Störungsmodelle in der kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlung. Auswirkung von Störungsmodellen auf den Therapieverlauf

Das Ziel der vorliegenden Untersuchung war, herauszufinden, wie naive und professionelle Störungsmodelle, die im Rahmen der Kommunikation in der kinder- u. jugendpsychiatrischen Behandlung offenbar werden, zusammenwirken und den Kommunikationsprozess gestalten. Im Zentrum der Analyse stand dabei nicht die Wahrheit oder wissenschaftliche Richtigkeit der geäußerten Störungsmodelle, sondern deren Eigenschaften und Auswirkungen auf die Kommunikationsprozesse im Rahmen der kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlung. Es wurde eine systemtheoretische Untersuchungsperspektive eingenommen, in der die Analyseeinheit (Fall) nicht eine spezifische Person, sondern die in der Behandlung einer Patientin anfallenden Kommunikationen, die mit Störungsmodellen in Verbindung standen, waren. Auf der Basis eines heuristischen Rahmenmodells, in dem Störungsmodelle als Entschlüsselungsversuche von störendem Verhalten angesehen werden, mit dem dieses der Kommunikation zugänglich gemacht wird, wurde überprüft, inwieweit sich formale oder inhaltliche Eigenschaften der Störungsmodelle auf die Kommunikation auswirken. Dabei wurde die Interaktion der Störungsmodelle der Beteiligten untersucht. Für die Untersuchung wurden in einem ersten Schritt mit einer an der rekonstruktiven Sozialforschung orientierten Strategie Störungsmodelle in den vollständig anonymisierten Therapiemitschriften identifiziert und in einer Tabelle zusammengefasst, die diese in ihrem chronologischen Verlauf, kategorisiert nach genannten Symptomatiken und Autoren darstellt. Diese Tabelle diente im weiteren Verlauf als Basis für die Analyse. In der Voruntersuchung wurden 6 Fällen in einem vollständig datengesteuert Verfahren analysiert. Dabei wurde auf die in der Voruntersuchung aufgestellten Hypothesen fokussiert, dass nicht inhaltliche, sondern formale Aspekte dieser Störungsmodelle (z.B. Passung) eine wichtige Rolle in der Strukturierung des Kommunikationsprozesses inne haben. Die Auswirkung der Störungsmodelle auf den Kommunikationsprozess wurde vor dem Hintergrund der asymmetrischen Eltern-Kind Beziehung, sowie in Begriffen von Loyalität und Bindung diskutiert. Auch unterschiedliche Wahrnehmungen von als Symptom beschriebenen Verhaltensweisen, deren Einbettung in familiäre Konfliktstrukturen, sowie deren Kommunikation in offener und verdeckter Form spielten dabei eine Rolle. Der Aspekt der Unbestimmtheit von Symptomen des Verhaltens und Erlebens von Kindern und Jugendlichen bezüglich deren Ursachen wurde dabei als rahmengebend herausgestellt. Im zweiten Untersuchungsschritt (Hauptuntersuchung) wurden theoriegeleitet anhand der Methode des zufallsgesteuerten Fallvergleichs gut erprobte sozialpsychologische Konstrukte an die Daten angelegt, z.B. aus der Dissonanztheorie, Attributionstheorie oder der Theorie der psychologischen Reaktanz, um für die Störungsmodelle relevante Beschreibungsdimensionen zu explorieren, mit denen sich die in der Voruntersuchung konkretisierten Hypothesen überprüfen ließen. Diese Beschreibungsdimensionen sollten die Erkennung von Mustern in den störungsmodellbezogenen Kommunikationen ermöglichen. In einem nächsten Schritt wurde versucht, anhand der Fallvergleiche die 14 Fälle zu Typen zu klassifizieren. Es kristallisierte sich in den auf sozialpsychologischen Konstrukten beruhenden Analysen heraus, dass ein attributionaler Ansatz für die Klassifizierung fruchtbar ist, der auf den Gedanken von Weiner beruht und die Störungsmodelle der verschiedenen Akteure in ein 2 x 2 Schema kategorisiert, das aus den Dimensionen Externalität / Internalität und Kontrollierbarkeit / Nicht-Kontrollierbarkeit gebildet wird. Die Unterscheidung von kontrollierbaren und unkontrollierbaren Attributionen für den Bereich der internalen Attribution wurde im Rahmen der vorliegenden Untersuchung auf den Bereich der externalen Attributionen ausgedehnt. Auf der Basis dieser Analyse konnten dann Typen gebildet werden, die insbesondere die Konfliktstruktur, die mit den Attributionen verbunden ist, abbilden. Im Laufe der Analyse wurde eine Klassifikation der einzelnen Fälle zu 4 Typen vorgenommen, die verschiedene Attributionsabfolgen, bzw. Konfliktmuster beinhalteten. Diese Typen wurden als „Kampf um Autonomie“, „Beschuldigung eines Außenfeindes“ , „Kampf um Bindung“ und „Kampf um familiäre Verantwortung“ bezeichnet. 12 der 14 Fälle der Hauptuntersuchung konnten dabei einem dieser Typen zugeordnet werden. Diese Typen bestanden in charakteristischen Störungsmodell-Kommunikationen, die über den Zeitverlauf eine bestimmte Struktur zeigten (z.B. Polarisierung, Fokusverschiebung). Es handelte sich dabei um Konfliktmuster, die die Falldynamik erklärbar machten und die die Interaktionen strukturierten. Der zentrale Konflikt (z. B. zwischen internal-unkontrollierbaren und internal-kontrollierbaren Attributionen im Falle des Typs „Kampf um Bindung“) zeigte sich zwischen verschiedenen Akteuren, aber auch innerhalb einer Person durch eine Ambivalenz oder Oszillation. Die Konflikttypen wurden in Bezug auf ihre Bedeutung im Therapieprozess diskutiert. Die in der Voruntersuchung gewonnene Hypothese, dass strukturelle und nicht inhaltliche Merkmale der Störungsmodelle eine wichtige Rolle im psychiatrischen Kommunikationsprozess spielen, konnte teilweise bestätigt werden. Dies aber nicht wie ursprünglich angenommen als Passungsaspekt, sondern als Aspekt der Komplementarität von spezifischen Attributionsmustern, die sich in den Konflikttypen zeigten. Neben dieser formalen Dimension war aber auch ihre inhaltliche Dimension von Bedeutung, da sie Aufschlüsse über Reaktanz fördernde Eigenschaften der jeweiligen Attributionen dadurch gab, dass sie Handlungsoptionen der Beteiligten mehr oder weniger einschränkte. Auch Bindungs- und Autonomieprozesse waren inhaltliche Aspekte, die in der Analyse von Bedeutung waren.
The aim of the present study was to find out how naive and professional disorder patterns (models) that have become apparent in the child and juvenile psychiatric therapy, interact and affect the communication process. However, the focus of the study was not the truth or scientific correctness of the disorder patterns described, but their characteristics and effects on the communication processes within the child and juvenile psychiatric therapy. A system theoretical point of view has been adopted where the unit of exploration (case) was not a specific individual, but the disorder pattern related communications resulting from the therapy of a patient. Based on a general heuristic model where disorder patterns are considered as being attempts to understand distressing behaviour made accessible to communication, it has been checked to what extent any formal or content related characteristics of the disorder patterns have an impact on communication, thereby investigating the interaction of the involved persons' disorder patterns. In a first step, disorder patterns have been identified in entirely anonymized therapy notes by using a strategy that is based on the reconstructive social research. These disorder patterns have then been summarized in a chart, represented in chronological order and classified by the mentioned symptoms as well as by authors. That chart subsequently served as a basis of the study. In a preliminary exploration, six cases have been analyzed in an entirely data controlled process, thereby focusing on the assumptions made in the preliminary exploration, i.e. that not content-based but formal aspects of the disorder patterns (e.g. match) play an important role in structuring the communication process. The effects of the disorder patterns on the communication process have been discussed in the background of an asymmetric parent-child relationship as well as in terms such as loyalty and attachment. Furthermore, any different perceptions of behaviours described as being symptoms, their inclusion in familial conflict structures as well as their communication in open and latent forms have been of major importance. The aspect of indeterminate symptoms of children's and juveniles' behaviours and experience in relation to their causes has thereby being the underlying basis. In a second step (main study), well-proven social psychological constructs were applied to the data by using the random case comparison method, e.g. from the dissonance theory, attribution theory or the theory of psychological reactance, in order to explore appropriate descriptive dimensions for the disorder patterns which were used to check the hypotheses defined in the preliminary study. These descriptive dimensions were to enable the identification of patterns in the disorder pattern (models) related communications. The next step was to try, based on the case comparisons, to classify the fourteen cases by types. It had become apparent in the analyses based on the social psychological constructs, that such attributional approach for classification is very useful that is based on Weiner's notions and which classifies the different participants' disorder patterns into a 2 x 2 scheme, formed from the dimensions of externality / internality and controllability / uncontrollability. The differentiation of controllable and uncontrollable attributions for the internal attribution has been extended to external attribution as well. Based on that study, types could be formed that especially represent the conflict structure which is associated with the attributions. The individual cases were then classified into four types containing different attributional sequences and conflict patterns. These types were defined as "fight for self-determination", "accusation of an external opponent", "fight for attachment" and "fight for familiar responsibility". Twelve out of fourteen cases could thereby been assigned to one of these types. These types consisted in characteristic disorder pattern communications that showed a specific structure over time (e.g. polarisation, shift of focus). These were conflict patterns explaining the case dynamics and structuring interactions. The essential conflict (e.g. between internal-uncontrollable and internal-controllable attributions as for the "fight for attachment") was divulged between different participants, but also within a person by his ambivalence or oscillation. The types of conflict have been discussed in relation to their importance in the therapeutic process. The hypothesis confirmed in the preliminary study, i.e. that any structural and non-content characteristics of the disorder patterns play a significant role in the psychiatric communication process, could, to some extent, be substantiated. However, this was not the case under a matching aspect, as originally assumed, but as an aspect of complementarity of different attribution patterns displayed in the types of conflict. In addition to that formal dimension, its content-specific dimension was significant as well, since it provided key information on characteristics promoting the reactance of the respective attributions by, more or less, restricting the participants' course of action. Also, attachment and self-determination processes were part of the content-related aspects which were of specific importance in the study.

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