Untersuchungen zur Rolle von Cadherinen bei der Entwicklung des Vertebratennervensystems am Beispiel des Huhns (Gallus domesticus)

Cadherine sind integrale, zellmembranständige Glykoproteine und gehören zur Gruppe der Zelladhäsionsmoleküle. Namensgebend ist ihre Eigenschaft, im Gegensatz zu anderen Adhäsionsmolekülen nur in Gegenwart von Calcium eine Bindung einzugehen. Diese Bindung ist präferentiell „homophil”, das heißt, eine Zelle, die ein bestimmtes Cadherin exprimiert, bindet bevorzugt an eine Zelle mit dem gleichen Cadherin. Morphoregulatorische Phänomene wie Aggregation, Segregation sowie Migration sind grundlegende Vorgänge bei der Formierung von Neuromeren, deren funktionaler Unterteilung in Hirnkerne, Axonwachstum und der Synaptogenese. Aufgrund ihrer differentiellen Expression in Neuromeren, sich entwickelnden Hirnkernen und Schichten sowie auf auswachsenden Axonen und an Synapsen vermutet man, dass, neben anderen molekularen Faktoren, die Cadherine unmittelbar mit diesen Vorgängen in Zusammenhang stehen. In einem ersten Ansatz konnte ich die mögliche Rolle von Cadherinen bei der Charakterisierung tectofugal projizierender Axone beweisen. Mittels selektivem retrogradem Tracing konnte ich direkt beweisen, dass Projektionsneurone in tiefen Schichten des Tectum opticum entsprechend ihrer Cadherinexpression faszikulieren. Meine Daten stützen somit die These, dass Cadherine am Vorgang der axonalen Wegfindung beteiligt sind. Ein zweiter Ansatz untersucht die Kompartimentierung innerhalb der grauen Substanz in sogenannte „Patches“, die von einer „Matrix“ umgeben sind. Zwei unabhängig voneinander erstellte Studien ließen die Existenz dieser Art der Kompartimentierung in verschiedenen Regionen des embryonalen Telencephalons im Huhnembryo vermuten. Beide Kompartimente unterscheiden sich, ähnlich denen im Striatum von Säugern, durch ihre Cadherinexpression sowie den Geburtszeitpunkt. Inwieweit beide Faktoren miteinander zusammenhängen und somit auf eine Analogie zum Säugerstriatum hindeuten und ob Cadherine eine potentielle Rolle bei diesem Phänomen der Regionalisierung spielen, war bislang unklar. Ich habe durch die Analyse der Expression verschiedener Cadherine, kombiniert mit der Lokalisation von Zellen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt geboren und mit Bromodesoxyuridin (BrdU) markiert wurden, versucht, diesen Aspekt zu beleuchten. Ich konnte eine generelle Koinzidenz zwischen beiden Faktoren feststellen, die darauf hindeutet, dass Cadherine an der Regionalisierung von grauer Substanz beteiligt sein könnten. Der dritte Teil meiner Dissertation befaßt sich mit der Frage, ob Spezifität von Synapsen über Cadherine vermittelt werden könnte. In einem Ansatz, bei dem ich die Expressionsanalyse von vier Vertretern klassischer Cadherine und einem Marker für synaptische Vesikel mit retrogradem Tracing im Mesencephalon spätembryonaler Huhnembryonen kombiniert habe, konnte ich zeigen, dass Synapsen bestimmter Neuronenpopulationen durch die Expression eines oder mehrerer Cadherine charakterisiert sind. Cadherine scheinen somit maßgeblich an der Spezifizierung von Synapsen beteiligt zu sein. Allen Projekten ist gemein, daß die einzelnen „Komponenten“, seien es nun Populationen von Neuronen, Einzelzellen oder Synapsen, durch die Expression eines oder mehrerer bestimmter Cadherine charakterisiert sind. Desweiteren scheinen selektive Bindungseigenschaften und die daraus resultierenden Phänomene wie Aggregation und Segregation in allen Ansätzen eine Schlüsselrolle zu spielen. Speziell die Tatsache, daß ähnliche Prinzipien bei drei unterschiedlichen Vorgängen während der Neurogenese zu beobachten sind, legt die Vermutung nahe, daß allen ein allgemeiner morphoregulatorischer Mechanismus zugrundeliegt. Meine Arbeit liefert Hinweise darauf, daß die differentielle Expression von Cadherinen an diesem Mechanismus beteiligt ist.

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