermutung nahe, dass es abhängig von der Oberflächentopologie des Fließkanals sowie der Farbpigmentgröße/-form der im Farbbatch enthaltenen Farbpigmente zu einer Stagnation dieser in der Randschicht kommt.</br> Eine solch mögliche Stagnation wurde experimentell durch die Verwendung zweier Farbbatches (unterschiedliche Partikelgrößen) und Fließkanaloberflächen (korundgestrahlte bzw. polierte) untersucht. Die Ergebnisse der Versuche legen hierzu dar, dass es zu einer längeren Verweilzeit der Farbpigmente in der Oberflächenstruktur kommt, je rauer diese ist und je feiner die Farbpigmente selbst sind. </br> Aufbauend auf diesen Versuchen wird der Wechselprozess numerisch unter Berücksichtigung der Oberflächenstruktur auf der Mikroebene abgebildet. Hierzu werden die Oberflächenstrukturen digitalisiert und in einem jeweiligen CAD-Modell berücksichtigt. Ausgehend von der Fließkanalgeometrie im Makrobereich wird eine sukzessive Verkleinerung der Geometrie durch eine Multiskalenmodellierung vorgenommen und in den Mikrobereich zur Berücksichtigung der Oberflächentopologie innerhalb der numerischen Berechnung überführt. Über ein Abbilden der strömungsmechanischen Gegebenheiten in der Randschicht wird der Wissensstand der strömungsmechanischen Situation in der Fließkanalrandschicht ausgebaut.</br> In den Ergebnissen der vorgenommenen CFD-Simulationen spiegeln sich die bereits experimentell gewonnenen Erkenntnisse wider. Abhängig von der Oberflächenstruktur wird das in der Randschicht vorliegende Fließverhalten beeinflusst und weicht folglich von der Primärströmung im Fließkanal ab. Ein langsamerer Austrag der Farbpartikel aus der Oberflächenstruktur ist die Folge. Folgerichtig bilden die Simulationen die aus den praktischen Versuchen erkannten Unterschiede im Wechselverhalten unter Verwendung der jeweiligen Oberflächentopologie ab. </br> Zusammenfassend wurden im Rahmen dieser Arbeit der Wissensstand zur Erfassung zeitabhängiger molekularer Änderungen von thermoplastischen Kunststoffen erweitert sowie verschiedenartige Grenzflächeninteraktion nachgewiesen. Durch ein Zusammentragen der gewonnenen Erkenntnisse aus den genutzten Messverfahren zur rheologischen Charakterisierung ist eine detaillierte Analyse und Beschreibung der zum Tragen kommenden Alterungsprozesse auf molekularer Ebene gewährleistet. Wie die verschiedenen Untersuchungen zeigten, nimmt insbesondere eine Oberflächen-Schmelze-Interaktion einen vielseitigen Einfluss auf den Extrusionsprozess. Neben katalytisch induzierten Alterungsprozessen ausgehend von der beschichteten bzw. metallischen Fließkanaloberfläche nimmt die Oberflächentopologie einen Einfluss auf die strömungsmechanische Situation in der Randschicht.</br> Durch den generierten und erweiterten Wissensstand bezüglich des thermo-rheologichen Materialverhaltens sowie des Randschichtverhaltens kann eine Verbesserung bei der Prozessführung als auch beim Einsatz von Beschichtungen erzielt werden. Weiterführende Untersuchungen hinsichtlich einer Grenzflächeninteraktion zwischen verschiedenen Kunststofftypen sowie einer Weiterentwicklung der Messtechnik zur Berücksichtigung des Einflusses des Druckes auf den Alterungsprozess sind denkbar.

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